Das »Anders« gehört zu mir (eBook)

Mein Leben mit Asperger-Autismus
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
240 Seiten
Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-95910-369-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das »Anders« gehört zu mir -  Veronique Kouchev
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Veronique Kouchev ging es so wie vielen anderen Mädchen mit Asperger: Dass mit ihr etwas nicht stimmte, bekam sie täglich zu spüren. Mobbing in der Schule war an der Tagesordnung, Veronique passte nicht rein, war einfach anders. Auch die Lehrer*innen waren verunsichert und unterstützten sie kaum. Mit 17 endlich die Diagnose: Asperger-Autismus. Für Veroniques Mutter bricht eine Welt zusammen, ihre Tochter ist erleichtert - das Rätselraten hat ein Ende. Doch es dauert, bis sie ihren Platz im Leben findet, immer wieder schlagen ihr Vorurteile und Stigmatisierungen entgegen. Eine Vermieterin wirft sie beispielsweise aus der Wohnung. Die Frau hatte einige Artikel über Autismus gelesen und nun Angst, ihre junge Mieterin würde das Haus in Brand setzen. Aber Veronique entwickelt aus ihrer Situation heraus eine große Willenskraft: Sie ist heute in einer festen Beziehung mit einem »ganz normalen« Mann, studiert, jobbt nebenher und liebt das Leben. Die Studentin sprüht vor Energie und möchte anderen Betroffenen und ihren Angehörigen Mut machen. Und sie möchte zeigen, was hinter dem Asperger-Syndrom steckt und wie wir Betroffenen begegnen können, um ihnen das Leben zu erleichtern.

Veronique Kouchev wurde 1996 in Straußberg geboren und ist Asperger-Autistin. Während der Schulzeit zog sie mit ihrer Familie nach Aachen, wo sie später eine Ausbildung als Grafikdesignerin absolvierte. Heute studiert sie Kommunikationsdesign und arbeitet als freiberufliche Designerin und Künstlerin. Veronique erfuhr erst mit 17 Jahren von ihrer Diagnose und hat seitdem gelernt, mit ihrem Autismus umzugehen. Sie lebt zusammen mit ihrem Partner in Aachen.

Veronique Kouchev wurde 1996 in Straußberg geboren und ist Asperger-Autistin. Während der Schulzeit zog sie mit ihrer Familie nach Aachen, wo sie später eine Ausbildung als Grafikdesignerin absolvierte. Heute studiert sie Kommunikationsdesign und arbeitet als freiberufliche Designerin und Künstlerin. Veronique erfuhr erst mit 17 Jahren von ihrer Diagnose und hat seitdem gelernt, mit ihrem Autismus umzugehen. Sie lebt zusammen mit ihrem Partner in Aachen.

Zuhause


Wir alle haben diesen einen Ort, an dem wir ganz wir selbst sein können, einen Raum, wo wir uns so verhalten können, wie wir wollen, ohne uns zu verbiegen. Dieser Ort gibt uns Sicherheit, er ist unsere Zuflucht, wenn die Außenwelt uns überfordert. Dieser ganz besondere Ort kann viele Namen haben: Er kann dein Zuhause oder dein Zimmer sein, der Stadtpark, deine Dusche … Es ist eine schöne Vorstellung, dass dieser Raum einem immer dann, wenn man ihn braucht, zur Verfügung steht. Diese Freiheit, die vielen Menschen nicht mal bewusst ist, ist für mich einer der wichtigsten Eckpunkte meines Lebens.

Nach genau diesem Raum sehnte ich mich auch jetzt, als ich vor unserer Haustür stand und gleich fünfmal hintereinander klingelte. Wieder mal hatte ich am Morgen meinen Schlüssel nicht eingesteckt. Das machte ich öfter, denn ich sah einfach nicht ein, wofür ich einen Schlüssel brauchte, wenn mir doch eh jemand die Tür öffnen würde. Den Schlüssel aus meiner überfüllten Schultasche zu fischen, war doch viel komplizierter, als kurz auf die Klingel zu drücken.

Nach drei Minuten ging die Tür endlich auf. Ich war völlig außer Atem, da ich den ganzen Weg bis nach Hause gesprintet war. Meine Mutter stand schon in der Küche und wartete auf mich. Das Essen war fertig. Wie immer begrüßte sie mich mit einem breiten Lächeln und drückte mich an sich. Danach stellte sie mir die Fragen, die sie mir jeden Tag stellte, wenn ich aus der Schule zurückkam: »Wie geht es dir? Wie war dein Tag?« Und heute: »Ist wieder irgendwas passiert? Du siehst verweint aus.«

Immer dasselbe, dachte ich bei mir. Ich wollte nicht darüber reden, was passiert war. Ich wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden.

