Rückeroberung (eBook)

Die Geschichte von Manfred Gans, der im Mai 1945 Deutschland durchquerte, um seine Eltern aus dem KZ zu befreien

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
288 Seiten
Hoffmann und Campe (Verlag)
978-3-455-01320-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rückeroberung -  Daniel Huhn
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 Die wahre Geschichte einer unglaublichen Reise durch ein zerstörtes Land   Eine unglaubliche, wahre Geschichte: Direkt nach Kriegsende im Mai 1945 setzt sich an der Nordseeküste ein junger britischer Soldat in einen Jeep und fährt los: quer durch seine ehemalige Heimat, die jetzt in Trümmern liegt - um seine Eltern aus dem KZ Theresienstadt zu holen.   1938 beschließen Manfreds Eltern, dass das Leben für ihn als Juden in Deutschland nicht mehr sicher ist. Sie schicken ihren Sohn nach England, schaffen es selbst aber nicht mehr zu fliehen. Sieben Jahre später kehrt Manfred zurück: Als Teil der legendären 'Three Troop'  landet er am D-Day in der Normandie. Kurz darauf steht er in den zerstörten Straßen seiner alten Heimat Borken in Westfalen. Er beginnt eine beschwerliche Reise, vorbei an fliehenden Deutschen, durch sowjetische Militärsperren hinein ins Niemandsland des Erzgebirges bis zum KZ Theresienstadt, wohin seine Eltern verbracht wurden.    Dieses Buch ist ein beispielloser Bericht über Deutschland unmittelbar nach der Kapitulation, eine lang verdrängte Lebensgeschichte und eine unerwartete Liebe.    

Daniel Huhn, geboren 1985, studierte Geschichte und Politik. Er ist Autor zahlreicher Filme und Hörfunkfeatures, in denen er sich vorwiegend mit historischen Themen sowie Migrationsgeschichten beschäftigt. 2016 begab er sich mit den Nachfahren der Familie Gans auf die Route, die Manfred Gans mehr als 70 Jahre zuvor genommen hatte. Daraus entstand der Dokumentarfilm Back to Borken sowie ein Audible Original Podcast über die Reise von Manfred Gans.

Daniel Huhn, geboren 1985, studierte Geschichte und Politik. Er ist Autor zahlreicher Filme und Hörfunkfeatures, in denen er sich vorwiegend mit historischen Themen sowie Migrationsgeschichten beschäftigt. 2016 begab er sich mit den Nachfahren der Familie Gans auf die Route, die Manfred Gans mehr als 70 Jahre zuvor genommen hatte. Daraus entstand der Dokumentarfilm Back to Borken sowie ein Audible Original Podcast über die Reise von Manfred Gans.

Cover
Verlagslogo
Titelseite
Widmung
Motto
Prolog
Rückkehr zum Ursprung
Jugend in Borken
Fremd in England
Eine neue Identität
Rückeroberung
Mai 1945
Theresienstadt
Von Freddie zu Manfred
Wiedersehen in Borken
Epilog
Danksagung
Erläuterungen zu den Quellen und Verzeichnis der Literatur
Endnoten
Über Daniel Huhn
Impressum

Zeitenwende


Der 30. Januar 1933 ist ein nasskalter Tag in Borken. Else sitzt mit ihren drei Kindern am Mittagstisch, das Radio läuft im Hintergrund. Plötzlich unterbricht der Nachrichtensprecher das laufende Programm. Der Ansager verkündet, dass ihm gerade eine Nachricht hereingereicht worden sei: Reichspräsident Hindenburg habe Adolf Hitler zum Reichskanzler berufen. Für Familie Gans wie für viele Millionen Menschen im Land kommt die Nachricht nicht völlig überraschend. Dennoch ist Else wie versteinert. Manfred, damals zehn Jahre alt, versteht ihre plötzliche Untergangsstimmung noch nicht. Als er in den folgenden Tagen in der Schule jedoch erlebt, welchen Jubel die Ernennung Hitlers unter einigen seiner Klassenkameraden auslöst, ahnt er, dass ihm eine schwere Zeit bevorsteht. Einen ersten Eindruck davon bekommt er schon wenige Wochen später.

Nach wochenlangen Vorbereitungen schwärmen am 1. April 1933 um Punkt zehn Uhr im ganzen Land junge Männer der Sturmabteilung (SA) aus und positionieren sich und ihre Kampfparolen vor jüdischen Geschäften, Kanzleien und Arztpraxen: »Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!« steht auf ihren Schildern. Auch wenn der Einkauf in den jüdischen Geschäften (noch) nicht verboten ist, versuchen die Nationalsozialisten durch sozialen Druck den Betrieb der jüdischen Geschäfte zu stören. Die Uniformierten mahnen, beschimpfen und bedrohen Kunden, die ihrem Aufruf nicht folgen wollen.

