Blutige Stille (eBook)

Syndicat Berlin

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
400 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2917-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Blutige Stille - Michael Jensen
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Kriminelle Geschäfte.

Unruhige Zeiten in Deutschland, doch die Sass-Brüder haben sich mit ihrem Syndicat nicht nur in der Unterwelt einen Namen gemacht. Sie handeln mit allem: Schnaps, Autos - und Waffen. Durch einen irischen Mittelsmann beliefert das Syndicat sogar die IRA. Dann jedoch wird 1922 der deutsche Außenminister Walter Rathenau erschossen, und eine Spur führt auch zum Syndicat. Für Franz Sass wird die Sache allmählich zu heiß. Wenig später steht er selbst unter Mordverdacht ...

Spannend und zugleich höchst unterhaltsam: ein Blick in die zwanziger Jahre, so wie man ihn noch nie gesehen hat. Nach wahren Begebenheiten erzählt.



Michael Jensen wurde im Norden Schleswig-Holsteins geboren. Im Hauptberuf ist er als Arzt tätig und interessierte sich früh für jüngere deutsche Geschichte und deren Folgen für die Nachkriegsgeneration. Für sein literarisches Schreiben hat er ein Pseudonym gewählt. Er lebt mit seiner Familie in Hamburg und im Kreis Schleswig-Holstein. Bisher ist ein Roman über die Sass-Brüder erschienen: »Blutgold«. Im Aufbau Taschenbuch sind außerdem seine Kriminalromane »Totenland«, »Totenwelt« und »Totenreich« lieferbar. Mehr zum Autor unter www.autor-jensen.de.

Prolog


Dublin, November 1920

»Der Mann hat Mut, das muss man ihm lassen«, meinte Patrick O’Neill. »Stockholm, Riga, Hamburg, Dublin. Sein Arsch muss doch völlig durchgesessen sein.«

»Göring ist ein Fliegerass aus dem Krieg«, bestätigte Ian McCullen und kaute weiter an seiner Hartwurst. »Mit der Fokker tanzt er Walzer in der Luft und schießt dir die Eier aus hundert Metern weg.«

Man merkte ihm an, dass er sich pudelwohl fühlte. Er war zu Hause. Heimat. Es schien für ihn mehr ein Gefühl als ein Ort zu sein. Vor einigen Tagen war er aus den Mooren um Dubhais, westlich von Belfast zurückgekehrt. Irische Luft atmete man nicht nur, man schmeckte sie, trank sie, nahm sie mit dem ganzen Körper in sich auf. Trotz des grauen Himmels und des beständigen Nieselregens, der seit Tagen Boden und Kleidung durchweichte, ließ McCullen seinen Blick über die weiten Felder schweifen, auf denen noch ein Rest des satten, spätsommerlichen Grüns zu erahnen war.

Éire, mo chroi. Tá mé sa bhaile áit ar bith eile, ging es ihm zum wiederholten Mal durch den Kopf. Irland, mein Herz. Nirgendwo anders bin ich zu Haus.

»Eigentlich keine schlechte Idee«, unterbrach O’Neill die Träumereien seines Schulfreunds aus früheren Tagen. »Wir könnten doch diese deutschen Bastarde einfach hier weiter beschäftigen. Sie mögen den Krieg, wir brauchen ihn. Sollen sie doch Collins und sein katholisches Dreckspack ordentlich eindecken.«

Ian verspürte bei diesen Worten einen Stich im Herzen, aber er ließ sich nichts anmerken.

