Rotbartsaga -  Wolfgang Schwerdt

Rotbartsaga (eBook)

Schiffbruch vor Sumatra
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2022 | 1. Auflage
380 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7543-2873-6 (ISBN)
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Am 26. November 1653 setzt der kleine, rote Kater erstmals seine Pfoten auf die Planken eines großen Schiffes und tritt damit seine erste Reise als Schiffskater an. Dabei lernt er nicht nur die Tücken und Gefahren des Bordlebens kennen, sondern trifft auch auf die Klabautermiez und den Fliegenden Holländer der letztendlich das Schicksal des Schiffes besiegelt. Nach dem Schiffbruch vor Sumatra schlägt sich Rotbart mit anderen Mitgliedern der befellten seefahrenden Zunft durch den Dschungel der riesigen Insel und begegnet dabei nicht nur seinen wilden Artgenossen. Lebensgefährliche Abenteuer, wilde Streiche, opulente Gelage und natürlich die obligatorischen Besuche in den Katzenspelunken prägen das Leben des Katers, der bereits im Laufe seiner ersten Reise zu einem der legendären Schiffsfelinen wird, deren Heldentaten in den Katzentavernen der Welt die Runde machten.

Geboren 1951 in Berlin. Seit 1982 freier Journalist für Hörfunk und Printmedien. Seit 1988 spezialisiert auf Themen der Schifffahrts- und Kulturgeschichte. Seit 2002 auch Buchautor. Auf die Katz ist Schwerdt erst etwa 2002 gekommen, als er auf einem Reiterhof mit vier dieser Wesen der samtpfotigen Art konfrontiert wurde. Seitdem lassen ihn die Themen Katzen und Seefahrt nicht mehr los, die sich in zahlreichen seiner Buchveröffentlichungen und Artikel niederschlagen. Die Autoren-Homepage: http://wolfgangschwerdt.wordpress.com/

1. Reise nach Sumatra


Im wilden Galopp stürmte Rotbart auf den Bojer am Kai zu, der das Gepäck und die letzten Achterdecksgäste zur Zeeland bringen sollte. Der pfiffige Kater hatte den Zeitpunkt genau abgepasst. Die Matrosen hatten bereits den Steg eingezogen und die Leinen gelöst, als er wie ein roter Blitz über die Reling des in den Wind schießenden Versorgungsschiffes fegte. Die kläffende Hundemeute, deren Jagdtrieb Rotbart mit seinem unvermuteten Sprint geweckt hatte, musste auf die erhoffte Beute verzichten. Der Kater hatte keine Zeit, voller Schadenfreude zu beobachten, wie einige seiner Verfolger ungebremst ins Wasser rauschten, andere sich beim Versuch, rechtzeitig abzustoppen, überschlugen und wieder andere mit eingeklemmtem Schwanz reumütig zu ihren wütenden Herrchen zurückkehrten. Er war direkt auf dem gebeugten Rücken eines der feinen Herren gelandet, die im Auftrag der Vereinigten Ostindischen Kompagnie und der Familie Carlszoon das Kontor in Batavia verstärken sollten. Der Kaufmann hielt nur mit Mühe sein Gleichgewicht und fluchte gehörig. Dabei konnte er von Glück reden, dass die scharfen Krallen des Katers nicht durch das dicke Winterwams drangen. Der junge Carl Carlszoon amüsierte sich prächtig und wollte dem zukünftigen Kontorleiter das fauchende Fellbündel vom Rücken klauben. Aber Rotbart hatte dem Kaufmannsgehilfen blitzschnell ein paar tiefe Kratzer in den Handrücken gefräst und war auf den Stapel des persönlichen Gepäcks und Proviants der Achterdecksgäste gesprungen. Nein, verstecken würde er sich diesmal nicht. Die Menschen hielt er sich mit dem bösartigsten Knurren, das er hervorbringen konnte vom Pelz und beobachtete dabei sehr genau, wann und wo das Versorgungsschiff die Bordwand der Zeeland erreichen würde.

