Die Feuer (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
256 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-27342-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Feuer - Claire Thomas
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Drei Frauen, ein Abend im Theater, 'ein betörendes Spiel im Spiel'. (O, The Oprah Magazine) - Ein intimer und ungewöhnlicher Roman von Claire Thomas
Während in den Bergen Buschfeuer wüten, sehen drei Frauen in Melbourne ein Beckett-Stück. Die Literaturprofessorin Margot hadert mit der Entfremdung von ihrem Sohn und ihrer Ehe mit dem dementen John. Ivy, Kunstmäzenin und Margots ehemalige Studentin, wird von den Verlusten in ihrer Vergangenheit eingeholt. Und Summer, Schauspielschülerin und Platzanweiserin im Theater, schwankt zwischen der Sorge um ihre Geliebte in der Feuerzone und Fragen zu ihrer Herkunft. Als sich die drei in der Pause begegnen, wird dies ihre Sicht auf sich selbst und auf ihre Umwelt für immer verändern. Voller Dringlichkeit und Feingefühl blickt Claire Thomas in das Innerste dreier Frauen unserer erschütterten Gegenwart.

Claire Thomas wurde in Melbourne geboren, wo sie viele Jahre Literaturwissenschaft und Creative Writing unterrichtete und auch heute noch lebt. Ihr erster Roman „Fugitive Blue“ stand auf der Longlist des Miles Franklin Award. Zurzeit schreibt sie an ihrem dritten Roman. Bei Hanser erschien zuletzt Die Feuer (Roman, 2022).

"Der australischen Autorin gelingt es, drei weibliche Biografien mit all ihren Ängsten und Erinnerungen lebendig werden zu lassen." Manuela Reichart, Deutschlandfunk Kultur, 12.02.22

MARGOT DREHT DIE FÜSSE nach außen wie bei der ersten Ballettposition und schiebt sich über den schmalen Teppichstreifen zwischen den Rückenlehnen der Vorderreihe und den Knien der wartenden Theatergäste. Sie ist spät dran, nicht alle Beine bewegen sich seitwärts, um sie durchzulassen.

Entschuldigung, sagt Margot zu niemand Bestimmtem. Entschuldigen Sie vielmals.

Sie hält ihre Handtasche von sich gestreckt und balanciert sie über die Reihe aus Köpfen. Fest entschlossen, niemanden mit ihrer Tasche oder ihrem Körper zu berühren, hält sie den Blick auf ihre Sandalen und den Teppichboden gerichtet, Schritt für Schritt für Schritt.

Erst in der Mitte der Reihe hebt sie den Kopf. Auf dem Platz vor ihrem sitzt ein junger Mann. Er steht auf und nickt ebenso geduldig wie galant.

Danke, sagt sie und zwängt sich an ihm vorbei. Sehr freundlich.

Margot setzt sich und lässt sich die Tasche auf den Schoß fallen.

Der junge Mann setzt sich ebenfalls und schiebt den Unterarm auf die rote Samtlehne zwischen ihnen. Die Muskeln liegen breit auf, der Arm bedeckt die komplette Lehne, die Finger hängen vornüber und zeigen zu Boden.

Margot erwägt, aufdringlich zu werden und ihre Ansprüche mit ihrem Arm durchzusetzen, doch sie möchte den Mann nicht berühren. Seine Haut ist von Tattoos und rotblonden Härchen bedeckt und er hat eine Gänsehaut von der Klimaanlage. In seinen Unterarm ist ein Papagei eingestochen, in Primärfarben und mit scharf konturiertem Schnabel. Denkt er gerade an Piraten?

Normalerweise sind Sie freitagabends nicht hier, sagt Margot.

Er runzelt die Stirn, zwischen den Augen erscheint ein kleiner Pfeil.

Ich habe ein Abo, erklärt sie. Da kennt man irgendwann seine Sitznachbarn. Sie wollte nicht überheblich klingen. Er wirkt genervt.

Aber er antwortet sogar im ganzen Satz. Wir lesen an der Uni gerade was von Beckett.

