Heilige Schrift I (eBook)

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
912 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491559-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Heilige Schrift I -  Wolfram Lotz
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Und plötzlich dachte ich: Es wäre einmal tatsächlich über ALLES zu schreiben, genau an diesem Ort, an dem für mich erstmal so wenig ist. Das Dorf, das Flimmern des Internets, die Nachbarskatze, die kleinen Bewegungen, Donald Trump und die Schönheit, Miley Cyrus und Peter Handke, die spielenden Kinder, das Nachdenken über Theater und Literatur, der Himmel über dem Weinberg und das Überleben zwischen den alltäglichen Dingen, schreibend, Tag für Tag - die Heilige Schrift handelt von dem radikalen Versuch, das Leben möglichst vollständig und unmittelbar zu erfassen, mit allen literarischen Mitteln. In einem kleinen Dorf in Frankreich schreibt Wolfram Lotz ein Jahr lang mit, jeden Tag, von morgens bis nachts. Knapp 3000 Seiten. Kurz danach löscht er den entstandenen Riesentext wieder. Dennoch liegen nun über 900 Seiten vor, weil er im Frühjahr 2018, noch während der Arbeit, den Anfang des Textes per Mail an einen Freund geschickt hat. »Heilige Schrift I« ist das poetische Dokument eines wahnwitzigen Projektes, das sich dem puren Exzess öffnet und dabei zeigt, was es wirklich bedeutet, über die Gegenwart zu schreiben.

Wolfram Lotz, geboren 1981 in Hamburg, wuchs im Schwarzwald auf. Er studierte Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft in Konstanz und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2011 gewann er mit DER GROSSE MARSCH u.a. den Kleistförderpreis und den Publikumspreis des Berliner Stückemarktes. In der Kritikerumfrage von Theater heute wurde er zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt. Nach dem Erfolg von EINIGE NACHRICHTEN AN DAS ALL erhielt er 2012 den Dramatikerpreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft und 2013 den Kasseler Förderpreis für Komische Literatur. DIE LÄCHERLICHE FINSTERNIS wurde 2015 zum Berliner Theatertreffen und zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Im selben Jahr erhielt Wolfram Lotz den Nestroypreis für das Beste Stück und wurde in der Kritikerumfrage von Theater heute zum Dramatiker des Jahres gewählt.

Wolfram Lotz, geboren 1981 in Hamburg, wuchs im Schwarzwald auf. Er studierte Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft in Konstanz und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2011 gewann er mit DER GROSSE MARSCH u.a. den Kleistförderpreis und den Publikumspreis des Berliner Stückemarktes. In der Kritikerumfrage von Theater heute wurde er zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt. Nach dem Erfolg von EINIGE NACHRICHTEN AN DAS ALL erhielt er 2012 den Dramatikerpreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft und 2013 den Kasseler Förderpreis für Komische Literatur. DIE LÄCHERLICHE FINSTERNIS wurde 2015 zum Berliner Theatertreffen und zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Im selben Jahr erhielt Wolfram Lotz den Nestroypreis für das Beste Stück und wurde in der Kritikerumfrage von Theater heute zum Dramatiker des Jahres gewählt.

In ›Heilige Schrift I‹ steht Alltägliches neben Poetologischem. Ein Glücksfall für die Literatur.

Innensichtlich kleiner ist kaum möglich [...] Beflissene und Nostalgiker lesen im Sommer Proust, alle anderen in diesem Jahr Wolfram Lotz.

Der Kraft und dem Charme von Wolfram Lotz' ›Heilige Schrift I‹ kann man sich kaum erwehren, warum sollte man das auch wollen?

Der Dramatiker Wolfram Lotz hat ein Jahr lang sein Leben mitgeschrieben. [...] Will man das lesen? Man muss!

ein flirrendes Lesevergnügen!

Was Wolfram Lotz hier liefert, ist nicht weniger als seine vorsichtige Poetik, die darin besteht, im Schreiben die Welt überhaupt erfahren und verstehen zu können.

