Die glücklichsten Menschen der Welt (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
656 Seiten
Karl Blessing Verlag
978-3-641-28457-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die glücklichsten Menschen der Welt - Wole Soyinka
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In Nigeria, das wegen Vorwahlen zur Präsidentschaft außer Rand und Band ist, verkauft ein gerissener Geschäftemacher aus einem Krankenhaus gestohlene Körperteile für rituelle Praktiken. Der Chirurg Dr. Menka, teilt seine grausige Entdeckung mit seinem ältesten College-Freund, dem Lebemann und Ingenieur Duyole Pitan-Payne. Dieser ist im Begriff, einen prestigeträchtigen Posten als Energieberater bei den Vereinten Nationen in New York anzunehmen, aber es scheint jetzt, dass jemand entschlossen ist, dies zu verhindern. Und weder Dr. Menka noch Duyole wissen, wer ihre Feinde sind.

Wole Soyinka nimmt uns mit auf eine Tour de Force: ein mit Galgenhumor versetztes hochspannende Epos darüber, wie Macht und Gier und die Schatten des britischen Kolonialismus die Seele einer jungen Nation verderben.

Wole Soyinka, geboren 1934 in Abeokuta, Nigeria, erhielt 1986 als erster afrikanischer Schriftsteller den Nobelpreis für Literatur. Er schrieb zahlreiche Theaterstücke und wurde mit Romanen wie 'Aké (1981/deutsch: 1986), 'Isara' (1989/1994) und vor allem 'Die Ausleger'(1965/1983) bekannt. 1967 wurde er wegen seiner Friedensbemühungen im nigerianischen Bürgerkrieg für zwei Jahre inhaftiert. Nach seiner Freilassung lebte er sowohl in den USA als auch in Nigeria. 2008 erschien auf Deutsch seine große Autobiografie 'Brich auf in früher Dämmerung'. 2017 zerstörte er als Protest gegen Trumps Regierungsantritt seine Greencard.

2

DAS EVANGELIUM NACH DER GLÜCKSELIGKEIT

Dass die Nation, die man den Riesen Afrikas nennt, auch als diejenige galt, die die glücklichsten Menschen auf Erden beherbergt, war keine Neuigkeit mehr. Verwirrend blieb, wie sie sich diese Anerkennung erworben und ob sie sie, allgemeiner Übereinstimmung gemäß, verdient hatte. Aufsteigende Nachbarländer mussten aus ihrem Dauerzustand neidischen Strebens befreit werden, geheilt von jener Malaise, welche die zum Scheitern verurteilte Bemühung hervorrief, der Nation der Glückseligen die Krone vom Haupt zu rauben. Die Weisheit der Ältesten rät, dass es ehrenhafter ist, den unangefochtenen Champion anzuerkennen und sich seiner Führerschaft anzuvertrauen, als ständig herumzunörgeln und sich frustriert zu winden. Wie die Yoruba zu warnen pflegen: Ti a ba ri erin igbo k’a gba wipe a ri ajanaku, ka ye so wipe a ri nka nto lo firi – Wenn wir einem Elefanten begegnen, dann lasst uns zugeben, dass wir den Herrn des Waldes sahen, und nicht leichthin behaupten, es sei bloß irgendetwas durch unser Gesichtsfeld gehuscht.

Nicht viele Nationen konnten mit einem Ministerium für Glückseligkeit prahlen. Dennoch gab es in einem der ärmsten der Bundesstaaten der föderalen Nation diese Neuerung. Die erste Ministerin – Kommissar genannt – war die Gattin des fantasievollen Gouverneurs besagten Bundesstaates, während andere Familienmitglieder und Anverwandte die übrigen Posten besetzten, die durch diese weltweit einzigartige Kabinettsbildung entstanden waren. Doch damit nicht allein dieser ersten Familie das Bravourstück eines einstimmigen Juryentscheids zugerechnet wird, muss man erwähnen, dass die freizügige Vergabe von begehrten Titeln überall im Lande eine Rolle spielte. Dass die mit einer einzigen Titelvergabe verbundenen Feierlichkeiten Summen verschlangen, die dem gesamten Jahresbudget anderer Nationen entsprachen, war ein oft übersehenes Faktum. Es gab freilich weitere, oft übersehene, dennoch monströse Exempel. Muss man beispielsweise die ständig und exponentiell wachsende Zahl von traditionellen Würdenträgern erwähnen, die ihren Titel quer über Geschichte, Kultur und Tradition hinweg durch den Federstrich eines Gouverneurs erhielten?