„Bei dem werden die Nager an Bord aber nichts zu lachen haben“, grunzte der Kaufmann, „wo er doch sogar Menschen anfällt.“

Carl wickelte grinsend ein Taschentuch um seine blutende Hand und zwinkerte dem grimmigen Roten zu: „Ich hoffe, Menschen werden nicht zu Eurer Lieblingsbeute, Herr Kater.“

Rotbart antwortete mit einem wilden Fauchen. Er wollte jetzt nicht gestört werden und mit Zweibeinern hatte er sowieso nichts am Hut. Die standen auf seiner Liste der größten Feinde ganz oben, noch weit vor den Hunden. Wütend und aufgeregt zuckte sein Schwanz hin und her und je näher sie dem Schiff – seinem Schiff – kamen, desto mehr konzentrierte er sich auf den Sprung. Alles Störende wurde ausgeblendet, die Barthaare, die Ohren und der Blick nach vorne gerichtet. Sein Körper wankte vor und zurück, die Hinterpfoten suchten bereits die beste Absprungposition, den besten Halt.

Noch bevor der Bojer an die Bordwand der Zeeland stieß und durch das Rucken die sorgfältigen Berechnungen für den entscheidenden Sprung zunichte machen konnte, drückte sich der Kater ab und schnellte mit gestreckten Pfoten wie ein Pfeil durch die geöffnete Stückpforte in das Innere des Schiffes. Er kannte das oberste Zwischendeck auf dem er landen würde genau, so wie jeden anderen Winkel der Zeeland. Die war nämlich vor rund vier Monaten nach der Schlacht vor Scheveningen zur Reparatur auf den Strand der Reede von Texel gezogen worden. Mit an Bord der legendäre Schiffskater Seetiger, von einem Holzsplitter verletzt und dem Tode nahe. Der kleine Rote hatte sein Schiffskateridol wieder gesundgepflegt und dabei den Ostindienfahrer bis in seine hintersten Ecken auskundschaften können. Nun war der alte Seetiger wieder gesund, das Schiff repariert und fertig zum Auslaufen. Mit seinem Sprung durch die Stückpforte ließ der junge rote Kater sein bisheriges Leben nun für immer hinter sich. Er wusste, das was auf ihn zukam, war gefährlich und voller Abenteuer und Überraschungen – und er freute sich darauf.


Auf die erste Überraschung hätte Rotbart allerdings gerne verzichtet. Als er tief abgefedert auf dem Deck landete schlug ihm eine beinahe betäubende Wolke menschlicher Ausdünstungen entgegen. Auf dem Zwischendeck war nichts mehr so wie er es kannte. Damals, als er Seetiger pflegte, hatten die beiden das Schiff weitgehend für sich. Es waren noch keine Kanonen an Bord, keine Seekisten, keine Ausrüstung, kein Material, das über den Bedarf der Zimmerleute hinausging, die das Schiff instand setzten. An das Hämmern und Sägen, das zumindest tagsüber überall im Rumpf zu hören war, an die Rufe der Handwerker, ja selbst an die gelegentlichen lautstarken Streitereien der Menschen oder irgendwo herunterkrachende Lasten konnte Katz sich problemlos gewöhnen, denn es gab überall Ausweichmöglichkeiten. Aber das, womit es Rotbart nun zu tun hatte, war etwas völlig anderes, das war nicht das Schiff, das er kannte, sein Schiff, auf das er sich so gefreut hatte. Unzählige Menschen, Lärm, unbekannte Geräusche, Gerüche, Hundegebell und überall Dinge, die ihm die zuvor so sorgsam abgespeicherten Flucht– und Patrouillenwege des Reviers versperrten. Dazu gehörte auch die Kanone, gegen die er beinahe bei seinem Sprung durch die Stückpforte geknallt wäre. Glücklicherweise hatte er das bronzene Rohr knapp verfehlt und kauerte nun völlig verängstigt im Schutze der Lafette.

„Was für ein Sprung“, dem Brauntiger, der sich vor Rotbart hinsetzte und gelassen die Pfote leckte, schien der Trubel nichts auszumachen. „Ob es allerdings besonders klug war, vor dem Mast an Bord zu gehen, wage ich zu bezweifeln. Mir persönlich wäre es hier ein wenig zu lebhaft.“

Der Kater mit dem Namen Käptn Grotebroer sah Rotbart prüfend an. „Hast du Lust, mir nach achtern zu folgen? Ich denke, Seetiger wird dich sehen wollen, er hat jedenfalls schon eine Menge von dir erzählt und hält große Stücke auf dich – warum auch immer.“

Rotbart bekam kaum etwas von dessen Worten mit. Einzig der Name seines Idols war in sein Bewusstsein gedrungen und veranlasste ihn, Grotebroer wie in Trance zu folgen. Der führte Rotbart sicher durch das Chaos in den hinteren, durch eine dünne Trennwand abgeschotteten, Teil des Zwischendecks unter den Kapitäns- und Passagierkajüten, dessen einzige Lichtquelle die schmale Öffnung im Heck des Schiffes war, durch den die mächtige Ruderpinne führte.