Beckett, sagt Margot. Ich wusste bis eben nicht, was heute gespielt wird. Ich habe einfach die Karte eingesteckt und bin los. Aus Angst, mich zu verspäten. Bei dieser Hitze ist der Verkehr wirklich schrecklich, finden Sie nicht? Die Leute fahren irgendwie seltsam, wenn es heiß ist. Und dazu noch der Rauch von den Feuern … Zuerst dachte ich, die Autoscheiben wären schmutzig, aber nach einer Weile habe ich gemerkt, dass es am Rauch lag.

Ich bin mit der Straßenbahn gekommen, sagt der junge Mann. Keine Klimaanlage. Das war wirklich schrecklich.

Verstehe, sagt Margot und schaut geradeaus. Sie hat einen teuren, freien Blick auf die Bühne.

Margot hustet, lauter, als ihr lieb ist. Sie räuspert sich.

Sie trägt ein Etuikleid und wird sich ihrer nackten Arme bewusst, und auch ihrer nackten Füße in den Sandalen. Ihre Zehennägel sind nicht lackiert. Vor vielen Jahren, als ihr Vater noch am Leben war und sie noch nicht alt, hatte er zu ihr gesagt, sie solle ihre Ellbogen nur entblößen, wenn es sich nicht vermeiden ließe. Faltige Ellbogen machen Frauen alt, hatte er gesagt. Seit Jahrzehnten trägt Margot lange Ärmel. In letzter Zeit haben sie sich als praktisch erwiesen, wegen der Blutergüsse. Aber in diesem Sommer — einem ungewöhnlich drückenden, stinkenden Sommer — hatte sie genug von den langen Ärmeln. Sie hatte das Zupfen und Zerren satt. Von nun an werden ihre Arme bei Hitze nackt sein. Und heute ist tatsächlich ein sehr heißer Tag — 19 Uhr und immer noch vierzig Grad.

Die künstliche Kälte des Theatersaals erschwert jeden Gedanken an den starken Wind draußen in der Welt, an die ascheflockige Luft, die von den nahen Bergen, wo sich die Buschfeuer festgefressen haben, auf die Stadt drückt.

Margot lockert das Armband an ihrer abgekühlten Haut und dreht die Uhr auf dem Handgelenk hin und her. Ihre Beine sind ausgestreckt, die Knöchel unter dem Sitz des Vordermanns gekreuzt.

Das Saallicht wird gedimmt.

Das Publikum sitzt erwartungsvoll in der Dunkelheit.

Margot hustet abermals.

Der junge Mann neben ihr wird unruhig. Ihr Husten, der ruckartig durch die gespannte Stille des wartenden Theatersaals stößt, irritiert ihn.

Doch dann ertönt eine Klingel! Schrill und offiziell.

Das Stück beginnt.

Das Schrillen scheint aus allen Richtungen zu kommen. Ein Schaudern geht durchs Publikum, die Leute verarbeiten den Schreck und richten sich neu auf ihren Sitzen ein.

Das Schrillen — unglaublich laut — hört abrupt auf.

Hebt wieder an! Hört auf.

Grelles Licht.

Eine Frau steckt hüfttief in einem von verdorrtem Gras bedeckten Hügel. Das gedämpfte Grün fällt um sie herum sanft ab und geht dann in die ebene Bühne über.

Der Torso über dem Gras bewegt sich. Anscheinend wacht die Frau gerade auf. Über ihren Brüsten spannt sich das blaugrüne Mieder eines Ballkleids. Sie trägt eine kurze Perlenkette, das Haar türmt sich lässig auf ihrem Kopf.

Sie lächelt. Sie lächelt viel. Seltsam viel, angesichts ihrer Lage.

Vielleicht ist die untere Körperhälfte im Hügel nackt. Vielleicht trägt die Frau Leggings oder einen kratzigen Tüllrock.

Sie spricht ein hastiges Gebet, mit aneinandergelegten Handflächen und gesenktem Kopf. In alle Ewigkeit Amen.

Auf sie ist ein grelles Licht gerichtet.

Das Licht erzeugt auf dem Scheitel der Frau eine schüttere Stelle.

