In Putins Kopf (eBook)

Logik und Willkür eines Autokraten
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
224 Seiten
Tropen (Verlag)
978-3-608-11969-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

In Putins Kopf -  Michel Eltchaninoff
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Wer die Gefahr durch Putin besser einschätzen will, sollte dieses Buch lesen. Putins Angriffskrieg auf die Ukraine hat alle überrascht. Dabei waren seine Ziele schon viel länger erkennbar. Zum Neujahrsempfang 2014 schenkte Putin seinen 5000 wichtigsten Beamten drei vielsagende philosophische Werke. Der französische Philosoph Michel Eltchaninoff entwickelt daraus eine hellsichtige Analyse von Putins Denken. Mit einer kruden Mischung aus Logik und Willkür und auf der Grundlage eines rückwärtsgewandten Weltbilds soll ein eurasisches Großreich unter russischer Hegemonie entstehen. »Eltchaninoff beschreibt präzise die Wandlung Putins vom pseudoliberalen Pragmatiker zum zynischen Kriegsherrn und Propagandisten einer neuen großrussischen imperialen Idee.« Die literarische Welt »Eine intellektuelle Biographie dieses Profis der Maskierung.« Frankfurter Allgemeine Zeitung »Die kleine Studie erklärt gut, in welchem geistigen Kräftefeld sich der russische Präsident bewegt. Natürlich ist Putin kein Intellektueller; er liest Bücher mit bewaffnetem Auge und nimmt sich je nach Weltlage die philosophischen Brocken, die er braucht.« Die Zeit

Michel Eltchaninoff geboren 1969 in Paris, hat nach seiner Dissertation in Philosophie ein wissenschaftliches Werk zu Dostojewski verfasst. Er ist Chefredakteur des »Philosophie Magazine« (Frankreich).

Michel Eltchaninoff geboren 1969 in Paris, hat nach seiner Dissertation in Philosophie ein wissenschaftliches Werk zu Dostojewski verfasst. Er ist Chefredakteur des »Philosophie Magazine« (Frankreich).

»›In Putins Kopf‹ gibt faszinierende Einblicke ins Denken des russischen Autokraten«
Dierk Wolters, Frankfurter Neue Presse, 13. April 2022

Einführung


Putin und die Philosophie


Russland, Anfang Januar 2014. Hohe Funktionäre, Gouverneure der Regionen und Kader der Partei Einiges Russland erhalten von der Präsidialverwaltung ein besonderes Neujahrsgeschenk – philosophische Werke! Unsere Aufgaben von Iwan Iljin, Die Philosophie der Ungleichheit von Nikolai Berdjajew, Die Rechtfertigung des Guten von Wladimir Solowjow, Werke russischer Denker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Würde Gogol wieder zum Leben erwachen, beschriebe er, wie die imposanten Würdenträger, gewöhnt an feine Restaurants und Luxuswagen, nun über dieser Lektüre voller sibyllinischer Spekulationen schwitzen. Aber da müssen sie durch, dem allabendlichen Haareraufen zum Trotz. Der Präsident höchstselbst zitierte diese Autoren erst vor Kurzem in wegweisenden Reden, deshalb müssen sie zumindest versuchen zu verstehen, was er damit sagen wollte. Die Ausdauerndsten unter ihnen werden in diesen Büchern Wendungen finden, die merkwürdig nachhallen und ihnen das Gefühl vermitteln, dass sich über die Zeiten hinweg Parallelen herstellen: die Rolle des Führers der Nation in einer authentischen Demokratie, die Bedeutsamkeit einer konservativen Haltung, die Sorge um die Verankerung der Moral in der Religion, den historischen Auftrag des russischen Volkes angesichts der tausendjährigen Feindseligkeit des Westens …

