Im Regenbogen der guten Laune bin ich das Beige (eBook)
176 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46394-9 (ISBN)
Patrick Salmen wurde 1985 in Wuppertal geboren und lebt seit vielen Jahren im Ruhrgebiet. Nach seinem Geschichts- und Germanistikstudium gewann er 2010 die deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften in Bochum und arbeitet seitdem als freiberuflicher Schriftsteller, Sprecher und Bühnenkünstler. Neben klassischen Bühnentexten hat er bereits zahlreiche Lyrik- und Kinderbücher geschrieben. Bei Knaur veröffentlichte Patrick Salmen zudem mehrere Werke mit satirischen Kurzgeschichten. Seit vielen Jahren ist er mit seinen Bühnenprogrammen im gesamten deutschsprachigen Raum unterwegs.
Patrick Salmen wurde 1985 in Wuppertal geboren und lebt seit vielen Jahren im Ruhrgebiet. Nach seinem Geschichts- und Germanistikstudium gewann er 2010 die deutschsprachigen Poetry-Slam-Meisterschaften in Bochum und arbeitet seitdem als freiberuflicher Schriftsteller, Sprecher und Bühnenkünstler. Neben klassischen Bühnentexten hat er bereits zahlreiche Lyrik- und Kinderbücher geschrieben. Bei Knaur veröffentlichte Patrick Salmen zudem mehrere Werke mit satirischen Kurzgeschichten. Seit vielen Jahren ist er mit seinen Bühnenprogrammen im gesamten deutschsprachigen Raum unterwegs.
Weberknecht im Weißweinschörlchen
Volker pfefferte nach. Aber blicken wir erst einmal gemeinsam zurück und schauen, wie es dazu kam. Zwei Wochen vorher vibriert mein Smartphone. Per Gruppenchat erreicht mich die Einladung zu Volkers alljährlicher Geburtstagsparty, auf der Datum, Uhrzeit und ein für Volker typisches frech gereimtes Verslein zu lesen sind: Bald ist wieder Burzeltag, weshalb ich gern was brutzeln mag. Schweinenacken, Steak und Wurst. Und schön Bierchen für den Durst. Im Vollsuff dann ’ne Runde Polka. San Frantschüssko, euer Volker. Puh, denke ich, Goethe würde Bauklötze staunen. Die Worte »Burzeltag« und »San Frantschüssko« in nur einer Nachricht. Selbst für Volker ein neuer Tiefpunkt. Kleingeschrieben am Rand ein weiterer Hinweis: Weiber und Salat bitte zu Hause lassen. Ironiemodus off. Sapperlot, denke ich, ein bunter in bloß sechs Zeilen gebundener Blumenstrauß aus künstlich-überspieltem Männlichkeitsgehabe, lyrischem Dilettantismus und fragwürdigem Humor. Frage mich, ob Menschen, die ihre kessen Scherze in geschriebener Sprache ständig mit Achtung, Satire oder Ironiemodus off ergänzen, in realen Gesprächen auch ständig Dinge wie »So horchet sorgsam, jetzt wird’s burlesk!« oder »Obacht, Uwe! Es folgt ein Ulk!« sagen. Allein der Gedanke verstört mich. Volker ist von jeher ein seltsamer Kauz, aber nun scheint er endgültig verloren.
Eine Woche später ist es so weit. Es regnet, und wir stehen mit etwa zwanzig Männern in Volkers viel zu kleiner Garage. »Hier können Kerle mal wieder Kerle sein«, sagte er bei der damaligen Einweihung seines heiligen Refugiums und ergänzte: »Ist ja als Mann alles nicht so leicht heutzutage. Manchmal muss ich sogar auf die Kinder aufpassen.« Volkers subtile Kritik am modernen Feminismus erscheint mir plausibel. Wenn Frauen nach immerwährenden patriarchalischen Strukturen plötzlich so etwas Abstraktes wie Gleichberechtigung einfordern, fühlt man sich natürlich in seinem Rollenbild verunsichert. Wenn man da keine kultige Hobbygarage hat, wird’s eng im Gemütsstübchen. Ich sehe mich um. Weiber zu Hause lassen scheint man jedenfalls wörtlich genommen zu haben. Von Salat fehlt auch jede Spur. Das einzig Grüne hier sind zwei verkümmerte Erbsen in Kerstins berühmt-berüchtigtem Nudelsalat, dessen Rezept anscheinend vorsieht, dass man ein Glas Dosenmandarinen, völlig durchgeweichte Nudeln und Unmengen an Wurstwürfeln in einen 10-kg-Mayonnaiseeimer versenkt. Würde hier eher von Tunke als von Salat sprechen, aber ich bin auch nicht Jamie Oliver. Volker erhebt die Stimme: »So, Männer! Gleich schön brutzeln, wa? Ich mache schon mal die Kohlen heiß!« Er scheint sein erstes Geschenk bereits ausgepackt zu haben und trägt eine alberne Spruchschürze mit den Worten: Grillmeister Volker. Der Mann, der Mythos, die Legende. Denke hier zum ersten Mal über den Einsatz von Zyankali nach.
