Der Helle Wahnsinn (eBook)

Eine Frau schneidet auf
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
352 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491229-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Helle Wahnsinn -  Anders Morgenthaler,  Marie Louise Tüxen
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Die extravagante, unkorrekte Komödie aus Dänemark: »Herrlich absurd und wahnsinnig lustig - die verrückte Geschichte über eine Frau, die alles auf eine Karte setzt für eine zweite Chance.« Litteratursiden Sie ist herzlich, patent und am Tiefpunkt: Helle hat mal Tiermedizin studiert, dann ist sie Metzgerin geworden, eine Meisterin ihres Fachs. Doch jetzt steht sie ohne Job da, statt Liebe gibt es nur - na ja, und ihre 18-jährige Tochter spricht nicht mehr mit ihr. Da wird Helle zu einem Aushilfsjob ins Krankenhaus geschickt. Anstelle eines Tranchiermessers, hat sie plötzlich ein Skalpell in der Hand und rettet damit Leben. Helle macht weiter - weil sie es kann. »Der Helle Wahnsinn« von Marie-Louise Tüxen und Anders Morgenthaler ist eine berauschend witzige Betrugsgeschichte um eine Frau, die versucht, ihr Leben, ihre Würde und ihre Tochter zurückzugewinnen.

Marie Louise Tüxen ist Autorin, Journalistin, Radiomoderatorin und Podcasterin. Anders Morgenthaler ist Autor, Zeichner, Regisseur und Gründers des Comic-Kollektivs WuMo, für das auch Tüxen schreibt. Ein dänisches Wahnsinns-Duo, das sich blendend ergänzt: Aus vereinten Kräften entstand der Helle-Kosmos, der wilder, überraschender und liebevoller nicht sein könnte. Marie Louise Tüxen zeichnet als aufmerksame Beobachterin mit Liebe zum Detail die Charaktere und ihre Beziehungen zueinander. Anders Morgenthaler liebt es, überraschende Geschichten auszutüfteln und entwirft die Handlung. Gemeinsam haben sie eine Figur geschaffen, von der wir uns mit Vergnügen eine Scheibe abschneiden: Die Anti-Heldin Helle ist eine starke Frau mit Schwächen, die Fehler und vieles richtig macht, die sich wehrt und für sich einsteht.

Marie Louise Tüxen ist Autorin, Journalistin, Radiomoderatorin und Podcasterin. Anders Morgenthaler ist Autor, Zeichner, Regisseur und Gründers des Comic-Kollektivs WuMo, für das auch Tüxen schreibt. Ein dänisches Wahnsinns-Duo, das sich blendend ergänzt: Aus vereinten Kräften entstand der Helle-Kosmos, der wilder, überraschender und liebevoller nicht sein könnte. Marie Louise Tüxen zeichnet als aufmerksame Beobachterin mit Liebe zum Detail die Charaktere und ihre Beziehungen zueinander. Anders Morgenthaler liebt es, überraschende Geschichten auszutüfteln und entwirft die Handlung. Gemeinsam haben sie eine Figur geschaffen, von der wir uns mit Vergnügen eine Scheibe abschneiden: Die Anti-Heldin Helle ist eine starke Frau mit Schwächen, die Fehler und vieles richtig macht, die sich wehrt und für sich einsteht.

Kapitel 1


Helle hat mit toten Körpern gearbeitet. Früher war ihr Arbeitsplatz eine Blutlache, und einmal hätte sie sich beim Ausweiden fast erwürgt. Trotzdem hat sie noch nie solche Angst gehabt wie heute in der gelben Gruppe des Kindergartens Himmelsschiff.

»Kaj hat eine Parfümallergie. Schon von Geburt an. Seine Haut wird rot und wund, wenn du die Feuchttücher statt der weichen Baumwolle nimmst«, erklärt Karin eindringlich.