Als Nächstes werden im Februar 2014 Vorträge zum Thema Konservatismus gehalten, und einige der Funktionäre – die aus den Abteilungen Innenpolitik und Soziales in der Präsidialverwaltung, um genau zu sein – sind zur Teilnahme verpflichtet. Im März sind die Parteikader von Einiges Russland an der Reihe; sie müssen Kurse im Rahmen des Projekts »Bürgeruniversität« besuchen.[1] Doch dieser Nachhilfe in Philosophie kommt ein historisches Ereignis in die Quere – die Annexion der Krim. Kein Grund, in seinem Bemühen nachzulassen, im Gegenteil. Vom 10. bis zum 20. August wird auf der gerade eroberten Krim das Jugendforum Tawrida 2014 abgehalten. Philosophen erklären dort den Jugendlichen die intellektuellen Quellen und die Aktualität der von Wladimir Putin eingeleiteten »konservativen Wende«. Boris Meschujew, Dozent an der angesehenen Moskauer Lomonossow-Universität, erinnert vor vollbesetztem Saal daran, dass das Land vor folgender schicksalhafter Entscheidung steht: »Sich als eine von den anderen getrennte Kultur aufzubauen […] oder sich als konservativer Retter Europas zu denken.«[2] Mehrere Philosophiehistoriker, Spezialisten für das russische Denken, stehen ihm zur Seite. Zur gleichen Zeit halten in einem prächtigen Schloss am Ufer des Schwarzen Meeres, einer früheren Residenz von Zar Alexander III., weitere Philosophen Vorträge über das »konservative Denken in Russland« oder die »Rückkehr der Krim nach Russland als jüngste Phase in der Entwicklung des russischen Staates – vom Niedergang in den 1980er und 1990er Jahren zu einer Phase der Konsolidierung«. Die Philosophie ist im Russland des Jahres 2014 allgegenwärtig. Und es ist der Präsident höchstpersönlich, der diese Bewegung mit seinen Zitaten philosophischer Denker prägt.

Putin – ein versierter Kenner der Philosophie? Lassen wir die Kirche im Dorf. Der Mann ist kein Intellektueller. Er hat eher eine Vorliebe für Geschichte, Literatur und vor allem für Sport. Und bevor er sein Jurastudium an der Leningrader Universität erwähnt, erzählt er lieber von seiner Jugend als Gauner und Spion. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit präsentiert er sich als jemand, der das weite Land und die körperliche Ertüchtigung der Enge der literarischen Salons vorzieht. Und wenn er die Philosophie erwähnt, dann zumeist, um sich über die Haarspalter lustig zu machen oder um seine eigene Unwissenheit einzugestehen. Oder aber er versteht die Philosophie, wie viele Russen, im Sinne einer östlichen Weisheit. Gern zitiert er Laotse, den »großen östlichen Philosophen«,[3] oder er erklärt, dass das von ihm praktizierte Judo die wahre Philosophie sei. Kurzum, niemand würde so weit gehen, aus Putin einen Intellektuellen zu machen.

Als politischer Lenker hegt Putin nicht den Wunsch, eine Staatsideologie nach sowjetischem Vorbild durchzusetzen. In dem programmatischen Text »Russland an der Jahrtausendwende«, den er 1999 genau zum Zeitpunkt des Antritts seiner Interimspräsidentschaft veröffentlicht hat, grenzt er sich von der kommunistischen Vergangenheit ab: »Ich bin gegen die Wiederherstellung einer staatlichen, offiziellen Ideologie in Russland in jedweder Form. In einem demokratischen Russland soll es kein erzwungenes bürgerliches Einvernehmen geben.«[4] Er wird diese Aussage regelmäßig wiederholen: »Ich glaube nicht, dass uns eine herrschende Ideologie und Philosophie fehlt. Doch natürlich kann der Staat von einem Philosophen gelenkt werden – unter der Bedingung, dass er diese Sicht der Dinge teilt.«[5] Er hat nichts gegen die Metaphysiker, aber an einem platonischen Philosophenkönig ist ihm dann doch nicht gelegen.

