Minna. Kopf hoch, Schultern zurück (eBook)

Mütter-Trilogie 1 - Roman (Nominiert für den DELIA-Literaturpreis 2023)
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
608 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-28690-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Minna. Kopf hoch, Schultern zurück -  Felicitas Fuchs
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Die guten Momente festhalten. Und niemals aufgeben!
Düsseldorf 1924. Die junge Schneiderin Minna stammt aus einfachen Verhältnissen und kommt mit großen Hoffnungen in die mondäne Stadt. Sie will glücklich werden, sich aus der Armut befreien und eine Familie gründen. Als sie sich in den wohlhabenden Fred verliebt, scheinen sich alle Wünsche zu erfüllen. Doch ihr starker Wille und ihr Erfolg als Schneiderin stellen die Ehe immer wieder auf die Probe. In der Zeit, in der sie lebt, gibt es kein Verständnis für eine Frau, die eigene Entscheidungen trifft. Schon bald muss Minna zwischen den Konventionen und ihren Wünschen wählen, und ihre Träume scheinen in weite Ferne zu rücken. Doch Minna kämpft gegen alle Widerstände um ihr Glück.

Felicitas Fuchs ist das Pseudonym der Erfolgsautorin Carla Berling, die sich mit Krimis, Komödien und temperamentvollen Lesungen ein großes Publikum erobert hat. Schon bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete, war sie als Reporterin und Pressefotografin immer sehr nah an den Menschen und ihren Schicksalen. Für ihre historischen Familienromane lässt sie sich gern von Geschichten aus dem wahren Leben inspirieren. Mit ihrer Mütter-Trilogie gelang ihr auf Anhieb ein SPIEGEL-Bestsellererfolg.

1

Minna

März 1924

Minna brauchte eine Menge Selbstbeherrschung, um nicht wie ein übermütiges Mädchen zu hüpfen.

Brust raus, Schultern zurück, Bauch einziehen, den Blick geradeaus.

Schreiten. Gehen wie eine Dame. Die Mahnung der Mutter im Ohr: »Füße auf zwölf Uhr, nicht wie eine Ente watscheln, kleine Schritte. Haltung, Minna. Und keine ungestümen Blicke!«

Aber das Lächeln und die Blicke kamen von selbst. Es ging ihr gut. Und hier war einfach alles schön: Die Auslagen der Geschäfte, in denen endlich wieder Waren lagen, die blanken Fenster in den Fassaden der hohen Häuser, die Laternen entlang der belebten Straßen. Die Menschen, denen die Hoffnung an den Gesichtern abzulesen war. Düsseldorf. Es war wirklich wahr geworden: Nun lebte sie hier, in der Großstadt, in der Oststraße, mittendrin.

In diesem März 1924 war Minna Wolf neunzehn Jahre alt. Sie hatte das Kaiserreich erlebt, den Großen Krieg, die Nachkriegszeit, die Inflation und die Währungsreform. Aber jetzt ging es bergauf! Jetzt würde das Leben endlich leichter und schöner werden. Die Zukunft lag vor ihr und einer ganzen Generation, die alles besser machen konnte.

Der Krieg hatte Entsetzliches angerichtet, auch in Minnas Leben. Ihr Vater war gefallen, im Sommer 1918, während sie zur Kinderlandverschickung in Pommern gewesen war. Nichts war danach mehr, wie es vorher gewesen war. Die Mutter stand mit vier minderjährigen Kindern allein da. Hunger, Armut, Tristesse und Hoffnungslosigkeit hatten fortan das Leben bestimmt. Zwei Jahre später hatte Mutter den Hubert geheiratet. Wie froh war sie gewesen, dass sie noch einen Mann bekommen hatte. Aber das Glück hatte nicht lange gehalten, sie hatten dafür bezahlt, alle.

Gut, dass er weg war. Hoffentlich würde er nie mehr zurückkommen.

Minna blieb vor einem Hutgeschäft stehen und bestaunte die Auswahl. Vor dem Schaufenster eines Zigarrenladens nebenan unterhielten sich drei Männer. Gesprächsfetzen drangen zu ihr herüber.

