Der Friesenhof (eBook)

Auf neuen Wegen

*****

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2021 | 1. Auflage
464 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7517-1031-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Friesenhof -  Fenja Lüders
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Ostfriesland, 1948: Um den Verkauf des Familienhofs im friesischen Marschland abzuwenden, fängt die junge Gesa als Packerin in einem Teehandel an. Fasziniert von dieser für sie neuen und aufregenden Welt steigt sie bald zur rechten Hand des Juniorchefs auf, dem Kriegsheimkehrer Keno. Die beiden kommen sich näher, aber Keno ist ein verheirateter Mann. Und auch Gesas Herz ist nicht frei. Ihr Verlobter gilt als in Russland verschollen. Als böse Gerüchte die Runde machen, droht Gesa alles zu verlieren, was sie sich aufgebaut hat.




Fenja Lüders ist eine waschechte Friesin. Als Jüngste von vier Geschwistern wuchs sie auf einem Bauernhof direkt an der Nordseeküste auf. Für ihr Studium der Geschichte und Politik zog sie nach Oldenburg, wo sie bis heute mit ihrer Familie lebt. Neben dem Schreiben ist klassische Musik ihre große Leidenschaft.

Fenja Lüders ist eine waschechte Friesin. Als Jüngste von vier Geschwistern wuchs sie auf einem Bauernhof direkt an der Nordseeküste auf. Für ihr Studium der Geschichte und Politik zog sie nach Oldenburg, wo sie bis heute mit ihrer Familie lebt. Neben dem Schreiben ist klassische Musik ihre große Leidenschaft.

Eins


Krummhörn, Ostfriesland, 1949

Der böige Wind, der Hanna vom Deich her entgegenwehte, war eiskalt. Er führte feine Regentropfen mit sich, die sich auf ihrem Gesicht wie Nadeln anfühlten, wenn sie die Haut trafen, und ihre Wangen begannen allmählich taub zu werden. Trotzdem behielt sie ihr Ziel fest im Auge, erhob sich im Sattel ihres Fahrrades und trat ordentlich in die Pedale, um sich dem Sturm entgegenzustellen.

Wie immer, wenn etwas sie bedrückte oder ihr einfach alles zu viel zu werden drohte, hatte sie sich davongeschlichen, als sich nach dem Mittagessen die meisten der Bewohner des Friesenhofes für eine Stunde aufs Ohr gelegt hatten. Das war die einzige Gelegenheit des Tages, sich unbemerkt aus dem Staub zu machen. Auf neugierige oder gar mitleidige Blicke konnte Hanna weiß Gott verzichten.

Wie sollte man auch nur einen klaren Gedanken fassen, wenn man nicht einen Moment Ruhe hatte?

Besonders seit immer mehr Flüchtlinge auf dem Hof einquartiert worden waren, hatte Hanna das Gefühl, nie für sich allein sein zu können. Alle hatten zusammenrücken müssen, und so war Hannas Bett mit in die Kammer ihrer großen Schwester Gesa gestellt worden, wo es jetzt so eng war, dass man sich nicht einmal vernünftig umdrehen konnte. Früher, als sie noch Kinder gewesen waren, hatte Hanna es schön gefunden, wenn Gesa ihr erlaubt hatte, mit zu ihr ins Bett zu kriechen. Sie hatten sich eng aneinandergekuschelt, die Wärme genossen und sich flüsternd Geschichten erzählt, bis sie eingeschlafen waren.

Aber das war lange her. Jetzt waren sie beide erwachsen, auch wenn Gesa immer wieder betonte, so richtig reif werde man erst mit Mitte zwanzig, und Hanna sei bloß eine dumme Deern.

Hanna schnaubte und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen ab, die unablässig flossen. Gesa würde sie nie für voll nehmen, denn das Alter, in dem man in ihren Augen erwachsen wurde, war immer gerade Gesas eigenes Alter, höchstens vielleicht ein Jahr jünger. Für die große Schwester würde Hanna immer die Lütte bleiben, selbst wenn sie beide irgendwann mit über achtzig als alte Jungfern nebeneinander auf dem Sofa sitzen und Tee trinken würden.

Der Regen hatte aufgehört, und die gleißend helle Aprilsonne brach sich den Weg durch die hoch aufgetürmten Wolken, deren untere Ränder grau und schwer von Regen über Hanna hingen. Wenn die Erde nicht so nass wäre, hätte sie den Kleiweg nehmen können, der nördlich vom Dorf direkt zum Deich führte, aber jetzt war der Boden dort wahrscheinlich so aufgeweicht, dass sie das Fahrrad schieben müsste. Daher machte sie einen kleinen Umweg und fuhr die äußere Ringstraße am Dorf entlang, von der die Kiebitzstraße abging, die ebenfalls am Deich endete.