»Prost, Keule«, sagt irgendein Typ und hält mir eine Flasche Bier hin. »Erst mal ’ne Pilsette wegzischen.« »Nein, danke«, sage ich. »Ich habe schon Zähne geputzt.« »Wat?« »Kleiner Scherz.« Ich greife zur Flasche und nehme missmutig einen großen Schluck. Zwar mag ich kein Bier, aber ich möchte nicht unangenehm auffallen. Seit ich letztes Jahr in der Dorfkneipe mal nach einem trockenen Weißwein gefragt habe, nennen sie mich in Volkers Bekanntenkreis ohnehin nur noch Patrice Salmôn, der edle Franzose. »Ich hoffe, das Bouquet ist dem Herrn genehm«, witzelte der Wirt damals und reichte mir einen Riesling in einem verstaubten Mineralwasserglas. »Danke«, sagte ich. »Mosel?« »Nee Lidl!« Ach, es war alles nicht so leicht.
Volker steht nun stolz vor der versammelten Truppe, hält mit beiden Händen seine Grillzangen in die Luft und schnappt damit wild umher. Irgendwie sieht er aus wie eine Mischung aus Mr. Krabs und einem sehr rustikalen Geburtshelfer. »Also, ich habe uns mal ’ne ordentliche Auswahl besorgt. 1-a-Qualität. Ist vom Metzger meines Vertrauens. Esse ja eigentlich nicht mehr so viel Fleisch, aber wenn, dann halt richtig gutes.« Wow, denke ich, meine absolute Lieblingsfloskel hat es von der konsumkritischen Altbau-Studenten-WG bis in Volkers Neubausiedlung geschafft. Ich esse weniger Fleisch, und wenn, dann nur gutes klingt immer ein bisschen nach: Ich schlage keine Frauen, wenn, dann nur hübsche oder Kinderarbeit ist okay, wenn es regionale Kinder sind. Ich bin selber kein Veganer, doch ich wundere mich schon, dass plötzlich jeder Mensch in meinem Umfeld einen vielzitierten »Metzger des Vertrauens« hat. Man begegnet bereits guten Bekannten mit grundsätzlicher Skepsis, wenn ich also jemandem mit Vertrauen begegne, dann bestimmt keinem willkürlichen Wurstverkäufer. Woher soll dieses Vertrauen denn kommen? Wie läuft das ab? »Tach, Jürgen. Ich hätte gern 400 Gramm Aufschnitt. Und kann ich dir ein Geheimnis verraten? Behalt es für dich, aber manchmal wäre ich gern ein devoter Sklave und möchte auf einer Hundedecke leben. Fühlt sich gut an, darüber zu sprechen. Von der Bärchenwurst nehme ich auch noch drei Scheibchen. Bis die Tage.« Schön, wenn man Freunde hat!
Volker verzieht sich jetzt endgültig nach draußen an den Grill und lässt mich mit all diesen fremden Gestalten alleine. Vielleicht erkenne ich zumindest ein paar vertraute Gesichter und finde Anschluss. Ich zünde mir eine Zigarette an und sehe mich in der Garage um. An der Wand hängen neben einem Erotikkalender drei Blechschilder mit den jeweiligen Aufschriften: Echte Männer fahren Traktor, Echte Männer fahren Bagger und Echte Männer fahren Lkw. Na, was denn nun, denke ich. Hätte man doch prima auf Echte Männer mögen klobige Verkehrsmittel runterbrechen können. Echte Männer fahren Lkw ergibt nicht mal ansatzweise Sinn. Wenn jemand Lkw fahren sollte, dann im besten Falle ausgebildete Fernfahrer und Fernfahrerinnen mit Führerscheinklasse C. Und selbst diese nur, wenn sie bei einer Spedition arbeiten, Lohn erhalten und aus gegebenem Anlass sperriges Gelumpe transportieren müssen. Niemand sonst muss Lkw fahren. Wobei es eine skurrile Vorstellung wäre, dass liberale Kleinfamilienväter mit Minderwertigkeitskomplexen als Trotzreaktion auf die allgemeine SUV-Kritik ihre Kinder fortan mit dem Lastwagen zur Kita kutschieren. »Jetzt erst recht«, würden sie sagen und jeden Morgen umständlich aus der hauseigenen Kiesausfahrt rangieren. Fest steht: Echte Männer scheinen jedenfalls ziemliche Komplexe zu haben, solange sie per Blechschild täglich daran erinnert werden müssen, echte Männer zu sein.
