Stürmisches Lavandou (eBook)
480 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2711-2 (ISBN)
Remy Eyssen, geboren 1955 in Frankfurt am Main, arbeitete als Redakteur u.a. bei der Münchner Abendzeitung. Anfang der Neunzigerjahre entstanden seine ersten Drehbücher. Bis heute folgten zahlreiche TV-Serien und Filme für alle großen deutschen Fernsehsender im Genre Krimi und Thriller. Mit seiner Krimireihe um den Gerichtsmediziner Leon Ritter begeistert er seine Leserinnen und Leser immer wieder aufs Neue und landet regelmäßig auf der Bestsellerliste.
Remy Eyssen (Jahrgang 1955), geboren in Frankfurt am Main, arbeitete als Redakteur u.a. bei der Münchner Abendzeitung. Anfang der 90er Jahre entstanden die ersten Drehbücher. Bis heute folgen zahlreiche TV-Serien und Filme für alle großen deutschen Fernsehsender im Genre Krimi und Thriller. Mit seiner Krimireihe um den Gerichtsmediziner Leon Ritter begeistert er die Leserinnen und Leser und landet regelmäßig auf der Bestsellerliste.
Prolog
Er würde es tun. Er würde Schluss machen mit diesem Monster. Jetzt gleich, ein für alle Mal. Es war nicht seine Schuld, dass seine Mutter nicht mehr da war. War aber vielleicht besser so. Er wusste, dass er gemein klang. Aber nur für Leute, die seinen Vater nicht kannten, die keine Ahnung hatten, was bei ihnen zu Hause los war, wenn dieser widerliche Kerl mal wieder gesoffen hatte. Und das machte er jeden Tag. Wenn er dann in Wut geriet und alles zertrümmerte. Wenn er um sich schlug, nicht mehr zu beruhigen war, weitersoff, bis er das Bewusstsein verlor. Sein verdammter Vater hatte sich das alles selbst zuzuschreiben, dachte der Junge. Hätte der Alte nicht gesoffen, wäre er auch nicht vom Gerüst gefallen. Dann könnte er seinen linken Arm noch richtig bewegen. Er würde nicht ständig seine Jobs auf Baustellen verlieren, weil er sich mit allen anlegte. Es gab keine Bar in der Gegend, in der er noch etwas zu trinken bekam. Und seine Mutter hatte die Wut seines Vaters darüber immer als Erste zu spüren bekommen. Mit ihrem Tod war es noch viel schlimmer geworden. Jetzt musste er die Ausbrüche des Vaters ganz allein ertragen. Sollte er sich doch besaufen, der verdammte Arsch, dachte der Junge. Sich einpissen im Sessel vor dem Fernseher. Wenn er von alleine nicht mehr schnell genug zum Klo kam, weil er zu blau war. Da konnte er so oft nach seiner Frau rufen, wie er wollte. Sie würde nicht wiederkommen, nie mehr. Warum hatte Gott nicht ein Einsehen, dachte der Junge, und ließ den Alten einfach tot vom Sessel rutschen?
Der Junge hätte alles darum gegeben, seine Mutter wieder bei sich zu haben. Hätte alles unternommen, um sie davon abzuhalten, das Schlimmste zu tun. Das, wovon er nie wieder sprechen würde. Das hatte er sich geschworen. Aber was hätte er ausrichten können? Er war noch ein Kind. Er war erst 12 Jahre alt, als sie das verdammte Gift geschluckt hat. E605 stand auf der rostigen Blechdose. »Das brennt einem glatt die Eingeweide weg«, hatte einer der Männer damals gesagt, die seine Mutter auf der Bahre weggetragen hatten.
Bei der Erinnerung an sie spürte er einen Kloß im Hals, und Tränen stiegen ihm in die Augen. Diesen Anblick würde er nie vergessen. Sein ganzes Leben nicht. Wie sie dalag, gleich vorne in der Werkstatt seines Vaters, zwischen den Gartengeräten, ihre Augen zur Decke verdreht. Ihr Gesicht war hellrot angelaufen, und die Zunge quoll ihr aus dem Mund wie ein kleiner Ballon. Der Zementboden hatte sich rot verfärbt durch das Blut, das sie in ihrem Todeskampf erbrochen hatte. Sie war ganz kalt gewesen, als er sie zum letzten Mal berührt hatte, so kalt. In diesem Augenblick hatte er gedacht, die Welt müsste untergehen. Die Erde müsste stehen bleiben. Weil das Unvorstellbare eingetreten war, einfach so. Während sein Vater betrunken in seinem Sessel lag und schlief, hatte er seine tote Mutter in den Armen gehalten.