Um die Mittagszeit wie jetzt waren kaum Leute auf der Straße des kleinen Dorfes, dessen Häuser sich um die alte Kirche oben auf der Wurt drängten wie Küken um eine Glucke. Ohne es zu wollen, richtete Hanna den Blick nach links auf das gedrungene Gotteshaus, in dem sie vor fünf Jahren konfirmiert worden war.

»Morgen …«, murmelte sie, und wieder liefen die Tränen.

Morgen würden sie sich alle dort versammeln; die Familie, die Nachbarn, die Bekannten … Alle Männer würden dunkle Anzüge mit schwarzen Krawatten tragen, die Frauen ihre guten schwarzen Sonntagskleider oder doch wenigstens einen Trauerflor am Ärmel. Morgen würden sie Onno de Fries, den Bauern des Friesenhofes, ein Stückchen außerhalb des Dorfes zu Grabe tragen, Hannas Vater.

Hanna war schon auf vielen Beerdigungen gewesen. Zuletzt vor vier Jahren, gleich nachdem der Krieg vorbei gewesen war, als sie den alten Heinrich Kröger zu Grabe getragen hatten, den Altbauern drei Höfe weiter. Es gehörte sich so, dass alle Erwachsenen der Nachbarsfamilien am Trauergottesdienst teilnahmen, um ihr Beileid zu bekunden, ob sie nun etwas für den Verstorbenen empfunden hatten oder nicht. Der alte Kröger war ein mürrischer alter Mann gewesen, der immer auf der Bank neben der Dielentür in der Sonne gesessen und auf die Kinder geschimpft hatte, die er bezichtigte, Äpfel klauen zu wollen. Kurz vor seinem Tod war er nicht mehr ganz richtig im Kopf gewesen, hatte sich mit Leuten unterhalten, die nur er sehen konnte, weil sie schon längst gestorben waren.

»Er wird tüddelig«, hatte Papa damals gesagt und lachend hinzugefügt, das werde ihm selbst wohl auch so gehen, wenn er erst einmal über achtzig sei.

Bei der Beerdigung des alten Kröger hatte Hanna ganz hinten in der Kirche neben Papa, Mama und Gesa gesessen, das Gesangsbuch in den Händen, und sich fürchterlich gelangweilt. Als sie irgendwann ein Gähnen nicht hatte unterdrücken können, hatte Mama sie mit dem Ellenbogen angestoßen und ihr kopfschüttelnd einen bösen Seitenblick zugeworfen.

Papa hatte zum Glück nichts davon mitbekommen, sonst wäre das sicher nicht so glimpflich ausgegangen. Er konnte richtig fühnsch werden, wenn man sich den Nachbarn gegenüber nicht respektvoll benahm. Mit Gesa und Hanna schimpfte er normalerweise nur, sie waren ja seine lütten Deerns, aber die beiden ältesten Kinder Helga und Renke hatten sich auch öfter mal Backpfeifen von ihrem Vater eingefangen, als sie noch zu Hause gewohnt hatten.

Die drei hellen Glockentöne, die vom Kirchturm herüberklangen, rissen Hanna aus ihren Gedanken. Viertel vor eins schon. Wenn sie wieder zu Haus sein wollte, bevor die Mittagsstunde vorbei war, musste sie sich beeilen.

Sie bog in die Kiebitzstraße ein und beugte sich über den Lenker, um dem stürmischen Wind nicht so viel Angriffsfläche zu bieten. Nur kurz hinter dem Dorf gab es noch Bäume, je näher sie jedoch dem Deich kam, desto stärker pfiff der scharfe Aprilwind in ihren Ohren und zerrte an ihren lockigen blonden Haaren, die sich aus ihrem im Nacken verknoteten Kopftuch gelöst hatten.

Der Deich, der zuerst in weiter Ferne gelegen zu haben schien, kam rasch näher, und dann hatte Hanna auch schon die gepflasterte Straße erreicht, die am Fuß des Deiches entlanglief. Im Gegensatz zu den Kühen, die jetzt, Anfang April, noch im Stall standen, waren die Schafe schon zum Weiden auf den Deich getrieben worden. Wegen des kühlen Windes hielten sich die Muttertiere mit ihren Lämmern auf dessen geschützter Landseite auf.