Wladimir Putin ist schließlich und vor allem eines: Realist. Er legt keinen Wert darauf, an irgendein ideologisches Joch gekettet zu werden, seinen Diskurs passt er den jeweiligen politischen Umständen an. Er möchte die Initiative behalten. Ein ganzer Schwarm von speechwriters umgibt ihn und unterbreitet ihm Vorschläge mit vielfältigen und wechselnden philosophischen Bezügen. Alle Personen, die bei den Recherchen zu diesem Buch befragt wurden, ob Präsidentenberater, Kommentatoren oder Intellektuelle, weisen die Idee einer »Philosophie Putins« zurück. Das wäre zu einfach. Jedoch ist dabei ein Detail bezeichnend: Nachdem sie mit Putin abgesprochen haben, eine kohärente philosophische Theorie zu besitzen oder anzuwenden, beginnen sie allesamt, die Namen der großen Denker aufzuzählen, die ihrer Meinung nach seine Weltanschauung und sein Handeln beeinflussen, und erklären, inwieweit Putin diesen oder jenen Aspekt aus deren Theorien wieder aufgreift.

Tatsächlich ist Putin, das deutet sich in seinen Reden und seinem Handeln an, von bestimmten philosophischen Ideen beeinflusst. Er ist, könnte man sagen, von Grund auf Sowjetmensch geblieben. Wie alle Bürger der UdSSR wurde er zu einem quasireligiösen Respekt vor den Büchern und großen Namen der Kultur erzogen. Weder in der Sowjetunion noch in Russland macht man sich über die Kultur lustig, und über die Philosophie, die bei den Studenten sämtlicher Fachrichtungen auf dem Lehrplan stand, ebenso wenig. Während seines Studiums lernt Wladimir Putin die Namen und Lehren der großen russischen und ausländischen Denker kennen. Zudem ist er bei seiner Rückkehr aus der DDR, nach dem Fall der Berliner Mauer und nach fünfjähriger Mission für den KGB, sicherlich überrascht über die blühende Verlagslandschaft, die sich in seiner Abwesenheit entwickelt hat. In einigen Jahren Perestroika sind zahlreiche Autoren zum ersten Mal veröffentlicht oder neu aufgelegt worden – religiöse Philosophen, emigrierte Denker, große, bisher nicht publizierte ausländische Schriftsteller. Die Philosophie ist damals sehr in Mode. 1994 kehrt Solschenizyn nach Russland zurück und lässt Ideen wieder aufleben, die man für verschwunden hielt. Außerdem ist Putins Geburtsstadt Leningrad, die seit 1991 wieder ihren alten Namen Sankt Petersburg trägt, eine intellektuelle Metropole. Viele Philosophen, die mehr oder weniger als Dissidenten gelten, leben hier. Gut möglich, dass Putin einigen von ihnen über den Weg gelaufen ist. In jedem Fall muss die brodelnde Stimmung jener Zeit unweigerlich seine Aufmerksamkeit erregt haben, zumal eine Spezialabteilung des KGB die ideellen Debatten mitverfolgt, die die Gesellschaft umtreiben. Dazu brauchte man damals übrigens nur den Fernseher einzuschalten, und schon konnte man die leidenschaftlichen Debatten über diesen von der Sowjetpropaganda verleugneten oder entstellten Bereich der Kultur miterleben.

Als er im Jahr 2000 die Amtsgeschäfte des Präsidenten eines zwischen Sowjetnostalgikern, antikommunistischen Demokraten und mehr oder weniger prosowjetischen Nationalisten gespaltenen Landes übernimmt, benötigt Putin eigene ideologische Orientierungspunkte, um pragmatisch und anpassungsfähig zu wirken. Er will seine Mitbürger von der Solidität seines Denkens und Handelns überzeugen. Die Leute sollen eine gut strukturierte Rede hören. Um das Land neu aufzubauen, muss man das Volk zusammenschweißen und den Funktionären eine klare Richtung vorgeben. In einem Land, in dem die Mechanismen der politischen ...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2022
Übersetzer Till Bardoux
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte autokrat • Autokratie • Demokratie • eurasisches Weltreich • Krieg • Osteuropa • Philosophie • Putins Philosophie • russische Hegemonie • russischer Imperialismus • Russland • Ukraine • Ukraine-Krieg • Wladimir Putin
ISBN-10 3-608-11969-8 / 3608119698
ISBN-13 978-3-608-11969-5 / 9783608119695
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