8.8.2017

ACHTER AUGUST

ZWEITAUSENDSIEBZEHN

 

so

jetzt

mal hingeschrieben

 

 

Vor mir hier Fichten Fichten Fichten

der Wald, beim Blick aus – ja – meinem KINDERZIMMER

 

Die letzten Tage, als ich mich plötzlich entschieden hatte, hier für diese Form jetzt, für das Jahr, das wir in Frankreich sein werden, auf diesem Dorf, da war sofort klar, dass ich hier also im Schwarzwald schon damit beginnen werde, bei meinen Eltern, in diesen zwei Wochen, vorher

 

Weil es eher wahrscheinlich und vor allem darum geht: Von L jetzt fort zu sein, von dieser Finsternis dort im letzten Dreivierteljahr

 

Und schreibend hier jetzt etwas Anderes zu suchen, das Feld zu öffnen

nochmal neu

 

Nicht für irgendjemanden, sondern jetzt eben nur für mich

aber mit der Möglichkeit der Kommunikation, des Gehörtwerdens, das schon

Für mich, aber dadurch zu den anderen hin

 

So wie Schreiben ja immer sein soll, für mich jedenfalls

SELBSTGESPRÄCH BEI OFFENEM FENSTER

dieses merkwürdige Sowohlalsauch

 

Und deshalb auch die Idee, das hier eventuell doch auch ins Internet zu dingsen

irgendwo, wo es vielleicht nicht aufzufinden ist, aber potentiell doch

 

Oder dass es später die Freunde lesen können, damit sie wissen: Der sitzt da auf dem Dorf, aber der ist noch da

Heute hat er Brokkoli gegessen

Also: Als Lebenszeichen

 

Aber natürlich habe ich von diesem technischen Kram HOMEPAGE SERVER DOMAIN gar keine Ahnung, und alles liegt wieder angefangen da, bis wann –

 

Jetzt wird erstmal hier geschrieben, alles andere, wenn überhaupt, später

jetzt

SCHREIBEN

 

 

Immer, wenn möglich, vormittags hieran schreiben, neben dem FRANKFURT- und dem HAMBURG-Vortrag vor allem, so hatte ich es gedacht

 

Und abends, nachts vielleicht noch, neben dem Politiker-Stück, vielleicht, wenn das Stück das überhaupt zulässt

 

Und natürlich spüre ich sofort ein Bedauern, dass das hier keine EXZESS-Form sein kann, und zugleich denke ich auch: nein, ist genau richtig

Es soll eben keine Anti-Sozial-Form werden, sondern für mich und für die, die um mich herum sind, absolut gut erträglich

 

Weil O und E das auch nicht zulassen, die brauchen ihre Zeit, GEGEN das Schreiben, und das ist einerseits immer bedauerlich, weil sie den für’s Schreiben ja so wichtigen inneren Ständig-Durchlauf jedes Mal unterbrechen, andererseits aber eben halt aufbrechen zum Leben hin, was ja genau richtig ist –

 

 

Tobias vom Schauspielhaus will wissen per SMS, wann wir telefonieren können wegen – ach ach ach

Heute nicht, morgen, heute habe ich doch jetzt gerade hier begonnen, Tobias, du verstehst –

 

Ein bisschen festlich ist das schon auch

 

 

Für mich ist klar, dass das hier – im Gegensatz zu meinem Schreiben sonst – eine Form sein soll, die es total gut verkraftet, wenn O oder E zur Tür hereinkommen, mit ihrem Kram, ihren Lego-Autos, was auch immer

Das zerreißt mir ja sonst immer den Fluss

Aber hier soll das eben gerade der Modus sein! Nicht das wahnmäßige Reinbegeben in die eigene was, innere, vielleicht: Höhle?

Sondern schreibend noch immer und besonders: wach nach außen – Weitung, Leichtigkeit

 

Auch und gerade jetzt, wo ja die Gefahr der Verkniestelung in mir so stark ist, nach dem Finster-Wahnsinn in Leipzig mit der Jena-Bewerbung, der ganzen traurigen Zerstörung der Freundschaften

 

Seltsam, aber es ist klar, dass das jetzt einer Technik bedarf auch, dieses Schreibens, damit ich nicht noch mehr zu einem

 

 

Das soll auch ein Text sein, der immer mitläuft, damit ich an ihm sehen kann, wo ich zu Eisen werde, wo ich kalt werde, damit ich es merke, bevor es zu spät ist

 

Ich merke die Gefahr gerade, das war jetzt einfach alles zu viel, da ist in mir was kaputt gegangen, wenn ich das nicht alles bedenke und behandle und besehe, dann geht da wirklich was von mir verloren

 

 

Tobias: Ja, das geht gut. Bin bis morgen 14 Uhr erreichbar

Gut, also, dann bis morgen!

Danke

 

 

Heute in der NZZ

FATAL

Interview mit Daniel Kehlmann

er sagt zum Beispiel direkt am Anfang über einen gerade gemachten Schweiz-Urlaub:

 

Einfach das Gefühl

in den Bergen zu sein

und dieses gute alte Abendland

um sich zu haben

 

Als Anti-Trump-Beruhigungsgefühl meint er, aber sowas, als Reaktion, sich hier jetzt halt total wohlzufühlen, als Antwort

oh my, bitte nicht

 

 

Aber in London und New York habe ich lebendiges, originelles Gegenwartstheater erlebt

 

Was verstehen Sie darunter?

