Entmenschlicht (eBook)

Warum wir Prostitution abschaffen müssen

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
432 Seiten
Edel Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-8419-0795-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Entmenschlicht -  Huschke Mau
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Mit 17 flüchtet Huschke Mau aus ihrem gewalttätigen Elternhaus und weiß nicht aus noch ein. Mittellos und ohne Unterstützung rutscht sie in die Prostitution und damit einhergehend in eine Alkohol- und Drogenabhängigkeit. Ihr erster Zuhälter: ein Polizist. Zehn Jahre vergehen, bis sie sich aus diesem Teufelskreis befreien kann. Inzwischen hat Huschke Mau einen Studienabschluss, promoviert und fordert den gesellschaftlichen Ausstieg aus der Prostitution. Ihre These: Prostitution beinhaltet immer sexuelle Gewalt. Frauen in der Prostitution haben meist keine Wahl, weil sie sich in Abhängigkeiten oder Notlagen befinden. Freier hingegen schon. Niemand zwingt sie, Frauen zu kaufen. Nicht die Frauen sollten kriminalisiert werden oder beschämt sein, sondern die Männer. In ihrem Buch erklärt und beschreibt Huschke Mau das System Prostitution: wie Frauen hineingelangen, warum es so schwer ist, wieder auszusteigen, welche Traumata sie dort erleben und was an der Sicht unserer Gesellschaft und Medien auf Prostitution problematisch ist. 'Ich glaube, mit dem Buch habe ich mich mehr ausgezogen als jemals während meiner Zeit als Prostituierte. Ich hätte diese Tür in die Vergangenheit einfach schließen können und nie mehr zurückschauen müssen. Aber ich kann nicht. Ich kann einfach nicht an all den Taxis vorbeigehen, die Bordellwerbung durch meine Stadt fahren. Ich kann die Zeitungsartikel über bei Bordellrazzien gefundene minderjährige Mädchen nicht nicht lesen. Ich kann einfach nicht ignorieren, dass so viele Frauen und Mädchen noch in der Prostitution sind, dass ihnen Gewalt angetan wird, Tag für Tag.'

Huschke Mau ist Doktorandin, Aktivistin für das Nordische Modell und Gründerin des Netzwerks Ella, der unabhängigen Interessenvertretung für Frauen aus der Prostitution. Sie betreibt einen Blog und schreibt regelmäßig für Zeitschriften und Zeitungen. Momentan promoviert sie an einer ostdeutschen Universität.

Huschke Mau ist Doktorandin, Aktivistin für das Nordische Modell und Gründerin des Netzwerks Ella, der unabhängigen Interessenvertretung für Frauen aus der Prostitution. Sie betreibt einen Blog und schreibt regelmäßig für Zeitschriften und Zeitungen. Momentan promoviert sie an einer ostdeutschen Universität.

Prostitution


Im Wohnungsbordell


Ein Wohnungsbordell ist, wie der Name schon sagt, ein Bordell in einer Wohnung. Meist liegen die Wohnungen in ganz normalen Mehrfamilienmietshäusern. Von außen ist nicht erkennbar, dass es sich um Bordelle handelt. Kein Schild weist auf sie hin, keine Leuchtreklame wirbt am Fenster. Nur die zugezogenen Vorhänge und die immer selben Namen an der Klingel (beliebt sind Farben, aber auch Jahreszeiten: Rot, Sommer, Frühling, Grün …) sowie die permanente Personenbewegung im Hausflur durch Freier zeigen an, was hier vor sich geht. Unsere NachbarInnen sind Menschen, die hier ganz normal wohnen, teilweise Familien. Das wird immer dann ein Problem, wenn betrunkene Freier sich in der Etage irren, an fremden Klingeln Sturm schrillen oder die anderen Frauen im Haus für Prostituierte halten.

Die Wohnstube ist unser Aufenthaltsraum, in den keine Freier reindürfen. Die zwei anderen Räume sind Schlafzimmer, oder, wie wir sie nennen, Arbeitszimmer. In ihnen stehen große Betten, neben denen auf Beistelltischen liegt, was man so braucht, wenn man anschafft: Kondome, Gleitgel und Küchenrollen. Die Zimmer sind puffig eingerichtet, mit bunten Wänden, Bildern und großen Federn – auch die roten Plüschsofas fehlen nicht. Die Küche ist auch nur für uns, das Bad teilen wir uns mit den Freiern.

