Das Haus der tausend Fenster (eBook)
384 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60126-9 (ISBN)
Laura Andersen veröffentlichte bereits mehrere sehr erfolgreiche historische Romane. Sie hat einen College-Abschluss in Englisch, mit Schwerpunkt Britische Geschichte, und nutzt jede Gelegenheit zum Lesen. Bücher, Schuhe und Reisen sind ihre Leidenschaft - mögen sie auch viel kosten, doch sie bringen einen an die verschiedensten Orte. Sie liebt das Meer (nicht den Sand), Wälder (aber nicht das Campen), gutes Essen (nicht aber Kochen) und Shoppen (hier gibt es keinen Nachteil). Historische Romane eröffnen ihr die Möglichkeit zum Reisen in die Vergangenheit, ohne auf Elektrizität und weitere Annehmlichkeiten der modernen Welt verzichten zu müssen. Nach dreißig Jahren westlich der Rocky Mountains lebt sie heute mit ihrem Mann und den vier Kindern in Boston, Massachusetts.
Laura Andersen veröffentlichte bereits mehrere sehr erfolgreiche historische Romane. Sie hat einen College-Abschluss in Englisch, mit Schwerpunkt Britische Geschichte, und nutzt jede Gelegenheit zum Lesen. Bücher, Schuhe und Reisen sind ihre Leidenschaft – mögen sie auch viel kosten, doch sie bringen einen an die verschiedensten Orte. Sie liebt das Meer (nicht den Sand), Wälder (aber nicht das Campen), gutes Essen (nicht aber Kochen) und Shoppen (hier gibt es keinen Nachteil). Historische Romane eröffnen ihr die Möglichkeit zum Reisen in die Vergangenheit, ohne auf Elektrizität und weitere Annehmlichkeiten der modernen Welt verzichten zu müssen. Nach dreißig Jahren westlich der Rocky Mountains lebt sie heute mit ihrem Mann und den vier Kindern in Boston, Massachusetts.
1
Juliet
November 2018
Dieses Gebäude ist ein St. Pancras in Miniaturformat, dachte Juliet.
Wobei Miniatur wohl kaum ein passendes Wort war, um Havencross zu beschreiben, überlegte sie weiter. Das Herrenhaus war ein Mammutbau, gigantisch und überwältigend. Zwar mochte das ausgedehnte Gemäuer nicht so viel Platz beanspruchen wie St. Pancras mitsamt seinem Hotel, aber dafür war Londons berühmter Bahnhof von Häusern umgeben, von tobendem Stadtleben und wimmelnden Menschen, sodass das Auge in jedem Moment von etwas Neuem angezogen wurde. Hier in Northumberland hingegen gab es nichts weiter zu sehen als Havencross, dieses überladene neugotische Bauwerk, das seine extravagante Silhouette mit den gemauerten Ziegelsteintürmen und den gemeißelten Pinakeln gegen den grauen Himmel warf.
Und erst die Fenster: Havencross hatte spitz zulaufende Fenster mit filigranem Maßwerk, Bleiglasfenster und Giebelfenster, kleeblattförmige Fenster, die sich unter Spitztürmchen versteckten. Hundert Augenpaare konnten Juliets Ankommen aus ebenso vielen Fenstern beobachten.
In den nächsten fünf Monaten würde sie allerdings die Einzige sein, die hier aus den Fenstern schaute. Vor fast zweihundert Jahren war das Haus für eine fünfzehnköpfige Familie samt Personal erbaut worden, und später hatte es als Internatsschule für neunzig Jungen gedient. Als Juliet die Stelle angenommen hatte, war sie nicht auf einen derart einschüchternden Reichtum an Baustilen und auch an Raum gefasst gewesen.
Sie begann sich auszumalen, wie Havencross wohl im Dunkeln wirken würde, brach das jedoch schnell wieder ab, denn sie war Meisterin darin, Unangenehmes so lange zu ignorieren, bis es nicht mehr möglich war.
Feigheit, nannten manche das. »Nicht den Teufel an die Wand malen«, hatte ihre Großmutter dazu gesagt, und dieser Ausdruck gefiel Juliet besser.