»Setz dich hin, Veronique«, redete meine Mutter weiter. »Ich hab was Leckeres gekocht.«

Ich blockte ab. »Danke, Mama, aber ich will gerade nichts essen.« Das lag nicht nur daran, dass ich mich auf Lasagne gefreut hatte und jetzt plötzlich Bratkartoffeln auf dem Tisch standen, sondern ich wollte auch einfach mit niemandem reden. Alles, was ich wollte, war, allein in meinem Zimmer zu sein. Mehr nicht. Ich brauchte erst mal Abstand von der Außenwelt. Das brauchte ich jeden Tag nach der Schule. Sonst ging gar nichts – weder essen noch Hausaufgaben noch Haushaltspflichten.

Meine Mutter schaute mich enttäuscht an, so wie immer, wenn ich so reagierte. Aber was sollte ich denn tun? Manchmal zwang ich mich dazu, bei ihrem Mittagsritual mitzumachen, aber nur an Tagen, an denen alles einigermaßen in Ordnung war. Heute war nicht so ein Tag. Ich wollte einfach nur in mein Zimmer, den Raum, in dem ich mich am wohlsten fühlte. Hier wurde ich zwar auch ab und zu von meiner Familie gestört, aber immerhin hatten fremde Menschen keinen Zutritt. Heute brauchte ich diese Auszeit unbedingt, also setzte ich mich durch. »Bitte, Mama, lass mich erst mal allein«, sagte ich noch mal.

Manchmal nahm meine Mutter es hin, dass ich nach der Schule erst mal meine Ruhe wollte, doch es kam auch vor, dass sie darüber diskutieren wollte. Es kam dann oft zu Streitsituationen, die meistens damit endeten, dass sie nicht mehr darüber reden wollte und einfach wegging. Ich hingegen wollte die Sache unbedingt klären. Es war sehr schwer für mich zu akzeptieren, wenn Menschen Dinge einfach ungeklärt ließen. Da kam wieder Anders zum Vorschein. Es wollte, dass ich alle Dinge, die ich anfing, auch zu Ende brachte. Mittendrin eine Pause zu machen, brachte es aus der Fassung, woraufhin es auch mich aus der Fassung brachte, und das auf unterschiedlichste Art und Weise.

Als ich an diesem Tag in meinem Zimmer verschwand und die Tür hinter mir schloss, stand ich noch eine ganze Weile davor, um auch ja sicherzugehen, dass niemand mir folgte und ich ungestört war. Dann ließ ich meinen Blick schweifen. Manchmal stand ich einige Minuten einfach so da und schaute mir an, was es in meinem Zimmer zu sehen gab. Ganz schön viel, da ich überall Dinge herumstehen hatte. Meistens war auch der Boden mit Stiften und Papier übersät, sodass man ihn kaum erkennen konnte. Aber so liebte ich es. Das hier war mein Raum, meine Welt. Auch wenn ich mir die Sachen in meinem Zimmer schon tausendmal angeguckt hatte, konnte ich mich nicht an ihnen sattsehen. Weder an den vielen bunten Büchern und Mangas noch an den vielen selbst gemalten Bildern, die über meine Wand verteilt hingen, sodass man nicht mehr erkennen konnte, in welcher Farbe sie eigentlich gestrichen war. Jeden noch so kleinen Fleck hatte ich mit solchen Bildern oder Postern ausgefüllt, einfach nur weil ich es schön fand.

Das absolute Highlight in meinem Zimmer war allerdings mein Schreibtisch, der stets mit bunten Stiften und Bastelzubehör übersät war. Irgendwo dazwischen ragte mein PC hervor. Das Lustige dabei war, dass ich meistens nicht mal an meinem Schreibtisch arbeitete, sondern auf dem Boden, wo es genauso aussah wie auf dem Schreibtisch, an den Wänden und eigentlich überall. Ich konnte von diesem Anblick einfach nicht genug bekommen. Meine Mutter nannte es »Unordnung«, aber das stimmte nicht. Denn alles in meinem Zimmer hatte seinen Platz – jedes Blatt Papier, jeder Stift und auch alles andere. Hinter alldem steckte ein System, entwickelt von mir und Anders.

Ich ließ mich auf mein Bett fallen und starrte an die Decke. Es war der einzige Bereich meines Zimmers, der nicht mit Postern und Bildern übersät war. Ich verbrachte eine lange Zeit damit, mir den heutigen Schultag durch den Kopf gehen zu lassen, aber wieder kam ich zu keiner Lösung. Es war immer dasselbe. Innerlich graute es mir schon davor, morgen wieder in die Schule gehen und über die Sache sprechen zu müssen. Ich hatte Angst davor, genauso komisch zu reagieren wie heute. Nach langem Nachdenken setzte ich mich auf den Boden und räumte meine Schultasche aus. Ich mochte es, sie jeden Tag nach der Schule einmal komplett zu leeren und danach wieder ordentlich einzuräumen, da die Hefte oft nicht mehr da waren, wo ich sie am Vortag einsortiert hatte. Und auch die Stifte aus meinem Mäppchen, die meist wild verstreut in der Tasche herumflogen, nahm ich Tag für Tag einzeln heraus, spitzte und putzte sie, um sie dann wieder einzusortieren. So fühlte es sich einfach besser an. Manchmal verbrachte ich Stunden damit, meine komplette Stiftesammlung, die aus 628 Stiften bestand – darunter 354 Buntstifte –, zu sortieren, zu putzen und zu spitzen. Ich hasste es, wenn Stifte ungespitzt waren, denn dann waren sie unbrauchbar. Viele meiner Spitzer mussten dafür schon ihr Leben lassen.