„Na Kleiner, ich hoffe, es wird nicht zur Gewohnheit, erst im letzten Augenblick an Bord zu kommen“, Seetigers Augen blitzten spöttisch.

Rotbart hatte sich von seinem ersten Schrecken bereits wieder erholt und musste feststellen, dass neben Grotebroer auch noch andere Vertreter der Schiffskatzengilde anwesend waren und ihn neugierig anstarrten. So eine spöttische Bemerkung vor versammelter Mannschaft war nicht gerade das, was sich der Kater als Einstand auf seinem ersten Schiff vorstellte.

„Ich hatte noch kurz in Amsterdam zu tun“, konterte Rotbart großspurig und starrte zurück.

Lange währte Rotbarts selbstbewusste Phase allerdings nicht. Als sich die Ruderpinne über ihren Köpfen knarrend hin und her bewegte, das Schiff knackend und knirschend zu schwanken begann und sich das Trampeln der Füße und das Geschrei der Menschen hinter der Trennwand und auf den oberen Decks noch verstärkte, geriet sein Körper wieder in höchste Alarmbereitschaft. Tief duckte sich der Kater, alle Sinne angespannt. Mit zuckendem Schwanz und Ohren versuchte er, die Geräusche und Bewegungen des Schiffes einzuordnen und zu verarbeiten. Nachdem Anker gehievt und Segel gesetzt worden waren und die Zeeland mit Kurs auf den Englischen Kanal die geschützte Reede von Texel verließ, wurde der neue Arbeitsplatz des Schiffskaters geradezu lebendig. Weitere Sinneseindrücke kamen hinzu, als das Schiff vom eisigen Wind der Nordsee erfasst wurde, sich weit auf die Seite legte und seinen Weg krachend durch die kurzen Wellen kämpfte. Trotz seines Ausflugs nach Amsterdam über die raue Zuidersee war er auf das, was ihn hier erwartete, nicht einmal ansatzweise vorbereitet. Die fünf Katzen, die gelassen um ihn herumsaßen, beobachteten die Reaktion Rotbarts interessiert.

„Das ist also dein Held“, stellte der junge weiße Kater mit den markanten schwarzen Tupfern trocken fest und blickte Seetiger zweifelnd an.

„Warts nur ab, Kleinbroer“, grinste der oberste kätzische Nagerkontroll-Offizier vielsagend und Jack Tiger, der dem Rotbart auf den ersten Blick verblüffend ähnelte, murmelte: „Angst sieht jedenfalls anders aus.“

Angst hatte Rotbart tatsächlich nicht mehr. Angesichts seiner Kollegen, die gelassen aufrecht sitzend die heftigen Schiffsbewegungen ausglichen, war ihm klar, dass derzeit keine Gefahr drohte. Aber die gewaltige Anspannung, die sich bei dem roten Kater aufgestaut hatte, musste trotzdem irgendwie gelöst werden. Und während die Katzengruppe wie ein betrunkener Shantychor im Gleichtakt vor Rotbart hin und her schwankte, sprang der unvermittelt auf, machte zwei Sätze über das Deck und stürzte sich blitzschnell auf die Ratte, deren Anwesenheit seine hochkonzentrierten Sinne wahrgenommen hatten. Ein verzweifeltes Pfeifen, ein schneller Biss und Rotbart tauchte mit einer fetten Ratte im Maul aus dem Dunkel auf. Er ließ seine Beute in die Mitte der schwankenden Katzengesellschaft fallen, setzte sich – nun genauso entspannt wie die anderen –und schnurrte: „Mein Name ist Rotbart, Schiffskater Rotbart! Guten Appetit Kollegen.“

„Willkommen Rotbart“, maunzte der weiße Kater mit der schwarzgrau getigerten Decke beeindruckt und machte sich gleich über den Nager her.

„Ich glaube, das war Rotbarts Begrüßungsschmaus für uns alle, Newton“, knurrte...

Erscheint lt. Verlag 4.4.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
ISBN-10 3-7543-2873-5 / 3754328735
ISBN-13 978-3-7543-2873-6 / 9783754328736
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