Das Versprechen (eBook)

Roman – Booker Preis 2021

(Autor)

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2021
368 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-27184-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Versprechen - Damon Galgut
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»Das Versprechen« erzählt vom zunehmenden Zerfall einer weißen südafrikanischen Familie, die auf einer Farm außerhalb Pretorias lebt. Die Swarts versammeln sich zur Beerdigung ihrer Mutter Rachel, die mit vierzig an Krebs stirbt. Die jüngere Generation, Anton und Amor, verabscheuen alles, wofür die Familie steht - nicht zuletzt das gescheiterte Versprechen an die schwarze Frau, die ihr ganzes Leben für sie gearbeitet hat. Nach jahrelangem Dienst wurde Salome ein eigenes Haus, eigenes Land versprochen ... doch irgendwie bleibt dieses Versprechen mit jedem Jahrzehnt, das vergeht, unerfüllt.

Mit großer erzählerischer Kraft und nah an den Personen schildert Damon Galgut eine Familiengeschichte, die sich über dreißig Jahre des politischen Umbruchs in Südafrika erstreckt - von der Apartheid bis hin zur Demokratie. Während sich das Land von den alten tiefen Spaltungen zu einer neuen, gerechteren Gesellschaft hin bewegt, schwebt über allem die Frage: Wie viel Verbitterung, wie viel Erneuerung, wie viel Hoffnung bleiben?

Damon Galgut, 1963 in Pretoria geboren, zählt zu den renommiertesten Autoren Südafrikas. Sein jüngster Roman »Das Versprechen« wurde mit dem Booker Prize 2021 ausgezeichnet, einem der bedeutendsten internationalen Literaturpreise. Bereits zwei Mal stand Galgut mit »Der gute Doktor« (2005) und »In fremden Räumen« (2010) auf der Shortlist für diesen Preis. Auch seine Romane »Der Betrüger« und »Arktischer Sommer« wurden für zahlreiche Literaturpreise nominiert. Sein literarisches Werk erscheint in sechzehn Sprachen. Damon Galgut lebt in Kapstadt.

ER KOMMT GERADE AUS DER DUSCHE, als das Telefon klingelt. Es ist nicht seine Wohnung, und der Anruf ist vermutlich nicht für ihn, und es gibt da ein paar Leute, die er, wenn möglich, aktiv meidet, trotzdem hebt er ab. Er hat so ein inneres Gefühl, wie ein Umriss von etwas.

Astrid ist am Apparat. Er hört sofort, dass sie es ist, obwohl nur Wortfetzen durchkommen. Wahrscheinlich spricht sie in ihr neues Handy, auf das sie so stolz ist, ein nutzloser, schwerer Ziegelstein mit Tasten. Eine Erfindung, die sich wohl nicht lange halten wird. Ich verstehe kein Wort, sagt er. Er trocknet sich im Wohnzimmer ab, während er weiterredet. Kannst du nicht auf dem Festnetz anrufen?

Zischen und Pfeifen. Genervt legt er den Hörer auf. Sie ist eine von nur zwei oder drei Personen, die seine Nummer haben, macht aber exzessiven Gebrauch davon. Astrid hat das Schweigen der Familie auf sich genommen, hat sich zum Boten und Nachrichtenüberbringer gemacht. Eine Rolle, die sie braucht und hasst und für die sie im Gegenzug gebraucht und gehasst wird.

Anton zieht sich rasch an, während er wartet. Es ist mitten am Tag, und der Himmel über Johannesburg ist makellos, doch die Winterluft ist schneidend kalt. Er zieht sich gerade einen Pulli über den Kopf, als das Telefon von Neuem klingelt. Noch immer kommen keine vollständigen Worte durch, aber diesmal fällt ihm auf, dass sie überhaupt nicht spricht. Sondern vielmehr seltsame Geräusche von sich gibt. Wie ein Wimmern, beinahe.

Hallo?, sagt er. Was ist los?, als sich eine Wolke vor die Sonne schiebt, und in dem Schatten, der dadurch entsteht, hat er eine Eingebung, wie ein Trichter, durch den er ein helles, winziges Bild der Zukunft sehen kann. Einer dieser merkwürdigen Momente, schwer zu erklären, in denen die Zeit sich in die falsche Richtung zu bewegen scheint.

Als sie endlich doch etwas sagt, hört er ihr aufmerksam zu, während sie ihm erzählt, was er schon weiß, nicht nur die bloßen Fakten, ihr Vater/heute Morgen/vergiftet/in diesem Glaskäfig, sondern auch ihre Angst, er hört sie so deutlich, als würde sie ihm davon erzählen, Astrids wahnwitzige Angst, dass das, was Pa passiert ist, auch ihr passieren wird. Als ob das Schicksal ansteckend wäre.

