Neue Träume im Inselsalon (eBook)
512 Seiten
Blanvalet (Verlag)
978-3-641-25798-9 (ISBN)
Norderney, 1935 bis 1955: Nach einem Schicksalsschlag hat Lissy auf ihrer Heimatinsel Zuflucht gefunden. Aber nur zögernd kann sie sich wieder für ein neues Glück öffnen. Ihre uneheliche Tochter Marina ist ein fröhliches, unkompliziertes Kind und rührt zu gern im Salon Farben an. Während des Kriegs gelangte sie 1941 als Zwölfjährige mit der Kinderlandverschickung nach Österreich. Mit Resi, ihrer neuen Freundin, sammelt sie für deren Mutter Heilpflanzen, aus denen Cremes und Tees bereitet werden. Zurück auf der Insel wird auch Marina Friseurin. Nach dem Krieg, als Norderney Erholungszentrum für britische Soldaten und ein Schmugglerparadies wird, mixt sie eigene Pflegeprodukte und verkauft sie auf dem Schwarzmarkt. Ihr Freund Siebo hilft ihr dabei. Doch als bei einer großen Polizeirazzia das Conversationshaus umstellt wird, droht Ungemach ...
Die Norderney-Saga von Sylvia Lott:
Die Frauen vom Inselsalon
Sturm über dem Inselsalon
Goldene Jahre im Inselsalon
Neue Träume im Inselsalon
Die freie Journalistin und Autorin Sylvia Lott ist gebürtige Ostfriesin und lebt in Hamburg. Viele Jahre schrieb sie für verschiedene Frauen-, Lifestyle- und Reisemagazine, inzwischen konzentriert sie sich ganz auf ihre Romane, die regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste zu finden sind. Bei der Recherche zu einem ihrer Romane faszinierte sie die glanzvolle und wechselhafte Geschichte Norderneys und die Idee entstand, eine vierbändige Saga zu schreiben. Diese Reihe spielt rund um einen Friseursalon auf Norderney während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Norderney
Im Inselsalon
Sommer 1935
»Da is’ wieder der Kerl, der nur von Fräulein Fisser bedient werden will«, posaunte Olli breit grinsend in die Küche hinein.
Gerade hatte sich Lissy nach einem turbulenten Morgen im Friseursalon zum Elführtje, dem Elf-Uhr-Tee, neben ihre Mutter an den großen Tisch sinken lassen, an dem noch drei Mitarbeiter pausierten, und Else schenkte ihr einen frisch aufgebrühten Ostfriesentee ein. Die Ankündigung des Lehrlings löste in ihrem Bauch ein eigenartiges Flackern aus, doch sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
»Danke, Else, den kann ich jetzt wirklich gut vertragen.«
Sie griff nach dem Schwanenlöffel des Sahneschälchens, das in der Tischmitte neben einem Teller mit gebutterten und zuckerbestreuten Zwiebäcken stand, um sich ein Wölkchen in den Tee zu zaubern.
»Oltmann!«, sagte der Altgeselle Etzel vorwurfsvoll, während Lissy den Blick auf das Sahnewulkje gerichtet hielt, das nun in ihrer Tasse explodierte.
In letzter Zeit war häufig ein gut aussehender, wortkarger Urlauber ihr Kunde gewesen. Sie kannte eigentlich nur seinen Namen – Winter. Selbstverständlich behandelte sie ihn wie jeden anderen Kunden. Doch er war nicht wie jeder andere. Zwischen ihnen schwang etwas Besonderes, Verwirrendes.
»Der Mann?«, korrigierte sich Olli unsicher. Etzel sah ihn weiter streng an, und dem Lehrling war anzumerken, dass er fieberhaft überlegte, was er denn bloß schon wieder falsch gemacht hatte. »Der Herr!«, stieß er schließlich erleichtert hervor. »Alle unsere Kunden sind Damen und Herren«, wiederholte er den Satz, den man ihm schon am ersten Tag im besten Friseursalon Norderneys eingebläut hatte, und grinste erneut. »Sogar Ed Lummert und Ida Bort.«
Der Lumpenhändler und die Verkäuferin mit dem Damenbart, zwei Inseloriginale, gehörten zwar nicht zum Kundenstamm der Fissers, doch Etzel nickte zufrieden. Der Enddreißiger war nach dem Krieg selbst als ungeschliffener Jüngling in den Salon gekommen und sah es als seine Aufgabe an, dem Nachwuchs Manieren beizubringen.
»Soll sich gedulden, der Herr«, sagte Lissys Mutter, Frieda Merkur, freundlich, »oder von meinem Mann bedienen lassen.«
Paul war gerade erst gestärkt in den Salon zurückgekehrt. Sie legten ihre Teepausen zeitlich versetzt ein. In der Hochsaison arbeitete eine mehr als zwanzigköpfige Belegschaft in Fissers Friseurbetrieb für Damen und Herren mit angegliedertem Schönheitssalon. Da war es gut, wenn immer einer von der Familie vorn im Laden ansprechbar war.