Karin ist die stellvertretende Leiterin des Himmelsschiffs und hat es Helle jetzt schon dreimal eingeschärft, wenn man ihren mahnenden Blick mitzählt, den sie Helle zuwirft, als sie Kaj an der Hand nimmt und zum Wickelraum geht. Es ist Helles erster Tag als pädagogische Hilfskraft im Himmelsschiff. Kaj ist dreieinhalb und kann weiß Gott allein aufs Klo. Er ist zu groß für die Windel. Da sind sich die Erzieher einig. Helle ist neununddreißig und findet nicht, dass Kaj ein sonderlich reizendes Kind ist. Sie versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. Weder Kaj noch den anderen Erziehern gegenüber, schließlich ist es ihr erster Tag.

Kaj liegt auf dem Wickeltisch und probiert, mit den Fingern an seinen Po zu kommen, Helle beginnt zu schwitzen. Sie hätte keinen Wollpulli anziehen sollen, jetzt, wo sich der April von seiner warmen Seite zeigt. Mit einer Hand hält sie Kajs Füße zusammen, während sie mit der anderen versucht, ein Baumwolltuch über dem Waschbecken auszuwringen. Kajs Kacke ist hart. Kleine Kügelchen, die in der Windel herumkullern und aussehen wie Falafel. Eine einzelne Kugel rollt aus der Windel, sie rollt über den Tisch und hinunter auf den Linoleumboden. Mit dem Ellbogen schiebt Helle Kajs Fummelfinger, so gut sie kann, von seinem Hintern weg. Kaj lässt sich nicht abbringen, im Gegenteil, er hält dagegen. Ein kleines, bleiches Mädchen aus der roten Gruppe, Vita, kommt herein und deutet auf die braune kleine Kugel am Boden.

»Wir brauchen hier kurz ein bisschen Ruhe«, sagt Helle mit gepresster Stimme.

Stellvertreter-Karin kommt dazu. Sie zieht ein Papiertuch aus ihrer Jackentasche und wischt damit über Vitas Nase, ehe sie die Kleine wegschickt. Dann verlässt auch sie den Raum. Als sie schon fast die Schiebetür hinter sich zugezogen hat, steckt sie noch mal den Kopf durch den Spalt und fragt: »Kommst du klar?«

Helle ringt sich ein munteres Lächeln ab. »Jep. Er strampelt nur ein bisschen.«

»Denk dran, kein Parfüm«, mahnt Karin und klopft zweimal gegen die Schiebetür, bevor sie sie ganz zuzieht.

Ein leises Klingeln in den Ohren, schwarze Punkte am äußeren Rand des Sichtfelds – Helle kennt die Symptome einer sich anbahnenden Panikattacke. Zum Glück hat sie ihren »Notfallkoffer« von damals, als sie am Kurs ÜberLebe den Alltag! teilgenommen hat, und macht einen der guten, tiefen Atemzüge. Sie hält immer noch Kajs Knöchel fest, aber der windet sich allmählich aus ihrem Griff. Helle versucht, ein weiteres parfümfreies Pflegetuch aus der Plastikpackung zu ziehen. Sie erwischt ein ganzes Bündel, der Rest der Packung landet auf dem Boden. Kaj hat sich jetzt so weit verdreht, dass er auf dem Bauch liegt, seine Hände greifen die Kante des Wickeltischs. Kai ist ein kräftiger Junge. Robust. Ein Klebestreifen der Windel pappt an seinem speckigen Oberschenkel. Helle kriegt die Enden nicht zusammen, um die Kacke einzupacken. Die Windel rutscht herum. Die harten Kugeln sind doch gar nicht so hart wie gedacht. Wieder und wieder versucht sie, mit dem kleinen Finger den Verschluss zu erwischen, sie macht einen Schritt zurück, ihr Fuß landet mit eleganter Präzision auf dem verirrten Kügelchen am Boden, rutscht weg, und Helle verliert das Gleichgewicht.