Der Junge blieb stehen. Hatte sein Vater eben nach ihm gerufen? War der Alte etwa aufgewacht? Er wachte doch sonst nie auf, wenn er erst mal im Vollrausch eingeschlafen war. Der Junge lauschte in die Dunkelheit, aber da war nur Stille. Er hatte das ganze übrige Schlafmittel seiner Mutter in die Flasche mit dem Pernod gemischt, 10 Tabletten. Er durfte jetzt keinen Fehler machen. Sein Vater und er waren ganz alleine hier oben in dem Haus in den Hügeln. Der nächste Nachbar wohnte mehr als einen halben Kilometer entfernt. Diesmal würde er die Sache zu Ende bringen. Unter anderen Umständen hätte er seinem Vater vielleicht noch eine letzte Chance gegeben. Wäre vor dessen Prügel in den Wald geflohen und erst wieder zurückgekommen, wenn der Alte wieder nüchtern wäre. Dann hätte er sich zum wievielten Mal die falschen Versprechen angehört. Das Gejammer vom besseren Leben. Über einen Entzug und einen festen Job.
Doch dann war der Abend mit der Schildkröte gekommen, seiner Schildkröte, Amusandra. Seine Mutter hatte sie ihm geschenkt im Sommer vor ihrem Tod. Sein Vater hatte das Tier vom ersten Moment an gehasst. Schildkröten würden stinken, hatte er gesagt, und außerdem würde sie jede Menge Ungeziefer ins Haus bringen, und ihr Panzer würde verfaulen. Eines Tages, da war seine Mutter bereits nicht mehr bei ihnen, war sie dann verschwunden. Der Junge hatte das Tier überall gesucht. Vor zwei Tagen hatte er sie dann endlich gefunden, oder das, was von ihr noch übrig war. Sein Vater hatte das hilflose Tier in die glühenden Holzkohlen des Garten-Grills geworfen. Dort war sie verkocht in ihrem Panzer und aufgeplatzt wie eine überreife Aubergine im Backofen. Sein Vater hatte nur gelacht, als er das tote Tier entdeckte. In diesem Augenblick hatte der Junge ein neues Gefühl kennengelernt. Plötzlich wusste er, wie sich Hass anfühlte.
Jetzt schlich er mitten in der Nacht durch das dunkle Haus und betete, dass sein Vater tief und fest schlief. Er hatte nur diese eine Chance, ihn für alles büßen zu lassen, was er ihnen angetan hatte. Er hatte sich genau überlegt, wie er es machen wollte. Darüber, was danach aus ihm werden sollte, hatte er bisher nicht nachgedacht. Er wollte nicht weinen. Er hatte schon so oft geweint und im letzten Moment seine Pläne wieder aufgegeben. Wenn er es dieses Mal nicht schaffte, würde er es nie schaffen. Da war er sich sicher. Denke nicht über morgen nach, sagte er sich. Tu‘s einfach. Du kannst das.
Vielleicht war das alles gar nicht wahr. Vielleicht träumte er das nur? Vielleicht hielt er gar kein Feuerzeug in der Hand, und vielleicht schleppte er auch keine Flasche mit Spiritus durchs Haus. Vielleicht würde er gleich in seinem Bett aufwachen, und seine Mutter würde zur Tür hereinsehen und sagen, dass sie ihm Spiegeleier zum Frühstück gemacht hat.
Hör auf rumzuspinnen, ermahnte er sich. Bring es zu Ende, jetzt. Er hasste diesen Mann, aber es war schließlich auch sein Vater. Tränen schossen dem Jungen plötzlich in die Augen. Er konnte nichts dagegen tun. Gut, dass ihn sein Vater jetzt nicht sah. Ein Junge weint nicht, hätte er gesagt und ihm eine Ohrfeige verpasst. Du Schwächling. Der Junge kniff sich mit den Fingernägeln in die Haut seines Handrückens, so fest er nur konnte. Der Schmerz war spitz und scharf und erinnerte ihn daran, dass er sich etwas geschworen hatte. Rache für alles, was sein Vater ihm und seiner Mutter angetan hatte. Wenn er es jetzt nicht tat, würde er den Respekt vor sich selber verlieren, und das war viel schmerzhafter, als sich in die Hand zu zwicken, selbst wenn er es mit ganzer Kraft tat.