Nell Somersby-Sims, Rechtsanwältin und Cousine um ein paar Ecken, die die Beschreibung von Havencross verfasst und Juliet für die nächsten fünf Monate eingestellt hatte, wartete draußen vor der hochherrschaftlichen Doppeltür. Als Juliet hielt und das Fenster ihres Leihwagens herunterließ, sagte Nell: »Fahr bis ganz nach hinten durch und dann nach links, da findest du Platz, um den Wagen abzustellen.«
»Möchtest du einsteigen?«, fragte Juliet.
»Ich gehe durchs Haus, und wir treffen uns dann am Waschkücheneingang.«
Ist mir recht, dachte Juliet, denn ihr war noch nicht ganz wohl dabei, auf der linken Straßenseite zu fahren. Es war zwar unwahrscheinlich, dass sie auf dem Weg zur Rückseite des Hauses Gegenverkehr haben würde, aber trotzdem. Zurzeit fand sie es wichtig, kompetent zu wirken. Bei allem, was sie tat. Ausnahmslos.
Auf der Rückseite des Herrenhauses wurden die gotischen Verzierungen von der nüchternen Struktur des ursprünglichen Gebäudes aus dem fünfzehnten Jahrhundert abgelöst. Nell Somersby-Sims – auch wenn sie eine entfernte Cousine war, Juliet konnte nicht anders, als sie in Gedanken mit ihrem vollen Oberschichtsnamen anzusprechen – wartete jetzt an der soliden Eichentür, die in die Waschküche führte, während Juliet ihre Sachen aus dem Auto holte. Nell trug Stiefel mit zehn Zentimeter hohen Absätzen, die für die City gedacht waren, nicht für Gepäcktransporte über verwilderte Wirtschaftshöfe.
Juliet ließ ihren Koffer und ihre Umhängetasche auf den Fliesenboden der viktorianischen Waschküche fallen und betrachtete die Kupferbottiche und die Gestelle, die man früher mit schwerer, nasser Wäsche behängt und an die Decke hochgekurbelt hatte.
Hastig sagte Nell: »Für die schweren Sachen und für alles, was an den Wänden oder am Fußboden befestigt ist, bist du natürlich nicht zuständig. Wenn du dann wieder fort bist, lassen wir ein Umzugsunternehmen kommen und das ganze Haus ausräumen. Deine Aufgabe ist es, die alten Kommoden, Kleiderschränke und Regale durchzusortieren und solche Dinge.«
»Ja, du hast mir den Job sehr genau beschrieben.«
Eigentlich war es gar kein richtiger Job. Zum einen würde man Juliet nicht bezahlen, oder jedenfalls nicht gleich. Vorerst war es eine Art Tausch. Nach drei Jahren als Lehrbeauftragte für Viktorianische Geschichte in Maine hatte Juliet flüchten müssen – sowohl aus Maine als auch aus ihrer zerbrochenen Ehe. Mit dreißig war sie wieder bei ihren Eltern untergeschlüpft, und ihr Erspartes war nur noch eine ferne Erinnerung … kein schöner Zustand. Sie hatte unbedingt etwas tun wollen, aber nicht die Energie gehabt, selbst die Initiative zu ergreifen, und so war sie in England gelandet, ohne richtig zu wissen, wie sie hergekommen war. Angefangen hatte das alles, als ihre Mutter vor drei Wochen von einer britischen Anwältin – oder Notarin – kontaktiert worden war. Es ging um den Verkauf eines alten, unbewohnten Anwesens, das sich in Familienbesitz befand.
Havencross.
Juliet war zum Teil aufgrund ihres Bewerbungsgespräches über Skype eingestellt worden und zum Teil, weil ihre Mutter angeboten hatte, das Gehalt aus ihrem eigenen Anteil vom späteren Verkaufserlös zu bezahlen. In erster Linie aber hatte man sie angeheuert, weil sie bereit war, allein in einem eintausenddreihundert Quadratmeter großen Haus mitten im Nationalpark Northumberland zu wohnen, an einem rasch dahinströmenden Fluss und zehn Meilen vom nächsten Dorf entfernt. Fünf Monate lang. Fünf Wintermonate.