»Der Feind meines Feindes ist mein Freund? Meinst du das?«, fragte er stattdessen. Er nickte, als wollte er bestätigen, dass er die Sache ebenso sah. »Alle wollen die Waffen haben, die die Preußen nach den Friedensverträgen nicht behalten dürfen«, fuhr er fort. »Aber im Moment sieht es eher so aus, als ob Collins und die IRA den Zuschlag bekommen, Patrick. Die Regierung in London ist einfach zu langsam, zu weich. Und vor allem zu geizig.«

O’Neills Verbindungsmann aus England hatte ihnen unlängst mitgeteilt, dass man kein Geld für illegale Waffenkäufe bereitstellen wollte. Für Waffen, die die Deutschen laut den Bedingungen des Versailler Vertrags ohnehin abgeben mussten, wollten diese kurzsichtigen Politiker nicht einen Penny bezahlen. Eine verhängnisvolle Entscheidung, da waren sich O’Neill und McCullen einig gewesen.

»Woher hat Collins überhaupt das Geld, um die Deutschen zu bezahlen?«, fragte O’Neill. »Da geht es doch um weit mehr als hunderttausend Pfund Sterling.«

»Bankraub, Überfälle auf englische Ländereien, Erpressung«, erwiderte McCullen und grinste. »Alles, was wir Iren eben für legal und unser Geburtsrecht halten.«

»Du verwechselst das mit den Schotten, mein Lieber. Du bist außerdem nur halber Ire. Wir von der Insel sind vollkommen ehrliche Leute.«

Jetzt lachten beide, packten – wie zur Bestätigung eines alten Blutbunds – ihre rechten Unterarme und schlugen sich mit der Linken auf die Schultern.

»Michael Collins hat zudem ein paar wichtige Freunde in den Staaten«, sagte Ian McCullen. »Viele irische Hungerleider sind da drüben zu Reichtum gekommen und unterstützen jetzt die alte Heimat. Außerdem nimmt man den Limeys dort immer noch krumm, dass die Vereinigten Staaten mal eine Kolonie des Empire waren.«

»Wie viel transportiert dieser Göring in seiner Maschine bei einem Flug? Die Dinger sind nicht gerade riesig.«

»Zuladung nur etwa 550 Pfund«, bestätigte McCullen. »Ein paar Kisten Sprengstoff, Granaten und Gewehre. Wir bräuchten zehn Teufelskerle wie ihn. Und das jede Woche.«

»Collins will an die großen Sachen ran«, mischte sich jetzt Lieutenant Colonel Walter Wilson ein, der seit einem Jahr die Cairo Gang befehligte. »Deutsche MGs, kleine Haubitzen und sogar Panzerwagen. Aber da müsste Göring schon mit einem Zeppelin kommen. Andererseits müssen wir sie bei Laune halten, sonst kommen wir nie an die großen Fische ran. Für Kleinkram wagen sich die Führungsleute der IRA nicht aus der Deckung.«

Die Cairo Gang trug offiziell eigentlich die Bezeichnung Dublin District Special Branch und war ein Teil des britischen Nachrichtendienstes. Sie bestand aus knallharten Kerlen, die sich während des Kriegs im Nahen Osten kennengelernt und so ihren Spitznamen erhalten hatten. Die DDSB war ein Haufen Söldner, der mehr der Fremdenlegion als regulären Einheiten glich. Die Männer wussten, dass sie für zwielichtige Ränkespiele benutzt wurden, dass sie im Zweifelsfall entbehrlich waren und dass man in der englischen Hauptstadt leugnen würde, überhaupt von ihnen gewusst zu haben. Und dafür ließen sie sich fürstlich bezahlen. Ian McCullen war zwar als Lieutenant der Royal Marines erst ein Jahr vor Kriegsende zu der Gruppe gestoßen, hatte sich jedoch durch seinen Einfallsreichtum und seine Risikobereitschaft schnell zu einem festen Bestandteil in der Einheit emporgearbeitet. Als Sohn eines schottischen Einwanderers und einer Irin aus Belfast war McCullen den Verantwortlichen in London dann auch sofort als eine perfekte Ergänzung der Spezialeinheit erschienen. Sein Fachgebiet war die Gegner-Infiltration, die verdeckte Arbeit in Feindesland. Der Halbire spionierte bei den Aufständischen um Michael Collins und galt als besonders glaubwürdig, denn er sprach das Gaedhilge, die alte irische Sprache, fließend und war von einer beinahe missionarisch anmutenden Liebe zu seiner Heimat beseelt. Dass ihn Collins bei ihrer ersten Begegnung sofort durchschaut und dann für seine Bewegung begeistert und somit umgedreht hatte, stand auf einem anderen Blatt. Und es machte die Sache nicht eben einfacher. Bereits mehrfach hatte sich McCullen im Spiegel betrachtet und gefragt, wer er eigentlich war, was er war. Ein Verräter, der die Verräter verriet? Die Wahrheit war in der irischen Frage bereits derart oft verbogen worden, dass vielen die Lüge als eine ehrliche Alternative schien.