»Der Meister hat schon wieder Kundschaft«, erwiderte Olli. »Is’ viel los.«
Lissy nahm noch einen Schluck Tee und stand mit einem Ruck auf. »Lass nur, ich komm schon.«
Doch Frieda klopfte auf die karierte Wachstuchdecke. »Nein, bleib. Ich wollte noch was mit dir besprechen.« Sie blickte zu Olli. »Bitte den Kunden um etwas Geduld.«
Der Lehrling verschwand, ohne die Tür ganz zu schließen, und Lissy setzte sich wieder. Im Treppenhaus hörte sie ihre Tochter, die fünfjährige Marina, mit ihrem besten Freund Siebo herumtoben. Siebo war schon acht und hatte Schulferien, deshalb konnte er an diesem Julitag bereits am Vormittag mit ihr spielen.
Eine ungewöhnliche Freundschaft verband die Kinder, seit sie, Lissy, mit dem Säugling auf dem Arm als ledige Mutter aus Berlin nach Norderney zurückgekehrt war. Am Boden zerstört. Ihr geliebter Ivo, Marinas Vater, war durch einen Autounfall ums Leben gekommen – kurz nach dem Schwarzen Freitag, an dem er sein gesamtes Vermögen verloren hatte. Ohne ihre Familie und die Unterstützung von Freunden und Verwandten, überhaupt ohne ihre Insel, das Meer, die Natur, davon war Lissy überzeugt, hätte sie die schreckliche Zeit danach nicht überlebt.
Natürlich waren da auch Insulaner gewesen, die sich die Mäuler zerrissen hatten. Die gab’s immer noch. Allen voran Erwin Eils und seine Frau Minna, die sich moralisch überlegen fühlten und hinter ihrem Rücken auf sie zeigten. Diese Schande, ein uneheliches Kind! Erwin hatte einst bei ihnen gelernt, sein übler Charakter war ihnen aber erst im Laufe der Zeit offenbar geworden. Er hatte die Kaufmannstochter Minna, einer auffallenden Kieferfehlstellung wegen Minna-Überbiss genannt, geheiratet und mit ihrem Erbe einen Konkurrenzsalon eröffnet. Die beiden verbreiteten allzu gern Gerüchte über Lissys angeblich liederlichen Lebenswandel. Nicht genug damit, dass sie in Erwins und Minnas Augen ein gefallenes Mädchen war, nein – statt reumütig in Sack und Asche zu gehen, färbte sie sich seit ihrer Rückkehr aus Berlin auch noch das Haar blond, trug nur reinseidene Friseurkittel und rauchte. Dabei rauchte doch die deutsche Frau nicht, oder jedenfalls nicht mehr.
Lissy war sechsundzwanzig. Sie wurde umschwärmt von Männern, Insulanern wie Badegästen, doch bislang hatte sie keinen erhört. Sie liebte ihre Freiheit. Und das war erst recht skandalös. Man bezichtigte sie des Hochmuts. Der ist doch keiner gut genug, hatte Minna, wie eine Bekannte Lissy zugetragen hatte, erst kürzlich wieder behauptet.
Ihre Mutter wurde nicht müde, anderen Menschen zu erklären, dass sie und Ivo doch geplant hatten zu heiraten. Dass er eine Woche vor dem standesamtlichen Termin ums Leben gekommen war. Dass er sie ja schon lange vorher hatte ehelichen wollen, ihre dickköpfige Tochter Lissy sich jedoch aus Protest gegen die Konventionen monatelang geweigert hatte.
Selbstverständlich sprach ihre Mutter nicht in ihrer Gegenwart darüber. Aber auf einer Insel erfuhr man immer hintenrum, wer wann was über einen gesagt hatte. Und schließlich kannte Lissy ihre Mutter. Ihr war klar, dass der Makel – ein uneheliches Kind in der Familie – sie belastete. Seit Ivos Tod hatte sie ihr deshalb jedoch keinen Vorwurf mehr gemacht, was Lissy ihr hoch anrechnete. Es tat ihr leid, dass ihrer Mutter die Gehässigkeiten von Minna und Konsorten zu schaffen machten, mehr als ihr selbst. Allerdings, wenn sie so wie jetzt an derlei Klatsch dachte, legte sich doch Ärger wie ein dicker dreckiger Feudel um ihren Magen. Blöde Kuh, schalt sie sich selbst, warum verschwende ich überhaupt Gedanken daran? Sollen die Leute doch reden!
