Der Flussregenpfeifer (eBook)

Roman. Nach einer wahren Geschichte
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2022
512 Seiten
C. Bertelsmann Verlag
978-3-641-27304-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Flussregenpfeifer - Tobias Friedrich
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Eines des erfolgreichsten Romandebüts des vergangenen Jahres - auf der SPIEGEL-Jahresbestsellerliste
Ulm, im Mai 1932: Mit nicht viel mehr als etwas Proviant und dem kühnen Plan, nach Zypern zu paddeln, lässt Oskar Speck sein Faltboot zu Wasser. In sechs Monaten will er zurück sein. Aber alles kommt anders. Gepackt von sportlichem Ehrgeiz, begleitet von Jazzmusik und Mark Twains weisem Witz, gejagt von den Nationalsozialisten, fährt der schweigsame Einzelgänger immer weiter in die Welt. Ohne Hoffnung auf ein Wiedersehen mit Gili, die sich, wie er, den Widrigkeiten der Zeit entgegenstellen muss. Doch das Schicksal gibt Oskar eine letzte Chance.

Tobias Friedrichs literarisches Debüt basiert auf der unglaublichen, aber wahren Geschichte des Hamburgers Oskar Speck, der über sieben Jahre lang mit seinem Faltboot 50.000 Kilometer zurücklegte. So erstaunlich wie dessen Reise ist auch dieser humorvolle, dramatisch wie rasant erzählte Roman um wahre Freundschaft und Freiheitsliebe, starke Frauen und den Zufall als Wegweiser des Lebens.

Tobias Friedrich, 1969 in Göttingen geboren, schreibt seit den 90er-Jahren Musik für seine Bands Viktoriapark und Husten (u.a. mit Gisbert zu Knyphausen) sowie für andere Künstler. Er war Herausgeber eines Berliner Musikmagazins, arbeitet als Autor von Sachbüchern und ist Co-Veranstalter der Berliner Musik-und-Lese-Show »Ein Hit ist ein Hit«. »Der Flussregenpfeifer« ist sein literarisches Debüt, über das er sagt: »Es war mir ein Rätsel, wieso es noch kein Buch über Oskar Speck gab. Es war klar, dass ich, der ich noch nie einen Roman geschrieben hatte, mit dem Schreiben eines Romans über ihn restlos überfordert sein würde. Also fing ich unverzüglich mit der Arbeit an.«

REISETAGE

Ich beginne nun mein Tagebuch. Ich verließ Hamburg am 13.5.1932 und kam am 14.5. in Ulm an. Ich machte das Boot klar und fuhr los. Erste Übernachtung im Zelt. Ich erreichte Passau am 23.5. und fühle mich jetzt völlig allein.

In der Pfandleihe, in der er seinen Feldstecher versetzte, sagte man Oskar, zwei Straßen weiter gebe es einen Krämerladen, dort werde er Kondensmilch bekommen. Sein Rücken tat ihm weh vom Paddeln und den ersten ungemütlichen Nächten auf hartem Erdboden. Sein Po war wund, und er spürte jede Sehne in seinen Waden. Auf dem Weg kam er an einem Gasthaus vorbei. Er eilte zwischen dunkler Vertäfelung zum Tresen, bestellte ein Bier und bedeutete der Wirtin, dass er Wasser lassen ginge. Auf der Toilette sah er in den Spiegel und erschrak über die Augenringe, die sich in seinem Gesicht abzuzeichnen begannen. Die Wirtin klopfte an die Tür. Er kehrte in den Gastraum zurück, sie stand bereits mit einem zu zwei Dritteln gefüllten Glas da und hielt es ihm entgegen.

»Kann ich mit einem Dresdner Schilling bezahlen?«, fragte er leise.

»Hab i’s g’wusst. Raus mit dia. Bettler und Juden ham kahn Zutritt. Raus, schleich di, Jesses-Mare.«

Wieder zurück auf dem Wasser, stellte sich Oskar vor, er sei Charlie Barr. Träumte sich in dessen Rekordfahrt über den Atlantik im Jahr 1905 und wich imaginären Brechern aus. Er setzte Segel, sah Masten vor sich aufragen und spuckte in den Wind.