Auf einmal steht Kerstin im Türrahmen. »Hey guys, how are you?« Ich weiß nicht, warum sie englisch spricht, vermute aber, es liegt daran, dass sie gestern aus dem Karibikurlaub wiedergekommen ist. Kerstin gehört zu der Sorte Touristin, die sich im jeweiligen Urlaubsland immer eine Spur zu schnell assimiliert und ihre Rolle als aufgeschlossene Globetrotterin ein wenig zu ernst nimmt. Nun steht sie da, lässig am Türrahmen angelehnt, und wirkt sonderbar deplatziert. Sie trägt Muschelarmbänder, Henna-Tattoos, eine Kette mit falschen Haizähnen und, als wäre das nicht schlimm genug, zu Cornrows frisierte Rastazöpfe. Irgendwie amüsiert mich die Vorstellung, dass Dutzende jamaikanische Frauen nach ihrem Jahresurlaub in Wuppertal mit kessen Kerstin-Kurzhaarschnitten in ihre Heimat zurückkommen. Stichwort freche Strähnchen. »Hey, Kerstin. Schön, dich zu sehen. Willst du was trinken?« »Well … You know … Yes! Can I have a glass of water?« Anscheinend hatte sie einen Schlaganfall, denke ich. Sie klingt wie eine Mischung aus Kate Nash, einem zugedröhnten Reggaetonsänger und Liverpooler Hafenarbeiter. Ich reiche ihr ein Glas Wasser und ergreife die Flucht, sofern man im Radius einer zwanzig Quadratmeter großen Garage von Flucht reden kann.
Wenige Sekunden später habe ich mich von einigen Herren aus Versehen in ein Gespräch verwickeln lassen. Angeregt diskutiert man über die Verweichlichung von modernen Fußballspielern und über die Sehnsucht nach echten Typen wie Stefan Effenberg und Mario Basler. Irgendwann fällt der Satz: »Man darf ja heutzutage überhaupt nichts mehr sagen!« Was lustig ist, denn Menschen, die diesen Satz benutzen, sagen oft ganz schön viele Dinge. Alles hier ist eine einzige Parodie. So ähnlich habe ich mir die Hölle vorgestellt: Satan begrüßt mich mit einem etwas zu festen Handschlag, und plötzlich sitze ich mit irgendwelchen Bros in einer Hobbygarage, mache eine Craftbeer-Verkostung und irgendein Günther mit Schraubergott-T-Shirt schimpft über seine prüde Ehefrau, die er in vertrauten Kreisen stets die Regierung nennt. Früher oder später sagen wir dann Sätze wie »Gemüse kommt mir nicht auf meinen Weber-Grill«. Am Ende hören wir das neue Album von Kontra K, »Glaub an dich, denn du bist ein Wolf«, reparieren irgendwelche Dinge mit Zwölfkant-Maulschlüsseln und erschießen uns einfach. Ehrlich gesagt weiß ich noch nicht mal, ob es einen Zwölfkant-Maulschlüssel gibt. Ich habe keine Ahnung von Werkzeug. Alles, was ich in einer Werkstatt zur Reparatur irgendwelcher Dinge beitragen könnte, wäre Schnittchen schmieren und kritisch gucken. Manchmal würde ich Dinge rufen wie: »Uwe, bring mir mal ’ne 16er-Fräsenschlunze mit Stanzventil. Ich habe hier ’ne Querkeilverfugung im Hydraulikgebälk und muss die Senkachse rundlöten.« Wahrscheinlich würde es keinem auffallen. Und wenn doch, würde ich einfach selbstbewusst...
Erscheint lt. Verlag | 1.2.2022 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Achtsamkeit • Bücher Kabarett • Comedian Bücher • Ekstase ist doch auch mal ganz schön • Erzählungen • erzählungen für erwachsene • Erzählungen Sammlung • Genauer betrachtet sind Menschen auch nur Leute • Geschichten • good vibes only • Humor • humorvolle Bücher • hygge • Ich habe eine Axt • Ironie • ironisch • Kabarett • Kabarett Buch • Kabarett, Satire • Kurzgeschichten • Kurzgeschichten für Erwachsene • Kurzgeschichten für Erwachsene lustig • Kurzgeschichten Humor • Kurzgeschichten Sammlung • Kurzgeschichten schwarzer humor • Kurzprosa • lustig • Lustige Bücher • lustige bücher für erwachsene • lustige Erzählungen • lustige Geschichten • Patrick Salmen • Poetry Slam • Satire • satire humor • Satirisch • Schwarzer Humor • Schwarzer Humor Buch • Treffen sich zwei Träume beide platzen • Welt umarmen • witzig • witzige Bücher • Yoga |
ISBN-10 | 3-426-46394-6 / 3426463946 |
ISBN-13 | 978-3-426-46394-9 / 9783426463949 |
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