»Also, noch einmal«, sagte Wilson jetzt und zog sein Notizbuch hervor. »Dank Ian wissen wir, dass es in allen größeren, deutschen Städten Truppenteile gibt, die sich der Befehlsgewalt der Regierung entziehen. Allein in Berlin sitzen sie auf riesigen Waffenbeständen, zum Teil unbenutzte und neuartige Entwicklungen. Teile davon wurden für Einsätze im Baltikum, in Schlesien und im Ruhrgebiet gebraucht. Der große Rest wartet auf Käufer. Die Türken sind ganz wild darauf, die Sinn Féin und IRA haben Interesse angemeldet, die Araber ebenfalls, und sogar in Indien will man deutsche Gewehre. Unsere Geheimdienste haben dem Minister geraten, den Kerlen einfach den besten Preis zu bieten. Schließlich könnte man das auf die Reparationen anrechnen. Und dann wären die Waffen vom Markt. Aber nein, die alten Knochen im Parlament bestehen darauf, dass die Arsenale beschlagnahmt werden. Ohne Gegenleistung. Das finden die Fritze wiederum gar nicht witzig.«

»Mein alter Herr pflegte zu sagen, dass Politik nichts anderes ist als Sandkastengerangel«, meinte O’Neill. »Nur dass sich dort greise Männer streiten, keine Kinder.«

»Also bleibt nur die Variante mit dem meisten Ärger und Blutvergießen«, warf McCullen ein. »Es wird Tote geben, wenn Collins an die Waffen kommt.«

»Leider wahr.« Wilson nickte. »Wie wir wissen, ist London derzeit nicht an einer Deeskalation in der irischen Frage interessiert. Im Gegenteil, je schlimmer die Burschen es treiben, desto härter kann das Königreich zurückschlagen.«

»Nicht die feine englische Art«, sagte O’Neill. »Aber dafür gibt es ja uns! Ohne die Cairo Gang stünde das Empire hier doch schon mit dem Rücken zur Wand!«

Er war ebenfalls gebürtiger Ire. Nachdem seine Familie vor fünf Jahren durch einen Bombenanschlag der Freiheitskämpfer, der Irish Republic Army, ums Leben gekommen war, hatte er sich der britischen Spezialeinheit angeschlossen.

»Genau so lenkt man eine Weltmacht«, fuhr er in verbittertem Tonfall fort. »Zwietracht säen unter den Einheimischen. Dann als Retter eingreifen und die Ernte einfahren.«

Unentschlossenes Gemurmel. Diese Männer waren Elitesoldaten. Krieger, keine Politiker. Auch wenn jeder hier im Raum die irischen Unabhängigkeitsbestrebungen zu hassen schien, ...

Erscheint lt. Verlag 19.7.2022
Reihe/Serie Die Brüder Sass
Die Brüder Sass
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte Alexanderplatz • Berlin • Brigade Ehrhardt • Brüder Sass • Ernst Gennat • Herman Göring • Inflation • IRA • Jens Druwe • Kapp-Putsch • Moabit • Mord • Organisation Consul • Totenland • Waffenhandel • Wather Rathenau
ISBN-10 3-8412-2917-4 / 3841229174
ISBN-13 978-3-8412-2917-5 / 9783841229175
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