Havencross sollte in ein exklusives Country Hotel umgewandelt werden, von der Art, die im Herbst Jagdveranstaltungen boten, im Winter Schneeschuhwandern und lodernde Kaminfeuer, im Frühling und im Sommer Angeln und Wandern und dazu einen Küchenchef aus dem Ausland sowie Viersterne-Luxusbetten. Doch bevor die kostspieligen Renovierungen beginnen konnten, musste das Haus von den Hinterlassenschaften einiger Generationen befreit werden.
Nell gab ihr einen kurzen Überblick über das Erdgeschoss, aber als sie anbot, ihr auch den Rest des Hauses zu zeigen, winkte Juliet ab. Sie sah, dass die junge Frau gern wieder loswollte. Und Juliet selbst wollte Nell auch gern los sein, ungeachtet ihrer verwandtschaftlichen Beziehung. Die hätte ebenso gut gar nicht existieren können, denn Juliet hatten den Namen ihrer Cousine vor drei Wochen zum ersten Mal gehört.
Nicht, dass sie etwas gegen Nell Somersby-Sims persönlich gehabt hätte. Mit ihrem schimmernden, schulterlangen Bob, den mit Gel manikürten Nägeln und dem Bleistiftrock in Größe sechsunddreißig war sie wirklich eine nette Frau. Aber Juliet konnte Nells Zweifel förmlich hören: Das geht bestimmt klar, wir haben diese Frau ja nicht eingestellt, um irgendetwas Wesentliches zu tun, sie ist kaum mehr als ein Frühwarnsystem, und es ist ja nicht so, als würde jemand eine unglückliche Wissenschaftlerin vermissen, wenn sie mal fünf Monate lang anderswo ist.
Juliet hatte sich im Umgang mit schönen, beruflich erfolgreichen Frauen schon immer in der Defensive gefühlt. Und nach den letzten drei Jahren, in denen ihre Hormone verrücktgespielt hatten, ihr Mann gleichgültig geblieben war und tiefer Kummer sie bedrückte, war sie überzeugt, dass sie im Grunde unsichtbar war.
»Das ist nur in deinem Kopf«, hatte Duncan ungeduldig gesagt. »Wenn dir dein Aussehen oder deine Emotionen nicht gefallen, wenn es dir nicht passt, dich unsichtbar zu fühlen, dann tu doch was dagegen!«
Im Moment jedoch sehnte Juliet sich geradezu danach, unsichtbar zu sein. Doch, ja, Miss Somersby-Sims, ich komme hier klar, dachte sie. Hier ist ein Grundriss vom Haus, sehr hilfreich, und alle nötigen Schlüssel sind auch da, und es ist sehr nett von dir, dass du für eine Woche Lebensmittel besorgt hast, und ich kann es kaum abwarten, mich in die Arbeit zu stürzen …
Beim Hinausgehen zögerte ihre Cousine an der Waschküchentür. »Rachel Bennett kommt jeden Donnerstag und putzt im Wohnbereich. Sie ist die nächste Nachbarin hier. Auf der Straße sind es fast drei Meilen bis zu ihrer Farm, aber wenn man den Fußweg über die Felder diesseits des Flusses...
Erscheint lt. Verlag | 27.1.2022 |
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Übersetzer | Sabine Schulte |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 15. Jahrhundert • Adel • Alte Legenden • Altes Anwesen • altes Geheimnis • Anfang des 20. Jahrhunderts • Das geheime Turmzimmer • Familiensaga • Frauenunterhaltung • Gefühle • Geheimgänge • Generationenroman • Historischer Familienroman • Liebe • Liebesroman • Roman auf mehreren Zeitebenen • Roman England • Roman für Frauen • Romantik • Rosenkriege • Schicksal • Spanische Grippe • verschwundenes Kind |
ISBN-10 | 3-492-60126-X / 349260126X |
ISBN-13 | 978-3-492-60126-9 / 9783492601269 |
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