Nachdem ich in meiner Schultasche für Ordnung gesorgt hatte, widmete ich mich meinen Hausaufgaben. So etwas wie ein Hausaufgabenheft benutzte ich nicht. Ich brauchte es nicht, um mir Sachen zu notieren, da ich alle Aufgaben im Kopf hatte. Zudem waren Hausaufgaben bei mir immer schnell erledigt, da ich die Hälfte meist schon in der Schule geschafft und manchmal außerdem auch schon zu Hause vorgearbeitet hatte. Das machte ich in allen Fächern außer in Englisch. Englisch war das einzige Fach, das ich gar nicht mochte. Anders als in Mathematik gab es in Englisch wenig Regeln, die immer zu hundert Prozent anwendbar waren. Nicht nur das – es gab sogar Ausnahmen! Es kam mir so vor, als sei vieles in Englisch nur eine Stimmungssache. Diese Sprache war für mich wie eine Laune der Natur, die ich nur schwer verstehen oder vorhersagen konnte. Da ich die schriftlichen Arbeiten meist in den Sand setzte, versuchte ich, meine Note in dem Fach durch meine mündliche Leistung zu retten. Bis jetzt hatte das zum Glück geklappt.

Während ich noch in meine Hausaufgaben vertieft war, klopfte es an meiner Zimmertür. Bevor ich reagieren konnte, wurde sie weit aufgerissen, und meine große Schwester Angie legte einen Stapel frisch gewaschener Wäsche auf dem Boden ab. Die plötzliche Unterbrechung hatte mich richtig erschrocken, sodass Anders sofort einen Alarm in mir auslöste. »Klopf doch gefälligst an!«, schrie ich meiner Schwester hinterher, während ich mit Schwung die Tür hinter ihr zuknallte. Es dauerte einige Minuten, bis ich mich nach diesem Zwischenfall wieder beruhigt hatte, und mittlerweile knurrte tatsächlich auch mein Magen. Ich ging in die Küche und nahm mir etwas von dem Mittagessen, das meine Mutter gekocht hatte. Es war zwar nicht die Lasagne, die sie am Vortag angekündigt hatte, aber ich hatte mich in der Zwischenzeit auf Bratkartoffeln eingestellt und schaffte es, sie zu essen. So schlecht schmeckten sie gar nicht, aber vor einer halben Stunde hätte ich sie dennoch nicht angerührt. Während ich meinen Teller leerte, kam meine Mutter in die Küche. Sie schaute mich durchdringend an, und ich hatte das Gefühl, dass sie mir etwas sagen wollte, aber ich konnte es nicht von ihrem Gesicht ablesen.

»Super, du isst endlich«, sagte sie schließlich. »Wie war denn dein Tag nun? Erzähl mal.« Sie lächelte mich an.

Diesmal fühlte ich mich in der Lage dazu, mit ihr zu reden, und es klappte, auch ohne dass Anders mir meine Worte stahl. »Ach, der übliche Mist«, setzte ich an. »Meine Mitschüler haben mich geärgert, meinen Tisch bekritzelt, meine Schultasche ausgekippt und ich bin rausgeflogen. Der Lehrer hat nicht wirklich helfen können.«

Meine Mutter schüttelte den Kopf und setzte einen Gesichtsausdruck auf, der mir sehr ernst vorkam. Das erkannte sogar ich. Und ich konnte sie ja verstehen. Sie machte sich viele Sorgen um mich. Schon seit ein paar Jahren rannten wir von A nach B, um herauszufinden, was mit mir los war und woran es liegen könnte, dass ich immer in solche Situationen hineingeriet. Dass ich ausgegrenzt wurde und meinen Platz in der Klasse nicht finden...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Esoterik / Spiritualität
Schlagworte Anders sein • Angehörige • Asperger • ASPERGER-Autismus • Asperger-Syndrom • Aufmerksamkeit • Autismus • Autobiografie • Autobiographie • Buch • das Anders • Diagnose • Eden Books • Einschränkung • Emotionen • Erfahrung • Erfahrungsbericht • Familie • Gefühle • Gesundheit • Jugendliche • Kinder • Lebenshilfe • Mädchen • Memoir • Mental Health • Mobbing • Neurologie • Pubertät • Ratgeber • Reizüberflutung • Sachbuch • Selbsthilfe • Selbstwertgefühl • sozialer Druck • Tatsachenbericht • Therapie
ISBN-10 3-95910-369-7 / 3959103697
ISBN-13 978-3-95910-369-5 / 9783959103695
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