Er wusste, wie man Schotterbänke umfuhr und dass hinter Brückenpfeilern durch die Teilung des Wassers bedrohliche Stromschnellen entstanden. Wie Barr es aber mit dem Drei-Mast-Schoner Atlantic von New Jersey zum Leuchtfeuer bei Lizard Point an der Küste von Cornwall in nur zwölf Tagen über ein Weltmeer geschafft hatte, war ihm, wie jedem anderen, ein Rätsel. In den Legenden über die Rekordfahrt kamen die Menschen zu den unterschiedlichsten Schlüssen. Einig war man sich über dreierlei: Barr wusste mit dem Begriff »Angst« wenig anzufangen, er verlangte von seiner Mannschaft, sich bei der Arbeit bis an den Rand der Bewusstlosigkeit zu verausgaben, und seine Detailversessenheit wurde in manchen Zirkeln als Krankheit interpretiert.

Oskar war seit Kindertagen fasziniert von den großen, legendären Pionieren der Seefahrt, und auch über das Leben des schmächtigen Schnurrbartträgers hatte er jeden verfügbaren Schnipsel gelesen. Neben Barrs nautischen Leistungen war ihm vor allem der frühe Tod des Schotten im Gedächtnis geblieben, der den Segler mit nur sechsundvierzig Jahren nach einem Herzinfarkt in den Armen seiner Frau ereilte. Inmitten seiner Träumereien von Barrs großer Liebe – wie diese wohl ausgesehen haben mochte, ob sie womöglich sogar noch lebte und zwischen den Strömungs- und Windkarten ihres Gatten ein einsames Dasein in der Nähe des Lizard Lighthouse fristete – fiel Oskar der Zweck seiner eigenen Reise ein. Er rief sich innerlich zur Räson und paddelte kräftiger.

In Linz überzeugte er den Rezeptionisten eines Hotels, kostenfrei seinen Bruder Heinrich anrufen zu dürfen, den er um eine Geldanweisung bat. Als nach zwei Wochen zwanzig Reichsmark eintrafen, kaufte er sich für die Hälfte der Summe eine Mandoline. Abends saß er in seinem Zelt, auf das ein warmer Juniregen knatterte, und versuchte, sich an die Melodien jener Lieder zu erinnern, die sie immer im Hoppe spielten. Doch so wenig er in seinem Stammlokal dazu hatte tanzen können, so wenig konnte er nun die Akkorde von Amalie geht mit’m Gummikavalier heraufbeschwören.

Also nahm er unter dem Trommeln der Tropfen Lieselottes Geschenk in die Hand, ein Büchlein mit Sprüchen ihres Lieblingsautors, das sie ihm am Bahnhof zugesteckt hatte. Es war ein kleiner, vergilbter Band, dessen Umschlag die kreidigen Umrisse von Mark Twains Konterfei auf hellblauem Untergrund zeigte. Er blätterte zu ihrer Widmung auf der leeren Seite vor den Verlagsangaben. »Vergiss nicht das Zurückkommen. Ich warte im Hoppe, deine Liesel«.

»Vielleicht bin ich am Buß- und Bettag schon wieder da«, hatte er ihr am Bahnhof, sich auf das heruntergezogene Zugfenster lehnend, gesagt. Sie hatte gelacht. »Wäre ja das erste Mal, dass du dich an der Religion orientierst.« Als er jetzt nachrechnete, kam ihm ein halbes Jahr für sein Unterfangen sehr ambitioniert vor. Aber unmöglich war es nicht.

Lieselotte. Oskars Vater, der zwei Worte vorzog, wenn drei genügten, war über sie ins Schwärmen geraten, hatte seinem Sohn eine baldige Heirat ans Herz gelegt. »Mensch, die Liesel, die ist großzügig, offenherzig ist die und freundlich. Solltest du dir sichern. Klug ist sie auch. Feste Haare, runder Busen, was willst du denn mehr?«

Oskar schnitt ein sichelförmiges Stück aus einem Apfel und erinnerte sich an das, was Lieselotte ihm im Hoppe einst offenbart hatte, an ihrem Stammplatz direkt neben der großen Fensterfront, die zur Elbe wies. »Viel zu sagen hast du ja nicht. Aber wenn du den Mund aufmachst, bin ich immer bestens amüsiert.« Als Lieselotte ihn später hinter den Bootshäusern geküsst hatte, glaubte er zunächst, sie wolle ihn hochnehmen und würde jeden Moment ihre Freundinnen herbeirufen, um sich über ihn lustig zu machen.

Doch niemand kam. Stattdessen schlich sich etwas Verklärtes in ihren Blick, und nach wenigen Augenblicken entfuhr es ihr, dass es schon unter Umständen irgendwie sein könne, dass sie ihn vielleicht liebe.

