Horváth, Hoppe, Hitler (eBook)

1926 bis 1938 – Das Zeitalter der Masse

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
304 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-2949-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Horváth, Hoppe, Hitler - Peter Michalzik
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Ödön von Horváth, Marianne Hoppe, Adolf Hitler und das Phänomen der Masse

Was verbindet den weltberühmten Schriftsteller Ödön von Horváth, die Schauspielerin Marianne Hoppe und den Diktator Adolf Hitler? Anhand dieser drei Figuren geht Peter Michalzik dem Phänomen ihrer Zeit auf den Grund: der Ausprägung der Masse. Horváth versuchte die Masse in seinen Werken zu erfassen, Hoppe verzauberte sie auf der Leinwand - und beide waren ein heimliches Paar, während Hoppe mit Gustaf Gründgens verheiratet war. Auf unterschiedliche Weise waren Horváth und Hoppe wiederum fasziniert von dem Mann, der die Masse führte und verführte. Peter Michalzik hat Marianne Hoppe persönlich kennengelernt, Archive durchwühlt, Horváths Werke und die Reden Hitlers studiert: Sein Buch ist eine außergewöhnliche Zeitreise, ein ungewöhnliches Porträt à trois und die beeindruckende Erkundung eines Phänomens, das an Aktualität keineswegs verliert.



Peter Michalzik, Jahrgang 1963, studierte Germanistik, Philosophie und Theaterwissenschaften in München und war Theaterkritiker und Redakteur im Feuilleton der 'Frankfurter Rundschau'. Er veröffentlichte Biografien über Gustaf Gründgens, Siegfried Unseld und Heinrich von Kleist. Peter Michalzik arbeitet am Mozarteum Salzburg und ist Gastprofessor an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main, wo er mit seiner Familie lebt.

Horváth und der Dialekt (Bayerisch I)


»Meine Kindheit verbrachte ich in Belgrad, Budapest, Wien, München und Pressburg – mein Vater war an österr.-ung. Gesandtschaften und Botschaften tätig, daher der Wandertrieb. Daher kommt es aber auch, dass ich keine Heimat hab – nur eine Wahlheimat: … Bayern.«6

Das Zitat erinnert stark an den Beginn einer anderen autobiographischen Bemerkung, die Horváth Anfang 1929 für die Ullstein-Zeitung Der Querschnitt aufschrieb: »Sie fragen mich nach meiner Heimat, ich antworte: ich wurde in Fiume geboren, bin in Belgrad, Budapest, Preßburg, Wien und München aufgewachsen und habe einen ungarischen Paß – aber: »Heimat«? Kenn ich nicht.«.7

Tatsächlich scheint es sinnlos, Horváth in einer Nation, einem Volk oder einer anderen fest umrissenen Gemeinschaft verorten zu wollen. Horváth war als Nachfahre des k. u.k-Vielvölkerstaates, als Kind des Weltkrieges, als Pan-Europäer, als zeitweise Bayer und Wahldeutscher eine hybride und fluide Figur. Welchem Land ist Horváth zuzuordnen, fragte die Vorsitzende der Murnauer Ödön-von-Horváth-Gesellschaft Gabriele Rudnicki am Anfang eines Aufsatzes. Die Antwort muss sehr deutlich ausfallen: keinem.

Sinnvoll aber ist die Frage nach der Sprache, die Horváth in seinen Stücken und seiner Prosa verwandte. Nun, das ist einfach, das ist Deutsch. Trotzdem ist die Forschung hierzu bis heute widersprüchlich und uneins. Das liegt meines Erachtens daran, dass bis heute – verführt durch Horváth selbst – immer nach der Funktion der Sprache Horváths gefragt wird, selten aber danach, welche Sprache, welches Deutsch Horváth verwendet hat. Oft genug – und oft genug unscharf – wird beispielsweise behauptet, er sei in den österreichisch-bayerischen oder nordalpinen Dialekten Zuhause, wie wenn Wienerisch mit Bayerisch und Tirolerisch nahezu gleich zu setzen wäre.