Die Frau, bei der ich mich vorstelle, nennt sich Stella. Ihr Alter zu schätzen, ist unmöglich, weil das, was sie trägt, so eng und kurz und hochhackig ist, dass es zu einer Zwanzigjährigen passt, ihr Gesicht aber so verlebt aussieht wie das einer Sechzigjährigen. Sie hat lange rote Haare und lange rote Nägel und ist begeistert von mir. Ich sitze mit ihr in der Küche und handle die Konditionen aus. 50 Prozent muss ich abgeben, aber das kenne ich ja schon. Es gibt feste Preise für Quickies, halbe Stunden und ganze Stunden. Einmal die Woche müssen wir Annoncengeld zahlen, weil Stella für uns in der regionalen Zeitung eine Anzeige schaltet, mit der sie für uns wirbt. Die Freier melden sich dann per Telefon bei uns, erfragen Aussehen, Service, Preise und die Adresse. Schon nach dem ersten Nachmittag in diesem Bordell ist mir klar, dass ich hier völlig vereinnahmt werde, wenn ich mich nicht wehre. „Ich will meine Anzeigen selbst schreiben, damit ich weiß, was drinsteht“, sage ich, denn ich spüre, dass ich hier völlig untergehen werde, wenn ich nicht auf tough mache. Stella schaut komisch, denn das ist eigentlich völlig unüblich. Aber ich will ihr nicht gehören und mich den Regeln nicht gänzlich beugen.

Im Wohnzimmer ist immer gut was los. Stella ist dort mit ihrem 25 Jahre jüngeren Freund Gregor, dessen Zuneigung sie sich mit Geld erkauft. Außerdem sitzen da noch die zwei Fahrer, Ralf und Peter, die einspringen, wenn ein Freier uns zu sich nach Hause oder ins Hotel bestellt. Dafür müssen wir sie von unseren 50 Prozent bezahlen.

Die meisten Freier aber kommen, nachdem sie bei uns angerufen haben, zu uns. Eine von uns geht dann an die Tür, begleitet den Freier in eins der Arbeitszimmer und stellt sich vor. Danach kommt sie ins Wohnzimmer zurück und wir gehen nacheinander in das Zimmer, zum Schluss entscheidet der Freier, wen von uns er möchte. Wie sich im Laufe der Zeit herausstellt, steht ein bestimmter Schlag besonders auf mich: Es sind häufig die „Anzugtypen“, die mich buchen. Bereits nach einigen Wochen stellen sich die anderen Mädchen gar nicht mehr vor, wenn so einer vor der Tür steht. „Ist für dich“, sagen sie dann. Mein erster Kunde im Wohnungsbordell ist auch so ein Anzugtyp. Er ist so gehemmt, dass er sich einfach nur hinlegt und mich machen lässt. Der Mangel an Reaktion verunsichert mich enorm, aber ich ziehe es durch. Ich bin schließlich nicht zum Spaß hier.

Meine Wohnsituation ist weiter ungeklärt. Mal wohne ich im Wohnungsbordell, mal im Hostel, was ziemlich teuer ist. Ich ziehe das trotzdem dem Wohnen im Wohnungsbordell vor, weil ich sehe, wie Stella, ihr Freund und die Fahrer Mädchen behandeln, die obdachlos sind und dort wohnen. Wenn die Mädchen und Frauen, die in diesem Bordell anschaffen, auch dort wohnen, ist das für die Betreiber* natürlich superpraktisch, denn sie haben die Frauen unter ständiger Kontrolle. Natascha wohnt im Bordell und hat seitdem weder eine Privatsphäre noch feste Schlafenszeiten: Jedem Freier, der kommt, ob es Mitternacht ist, früh um sechs oder nachmittags um drei, muss sie die Tür öffnen, andernfalls wird sie angeschrien und mit Rausschmiss bedroht. Das hält sie nur durch, indem sie sich künstlich wachhält: mit Speed. Und sie ist nicht die Einzige, die dort zieht, fast alle Mädchen haben ein Drogenproblem. Ob sie durch diese Abhängigkeit erst zum Anschaffen gekommen sind oder ob sie es nehmen, um das Anschaffen durchzuhalten, kann man so eindeutig bei vielen gar nicht mehr sagen. Und auch ich ziehe bereits nach zwei Wochen in diesem Bordell vor jedem Schichtbeginn erst mal eine Line. Mindestens.

Natascha findet irgendwann eine WG und wird dort weiter von ihren Mitbewohnern ausgenutzt – denn eine Prostituierte, finden sie, hat immer Geld. Mir verschafft Stella ebenfalls eine Unterkunft. Ein Bekannter von ihr, er heißt Lutz, wohnt im selben Haus wie sie und ist nur alle zwei Wochen mal ein Wochenende da, weil er 500 Kilometer weit entfernt arbeitet. Bei dem darf ich zur Untermiete wohnen. Wie ich später herausfinde, hat Stella Lutz den Preis für die Untermiete vorgegeben. Mit der Begründung, „Leute wie wir“ hätten einen enormen Wasserverbrauch, weil wir immer so viel duschen, bringt sie ihn dazu, die Miete um fast das Doppelte zu erhöhen. Vermutlich bekommt sie von dem Geld auch noch was ab.

Als wir ein neues Mädchen ins Bordell bekommen, Kerstin, vermietet man ihr die Wohnung von Gregor, Stellas Freund, auf wöchentlicher Basis für eine unverschämte Summe. Wo Prostituierte sind, sind auch immer Menschen, die das ausnutzen. Sie wollen so viel Kontrolle wie möglich über sie – und so viel Geld wie möglich von ihnen.