Die altehrwürdige Yoruba-Stadt Ibadan, einst eine unabhängige königliche Domäne, wurde eines Tages, ohne vorherige Zeichen einer Schwangerschaft, von vierundzwanzig neuen Königtümern entbunden, und das in Zeiten wütend tobender demokratischer Umbrüche.

Diese Glanzleistung blieb nicht unangefochten. Schon bald folgte das nahezu passende Pendant. Am entgegengesetzten Pol der nationalen Achse gebar eine historische Entität namens Kano vierzehn junge Emirate. Die präsidierenden Gouverneure der Bundesstaaten stellten den frisch gekürten Königen respektive Emiren – zuvor bloße Dorfälteste oder unbedeutende Chiefs – ihre Mitarbeiterstäbe vor, und die feierliche Übergabe der schnörkelstrotzenden Urkunden ihrer königlichen Amtseinsetzung generierte bunte Massenzeremonien der jubilierenden Bevölkerung. Die individuellen Kronen hier, Turbane dort, je nach den Maßen der königlichen Schädel passgenau fabriziert oder geschneidert, wurden auf die Köpfe der neuen Monarchen gesetzt oder um dieselben gewunden. Die professionellen Neinsager dieser Welt blieben außerstande, diese einfallsreichen Bravourstücke zu goutieren, die selbstverständlich gewaltige, das ganze Land mitreißende Festivitäten auslösten, die ihrerseits Garanten eines nahezu täglich stattfindenden Karnevals waren, was wiederum den Tourismus ankurbelte wie auch den Boom des ergänzenden Gewerbes: Entführungen zur Erpressung von Lösegeld.

Viele, zu viele eine Rolle spielende, hervorstechende Faktoren wurden von den Interessengruppen der wettstreitenden Nationen übersehen, meist weil sie zu sehr von dem Wunsch besessen waren, dem verdientermaßen reichen Nachbarn die Krone der Glückseligkeit zu entwinden. Unglücklicherweise führten die parteiischen, eigennützigen Haltungen lediglich zu Verwirrung bei den ganzjährig routinemäßig stattfindenden Festivitäten – seien sie religiöser, säkularer, moralischer oder sonstiger Natur –, die jede unabhängige Nation begeht, sofern sie sich auch nur das kleinste Quäntchen traditionellen Respekts vor der Welt der Lebenden, der Ungeborenen und der Ahnen bewahrt hat.

Typisch für das Missverständnis der lediglich Vergnügen heischenden Touristen – darunter nicht wenige gedankenlose Einheimische – war deren Neigung, den politischen Mummenschanz mit echten Festivitäten des Volkes zu verwechseln. Diese Verwechslung hing vor allem mit dem Festival der Wahl des Volkes zusammen, denn zugegebenermaßen eignen politischen und kulturellen Festlichkeiten ein paar Ähnlichkeiten. Am auffälligsten darunter die Gewohnheit, dass sie fast das ganze Jahr über andauern, Jahr um Jahr, obwohl sie eigentlich bestimmten festen Daten zugeordnet sind, die klar auf dem Kalender der Nation verzeichnet stehen. Dennoch sind die beiden eben getrennte Entitäten. Auch unter Bezeichnungen wie ›Schlag des Jahres‹, ›Concordia der Leute‹, ›Nacht der Nächte‹ etc. bekannt, war das Festival der Wahl des Volkes eindeutig ein reines Fest der Bevölkerung, das, mit deren Einwilligung, alljährlich an dem Wochenende stattfand, das auf den Unabhängigkeitstag folgte. Letztgenannter hingegen war eindeutig eine politische Angelegenheit. Das beinahe Zusammentreffen der beiden Ereignisse schuf eine weitere Quelle der Konfusion, wenn auch nur eine kleine und mit keinen Konsequenzen, da sich kaum noch jemand erinnerte, worum es sich bei der Unabhängigkeit handelte. Eine Militärparade, eine lustlos vorgetragene Rede an die Nation, Rufe nach Patriotismus, Rezitation einer ermüdenden Liste nationaler Ehrungen, und rasch gingen die Menschen wieder ihren Geschäften nach, in Erwartung des eigentlichen, wahren Ereignisses des Jahres und der damit verknüpften Nacht der Verleihung der Preise, was immer unter großem Jubel der Leute geschah.