Du denkst zu selten daran, sagt er, als sie endlich verstummt.

Was?

Darum hast du solche Angst. Um mit etwas fertigzuwerden, was dir Angst macht, musst du es dir immer wieder vorstellen.

Wovor habe ich denn Angst?

Vor dem Tod.

Aber er ist nicht tot, sagt sie und fängt von Neuem an zu wimmern.

Noch nicht. Auch das ist ein Teil des Bildes, das er gesehen hat, ein winziges Fenster in die Zukunft. Aber im Moment wissen sie nur, was sie ihm mitgeteilt hat, dass Pa bewusstlos auf der Intensivstation des H.-F.-Verwoerd-Krankenhauses in Pretoria liegt.

Dean und ich fahren gleich hin, sagt Astrid.

Aha.

Und dann ist Schweigen, und die Frage bleibt unausgesprochen.

Ich weiß nicht, sagt Anton schließlich. Vielleicht nur zu sich selbst, auch wenn sie es anders hört.

Es wird langsam Zeit, sagt sie.

Ich weiß nicht. Ich muss darüber nachdenken.

Anton. Es wird Zeit.

Das entscheide ich, sagt er und bringt vor Wut kaum ein Wort heraus. Seine Stimme ist fahl, eine Geisterstimme. Ich weiß nicht, ob ich das kann.

Spring einfach über deinen Schatten. Er ist nicht bei Bewusstsein, du brauchst also nicht mal was zu sagen.

Es sind jetzt fast zehn Jahre, Astrid.

Eben! Mehr als genug. Ach, was soll’s, mach doch, was du willst, das machst du ja sowieso immer.

Fast zehn Jahre der Entfremdung, in denen er Schreckliches durchgemacht hat, weit weg an den äußeren Rändern. Und jetzt soll das alles damit enden, dass er ans Bett seines von einer Schlange gebissenen Vaters eilt, um darüber zu sinnieren, wann und wo was schiefgelaufen ist? Und wozu das Ganze? Um Blutstreue zu demonstrieren? Ich liebe ihn nicht. Er liebt mich nicht.

Er hat Astrid verärgert, das hört er, aber sonst würde sie immer weiter an ihm zerren, wie mit einem Dutzend gierig ausgestreckter Hände. Bedürftigkeit und Angst kennen keine Grenzen, und Anton besteht auf seinen Grenzen. Hast du schon mit Amor gesprochen?, sagt er, um das Thema zu wechseln.

Ich hab ihr eine Nachricht hinterlassen. Falls sie unter der Nummer noch erreichbar ist. Ich hab seit Ewigkeiten nichts von ihr gehört.

Hast du ihr auch gesagt, dass es Zeit wird? Hast du ihr auch befohlen, nach Hause zu kommen?

Ich habe dir gar nichts befohlen, sagt Astrid. Und die Sache mit dir und Pa liegt völlig anders. Aber das muss ich dir ja wohl nicht extra erklären.

Als das Gespräch beendet ist, steht er noch eine Weile da und starrt auf einen Spalt in der Fensterbank, aus dem unermüdlich eine Reihe von Ameisen hervorkrabbelt. Wie viele sind es? Mehr, als man zählen kann. Die Bedeutung liegt allein in der Vielzahl der Punkte. Warum ist das tröstlich?

Astrid hat recht, es wird Zeit. Er hat immer schon gewusst, dass dieser Moment eines Tages kommen würde, so oder so, aber er hat ihn sich ganz anders vorgestellt. Nie hätte er gedacht, dass die Erlösung so ambivalent und ungewiss sein würde. Vielleicht kann es gar nicht anders sein. Seit er von zu Hause weggegangen ist, hat sich ihm jeder Tag als eine tiefe, urerlebte Mühsal eingebrannt, und er hält sich nicht weiter damit auf, dem lässt sich wenig Positives abgewinnen. Das Überleben lehrt einen nichts, außer Erniedrigung. Alles, woran er sich auch nur ansatzweise erinnert, versucht er zu verdrängen, unter den Teppich zu kehren. Was man eben so tut, um weiterzumachen.