»Schatztruhe« nannte Lieselotte ihn, weil es ihr so vorkam, als würde er eigentlich irgendwo auf dem Grund des Hafens hausen, nie wirklich anwesend sein, lieber alleine für sich, die Gegenwart anderer, selbst ihre, mehr dulden als sie suchen. Zweisamkeit liege ihm im Grunde nicht. Insgeheim hoffe sie, so hatte Liesel angefügt und dabei versucht, ihrer Stimme einen heiteren Klang zu verleihen, sie würde ihn eines schönen Tages sprichwörtlich öffnen können und etwas Glänzendes, von ungeheurem Wert zutage fördern. Bis dahin müsse sie sich wohl damit zufriedengeben, eine schön anzusehende Truhe vor sich zu haben und den Glauben an deren Verheißung nicht zu verlieren. »Ich vertraue auf deine treuherzigen Augen, Oskarlein.«

Oskar wusste nicht, ob er Lieselotte liebte. Aus dem einfachen Grund, weil er mit dem Begriff Liebe nichts verband. Die Liebe war wie eine Maschine, deren Mechanik er nicht verstand, sosehr er sich auch bemühte. Er war Mitte zwanzig und ahnte, mit der richtigen Anleitung würde sich auch ihm eines Tages erschließen, was die Menschheit daran so aus der Fassung geraten ließ. Lange, so viel war ihm klar, würde er nicht mehr warten können.

Der Regen wurde schwächer. Oskar griff nach dem magnetischen Kompass und fragte sich, wie man wohl beschaffen sein müsste, aus welchem Holz geschnitzt, um ein Haudegen wie Kapitän Franz Romer oder Charlie Barr zu werden. Lag es diesen Kerlen in den Genen? Waren es Gabelungen in ihrem Leben, zufällig eingeschlagene Wege, die aus normalen Männern jene Verrückten machten, die erst Ruhe gaben, wenn sie den Naturgewalten wenigstens ein Mal auf außerordentliche Weise die Stirn geboten hatten? Eines war gewiss: Weder Barr noch Franz Romer hatten ein elektrotechnisches Büro betrieben, und keiner von beiden war mit diesem aufgrund mangelnden Geschäftssinns und einer in Schieflage geratenen nationalen Wirtschaft pleitegegangen. Alexander Mackenzie, der eine Passage vom Athabascasee in Kanada bis zum Pazifik in einem Birkenrindenkanu erkundet hatte, hatte sich nicht mit Ankerwickelei abgegeben und Teigelkamp seine Fahrten auf europäischen Gewässern nicht mit dem Verkauf neuzeitlicher Leuchtreklamen finanziert.

Oskar strich mit den Fingern über die Seekarten und den Küstenführer, schlug den Nautischen Almanach auf und blätterte durch die Navigationstafeln. Erst als er den ölig-holzigen Geruch eines der Dollbordstäbe einsog, fühlte er sich besser.

Bevor er sich schlafen legte, schlich er noch einmal nach draußen vor sein Zelt und prüfte die reparierte Traverse.

Am nächsten Tag, während er auf der grün schimmernden Donau auf die Ortschaft Grein zuhielt, dachte Oskar über zwei von Mark Twains Sprüchen nach, die er am Vorabend gelesen hatte.

Der Amerikaner war folgender Meinung:

»In zwanzig Jahren wirst du enttäuschter sein von den Dingen, die du nicht getan hast, als von denen, die du getan hast.«

Obwohl Oskar sich vorgenommen hatte, täglich nur eine der Weisheiten des Schriftstellers zu lesen, um das Vergnügen an seiner einzigen Lektüre so dünn wie möglich auf das Brot seiner Reisetage zu streichen, war er beim Blättern auf eine weitere gestoßen, die seine Aufmerksamkeit erregte:

»Das Geheimnis des Vorankommens ist das Anfangen.«

Das gefiel ihm. Er paddelte schneller und nahm sich vor, Mark Twains Erkenntnisse fortan als Leitfaden für seine Reise zu nutzen.

Er spürte, wie sich seine Muskeln an die Strapazen gewöhnten. Die ersten Stunden jedes Tages im Boot waren mühsam, doch...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
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ISBN-10 3-641-27304-8 / 3641273048
ISBN-13 978-3-641-27304-0 / 9783641273040
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