Stella und Konsorten als NachbarInnen zu haben, fühlt sich für mich nicht gut an, und dann hat sie auch noch den Schlüssel für Lutz’ Wohnung. Aber es ist besser als im Hostel oder im Wohnungsbordell, und – obwohl ich jetzt das erste Mal alleine wohne, mit allen Schwierigkeiten, die das mit sich bringt – immer noch tausendmal besser als vorher bei Mike. Der simst und telefoniert mir wahnsinnig hinterher. Bis zu vierzig SMS bekomme ich am Tag von ihm, und wenn ich nicht sofort reagiere, dreht er durch. Zunächst behauptet er, ich würde ihm noch Geld schulden, und zwar eine Monatsmiete – dabei habe ich die Wohnung Mitte des Monats verlassen. Aber das ist mir egal, ich will einfach nur meine Ruhe. Doch auch als ich gezahlt habe, lässt er sie mir nicht. Er schreibt mir weiter und beschimpft mich als eiskalte Schlampe, die ihn ausgenutzt habe. Dann wieder gibt er vor, sich Sorgen um mich zu machen. Ich würde im Bordell doch offensichtlich untergehen und es nicht alleine schaffen, ich solle mir helfen lassen – von ihm. Er würde das alles für mich klären (und damit meint er: mir Freiertermine besorgen). Dann wieder wertet er mich ab oder ruft mich weinend an, um mich anzubetteln, zurückzukommen. Irgendwann antworte ich einfach nicht mehr. Dennoch dauert es Monate, bis er aufhört, sich zu melden.

Kaum komme ich ins Bordell, in der Regel so gegen 17 Uhr, ziehe ich erst mal ein paar Lines mit Natascha. Ohne Speed sind wir überhaupt nicht arbeitsfähig: Amphetamin macht wach und senkt die Hemmschwelle. Und uns steht ein arbeitsames Wochenende bevor. Dass in Bordellen Drogen konsumiert werden, stört BordellbetreiberInnen meistens nicht, weil es dafür sorgt, dass die Frauen und Mädchen das Anschaffen durchziehen. Der Drogenkonsum wird erst dann thematisiert, wenn die Frauen es „verklatschen“. Wenn sie nicht mehr klarkommen, versacken und keine Kohle mehr machen. Getrunken wird hier eh wie nichts Gutes.

Der Abend ist stressig. Lila, die eigentlich Nadine heißt, ist da. Sie ist die Neue und ich mag sie, sie ist lieb und noch nicht so versaut und unloyal wie viele andere Frauen hier. Die Tatsache, dass wir hier in einem Konkurrenzverhältnis stehen, schafft immer Raum für Intrigen und Gerüchte. Vor allem die Zeit zwischen den Freiern schlagen einige Frauen damit tot. Eine dieser Frauen ist Kerstin, die mich mit ihrem Gequassel, Gestresse und Geläster oft in einen Zustand des Herzrasens versetzt. Kerstin ist eine von denen, die nicht mehr lange hier sein werden – sie bringt nicht mehr viel Kohle für Stella, denn sie gilt als „abgewrackt“. Sie hat keine Familie, ist von zu Hause weggelaufen, hat die Schule geschmissen und wohnt jetzt zeitweise im Bordell. Der Drogenkonsum und das Angeschaffe haben ihr den Kopf ausgeknipst, sie ist körperlich krank, es geht ihr psychisch nicht gut und sie ist ständig besoffen. Es ist schwierig, mit ihr umzugehen, keine von uns kann ihr helfen. Wir wissen einfach nicht wie, und wir hätten alle auch gar nicht die Kraft dafür. In dieser Bude schaut jede, dass sie mit dem eigenen Arsch an die Wand kommt. Und so reagieren wir oft sarkastisch auf sie, wenn sie ihr privates GZSZ aus diesem Bordell und seinen InsassInnen macht, weil sie den ganzen Tag im Puff hockt und keinen anderen Lebensinhalt mehr hat. Im Endeffekt sind wir eine zusammengerappelte Gruppe kaputter Mädels, die nur an sich denken, weil jede Einzelne zumindest psychisch ums eigene Überleben kämpft. Die Langeweile, die sich in der Zeit zwischen den Freiern breitmacht, tut ihr Übriges. Man füllt sie mit Geläster, Drogen und Fernsehen. Ein einziges Mal packe ich ein Buch aus und beginne im Aufenthaltsraum zu lesen. Da wird es plötzlich...

Erscheint lt. Verlag 4.3.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Ausstiegshilfe Prostitution • Autobiografie • Buch • Feminismus • Frauenfeindlichkeit • Freier • Menschenhandel • Missbrauch • Netzwerk Ella • Nordisches Modell • Patriarchisch • Prostitution • Prostitutionsgesetzgebung • Sexkaufverbot • Zuhälter • Zwangsprostitution
ISBN-10 3-8419-0795-4 / 3841907954
ISBN-13 978-3-8419-0795-0 / 9783841907950
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