Und weiter macht man nur, weil es dann irgendwann ein Ende gibt. Südafrika hat sich verändert, die Wehrpflicht wurde vor zwei Jahren abgeschafft. Gott, was für ein Glück, dass er damals desertiert ist, er ist ein Held und kein Verbrecher, erstaunlich, wie schnell sich das geändert hat. Nur dass es niemanden groß interessiert, so oder so. Es ist bereits Geschichte. Du bist nur eine von vielen zerlumpten Gestalten, die ein paar Jahre auf der Flucht waren und sich erst in der Wildnis der Transkei, dann in Johannesburg versteckt gehalten haben, schwer zu sagen, welcher Dschungel schlimmer war. Aber wenn es ums Überleben geht, tut man, was man tun muss. Selbst wenn es auf Kosten deiner, nun ja, Würde geht. Ha, bitte, Anton, die Würde ging als Erstes flöten, du hast sie am Straßenrand liegenlassen wie einen schmutzigen Lumpen, und das war nur die erste Station der Demütigung, es folgte weitaus Schlimmeres. Bilder von schmutzigen Handlungen in dreckigen Zimmern, Schmerzen, die sowohl der Seele als auch dem Körper zusetzten, vollzogen ohne Zögern, und das alles nur, um einen weiteren Tag zu atmen, während man mit den besten Jahren seines jugendlichen Lebens nichts, aber auch gar nichts anzufangen wusste … Na und, wen juckt’s? Andere haben sehr viel mehr gelitten als du, auch wenn das irgendwie auf jede Erfahrung zutrifft. Am Ende bleibt dir nur zu sagen, dass du es bis hierher geschafft hast, bis zu dem Punkt, wo sich die Dinge ändern und erträglicher werden, wo du dich nicht mehr verstecken musst. Durchhalten, aushalten, eine alte südafrikanische Lösung.

Stundenlang läuft er in der Wohnung unruhig auf und ab, blickt durch kahle Äste auf die Straßen von Yeoville hinunter, macht Schränke auf und wieder zu. Er scheint etwas zu suchen, aber das sieht nur so aus. In Wirklichkeit hat er sich längst entschieden, und jetzt macht er so etwas wie Inventur, Bestandsaufnahme. Nichts von dem Zeug gehört ihm, bis auf ein paar Klamotten und eine Handvoll Bücher. Alles andere gehört einer Frau, die ein ganzes Stück älter ist als er, mit/von der er in diesen paar Zimmern seit vielen Tagen lebt. Zu vielen Tagen, wie sie beide seit einiger Zeit wissen.

Er schreibt ihr einen Zettel und legt ihn auf den Küchentisch. Liebste / in dem Bemühen, den Heiligen Geist zu einer Partie russisches Roulette herauszufordern, und dem verhängnisvollen Bestreben, den Guinness-Weltrekord im Zusammenleben mit Giftschlangen zu brechen, hat mein schwachsinniger Vater sich ins Koma katapultiert. Ich befürchte so ziemlich das Schlimmste. Wie du weißt, haben er und ich seit der Beerdigung meiner Mutter nicht mehr miteinander gesprochen, trotzdem habe ich beschlossen, dass es Zeit ist, nach Hause zu fahren. Es könnte eine Weile dauern. / Es tut mir leid, wie mir so vieles leidtut. Unter anderem eine weitere Bitte, die allerletzte, wie ich hoffe, um Geld. Ich weiß, ich hab’s versprochen, aber unter den gegebenen Umständen etc. Ich brauche es wirklich dringend, und wie die Dinge liegen, ist es durchaus möglich, dass ich meine Schulden schon sehr bald werde zurückzahlen können. Kto.-Nr. wie gehabt. / Auch wenn die Beweislage dagegenspricht, ich liebe dich noch immer, A.

Er muss herumtelefonieren und ein paar Leute fragen, bevor er endlich jemanden findet, der ihn fährt. Zu oft hat er die Hilfe fast all seiner Bekannten in Anspruch genommen, und aus ihren Stimmen sprechen Misstrauen und Überdruss. Selbst der Typ, der sich schließlich bereit erklärt, ihn zu fahren, hat dazu einen guten Grund, den er sofort zur Sprache bringt, kaum dass sie auf dem Highway in Richtung Pretoria sind. Das ist jetzt vielleicht nicht unbedingt der passende Zeitpunkt, aber ich stehe gerade mächtig unter Druck. Also, wenn’s irgend geht, wäre ich dir sehr dankbar …

Schon klar, sagt Anton. Ich werde all meine Schulden...

Erscheint lt. Verlag 23.12.2021
Übersetzer Thomas Mohr
Sprache deutsch
Original-Titel The Promise
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Afrika • Apartheid • Booker Preis • Booker Prize 2021 • eBooks • Familiengeschichte • Gerechtigkeit • Geschwister • Gewinner des Man Booker Prize • internationaler Bestseller • J.M. Coetzee • Rassismus • Roman • Romane • Südafrika • SWR Bestenliste
ISBN-10 3-641-27184-3 / 3641271843
ISBN-13 978-3-641-27184-8 / 9783641271848
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