»Haben Sie gehört, zwei Zeitungen waren verboten, den Direktor Vogt von der Firma Bagel haben sie zu dreißig Tagen Gefängnis und 200.000 Mark verurteilt, weil er Druckaufträge für die Besatzung abgelehnt hat! Wohin soll das führen?«

»Ja, die Willkür wird Tag für Tag schlimmer. Ich las von dem Polizeibeamten, den sie zu einer Woche Gefängnis verurteilt haben, weil er einen französischen Offizier nicht gegrüßt hat. Und ein Eisenbahnsekretär bekam sogar sechs Monate Gefängnis, weil er Flugblätter verteilte …«

Minna ging weiter. Sie hatte keinen Sinn für Politik, die Überschriften auf den Titelseiten der Zeitungen überflog sie nur, und wenn ihre Brüder diskutierten, hörte sie meistens nicht hin. »Was in der Welt passiert, ist zu viel für mein Oberstübchen. Ich lebe hier und heute in meiner Welt, die muss ich gestalten, darin muss ich mich zurechtfinden, sonst nirgends!«, hatte sie erst neulich zu Karl gesagt.

Kopfschüttelnd hatte er geantwortet: »Jeder ist Teil der Gemeinschaft und kann sie durch sein Verhalten und seine Taten beeinflussen.«

»Aber es gibt doch nicht eine, sondern viele Gemeinschaften! Familie, Kollegen, Freunde … Wen willst du durch welche Taten beeinflussen?«

»Manchmal stellst du dich dümmer, als du bist.«

»Ach Karl, das ist Unsinn. Ich bin ein normales Mädchen, ich mag Kleider und Hüte, Bücher und Musik, fröhliche Feste und nette Leute. Ich kann zuschneiden, nähen und sogar kochen, wenn es Lebensmittel gibt. Ich kann singen, Walzer tanzen und Witze erzählen.« Sie hatte ihren Bruder herausfordernd angeschaut. »Was kann eine Gemeinschaft mit mir anfangen?«

Karl hatte geschmunzelt. »Wenn wir mehr Frohnaturen von deiner Sorte hätten …«

Minna hatte keine Geduld für ein weiteres Gespräch gehabt. Sie konnte Karl oft nicht folgen, aber vielleicht hatte er recht, und sie wollte es gar nicht. Nun war er weg, wohnte viele Kilometer entfernt und wurde hoffentlich glücklich. Vielleicht fand er bald eine Frau. Er war jetzt einundzwanzig, volljährig, hatte Arbeit. Und er war ja fesch, groß, mit breiten Schultern und treuen blauen Augen. Aber Karl war auch oft schwermütig, so tiefsinnig. Ob das mit seiner Krankheit zusammenhing?

Minna hingegen wollte unbeschwert sein, alles vergessen, was sie in den dunklen Jahren zum Weinen gebracht hatte. Sie wollte keine Angst mehr haben, keinen Hunger, nicht mehr frieren. Sie wollte leben!

Schön will ich es haben, schön!, dachte sie. Und hier und heute in Düsseldorf standen die Zeichen auf Hoffnung. Gleich würde sie Anni wiedersehen. Das zählte, hier und jetzt.

Minna schritt von einem Schaufenster zum anderen, blieb immer wieder stehen, lächelte ihrem Spiegelbild zu. Sie war ziemlich groß für ein Mädchen, schlank, modisch gekleidet, trug zum taillierten Wollmantel den passenden Muff und einen kecken blauen Hut. Ihre grauen Augen glänzten, die geschwungenen Brauen waren schmal gezupft, die Lippen dezent geschminkt. Sie musste nachher nur daran denken, die Farbe vom Mund zu putzen, bevor sie nach Hause ging. Mutti mochte es nicht, wenn sie sich schminkte.

Minna suchte nach den Hausnummern. Da vorn musste es sein! Vor dem Geschäft blieb sie stehen.

Brinkmanns Schuhwarenhaus

Elegante und robuste Schuhwaren und Schuhreparaturen

Werkstatt um die Ecke

Ein Glöckchen über der Tür klingelte, als Minna eintrat.

»Einen Moment Geduld bitte, ich bin gleich für Sie da!«, rief eine Männerstimme.

»Danke, ich warte«, gab sie zurück.

Sie sah sich um. Die Wände waren bis obenhin mit Regalen bedeckt, in denen ein Schuhkarton auf den anderen gestapelt war. Eine hohe Leiter war an einer umlaufenden Stange eingehakt und konnte hin und her geschoben werden. Um eine Säule in der Mitte des Raumes waren Sitzbänke gebaut, vor denen kniehohe, schräg aufgestellte Spiegel den Blick auf Fuß und Schuh ermöglichten. Es roch nach Leder, Schuhcreme und Bohnerwachs, mit dem der Fußboden offenbar gepflegt wurde. Das war also Annis Arbeitsplatz.

Minna hörte Stimmen. Neugierig trat sie ein paar Schritte bis zum Tresen vor, um zu verstehen, was hinter dem Samtvorhang geredet wurde.