Für eine Millisekunde lässt sie Kajs Knöchel los, um sich am Wickeltisch festzuhalten. In diesem Augenblick drückt sich Kaj von der Tischkante ab. Er rutscht über die Kante. Im Sturz rammt er die Ecke eines Metalldrahtkorbs. Die Ecke, an der die Schutzkappe fehlt. Seine Augenbraue platzt auf, als das spitze Metall über seine Haut schrammt und einen langen Schnitt hinterlässt. Er fällt weiter, dreht sich dabei und landet auf dem Linoleumboden. Erst mit dem Rücken, dann mit dem Kopf. Ein Geräusch wie von einer Melone, die aus einer Einkaufstüte fällt. Dann Stille. In gewisser Weise bleibt die Zeit stehen. Helle blickt auf ihre Hände. Sie sind braun. Sie atmet nicht, es macht auch nicht den Eindruck, als ob Kaj es täte. Helle sieht sich selbst von außen, alles wie in Zeitlupe. Sie kniet sich neben Kaj und beugt sich über sein Gesicht. Wartet voller Angst. In keinem ihrer Selbstcoaching-Kurse hat man sie darauf vorbereitet, mitten im Alltag den Tod zu bewältigen.

Helle bleibt über Kaj gebeugt sitzen. Sie meint, einen schwachen Luftstrom aus seiner Nase spüren zu können. Sie rückt noch etwas näher heran und kann nun mit Sicherheit feststellen, dass ein Atemhauch ihre Lippen streift. Vorsichtig schiebt sie die Hände unter Kaj und hebt ihn an ihre Brust. Kajs erstarrter Körper löst sich in einem heftigen Krampf, gefolgt von einem lauten Heulen, Weinen, Brüllen. Die Zeit beginnt wieder zu laufen. Was auch immer mit ihm ist, jedenfalls lebt er, und Helle hört sich erleichtert aufseufzen. Kajs Wunde blutet stark, aber das kann sie nur als Bagatelle ansehen. Wenigstens wird sie nicht auf der Titelseite der Boulevardzeitungen landen. Helle hat es schon vor sich gesehen, sie in Großaufnahme, wie sie in ihrer ausgeblichenen roten Windjacke unter der Fahrradüberdachung vor dem Himmelsschiff steht und an ihrer E-Zigarette zieht, darüber die Schlagzeile in passendem Rot: Das ist Kajs Mörderin!

Kajs Schrei verebbt und geht in ein Schluchzen über, das eine gefühlte Ewigkeit andauert. Helle stehen die Tränen in den Augen. Sie drückt den Jungen an sich und steht auf. Wiegt ihn beruhigend in den Armen. Sie weiß, dass er nicht sterben wird. Doch die Freude darüber hält nicht lange an. Wie zur Hölle soll sie die Situation erklären?

 

Karin scheint über eine Art siebten Sinn zu verfügen, denn genau in diesem Augenblick reißt sie mit großen Augen die Schiebetür auf.

»Kaj hat sich gestoßen«, sagt Helle mit einer Stimme, die sie nicht wiedererkennt.

Jetzt wird Kajs Schluchzen von einem schrillen Weinen abgelöst. Karin tritt in den Raum, bildet sich mit einem Blick ein Urteil, sagt kein Wort und entreißt Kaj Helles Armen. Kaj hat immer noch keine Windel an, er ist nicht gewaschen und weint so jammervoll, dass Kinder und Erwachsene in der Tür zusammenströmen.

»Was ist denn nur passiert? Was hast du getan?« Auch Karins Stimme kommt von einem unbekannten Ort.

»Er hat sich über die Kante gezogen, er ist runtergefallen. Ich habe ihn nicht mal eine Sekunde losgelassen, ich wollte nur die Windel wegwerfen«, stammelt Helle.

Karin sieht Helle an, wie man ein kleines Kind ansieht, das man gleich ausschimpfen wird. Dieser Blick ist entschieden schlimmer, wenn man erwachsen ist.

»Wie ist er auf dem Boden aufgekommen? Woher kommt die Wunde?«, fragt Karin.

»Er ist gegen die Ecke des Metallkorbs da gestoßen, und dann, dann ist er auf dem Rücken gelandet … und auf dem Kopf.«

Den letzten Satz sagt Helle, so leise sie kann. Karin und die anderen Erzieher scheinen über ein verblüffend scharfes Gehör zu verfügen, und ein Raunen geht durch die Zuschauer.