Der Junge drückte mit der Schulter vorsichtig die Tür zum Wohnzimmer auf. Jetzt hörte er das schnarrende Atmen seines Vaters. Ein intimes, widerliches Geräusch, das er nicht hören wollte, weil es alles so real machte. Der Alte, der da im Sessel saß und ekelhafte Geräusche von sich gab, war sein Vater. Der klebrig-süße Geruch von Schnaps hing in der Luft, und die Ausdünstungen eines ungewaschenen, schweißnassen Körpers. Es war still im Haus. Der Junge hörte nur das Atmen des Mannes und das Quaken der Kröten, irgendwo da draußen in der mondhellen Sommernacht.
Er trat neben den Sessel und hob die braune Plastikflasche, sodass sie über dem Schlafenden schwebte. Flüssigkeit ergoss sich gluckernd über seinen Vater. Der Junge spürte, wie der Spiritus zwischen seinen Fingern hindurchsickerte und einen öligen Film auf ihnen hinterließ. Dämpfe von Ethanol stiegen auf. Sein Vater stöhnte im Schlaf und bewegte sich. Seine rechte Hand zuckte, als ob sie einen lästigen Moskito verscheuchen wollte.
Jetzt, sagte sich der Junge, jetzt! Und er goss den letzten Rest der Flasche seinem Vater mitten ins Gesicht. In diesem Moment kam der Mann zu sich. Er hustete, keuchte, spuckte die Flüssigkeit aus, die ihm in Mund und Nase gedrungen war. Plötzlich sah er dem Jungen direkt in die Augen. Doch es war zu spät. Instinktiv drückte der Junge den Schieber des Plastikfeuerzeugs nach unten. Die Flamme zündete sofort. Er musste das Feuerzeug nicht einmal an den Mann im Sessel halten. Das Feuer breitete sich mit einem einzigen, dumpfen »Wup« in dem stickigen Raum aus, und im Bruchteil einer Sekunde stand alles in Flammen. Die Flammen rasten über den Boden. Schufen einen See aus Feuer, stürzten sich auf die Vorhänge, die Stühle, das Bord mit dem Fernseher, entzündeten alles, dessen sie habhaft wurden.
Für einige Augenblicke war der Junge wie erstarrt. Er sah, wie sein Vater plötzlich aufstand und wie ein brennender Geist auf ihn zukam. Der Betrunkene schwankte, versuchte, den Flammen zu entkommen. Aber die Hitze machte ihn blind, er konnte den Ausgang nicht finden. Stieß gegen den Esstisch, stürzte, kämpfte sich hoch, grell flackernd wie eine lodernde Fackel. Und alles, was er berührte, erzeugte neue Flammen. Fasziniert und unfähig zu reagieren, starrte der Junge auf das entsetzliche Spektakel. Der betrunkene Mann stürzte erneut. Doch diesmal kam er nicht mehr hoch. Seine Beine zuckten hilflos. Mit den brennenden Händen schlug er verzweifelt auf den Boden ein.
Erst jetzt spürte der Junge ein Beißen in seiner rechten Schulter. Auch er brannte. Der Schmerz löste ihn endlich aus seiner Erstarrung, mit der linken Hand schlug er die Flammen aus. In diesem Moment stieß sein Vater einen wilden Schmerzensschrei aus, der tief aus...
Erscheint lt. Verlag | 28.4.2022 |
---|---|
Reihe/Serie | Ein-Leon-Ritter-Krimi | Ein-Leon-Ritter-Krimi |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bücher Mord • Cosy Crime • Côte d'Azur • Der Duft von Pinienkernen • Gerichtsmediziner als Ermittler • Krimi Frankreich • Lavendel • Leon Ritter Band 8 • Mord und Urlaub • Provence • Urlaubskrimi • Weißwein |
ISBN-10 | 3-8437-2711-2 / 3843727112 |
ISBN-13 | 978-3-8437-2711-2 / 9783843727112 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 3,0 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich