Gretas Erbe (eBook)
416 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-44020-2 (ISBN)
Nora Engel ist das gemeinsame Pseudonym der beiden Autorinnen Danela Pietrek und Tania Krätschmar. Danela Pietrek studierte Französisch und Philosophie, Germanistik, Theaterwissenschaften und Komparatistik. Sie arbeitete beim Film, war Producerin, schreibt Drehbücher und hat mehrere Romane veröffentlicht. Sie lebt in Hamburg und hat zwei Töchter. Tania Krätschmar ist gelernte Buchhändlerin, hat in Berlin und den USA Germanistik studiert und in Manhattan als Bookscout gearbeitet. Seit 2009 schreibt sie erfolgreich Frauenromane, einer davon wurde bereits verfilmt. Die Autorin hat einen Sohn und lebt in Berlin.
Nora Engel ist das gemeinsame Pseudonym der beiden Autorinnen Danela Pietrek und Tania Krätschmar. Danela Pietrek studierte Französisch und Philosophie, Germanistik, Theaterwissenschaften und Komparatistik. Sie arbeitete beim Film, war Producerin, schreibt Drehbücher und hat mehrere Romane veröffentlicht. Sie lebt in Hamburg und hat zwei Töchter. Tania Krätschmar ist gelernte Buchhändlerin, hat in Berlin und den USA Germanistik studiert und in Manhattan als Bookscout gearbeitet. Seit 2009 schreibt sie erfolgreich Frauenromane, einer davon wurde bereits verfilmt. Die Autorin hat einen Sohn und lebt in Berlin.
Prolog
Kirchheim an der Weinstraße,
Sommer 1953
Maria stieg vom Fahrrad. Sie war barfuß, auf ihren nackten Füßen hatte der trockene Lehm, über den sie gefahren war, feinen roten Staub hinterlassen. Rasch zog sie ein Taschentuch aus ihrer Rocktasche und wischte sich damit übers Gesicht, strich sich das schulterlange, glatte Haar zurück. Es war der dritte heiße Augusttag hintereinander mit fast vierzig Grad.
Auf dem Hof hatte Elfriede Hellert wie immer das Mittagessen zubereitet. Seit zwei Jahren war es Marias Aufgabe, dieses den Männern zu bringen, die auf den zwei Weinbergen der Hellerts arbeiteten.
Sie war etwas später dran als sonst. Der Anstieg zum südlichen Hang war mit dem Rad für die Sechzehnjährige, so zart und zierlich, wie sie war, in der Hitze besonders beschwerlich gewesen. Immer wieder hatte sich ihr roter Tellerrock in den Speichen verfangen.
Auf dem Rücken trug sie einen großen Rucksack, der gefüllt mit gekühlten Getränken war. Hinten und vorn auf dem Fahrrad standen Körbe, in denen sie Essen, Geschirr und Besteck transportierte.
Als Maria die Körbe abgenommen hatte, legte sie das Fahrrad am Wegesrand ab. Nur selten kam jemand außer den Hellerts hier herauf. Dann griff sie die Körbe und trat in eine der Rebreihen, die zu der alten Ulme führte, dem bevorzugten Rastplatz der Männer. Gebückt unter der schweren Last lief sie auf der Schattenseite der Reihe entlang.
Auch hier war die Erde trocken und rissig. Und obwohl die Menschen unter der Hitze litten, für den Wein war sie gut. Bei jeder Mahlzeit, die Maria mit den Hellerts einnahm, drehten sich die Gespräche irgendwann um das Wetter. Beschwingte Stimmung herrschte, wenn es so warm war wie jetzt, sorgenvoll und alarmiert war die Familie, wenn ein Gewitter das zu vernichten drohte, wofür sie das Jahr über gearbeitet hatten. Sie sprachen auch oft über Politik. Denn gern politisierte Harald Hellert, während Elfriede Hellert, die Kinder und Maria ihm lauschten. Über die Krönung der Queen Elizabeth hatte er berichtet, eine junge Frau an der Spitze des Commonwealth. Im Juni erst hatte Herr Harald sich über den Aufstand in der DDR ereifert, hatte verurteilt, wie von Staatsseite auf die protestierenden Arbeiter geschossen und so der Aufstand unterdrückt wurde. Da hatte ihm Maria aufmerksam zugehört und sich später vorgestellt, wie es sein musste, gegen den eigenen Staat zu revoltieren und bereit zu sein, dafür den Tod in Kauf zu nehmen. Sie war sich nicht sicher, ob sie den Mut dazu aufbringen würde. Was sie vor allem aber nicht verstand: Ein Staat sollte seine Bürger doch schützen, nicht verfolgen und töten. Das war schließlich der Unterschied zwischen dem demokratischen und dem nationalsozialistischen Deutschland, oder? Und die DDR hatte das »demokratisch« sogar im Namen.