Ausgangspunkt einer Überlegung zu Horváths Sprache kann sein bekannter Satz sein, dass er, Horváth, in süddeutschem Dialekt schreibe, denn er könne ja nichts anderes.8 Das ist (wie viele theoretischen Äußerungen Horváths) ein wenig kokett, ziemlich defensiv und etwas ungenau. Horváth beherrschte Hochdeutsch, wie seine Bücher und Manuskripte zeigen, und es sollte Wunder nehmen, wenn er nicht auch österreichische Dialekte, insbesondere Wienerisch (nach mehreren Aufenthalten in Wien) wenigstens einigermaßen gekonnt hätte.

Dass er, wenn denn einen Dialekt, aber eher Bayerisch beherrschte (und nicht Wienerisch oder Österreichisch), ist insbesondere für die Zeit vor 1930 bestens belegt. Aber wie genau sprach er es? In der milden Münchner Spielart? Oder in der harschen, sich dem Gebirglerischen annähernden Murnauer Form? Das erste Zeugnis, das von seinem Bayerisch spricht, stammt von der Berliner Sekretärin des Ullstein Verlags, Grete Fischer. Es dürfte sich auf das Jahr 1929 beziehen. »Ich bin Bayer«, sagte er, »die Eltern haben ein Gütchen in Murnau. Der Bayer, das ist eine Kreuzung zwischen an Aff und an Tiroler.« Er liebte die Menschen nicht, er sah sie. So überlieferte Fischer Horváths Sätze und kommentierte sie.9

Das Zitat von Horváth selbst, an Aff und an Tiroler, zeugt von einer ironisch-selbstironischen Haltung Horváths zu seinem bayerischen Auftritt in Berlin, vielleicht auch von der Unsicherheit des Mannes aus der Provinz. Als ob es eine Verkleidung sei, die er sich hier selbst zugelegt hatte. Daneben belegt das Zitat auch eine bayerisch-derbe Ausdrucksweise. Falsch dürfte Fischers Einschätzung sein, dass Horváth die Menschen nicht liebte, sondern nur sah. Passender wäre ein anderer Eindruck gewesen: Horváth sah die Menschen, liebte sie aber trotzdem.

Das zweite Zitat aus der Zeit stammt von Carl Zuckmayer, zwar selbst aus Rheinhessen stammend, aber für das Süddeutsche und Österreichische durchaus kompetent, da ein Haus im Salzkammergut besitzend und dort lebend. Er erinnerte sich wie folgt: »Höchst merkwürdig war, dass er … sich völlig aufs Bayerische stilisiert hatte, auch in seiner Sprache und Ausdrucksweise. … Er empfand sich selbst als einen Bayer aus Murnau, dort lebte seit einiger Zeit seine Familie, dort lebten seine Modelle – auch die Dialektanklänge in seinen Stücken sind durchwegs mehr bayerisch als österreichisch gefärbt.«10

Wie fast immer ist Zuckmayer in seinen Einschätzungen präzise. Er schreibt von Stilisierung, als ob das Bayerische Horváth nicht abzunehmen gewesen sei und vielleicht auch gar nicht vollkommen ernst genommen werden wollte. Das trifft sich mit dem, was Fischer beobachtete. Es war ein Spiel, ein Spiel mit einer nicht beherrschten, sondern immer ein wenig zitierten Sprache. Ein Spiel aus Zuneigung und Bloßstellung, aus Imitation und Entlarvung, das Horváth betrieb – auch mit sich selbst. Es wirkt genauso wie manche Fotografien, die ihn in Tracht zeigen, er sieht zugleich verkleidet aus und doch wie in seinem Element.