Karin streicht Kaj mit der Hand über den Hinterkopf. Er wurde als Säugling offensichtlich nicht auf die Seite gelegt, denn sein Hinterkopf ist platt wie der Boden einer Kähler-Vase. Oder besser gesagt, war es, denn jetzt wächst dort eine beachtliche Beule. Der Anblick lässt Helle an ihren eigenen Hinterkopf denken. Sie hat sich seit drei Tagen nicht die Haare gewaschen, und ihr angeborener Nackenwirbel ist zu einem durchgehenden Scheitel mutiert, der in einer senkrechten Linie von der Schädelspitze bis zum Haaransatz im Nacken verläuft. Die fettigen Haare haben sich willig seitlich angelegt, ganz wie bei einem Zweimannzelt, bei dem der Reißverschluss geöffnet ist und die Stoffbahnen an beiden Seiten befestigt sind. Helle fährt sich mit der Hand durch die Haare, um den Scheitel verschwinden zu lassen.

Kajs Weinen ist menschlicher geworden, hat aber nicht an Intensität verloren. Adam von der Regenbogengruppe hält seinen Kopf, während Karin mit sanften Bewegungen beginnt, erst das blutige Gesicht und anschließend den Po zu säubern. Karins Hände wissen, was sie tun. Kajs Weinen ist fast verstummt. Carina aus der orangefarbenen Gruppe mit der feschen Kurzhaarfrisur, für die sie von allen Seiten Komplimente bekommt, hat bereits die 112 angerufen. Wenn sich kleine Kinder den Kopf stoßen, kann man nicht vorsichtig genug sein. Außerdem muss die Wunde bestimmt genäht werden. Karin sagt, es wäre schneller, mit dem Taxi zur Notaufnahme zu fahren, als auf den Krankenwagen zu warten. Sie sagt, die Vorstellung sei jetzt vorbei, und alle könnten wieder zurück an die Arbeit gehen.

Karin hüllt Kaj in eine Fleecedecke und reicht ihn an Carina weiter, damit sie sich ihre Jacke anziehen kann. Carina hat ein Pappbilderbuch hervorgeholt und liest Kaj mit sehr hoher Stimme daraus vor. »Und was glaubt der Kaj, was sich da hinter der Klappe versteckt, ist das vielleicht eine Muh-Kuh?«

Ihr Gesichtsausdruck zeugt von größtem Einfühlungsvermögen. Es scheint, als ob sich die dreieinhalb Jahre Erzieherstudium in dieser einen Performance manifestierten.

 

Helle beginnt, nach der Misere sauberzumachen, da kommt Karin zurück. Seit Kajs Sturz hat keiner mehr ein Wort mit ihr gesprochen.

»Kommst du?«, fragt Karin.

»Äh … soll...

Erscheint lt. Verlag 1.4.2022
Übersetzer Franziska Hüther
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Absurd • Anti-Heldin • Ärzte ohne Grenzen • Ärztin • Bücher Bestseller 2022 • Carolin Kebekus • Catastrophe • Chirurgin • Drama • Dr. House • Empowerment • Entspannen • Fehltritt • Frauenalltag • Geldprobleme • Hochstaplerin • Hochstapler-Syndrom • Humor • I care a lot • Impostor • Jobsuche • Komödie • Krankenhaus • Liebe und Anarchie • Lisa Eckhart • Lügen • lustig • Marie Reiners • Metzgerin • Mutter-Tochter-Beziehung • Neuerscheinungen 2022 • OP • Operation • Ralf Husmann • Rollenwechsel • Schamlosigkeit • Schwarzer Humor • Selbstfindung • Sudan • Susanne Fröhlich • Tierärztin • Unterhaltung • weihnachten zu hause • Zufall • Zweite Chance
ISBN-10 3-10-491229-7 / 3104912297
ISBN-13 978-3-10-491229-5 / 9783104912295
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