Als Harald Hellert sie sah, rief er ihr zu: »Dräm net rum. Wir sind am Verhungern, und mächtigen Durst haben wir auch!«
Die Männer waren bis zum Ende der Reihe gekommen. Meist schaffte Harald die Arbeit auf dem Weinberg allein. Doch wenn es zu viel wurde, holte er sich tageweise zwei oder manchmal sogar drei junge Burschen aus dem Dorf dazu, die ihn unterstützten und nicht viel kosteten. So wie in dieser Woche.
Sie hatten die Triebe angebunden, um sie vor Windbruch zu schützen, und warteten bereits im Schatten der alten Ulme auf Maria. Maria wusste: Wenn Herr Harald ins Pfälzische verfiel, war das ein klares Anzeichen, dass er ungeduldig wurde. Besser, sie beeilte sich. Die letzten Meter lief sie schneller, auch wenn die Riemen des Rucksacks mit jedem Schritt tiefer in ihre Schultern schnürten. Elfriede Hellert hatte ihr heute Morgen einen scharfen Blick von der Seite zugeworfen, als sie in der kurzärmeligen, ausgeschnittenen Bluse die Küche betreten hatte. Sofort hatte Maria sich entschuldigt: »Ich war gestern Abend so müde. Ich habe es nicht mehr geschafft, die andere auszuwaschen.«
»Ja, ist ein heißer Sommer dieses Jahr«, hatte Elfriede Hellert nur gemeint. »Aber wenn du später zu den Männern auf den Weinberg gehst, ziehst du dir was über!« Ihr war nicht entgangen, dass Maria weibliche Formen bekam – und sie hatte den Gesichtsausdruck der Männer bemerkt, wenn sie das blonde Mädchen sahen.
Aber Maria hatte ihr leichtes Tuch vergessen.
Als sie bei Harald Hellert und den zwei Gehilfen ankam, stellte sie die beiden Körbe ab. Harald nahm ihr den Rucksack von den Schultern. Einer der Burschen schlug das karierte Leinentuch zurück, mit dem Elfriede das Essen abgedeckt hatte, und warf es seinem Kollegen zu. Heute gab es Grumbeersalat mit Wurst und als Nachtisch einen Apfelkuchen. Der zweite Arbeiter musterte Maria kurz, bevor er das Leinentuch auf dem Boden ausbreitete, damit es als Tischdecke diente, und nahm aus dem zweiten Korb Teller und Besteck, um den »Tisch zu decken«.
»Komm, setz dich zu uns. Hast du schon gegessen?«, fragte Harald Hellert wohlwollend.
»Ja, unten mit den Kindern«, antwortete Maria. »Ich soll das Geschirr gleich wieder mitnehmen, hat Frau Elfriede gesagt.« Seit sie bei den Hellerts war, nannte sie Elfriede und Harald »Frau« und »Herr«. Nur Elfriede und Harald wäre respektlos gewesen, »Frau Hellert« und »Herr Hellert« zu distanziert, und Mutter und Vater – das waren sie nun mal nicht.
Harald nickte. »Geht’s meiner Frau gut?«
»Eigentlich schon, aber die Hitze macht ihr zu schaffen. Ihre Füße sind ganz geschwollen.«
»Wird Zeit, dass das Kind kommt«, grummelte Harald und nahm sich von dem Salat, während Maria unschlüssig neben ihm stehen blieb. »Und es wird Zeit, dass die Buwen hier auf dem Feld mit anpacken.«
Maria kicherte. »Na, das wird aber noch ein paar Jahre dauern, Herr Harald. Der Johann ist doch erst vier, und Robert steckt noch in den Windeln. Auch wenn er schon ganz stolz meint, keine mehr zu brauchen.«
Harald schlug sich amüsiert vor die Stirn. »Wie konnte ich das nur vergessen. Sprechen und singen kann er schon, der kleine Lump, aber in die Windeln …« Er sah sie aufmerksam an. »Wird es dir nicht zu viel, wenn das Kleine kommt, Maria? Dann musst du auf drei Racker aufpassen.«
Maria sah ihn ernst an: »Aber Sie wissen doch, Herr Harald, wie sehr ich Kinder mag. Besonders Ihre.«
Harald nickte kauend. »Du bist uns wirklich eine große Hilfe, Mädsche. Und meine Frau, na, die ist im Moment vielleicht manchmal ein bisschen ungeduldig, weil gerade alles eben nicht so leicht ist für sie.«
Maria verstand, was er ihr sagen wollte, und freute sich über das versteckte Lob. Denn letztendlich war sie im Moment allein für die Kinder verantwortlich, wusch die Wäsche, auch Roberts schmutzige Windeln. Aber das störte sie nicht. Sie war dankbar, dass sie nach dem Tod ihrer Mutter im vergangenen Winter bei den Hellerts hatte bleiben dürfen. Sie sei jetzt so etwas wie die Haustochter, hatte Elfriede gesagt und sie kurz an sich gedrückt, als sie vom Friedhof zurück auf den Hof gegangen waren.
