Töchter der Speicherstadt - Das Versprechen von Glück (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
464 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60100-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Töchter der Speicherstadt - Das Versprechen von Glück -  Anja Marschall
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Der Duft von frisch gemahlenem Kaffee und der Traum von Freiheit Drei starke Frauen in bewegten Zeiten: Band 3 der großen Familiensaga rund um den Aufstieg einer Hamburger Kaffeedynastie vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte zwischen 1889 und 1989. Hamburg 1945: »Behmer & Söhne« liegt in Schutt und Asche. Doch bald geht es mit dem Wirtschaftswunder aufwärts, und Cläre bezieht mit einem neuen Kontor die wiederaufgebaute Speicherstadt. Zu ihrem Unmut weigert sich ihre Tochter Anna, Verantwortung im Familienunternehmen zu übernehmen. Stattdessen heiratet sie den charmanten Prokuristen der Firma und stürzt sich voll in ihre Rolle als Ehefrau und Mutter. Als man ihren Mann bei der Unterschlagung von Firmengeldern erwischt, reicht Anna die Scheidung ein und fängt endlich an, ihr Schicksal und das von »Behmer & Söhne« selbst in die Hand zu nehmen. Die Hamburger Speicherstadt: weltweit größter historischer Lagerhauskomplex, Architektur-Juwel, UNESCO-Welterbe, Touristen-Magnet - und Herz des Hamburger Kaffeehandels Mit dem »schwarzen Gold« wird an der Waterkant schon lange gehandelt. 1887 eröffnete in der Speicherstadt die Hamburger Kaffeebörse und wurde zum wichtigen Handelsplatz für das begehrte und lukrative Genussmittel. 24 Millionen Jutesäcke Kaffee aus Brasilien und Zentralamerika sollen dort in den ersten eineinhalb Jahren gehandelt worden sein. Bis zum Ersten Weltkrieg blieb Hamburg führend für diesen besonderen Markt, und noch heute ist die Hansestadt für den Kaffeehandel von großer Bedeutung. Für LeserInnen der neuen historischen Sagas von Fenja Lüders und Anne Jacobs.

Die gebürtige Hamburgerin Anja Marschall lebt als Autorin und Journalistin mit ihrer Familie in Schleswig-Holstein. Vor ihrer schriftstellerischen Tätigkeit arbeitete sie als Erzieherin, Pressereferentin, Lokaljournalistin, EU-Projektleitung in der Sozialforschung, war Apfelpflückerin in Israel, Zimmermädchen in einem Londoner Luxushotel und Kioskverkäuferin an den Hamburger Landungsbrücken. Sie ist Mitglied der »Mörderischen Schwestern eV« und des »Syndikats« sowie der Mary-E-Braddon-Gesellschaft.

2


»Schläft die Kleine schon?« Irma nahm das Kopftuch ab, hängte ihren schneenassen Mantel an den Garderobenhaken und ging in die kleine Küche, aus der Licht in den dunklen Flur fiel. Seit einem Jahr wohnten sie mit einigen anderen Familien in einem alten Haus am Stadtrand von Magdeburg. Den Weg zur Arbeit legte sie bei Wind und Wetter mit dem Fahrrad zurück. Heute Abend hatte es schon wieder geschneit, sodass sie ihr Rad einen Teil des Weges hatte schieben müssen. Ihre Hände waren eiskalt.

Als sie eintrat, nahm Walter gerade einen Schluck aus einer Bierflasche und stellte sie zurück auf den Tisch vor sich. Kopfschüttelnd ging Irma zum Hängeschrank und holte zwei Gläser heraus. Sie setzte sich zu ihm, nahm die halb leere Flasche und verteilte den Rest des Bockbiers auf die Gläser. »Du bist hier nicht im Betrieb. In meiner Küche trinken wir aus Gläsern.«

»Kannst es nicht lassen, was? Immer dieses vornehme Getue.« Er schob das Glas zur Seite und stand auf, um zur Abseite zu schlurfen, wo weitere Flaschen Diamantbier standen. »Und zu deiner Frage: Ja, unsere Tochter schläft.« Er nahm eine Flasche heraus, setzte sich wieder und öffnete den Bügelverschluss mit einem Plopp. Er setzte die Flasche an und trank.

Sie schwieg, denn sie wusste, wie der Abend enden würde.