Die Frau legt sich beide Hände an die Hochsteckfrisur. Das grelle Licht färbt ihre Finger kalkweiß.

Sie beugt sich zu einem schwarzen Sack, der auf dem Grashügel liegt. Sie zieht ihn zu sich heran, macht ihn weit auf und wühlt darin herum. Sie wühlt auf manierliche, zielstrebige Weise.

Margot sieht auf ihren Schoß. Ihre Handtasche liegt dort unten im Dunkeln, ihre gefalteten Hände ruhen auf dem Verschluss.

Sie spürt ein Kribbeln im Hals, will den Hustenreiz unterdrücken, doch ihr Mund prustet los. Das ist nicht gut. Es muss an der Klimaanlage liegen, am plötzlichen Wechsel aus der Hitze draußen in diese trockene Kälte. Margot hat den ganzen Tag nicht gehustet, weder zu Hause noch im Büro, nicht einmal während der zweistündigen Besprechung mit dem Dekan, vor der sie sich ihre halbe Karriere lang gefürchtet hat.

Die Frage nach dem Ruhestand, laut ausgesprochen.

Sie blieb standhaft und würdevoll. Sie blieb vernünftig. Sie hatte Mühe, sich loszueisen — Ich darf nicht zu spät ins Theater kommen! —, zum Abschied gaben beide sich demonstrativ kollegial. Sie hatte den glänzenden Museumskatalog auf seinem Schreibtisch bemerkt, Matisse oder Chagall, irgendwas in leuchtenden Farben, und sich nach seinem Urlaub in Südfrankreich erkundigt. Er fragte nach ihrer neugeborenen Enkelin und machte eine unpassende Bemerkung über ihre Erfahrung beim Windelwechseln.

Sie verließ sein Büro, und noch während sie durch den langen, von farbigem Licht erfüllten Korridor mit den Buntglasfenstern lief, versuchte sie, über seinen schlechten Witz zu lachen.

Aus dem Parkhaus zu fahren, war gar nicht so einfach. Für diesen Abend war eine Abschlussfeier angesetzt, ein Auto nach dem anderen kam just zu dem Zeitpunkt herein, zu dem Margot normalerweise ihren Audi mit viel Schwung die leeren Betonrampen hochlenkt. Zwischen den Ebenen 3 und 2 wäre sie fast frontal mit einem SUV zusammengestoßen. Quietschende Bremsen. Der Fahrer hatte gerade mit der Frau auf dem Beifahrersitz herumgealbert, der Blumenstrauß auf ihrem Schoß war so riesig, dass man ihn durch die Windschutzscheibe sehen konnte.

Fahrer und Beifahrerin verzogen entschuldigend das Gesicht, der Fahrer wich auf seine Seite der Rampe aus.

Margots Herz raste. Sie beschimpfte den SUV nicht, obwohl sie Übung darin hatte. Sie ließ die Hände am Lenkrad und wartete, bis die Rampe frei war.

Seit sie den Campus verlassen hat, war Margot nicht einmal Zeit geblieben (wie ihre liebe verstorbene Mutter es ausgedrückt hätte), sich zu kratzen. Schon gar nicht die Zeit, darüber nachzudenken, was der Vorschlag des Dekans bedeutete. Er hatte ihr lächelnd die Hand geschüttelt und gesagt, es wäre großartig, den Ball Anfang nächster Woche noch einmal aufzunehmen.

Anfang nächster Woche? Den Ball? Was sollte das überhaupt heißen?

Wollte er andeuten, ihr nächstes Treffen sei die...

Erscheint lt. Verlag 14.2.2022
Übersetzer Eva Bonné
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel THE PERFORMANCE
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 21. Jahrhundert • Angst • Angststörung • Australien • Beziehung • Feminismus • Frauen • Freundschaft • Glückliche Tage • Intimität • Klimakrise • Klimawandel • Liebe • Melbourne • Mutterschaft • #ohnefolie • ohnefolie • Samuel Beckett • Theater • Trauer • Verlust
ISBN-10 3-446-27342-5 / 3446273425
ISBN-13 978-3-446-27342-9 / 9783446273429
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