Bayerisch ist eher ein Idiom des Grummelns und Schulterzuckens als des komplizierten Ausdrucks, des langen Satzes oder der begriffsscharfen Explikation. Horváth, so viel darf man behaupten, gefiel das. Es war eine Mischung aus Zuneigung und Spott, mit der er durch die Sprache seinen oberbayerischen Landsleuten begegnete. Der Dialekt hatte damals eine spezifische Funktion, die wenig mit Folklore, aber viel mit Gesellschaft zu tun hatte. Er machte das Individuum zu einem Teil des Volkes, der Dialekt gab ihm den Stempel der Gemeinschaft, es war die Sprechweise, die alle teilten.

Neben diesen beiden Zeugnissen, die vom Bayerischen Horváths Auskunft geben, gibt es Quellen, die von Horváths ungarischer Sprachfärbung berichten. Elisabeth Tworek, selbst Murnauerin, konnte in den 1970er/1980er Jahren mehrere Personen sprechen, die ihrerseits Horváth gekannt hatten. Sie hat sie auch nach seiner Sprechweise gefragt. Übereinstimmend sagten die drei Murnauerinnen – Barbara Mooser, Marille Biller und die Modistin Peppi Kastner –, die sie dazu befragte, dass er mit dem typischen ungarischen Akzent gesprochen habe. Es scheint mehrfach die Formulierung »wie ein Kellner vom Balaton« gefallen zu sein. Horváth war also ein magyarischer Murnauer, der mit ungarischem Akzent die bayerische Sprache angenommen hat. Der ungarische Klang vermischte sich mit dem bayerischen Sprachspiel.

Ob Horváth sich wirklich so verhielt, ob er so sprach, wird sich nie mehr zweifelsfrei nachprüfen oder beweisen lassen. Aber die Frage, welche Sprache Horváth verwendete, muss trotzdem gestellt werden. Als Horváth nach Murnau zog, war er zu alt, um den dortigen Dialekt richtig zu erlernen. Vom Klang her hatte das Murnauer Idiom nicht sehr viel mit dem zu tun, was er in München gehört hatte. Zu dieser Konstellation würde es passen: Er konnte sich nur annähern, nur damit spielen, diese ihm sympathische sprachliche Identität nur teilweise übernehmen und sich zu eigen machen.

Noch entscheidender ist die Frage: Wie verwendete Horváth Bayerisch in seinen Stücken? Beginnt man mit Revolte auf Côte 3018 und geht bis zu Kasimir und Karoline, verändert sich, was er als Dialekt in diese Stücke hineinschrieb. In Revolte taucht zunächst der dezidiert Hochdeutsch sprechende, schwächliche Schulz auf dem Berg auf, und Karl, in allem sein Gegenbild, spricht überdeutlich Dialekt, wenn er etwa gleich zu Anfang Veronika beschreibt: »Herrgottsakra! Das Fleisch! Du bist scho des best Fleisch im Land, auf und nieder. Di hat net unser Herrgott gformt, den Arsch hat der Satan baut!«11 Das ist durchaus nicht frei von Klischee, wie sich da Dialekt und Potenzgehabe verbinden, je mehr Dialekt, desto tierischer. Es scheint, als habe Horváth den hochdeutschen Schulz und den krachbayerischen Karl mit Vergnügen gegeneinandergestellt. Alle anderen Arbeiter sprechen wie Karl. Der zweite Akt endet zum Beispiel mit Hannes Worten: »Da täuscht di! I, wanns hier zugmacht wird, i geh stehln. Pfeilgrad! I geh stehln!«

Das sind fast überdeutliche schriftliche Nachahmungen bayerischer Ausdrucksweise. ...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Adolf Hitler • Biografien • Dreißiger Jahre • Elias Canetti • Faszination • Gustaf Gründgens • Jugend ohne Gott • Macht der Masse • Machtergreifung • Marianne Hoppe • Murnau • Ödön von Horvath • Verführung • Zeitalter der Masse • Zeitreise • Zwanziger Jahre
ISBN-10 3-8412-2949-2 / 3841229492
ISBN-13 978-3-8412-2949-6 / 9783841229496
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