Als plötzlich die Türglocke klingelte, erschrak sie und fuhr herum.

Ein Herr trat ein, lüftete seinen Hut, nickte zum Gruß.

Die Stimme hinter dem Vorhang wurde lauter. »Fräulein Anni! Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass Sie vernünftige Wäsche zu tragen haben! Sie wissen genau, dass die meisten unserer Kunden männlich sind, und es ist wichtig, dass sie einen entsprechenden Anblick haben, wenn Sie auf der Leiter stehen!«

Eine Frau sagte leise: »Ja.«

»Wie bitte?«

»Jawohl, Herr Brinkmann.«

Minna schnappte nach Luft. Sie wagte es nicht, sich umzudrehen. Wie peinlich, wenn der Kunde an der Tür dasselbe hörte wie sie!

Die Männerstimme sagte: »Für heute ist es genug. Kommen sie da runter, gehen Sie nach Hause und denken Sie darüber nach, wie man sich in einem Geschäft zu benehmen hat.«

Das war ohne Zweifel Anni, die da abgekanzelt wurde. Hatte Minna richtig gehört? Es ging um ihre Unterwäsche? Minna schaute an den Regalen hinauf und bemerkte, dass offenbar alle Kartons mit Herrenschuhen oben standen und nur mit der Leiter erreicht werden konnten.

Als der Vorhang zur Seite geschoben wurde, ein schmächtiger Mann herauskam, an seinem Jackett zupfte und ein beflissenes Lächeln aufsetzte, stand Minna mit empörtem Blick vor ihm.

Der Mann legte den Kopf schief, schaute Minna an, dann den Herrn hinter ihr. Er faltete die Hände vor dem Bauch. »Gnädiges Fräulein, Herr Molitor, guten Abend, die Herrschaften wollen bitte vielmals entschuldigen, dass sie warten mussten, das Personal …«, er warf einen übertriebenen Blick zum Himmel, bevor er sein Verkäuferlächeln wieder anknipste. »Wen darf ich zuerst bedienen, die Dame oder den Herrn?«

Minna schluckte und bemühte sich um Höflichkeit, aber ihre Augen funkelten vor Wut.

»Ich möchte Fräulein Anni abholen. Wir sind verabredet.«

»Soso, verabredet.« Brinkmanns Mundwinkel sackten herab, eine Augenbraue schnellte hoch. Er eilte zur Tür, öffnete sie weit und wies mit ausladender Handbewegung nach draußen. »In diesem Fall warten Sie am Hintereingang neben der Werkstatt.«

Wütend stapfte Minna an ihm vorbei. So ein arroganter Pimpf! So ein Lustmolch, so ein Widerling! Wie beschämend, wie peinlich, wie bodenlos unanständig … Sie steckte die Hände in ihren Muff und ballte sie darin zu Fäusten.

Wenige Minuten später trat Anni auf die Straße, erkannte ihre Freundin und stürmte auf sie zu. Sie fielen sich in die Arme – meine Güte, sie hatten sich seit dem letzten Sommer nicht gesehen.

Anni schob Minna ein Stück von sich weg. »Seit wann sind die Zöpfe ab?« Mit spitzen Fingern zupfte sie an der dunklen Locke, die unter Minnas Hütchen hervorlugte, und fasste sich dann an ihren eigenen hellblonden Zopf, den sie im Nacken zu einer Schnecke gedreht hatte. »Vati würde mir nie erlauben, einen Bubikopf zu tragen. Er sagt, eine deutsche Frau hat langes Haar.«

Minna gefiel Annis Haar, es passte wunderbar zu ihren blauen Augen und den Sommersprossen auf der Nase.

Anni sah prüfend an Minna herab. »Und einen schicken Mantel hast du an, wie eine richtige Großstädterin siehst du aus. Die Eltern freuen sich auf dich, es gibt...

Erscheint lt. Verlag 14.6.2022
Reihe/Serie Mütter-Trilogie
Mütter-Trilogie
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1920er • 1930er • 1940er • 2022 • 2. Weltkrieg • Die Wunderfrauen • Düsseldorf • eBooks • Familie • Familiensaga • Familienschicksal • Frauenromane • Freundschaft • Goldene Zwanziger • Historische Romane • Liebe • Liebesromane • Minden • Mutter-Tochter-Roman • Neuerscheinung • Ruhrpottsaga
ISBN-10 3-641-28690-5 / 3641286905
ISBN-13 978-3-641-28690-3 / 9783641286903
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