Zum Glück gab’s auch andere Kaliber unter den Norderneyern – klare, geradeaus denkende Menschen. Von denen waren sie mit offenen Armen aufgenommen worden. Sie hatten sich liebevoll um sie und ihr Kind gekümmert. Besonders Tant’ Grete, die beste Freundin ihrer Mutter, Ehefrau des Inselarztes Dr. Max Lubinus und Mutter von Siebo. Tant’ Grete, die auf ihren Jugendfotos aussah wie Schneewittchen und immer noch eine schöne Frau war, auch wenn ihr Teint nicht mehr so weiß wie Milch schimmerte. Sie stammte aus einer reichen Berliner Unternehmerfamilie, mit der sie sich überworfen hatte. Man merkte ihr manchmal noch die vornehme Erziehung an, obwohl sie sich seit Jahren für die Reformbewegung und eine freiere Lebensweise begeisterte. Von ihr hatte Lissy sich schon als kleines Mädchen oft besser verstanden gefühlt als von ihrer Mutter. Tant’ Grete hatte selbst drei Kinder – den vierzehnjährigen Lubi, Wally, die gerade dreizehn geworden war, und eben Siebo.
Das Nesthäkchen Siebo hatte damals sofort sein Herz für die süße kleine Marina entdeckt und es genossen, endlich der Große, ein Beschützer sein zu können. Und obwohl er sich mittlerweile in einem Alter befand, in dem Jungen normalerweise Mädchen doof fanden, konnte nichts seine Zuneigung trüben. Die Kinder alberten immer lauter im Flur herum.
»Dass ihr mir nicht mit meinen Hüten spielt!«, rief ihre Mutter in Richtung Tür.
»Was wolltest du besprechen?«, fragte Lissy und nahm noch einen Schluck Tee.
Die Altgesellen Etzel und Heye sowie Holger, ein Friseurgehilfe vom Festland, der nur die Saison über bei ihnen arbeitete, erhoben sich und gingen in den Garten, um dort eine Zigarette zu rauchen. Else werkelte ungerührt weiter am Spülbecken. Sie kannte mehr Familiengeheimnisse als Lissy und ihre Mutter zusammen, denn sie war, schon gleich nachdem sie die Volksschule verlassen hatte, von den Salongründern eingestellt worden, von Lissys Großeltern Fritz und Jakomina Fisser. Beide lebten nicht mehr. Ebenso wenig wie deren einziger Sohn Hilrich – ihr Vater, der erste Ehemann ihrer Mutter, der im Großen Krieg gefallen war. Die Lücke, die er hinterlassen hatte, spürte sie noch immer jeden Tag. Besonders schmerzte es sie, dass ihrer Tochter das gleiche Schicksal widerfuhr wie ihr und auch sie ohne Vater aufwachsen musste.
Aber wenigstens hatte Marina jede Menge Spielkameraden. Und zum Glück hatte sie nicht ihre zuweilen etwas grüblerische Art geerbt, sondern das sonnige Gemüt ihrer Großmutter Frieda.
Frieda wusste, dass sie ihr Vorhaben behutsam angehen musste. »Deine Freundin Mia aus Berlin macht doch gerade Ferien auf der Insel«, begann sie und schaute durchs Fenster hinaus. »Es klart auf, heut Nachmittag werden wir das schönste Badewetter haben. Da kommt nicht viel Laufkundschaft, und die Anmeldungen schaffen wir auch ohne dich. Geh doch mit Mia an den Strand.«
»Meinst du wirklich?« Lissy sah ihre Mutter zweifelnd an. »Aber wenn wenig los ist, kann ich dir endlich die neue Frisur machen.«
Lissy trug ihr Haar seit einem Schulungskurs in Oldenburg bereits nach dem letzten Schrei, wie vom Pariser Coiffeur Guillaume als »Engelfrisur« entworfen. Es fiel bis zur Hutlinie glatt und glänzend, wirkte dadurch am Hinterkopf fast wie ein Spiegel, weshalb manche von der Spiegelfrisur sprachen, und sprang ums Gesicht herum in einem Kranz sanfter Locken auf. Das schmeichelte ungemein. An diesem Tag...
Erscheint lt. Verlag | 20.3.2024 |
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Reihe/Serie | Die Norderney-Saga |
Norderney-Reihe | Norderney-Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 2024 • beste Freundinnen • Der Dünensommer • deutsche Familiengeschichte • Die Frauen vom Inselsalon • eBooks • Familiensaga • Frauenromane • Frauenunterhaltung • Frauenunterhaltung Neuerscheinung 2023 • Freundinnen • Friseursalon • Frisuren • Gisa Pauly • Goldene Zeiten im Inselsalon • großer Traum • Großmutter • Heilpflanzen • historische familiensaga • Historische Liebesromane • Historischer Liebesroman • Historischer Roman • Inselroman • Kinderlandverschickung • Lebenstraum • Liebesromane • Mutter-Tochter-Beziehung • Neuerscheinung • Norderney-Saga • Nordsee-Roman • Österreich • Pharmazie • Schwarzmarkt • Seebad • Spiegel-Bestseller-Autorin • Strand • Sturm über dem Inselsalon |
ISBN-10 | 3-641-25798-0 / 3641257980 |
ISBN-13 | 978-3-641-25798-9 / 9783641257989 |
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