Hanna hielt an, stieg vom Fahrrad und lehnte es an den Zaun neben einem Holzgatter, das die Deichweide von der Straße trennte.

»Na, ihr?«, fragte sie ein Schaf, das den Kopf gehoben hatte und sie neugierig betrachtete. »Euch ist auch kalt, was?«

Das Schaf schien sie einen Moment skeptisch zu mustern und stieß dann ein langgezogenes »Bööööh« aus, ehe es sich wieder dem frischen Gras auf dem Deich zuwandte.

Hanna lachte leise. »Ganz deiner Meinung«, sagte sie. »Trotzdem muss ich mir mal den Kopf durchpusten lassen.«

Sie öffnete das Gatter einen Spaltbreit, schlüpfte hindurch und verschloss es wieder sorgfältig hinter sich. Der Schäfer wäre vermutlich schon nicht damit einverstanden, dass sie die Deichweide überhaupt betrat, aber wenn die Schafe ausbüxten, würde sie mächtig Ärger mit ihm bekommen.

Sie zog die dicke Wolljacke enger um sich, die sie, ohne groß darüber nachzudenken, zu Hause von der Garderobe genommen und übergeworfen hatte. Sie war ihr viel zu groß und roch noch immer nach Papas Tabak. Außerdem war sie so schwer, dass das Gewicht auf ihren Schultern sie herunterzudrücken schien.

Egal, sie wollte über das Wasser gucken, wie sie es früher manchmal mit Papa zusammen gemacht hatte. Als sie noch klein gewesen war, hatte er sie immer hochgehoben, und sie war mit dem Blick seinem ausgestreckten Arm gefolgt und hatte seiner tiefen Stimme gelauscht, wenn er ihr erklärte, was sie dort sehen konnte. Später, als sie dafür zu schwer wurde, hatte er seinen Arm um sie gelegt, wenn sie vorgegeben hatte zu frieren, und sie hatte sich warm und geborgen gefühlt.

Die Sehnsucht nach diesem sicheren Gefühl war auf einmal so groß, dass ihre Brust ganz eng wurde und zu schmerzen begann. Ein heiserer Schluchzer löste sich aus ihrer Kehle, während ihre Augen zu brennen anfingen und die Tränen wieder liefen.

Alles vorbei, dachte sie. Nichts wird je wieder so sein, wie es früher war. Papa ist tot.

Allein dieser Gedanke war unfassbar, und sie konnte es immer noch nicht glauben. Wie konnte jemand, der bis vor wenigen Tagen noch so lebendig gewesen war, plötzlich tot sein?

Er hatte sich bei der Arbeit auf dem Hof bestimmt schon hundert Mal verletzt, einige Male sogar deutlich schwerer, als sich mit der Forke selbst in den Fuß zu stechen. Ein Bulle hatte ihn einmal mit den Hörnern erwischt, da hatte er einen Monat lang kaum Luft bekommen. Damals hatte der Arzt gesagt, Papa hätte sich ein paar Rippen gebrochen und Glück gehabt, dass sich keine in die Lunge gebohrt hätte. So was würde oft schlimm enden.

»Unkraut vergeht nicht«, war stets Papas Antwort gewesen. Aber jetzt war es doch passiert. Er hatte die Verletzung am Fuß nicht ernst genommen und einfach weitergearbeitet. »Wird bestimmt bald besser werden«, hatte er im Laufe der nächsten Tage immer wieder zu Mama gesagt, auch wenn ihm vor Schmerzen schließlich der Schweiß von der Stirn gelaufen war. Dann hatte er hohes Fieber bekommen, und innerhalb von drei Tagen war er an einer Blutvergiftung gestorben, ohne dass der Arzt noch etwas für ihn hatte tun können.

Keiner hatte es glauben wollen, erzählte Helmut Frerichs, der Bauer vom Hof nebenan, der den Rest der Nachbarschaft über Onnos Tod informiert hatte, nachdem er am Abend noch einmal bei den de Fries vorbeigeschaut hatte. So ein Riesenkerl, der nie ernsthaft krank...

Erscheint lt. Verlag 23.12.2021
Reihe/Serie Die Teehändler-Saga
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 50er Jahre • Familiensaga • Frauenpower • Freundschaft • Kriegsheimkehrer • Kriegstrauma • Loyalität • Ostfriesland • Saga • Schwestern • Starke Frauen • Tee • Teehandel • Zusammenhalt
ISBN-10 3-7517-1031-0 / 3751710310
ISBN-13 978-3-7517-1031-2 / 9783751710312
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