Einige Zyniker und Revisionisten neigten zu der Unterstellung, das Festival sei eine Schöpfung der People on the Move genannten Partei. Das allerdings war fern der Wahrheit. Natürlich putzte sich auch diese Partei als Vorzeigemodell demokratischer Praktiken heraus, aber damit endeten auch schon alle assoziativen Vorstellungen. POMP – so das sprechende Akronym der Partei – reklamierte lediglich den Liberalismus für sich, der ein solches Festival möglich machte, ein alle umfassendes, unparteiisches Fest, das nicht nur Wurzeln geschlagen hatte, blühte und gedieh, sondern sich auch beständig nach beiden Richtungen hin über das festgesetzte Datum hinaus ausgeweitet hatte, bis es das ganze Jahr umfasste, manchmal bis ins nächste hineinragte und dadurch mit seinen verschiedenen Festivitäten den Neuanfang ein- und überholte. Kein anderes Festival der Welt konnte sich einer solchen feststehenden Rücklage rühmen. Es wurde nicht nur ein bewegliches Fest, sondern eine Festivität, die ständig mit Ereignissen im Rückstand war – immer ragten unerledigte Reste hinüber in die nächstfolgende Neuauflage.

Was der Wahl des Volkes gelang, ging über das Aufpolieren des Images der Regierung oder der Partei, die gerade am Ruder war, weit hinaus, denn in den Augen der Welt verbesserte das Fest das ramponierte Ansehen der Einheimischen ganz ungemein. Dieses Festival, Veteran zahlreicher Editionen, bewies, dass, ungeachtet des gegenteiligen Zeugnisses der politischen Wahlen, die Bürgerschaft des Landes, wenn man ihr nur eine entsprechende Chance ließ, die Welt noch so einiges lehren konnte bezüglich jener politischen Kultur, die man üblicher-, jedoch fälschlicherweise den Athenern zuschrieb. Wenn man der Regierung irgendeine Einmischung vorwerfen konnte, dann lediglich die, dass sie per formalem Erlass den Höhepunkt der Nacht der Nächte mit jener maximalen Intensität ausstattete, die der Yeomen of the Year genannte Preis darstellt, durfte dieser doch den Titel ›Weltkulturerbe‹ tragen. Die Regierung hatte nämlich den beispiellosen Schritt unternommen, der UNESCO die erforderliche Resolution vorzulegen – mit nicht weniger als fünfundzwanzig Millionen computerverifizierten Unterschriften, ein Bravourstückchen, das allerdings erst erreicht werden konnte, nachdem drei Volkszählungen stattgefunden hatten! Hätten wir das nicht getan, hätten wir unsere Pflicht versäumt und würden zu Recht der Gleichgültigkeit gegenüber Patriotismus, Kunst und Kreativität geziehen. Jetzt, wo wir getan haben, was wir tun mussten, stellt man uns an den Pranger und behauptet, wir begünstigten finstere Machenschaften der Regierung. Unseren Leuten kann man es einfach nicht recht machen!

Alter Gewohnheit gemäß war, wie gesagt, der Termin für das Festival der Wahl des Volkes das Wochenende, das auf den Unabhängigkeitstag folgte, jenen manifesten Ausdruck des Triumphs des Willens seines Volkes, ein historischer Tag, an dem man die ehemaligen imperialen Herren friedlich, ohne einen einzigen Tropfen Blut zu vergießen, aus dem Amt gewählt hatte – »Unabhängigkeit auf goldenem Tablett serviert«, wie ein führender Nationalist und späterer Präsident des Landes damals trompetete. Dass sich die Nation beeilte, diesen Lapsus durch einen zwei Jahre anhaltenden Bürgerkrieg mehr als wettzumachen, konnte der POMP nicht angelastet werden, da sie zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit noch nicht existierte und auch nicht zur Zeit jener...

Erscheint lt. Verlag 11.4.2022
Übersetzer Inge Uffelmann
Sprache deutsch
Original-Titel Chronicles from the Land of the Happiest People on Earth
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2022 • Afrika • Blutrausch, Gewalt • Boko Haram • Christentum und Islam • eBooks • Korruption • Neuerscheinung • Nigeria • Nobelpreis für Literatur • Postkolonialismus • Roman • Romane • Schamanen, Zauberer
ISBN-10 3-641-28457-0 / 3641284570
ISBN-13 978-3-641-28457-2 / 9783641284572
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