 

Schon im Kaiserreich und auch noch während der Weimarer Republik ließen Polizei und Justiz antisemitische Hetzer oft tatenlos gewähren. Nun aber sind die Aktionen vom Staat verordnet.

Die Presse in Großbritannien und den USA hat bereits seit der Machtübernahme Hitlers die Maßnahmen der Nationalsozialisten aufmerksam und kritisch verfolgt. Erste Stimmen, die den Deutschen mit Handelsboykotten drohen, wurden schon kurz nach der Machtübernahme laut. Hitler ist wütend und macht eine Verschwörung des internationalen Judentums dafür verantwortlich. Seine Vergeltung lässt nicht lange auf sich warten und mündet dann in jenen sogenannten Reichsboykotttag am 1. April 1933.

 

In Borken positionieren sich vor dem Kaufhaus der jüdischen Familie Heymans die Braunhemden der SA. Manfred ist an diesem Tag in der Schule. Obwohl er und seine Brüder orthodox leben, müssen sie auch am Samstag zum Unterricht. Ihre Bücher bringen sie schon am Vortag zur Schule, da sie am Schabbat selbst nichts tragen wollen. Ihre Lehrer gestehen ihnen sogar zu, dass sie am Schabbat nicht schreiben müssen. An diesem Tag aber kommt es anders. Um kurz nach elf Uhr steht plötzlich Manfreds Klassenlehrer Heinrich Tinnefeld in der Tür und bittet ihn und die drei weiteren jüdischen Mitschüler, kurz auf den Flur zu kommen. Dort verkündet er ihnen, dass sie die Schule unverzüglich verlassen sollen, da er nicht für ihre Sicherheit garantieren könne. Also gehen Manfred, seine Brüder und die anderen jüdischen Mitschüler nach Hause, wo sie auf verblüffte Eltern treffen. Die Nachricht, dass man die Sicherheit der Schüler in der eigenen Schule nicht mehr gewähren könne, macht Manfreds Vater wütend. Er lässt seine guten Beziehungen spielen und ringt dem Schulleiter das Versprechen ab, dass die jüdischen Schüler zukünftig ohne Bedenken am Unterricht teilnehmen können. Manfred, Karl und Theo besuchen also wieder die Schule, wo sie nun jedoch endgültig zu Außenseitern geworden sind. Die drei Brüder und die verbliebenen sechs jüdischen Mitschüler fassen daher einen Entschluss: Fortan wollen sie sich konsequent von den nicht-jüdischen Schülern auf dem Schulhof fernhalten. Sie finden, dass die selbstbestimmte Abgrenzung leichter zu ertragen ist, als wenn sie bloß abwarten, bis die anderen Schüler sie ausgrenzen oder die Schule die Segregation gar anordnet.

Einen Monat später, am 1. Mai, organisiert der Ortsverband der NSDAP einen Aufmarsch in der Stadt. Während die Borkener katholischen Verbände den Nationalsozialisten noch zu Jahresbeginn voller Misstrauen gegenüberstanden, sind sie nun eifrig bemüht, im Zirkus der NSDAP mitzuspielen. So marschiert die katholische Jugend am »Tag der nationalen Arbeit« einträchtig neben der Borkener Hitler-Jugend. Manfred beobachtet die Parade vom Straßenrand aus. Plötzlich erkennt er inmitten der Menge ein bekanntes Gesicht: Sein Biologielehrer Peter Dahmen, den er eigentlich mag, trägt nun auch das Abzeichen der Partei.

 

Der Schulalltag im Nationalsozialismus wandelt sich nicht plötzlich, jedoch stetig. Im Deutschunterricht werden unliebsame Autoren aus dem Lehrplan gestrichen. Das Fach »Leibeserziehung« steht nun fast täglich auf dem Stundenplan und wandelt sich für die älteren Schüler zu einer vormilitärischen Ausbildung. Im Geschichtsunterricht wird den Schülern Ehrfurcht vor den Helden der deutschen Vergangenheit eingebläut und zugleich der deutsche Führungsanspruch in der Welt. Den wohl größten Umbruch erfährt das Fach Biologie, in dessen Mittelpunkt die sogenannte Rassenkunde rückt. Bereits in Mein Kampf proklamierte Hitler: »Es soll kein Knabe und kein Mädchen die Schule verlassen, ohne zur letzten Erkenntnis über die Notwendigkeit und das Wesen der Blutreinheit geführt worden zu sein.« In Borken übernimmt diese Aufgabe Biologielehrer Dahmen, der von nun an den Rassenkundeunterricht leitet. Gemäß Lehrplan vermittelt er die vermeintlich körperliche und seelische Überlegenheit der »nordischen Rasse« gegenüber anderen Volksgruppen, vor allem gegenüber den Juden. Manfreds Bruder Karl ist der Erste, der sich dieser Unterweisung aussetzen muss. Mit der zweibändigen Ausgabe Soziologie der Juden von Arthur Ruppin unter dem Arm zieht Karl in den Unterricht. Lehrer Dahmen trägt vor, warum Juden übermäßig oft verbrecherisch seien und sich kaum sozial engagieren würden. Zu jeder Behauptung, die sein Lehrer in den Raum wirft, liefert Karl Gegenargumente. Die Mitschüler genießen das Spektakel; wohl weniger, weil sie Karl solidarisch zur Seite stehen, sondern weil sie der offene Schlagabtausch zwischen Schüler und Lehrer, zwischen David und Goliath, amüsiert. Als für Manfred zwei Jahre später der Rassenkundeunterricht ansteht, tut er es seinem Bruder gleich. Dr. Dahmen kommt erneut auf die Judenfrage zu sprechen. Er will seinen Schülern weismachen, die Juden hätten eine Veranlagung zum »Handelsmann«, und wieder freuen sich die Mitschüler über den Schlagabtausch, allerdings ohne für Manfred Partei zu ergreifen. In seinem Notizbuch resümiert Manfred die Stunde: »Zum Schluss glauben wir uns gegenseitig nichts mehr. Die Klasse macht Risches – außer den Anständigen.« Risches ist das jiddische Wort für Antisemitismus.