 

Stücke, die echte Geschichten erzählen und von Menschen handeln

 

Danke, Herr Kehlmann, ich danke Ihnen für das Gespräch

Tschüss

 

 

Hier rauscht der Fluss so laut

 

 

Weiter an der Notizensammlung für den Hamburg-Vortrag

Weniger schreiben, mehr Ordnung machen, ohne es kleinzuordnen, offen lassen

 

Das ist die Gefahr, jedes Mal, die Notizen erzählen ja vielmehr in ihrer Wirrheit, und dann müssen sie doch etwas geordnet werden, und das gibt jedes Mal auch diesen Verlust, der mich so deprimiert

 

Letztlich ist das der Realitätsverlust durch das Erzählen

 

Behutsam behutsam behutsam, da ist ja eine innere Logik drin, die ganz flirrend ist

 

Und deshalb hier, in diesem Ding, jetzt ja gerade auch diese Form: alles so, wie es hinkommt, nichts bearbeiten, keine Peinlichkeiten raus, keine nachträglichen Irgendwas rein

 

TEXT

VERTRAUEN

 

 

Muss hier jetzt auch rein, dass es regnet?

UNBEDINGT

 

 

In der Küche gerade

 

halbe Pflaume stiebitzt

 

Mein Vater liest den Schwarzwälder Boten

Headline heute:

Miau!

Der 8. August ist der internationale Tag der Katze

 

So, jetzt aber weiter an HAMBURG

 

 

O oder E oder beide hauen unten grad auf dem Klavier meiner Mutter rum

ganz wirr und mit größter Freude

 

Die verstehen was von den Dingen

Genauso will ich es doch hier auch machen, auf diese Art

 

Ich geh jetzt doch nochmal zu ihnen runter

 

 

O und E haben das Zimmer unten legomäßig schon KOMPLETTVERWÜSTET

 

 

E: Wo ist mein Superritter?

 

Wer?

 

Mein Superritter

 

Hier vielleicht, der?

 

Nein

 

Der hier?

 

Nein

 

 

Als Mathias hörte, dass wir für ein Jahr in dieses Dorf nach Frankreich ins Elsass gehen, hat er gesagt: Oh toll, dann wanderst du bestimmt da so durch die Wälder wie Peter Handke und schaust dir alle Pilze an

Und wie mich da sofort das Grauen überkam, natürlich vor allem vor mir selbst, weil die Gefahr dieser bestimmten Form der – ja, halt eben doch: Verblödung in mir massiv vorliegt

Und das weiß ich ja

Ich habe ja als Naturlyriker angefangen!

So, jetzt steht’s hier, aber bitte: Das muss trotzdem unter uns bleiben

 

Und jetzt schon hier, die Bäume im Schwarzwald, vor dem Fenster

Und klar habe ich Lust sie zu beschreiben, den Ort

trotz bzw. gerade wegen Verblödungsgefahr

 

Vielleicht morgen, übermorgen

 

 

Wie ich vor einigen Tagen glücklicherweise noch in die kleine Kiste mit den wenigen Büchern, die ich mitnehme nach Frankreich, hineingeworfen habe: M.L. Kaschnitz – Beschreibung eines Dorfes

 

Das war mir plötzlich noch eingefallen

Ein Buch, das zwar unter zahllosen Gesichtspunkten total mufft inzwischen

Das aber trotzdem SO TOLL ist, ein SUPERBUCH

 

 

Und jetzt, in diesem Moment, Tür auf, Mutter rein, Wolfi, hier, Post, gerade gekommen

 

Huch, schon da

Hatte ich mir bestellt, vor wenigen Tagen: Handke – Das Gewicht der Welt

(und gerade noch von Handke hier gesprochen ähm geschrieben)

 

Natürlich in Vorbereitung dieser Sache hier. Gedacht, ohne das geht’s nicht

Bei Handke muss ich zumindest reingucken

 

Der ist doch immer Referenz und Bezugspunkt, und klar: in all seiner Schrecklichkeit oft

Handke ist ja in den Texten immer so anwesend und zugleich als...

Erscheint lt. Verlag 27.4.2022
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2017 • Anspruchsvolle Literatur • Dramatiker • Experiment • Journal • Schreiben • Theater
ISBN-10 3-10-491559-8 / 3104915598
ISBN-13 978-3-10-491559-3 / 9783104915593
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