Frau Elfriede hatte ihr geholfen, die wenigen Sachen der Mutter zusammenzupacken. Viel war es nicht gewesen. Die Kleidung hatten sie in einen Karton gelegt. Maria hatte das einzige Foto, das es von ihr und ihrer Mutter gab, von dem kleinen Nachttisch genommen und es auf ihren gestellt. Der Nachbar hatte es letztes Jahr auf seinem großen Weinfest aufgenommen. Maria erinnerte sich noch gut daran. Sie war froh, dass sie dieses Foto von sich und ihrer Mutter besaß. Ganz nah hatte sie neben ihrer Mutter gestanden, und in dem Moment, wo das Foto gemacht wurde, hatte die Mutter, statt in die Kamera zu blicken, ihr liebevoll zugelächelt.
Ein halbes Jahr nach dem Hoffest war die Mutter gestorben, und allmählich verblasste deren Antlitz in ihrer Erinnerung. Seit dem Tag der Beerdigung bedachte Maria das Foto jeden Abend mit einem Luftkuss, bevor sie die Augen schloss.
Maria hatte sich nun doch unter die Ulme gesetzt und lehnte mit dem Rücken gegen den breiten Stamm. Für einen kurzen Augenblick schloss sie die Augen und genoss den kühlen Luftzug, der über ihr Gesicht wehte. Als die Männer das Geschirr klappernd zusammenstellten, blickte sie auf und erhob sich. Umsichtig stellte sie Gläser und Teller wieder in die Körbe, deckte das karierte Tuch ordentlich darüber. »Bis heute Abend«, sagte sie und winkte Harald Hellert zu, der mit seinen Arbeitern bereits in der nächsten Reihe begonnen hatte, weitere Triebe anzubinden.
Mit den deutlich leichteren Körben lief sie beschwingt zu ihrem Fahrrad, stellte es auf und befestigte die Körbe darauf. Sie freute sich. Was für ein Vergnügen war es jetzt, sich langsam den Feldweg nach unten rollen zu lassen! Doch als sie aufsteigen wollte, sah sie, dass sie vorne einen Platten hatte. Und sie hatte die Luftpumpe nicht dabei. Die lag im Schuppen auf dem Regal. Gestern hatte sie mit Johann gespielt, ihm immer wieder Luft damit ins Gesicht geblasen, dass der Kleine jedes Mal laut aufgejuchzt hatte und vor ihr weggelaufen war, um dann gleich wieder erwartungsvoll stehen zu bleiben, um die nächste Luftspritze zu bekommen.
Es half nichts: Seufzend schob sie das Fahrrad den Feldweg entlang. Sie war noch nicht weit gekommen, als hinter ihr ein tuckerndes Motorengeräusch erklang. Sie sah sich um. Ein Traktor, dessen Anhänger mit alten, verdorrten Weinstöcken gefüllt war, kam auf sie zu. Rasch schob sie das Fahrrad zur Seite, um ihn vorbeizulassen. Nur wenige Weinbauern hatten einen Traktor wie diesen soliden Allgaier, der hellgrün lackiert war wie ein frisch ausgetriebenes Weinblatt. Maria kannte den Mann auf dem Fahrersitz und grüßte.
Zu ihrer Überraschung fuhr er nicht an ihr vorbei, sondern hielt wenige Meter vor ihr...
Erscheint lt. Verlag | 1.4.2022 |
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Reihe/Serie | Die Winzerin-Reihe | Die Winzerin-Reihe |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 70er • Carmen Korn • der Winzerhof • Die Wunderfrauen • Erbe • Familie • Familiengeheimnis • Familiengeschichte • Familienroman • Familiensaga • Frauenroman • Frauenunterhaltung • Generationenroman • Geschenk für Frauen • Gesellschaftsroman • Ku'damm 56 • Lebensglück • Liebe • Liebesroman • Liebesromane für Frauen • Mut • Natur • Pfalz • Reben • Rivalen • Saga • Schicksale und Wendepunkte • Siebzigerjahre • Ulrike Renk • Verrat • Wein • Weinanbau • Weinbau • Weinberge • Weingut-Saga • Winzer • Winzerfamilie • winzerin • Winzerinnen • Ziehkind |
ISBN-10 | 3-423-44020-1 / 3423440201 |
ISBN-13 | 978-3-423-44020-2 / 9783423440202 |
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