Einige Lehrer im Kollegium stehen den jüdischen Schülern jedoch so gut es geht zur Seite. Als Manfreds Cousin Karl-Heinz Gans als letzter jüdischer Schüler 1934 sein Abitur ablegt, erlaubt sich der Pfarrer und Studienrat Dr. Engelbert Niebecker gar eine Spitze. Er lässt den Abiturienten in der mündlichen Hebräischprüfung einen Absatz aus dem Alten Testament übersetzen. Dieser endet mit dem Satz: »Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.« Den zwei uniformierten Nationalsozialisten im Prüfungsgremium, wohl eher ideologisch überzeugt als biblisch gebildet, bleibt der kleine Seitenhieb verborgen. Karl-Heinz Gans aber bekommt ein »Sehr gut« für die Prüfung und erinnert sich noch mehr als ein halbes Jahrhundert später an diesen kleinen Triumph.

Es ist jedoch unübersehbar, dass das NS-Regime seine Präsenz in den Schulen mit jedem Monat verstärkt. Bald schon hängen Hakenkreuzfahnen vor dem Gebäude und Porträts von Adolf Hitler in den Klassenzimmern. Schulfeiern werden nun mit dem Deutschlandlied und dem Horst-Wessel-Lied beschlossen. Um diese Schmach nicht über sich ergehen lassen zu müssen, haut Manfred vorher meist heimlich ab. Anfang 1937 verkündet Rektor Dr. Alex Hermandung stolz, dass vor dem Schulgebäude demnächst auch die Fahne der Hitler-Jugend wehen werde. Dies war keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Auszeichnung für die Schulen, die nachweisen konnten, dass mehr als 90 Prozent der Schülerschaft der Hitler-Jugend beigetreten waren; eine Quote, die das Borkener Gymnasium kurz zuvor erreicht hatte. Verglichen mit anderen Schulen war das eher spät.

© United States Holocaust Memorial Museum, Washington, DC sowie das Manfred Gans Estate

Manfred mit Schulmütze, Borken circa 1935

Manfred ist mittlerweile einer von drei verbliebenen jüdischen Schülern. Der Schulalltag wird für ihn immer unerträglicher. Einer der Lehrer nimmt die jüdischen Schüler im Unterricht gar nicht mehr dran, ein anderer gibt ihnen durchgehend die schlechtesten Noten – aus Prinzip.

Die Lokalzeitung ist da bereits längst gleichgeschaltet und preist die Schmähungen gegen Juden als Wohltaten. Lediglich die Presse aus den nahe gelegenen Niederlanden beobachtet die Entwicklung mit Sorge und berichtet regelmäßig über den Sittenverfall im Nachbarland, etwa als im Mai 1935 SA-Männer am Schabbat die Tür zur Synagoge im Borkener Ortsteil Gemen aufstoßen und die Gemeindemitglieder mitten im Gebet beschimpfen, bespucken und mit Steinen bewerfen. Kurze Zeit später besiegeln die Nürnberger Gesetze die weitgehende Entrechtung der Juden. Die letzten Hemmungen fallen. Wer es weiterhin wagt,...

Erscheint lt. Verlag 2.2.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Anne Frank • Besatzung • British Army • Drittes Reich • Holocaust • Juden • Kapitulation • Konzentrationslager Theresienstadt • Nazis • Sophie Scholl • Stunde Null • Theresienstadt • Three Troup Inglorious Basterds • Wehrmacht • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-455-01320-1 / 3455013201
ISBN-13 978-3-455-01320-7 / 9783455013207
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