Er stellte sein Bier ab. »Wenn du nicht so oft bei den Parteisitzungen wärst, dann wüsstest du, dass Michaela bereits seit drei Stunden im Bett ist.«

Irma schloss die Augen und rieb mit den Fingern ihre Schläfen. »Ich weiß, es ist spät geworden. Aber Genosse Bender hat schon wieder alle Anträge blockiert. Ich glaube, er macht das nur, um mich zu ärgern. Ines hat das auch gesagt.«

Walter hörte nicht zu, starrte nur auf das Etikett der Flasche in seiner Hand. Er arbeitete als Gießereimechaniker im Ernst-Thälmann-Werk, noch, denn er schien den Streit mit dem Werksleiter förmlich zu suchen.

»Ist etwas passiert?«

»Sie haben Klinger befördert.«

»Obersturmbannführer Klinger? Ich dachte, sie hätten ihn vor drei Jahren aus dem Verkehr gezogen?«

Walter zuckte mit den Achseln. »Die alten Nazis sitzen überall im Betrieb, schanzen sich gegenseitig die wichtigen Stellen zu, angefangen beim Werksdirektor, seinen Stellvertretern, den Direktoren, Assistenten und dem Oberbuchhalter bis runter zum Arbeiter. Alles eine Mischpoke.«

»Was redest du für einen Unsinn. Es sind einzelne Männer. So wie du es hinstellst, ist unser Land infiltriert mit alten Nazis. Das stimmt aber nicht! Wir haben sie alle aufs Genaueste geprüft.« Irma zog die Schuhe unter dem Tisch aus. Sie war Schichtleiterin beim VEB Röstfein, wo seit zwei Jahren auch echter Bohnenkaffee geröstet wurde und nicht nur Malzkaffee wie im Krieg. Neun Stunden Arbeit und danach in der Kantine Parteisitzungen zu leiten und die Hahnenkämpfe der Genossen zu schlichten, gaben Irma das Gefühl, sechzig statt dreißig Jahre alt zu sein. Sie scheute keine Arbeit, bestimmt nicht, aber als junge Parteisekretärin und Mutter eines kleinen Mädchens, als Hausfrau und auch als Ehefrau eines stets übel gelaunten und unzufriedenen Mannes, fühlte sie sich manchmal unendlich erschöpft.

»Bei uns haben die Kerle genauso Unterschlupf gefunden wie drüben«, behauptete Walter.

»Quatsch. Drüben läuft alles wie zuvor. Die alten Nazi-Bonzen in ihren alten Funktionen. Nur dass sie es jetzt Demokratie nennen. Wir aber sind dabei, ein ganz neues Land aufzubauen. Gerecht und ehrlich.«

Walter lachte. »Ich bin immer wieder fasziniert, Irma, dass du all das glaubst. Hat man uns nicht schon einmal belogen und den perfekten Staat versprochen?«

Erschöpft erhob sie sich. Sie hatte keine Lust auf die ewig gleiche Diskussion, zumal ihre Vorgesetzten derartige Reden sicherlich nicht gutheißen würden. »Ich gehe ins Bett«, murmelte sie, nahm ihre Schuhe in die Hände und wollte hinausgehen.

»Ich hau ab, Irma. Mache rüber. Vielleicht nach Hamburg.«

Sie fuhr herum. »Wie bitte?«

Walter schaute sie aus glasigen Augen an. »Siggi ist gestern mit seiner Familie auch abgehauen. Ihm ist letzte Woche die Hutschnur gerissen, als die TAN-Leute sagten, wir müssten für diese verdammte Arbeitsplatzanalyse sogar den Weg aufs Häuschen auflisten. Himmel!«, entfuhr es ihm.

Irma schreckte zusammen. »Still! Die Kleine!«

Aber Walter ignorierte sie. »Das sind nicht einmal zwei schäbige Minuten, die wir dann von der Maschine weg sind! Zwei Minuten!«

»Die Technische Arbeitsnorm ist wichtig, Walter. Das weißt du doch. Wir alle müssen schneller und besser werden. Darum sind die Genossen von der TAN-Analyse da und schreiben die Zeiten auf.«

»Unsinn! Das ist Schikane.«

Irma kam zurück in die Küche. Leise schloss sie die Tür hinter sich. Die Wände waren dünn, und ihre Nachbarn hatten gute Ohren. »Was ist passiert?«

Walter presste die Zähne gegeneinander. Sie sah seinen Kiefer mahlen. »Wir haben heute für eine Stunde die Arbeit niedergelegt.«

Irma ließ sich auf den Stuhl fallen. »Warum, Walter? Warum immer du?«

Er schlug mit der Hand auf den Tisch. Die Flasche wankte gefährlich. »Ich bin es leid, strammzustehen und alles mit mir machen zu lassen, was andere wollen. Jede meiner Eingaben wird ignoriert. Sie drehen mir jedes Wort achtmal im Mund herum, als suchten sie nur einen Grund, mich der Stasi zu melden. Wenn sie es nicht schon längst getan haben.« Er funkelte sie an. Sie schwieg. Dann ließ er sich auf den Stuhl zurückfallen. »Irma, komm, lass uns in die Westzone rübergehen. Die bauen ihr Land da drüben genauso auf, wie wir es hier tun.« Er nahm ihre Hand.

Irma zog sie fort. »Ich gehe nicht rüber. Das weißt du. Mein Zuhause ist hier. Da, wo meine Familie ist.«

Walter rollte mit den Augen. »Deine Familie ist nicht nur hier, sondern auch in Hamburg. Mensch, du hast doch die Tante mit der schicken Villa.«

»Das ist nicht meine Familie.«

»Klar doch! Nur weil deine Eltern tot sind, heißt das doch nicht … Irma, bleib hier!«

Irma stand auf. Dieses Gespräch hatten sie schon so oft geführt. Er wollte fort und sie nicht. Ihre Heimat war hier, beim Konsum an der Ecke, bei der Nachbarin, die immer die Wäscheleine für sich in Anspruch nahm, aber herrliches Rübenmus kochen konnte, hier, bei den Gartenfesten mit den anderen vom Kombinat, den nächtlichen Sitzungen in der Kantine und dem Schwätzchen in der Schlange vor den Läden.

Nein, nichts zog Irma zurück nach Hamburg, wo ihre Mutter nach einem Bombenangriff qualvoll zugrunde gegangen und ihr Vater gestorben war, während die neunzehnjährige Tochter voller Angst in einer kleinen Stadt bei Rostock die sowjetischen Besatzer erlebt hatte. Keiner der Familie Behmer hatte je versucht, sie zu finden, als sie in einem Gefangenenlager gesessen hatte und tagein, tagaus für die Soldaten waschen musste. Nein, sie hatte keine Familie mehr. Und von daher bezeichnete sie sich lieber als Kriegswaise.

Sie hatte sich in der neuen DDR ihr eigenes Leben aufgebaut. Nachdem sie vor vier Jahren beim VEB Röstfein angefangen hatte, hatte sie es schnell bis zur PGO geschafft. Als Parteigruppenorganisatorin hörte man auf sie und respektierte sie. Jetzt, da sich eine weitere Parteigruppe im Betrieb gegründet hatte, konnte sie sich sogar Hoffnung auf die Position der Abteilungsparteisekretärin machen. Was könnte der Westen ihr schon bieten, das sie nicht auch hier hatte?

In der Tür blieb Irma stehen. »Warum wehrst du dich so sehr gegen uns, Walter? Du bist intelligent. Mach doch endlich etwas aus dir. Die Partei braucht gute Leute.« Sie hörte selbst, dass ihre Stimme eher resigniert als aufmunternd klang. Und sie wusste, dass ihr Mann mit alldem nichts anfangen konnte. Ihm fehlte das Feuer, der Wille zu beweisen, dass der junge Staat der DDR eine bessere Zukunft bot als jener im kapitalistischen Westen. Dort machte man nach dem Krieg genauso weiter wie vorher. Dabei wusste doch jeder, wohin das geführt hatte! Nein, es war dringend Zeit, dass das Volk selbst die Dinge in die Hand nahm und nicht die da oben. »Wir bauen hier ein Land auf, Walter, in dem jeder Werktätige seine Fähigkeiten zum größten Nutzen für das Volk zur Verfügung stellt.«

Ihr Mann stöhnte auf....

Erscheint lt. Verlag 28.7.2022
Reihe/Serie Die Kaffee-Saga
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Deutsche Geschichte • Familiensaga • Generationenroman • Hamburg • Händlerinnen • historischer Roman 20. Jahrhundert • Historischer Roman für Frauen • Kaffee • Mütter und Töchter • Speicherstadt • Verfeindete Familien
ISBN-10 3-492-60100-6 / 3492601006
ISBN-13 978-3-492-60100-9 / 9783492601009
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