Leben unter Rehen (eBook)

Sieben Jahre in der Wildnis
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
256 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60130-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Leben unter Rehen -  GEOFFROY DELORME
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Der mit den Rehen lebt Schon als Teenager sind Geoffroy Delorme die Tiere näher als die Menschen. Am liebsten streift er in den Wäldern hinter seinem Elternhaus in der Normandie umher. Als er eines Tages auf ein neugieriges Reh trifft, das schnell Vertrauen zu ihm fasst, schließt er sich ihm an. In den folgenden Jahren kehrt Delorme immer seltener und schließlich gar nicht mehr in die Zivilisation zurück. Ohne Decke und Zelt lebt er bei den Rehen; orientiert sich an ihrem Schlafrhythmus, ernährt und schützt sich wie sie. Dabei erlangt er außergewöhnliche Einblicke in ihre Lebensweise - und findet endlich zu sich selbst. »Atemberaubend, bescheiden und gefühlvoll« Arte - Die einzigartige Geschichte eines jungen Mannes auf der Suche nach einem erfüllten Leben - Über den Wald als Kraft- und Rückzugsort - Mit faszinierenden Fakten über Rehe und andere Tiere des Waldes

Geoffroy Delorme, Jahrgang 1984, ist Naturforscher, Fotograf, Kameramann, Autor und Botschafter des Lebens im Wald. Bereits als Teenager zog es ihn immer wieder hinaus in die Wildnis, bis er schließlich beschloss, der Gesellschaft ganz den Rücken zu kehren und mehrere Jahre lang gemeinsam mit Rehen zu leben. Dabei studierte und dokumentierte er ihr Verhalten und passte sich ihrem Tempo und ihrer Lebensweise an. Heute wohnt er wieder in der Zivilisation, aber besucht nach wie vor regelmäßig den großen Wald bei Bord-Louviers in der Normandie, wo er seine Zeit mit den Rehen verbracht hat.

Geoffroy Delorme, Jahrgang 1984, ist Naturforscher, Fotograf, Kameramann, Autor und Botschafter des Lebens im Wald. Bereits als Teenager zog es ihn immer wieder hinaus in die Wildnis, bis er schließlich beschloss, der Gesellschaft ganz den Rücken zu kehren und mehrere Jahre lang gemeinsam mit Rehen zu leben. Dabei studierte und dokumentierte er ihr Verhalten und passte sich ihrem Tempo und ihrer Lebensweise an. Heute wohnt er wieder in der Zivilisation, aber besucht nach wie vor regelmäßig den großen Wald bei Bord-Louviers in der Normandie, wo er seine Zeit mit den Rehen verbracht hat.

1


 

Schon als kleiner Junge, als ich in der Wärme des Unterrichtsraums der ersten Klasse die Grundlagen für mein zukünftiges Leben erfahre – ich lerne lesen, schreiben, rechnen und wie ich mich in der Gesellschaft zu verhalten habe –, lasse ich mich leicht ablenken und bewundere durch das Fenster die Erhabenheit der Wildnis. Ich beobachte die Spatzen, Rotkehlchen, Meisen, alle Tiere, die in meinem Blickfeld auftauchen, und ich beneide diese Tiere um das Glück, eine solche Freiheit genießen zu können. Ich dagegen bin in diesen Raum zusammen mit anderen Kindern eingesperrt, denen es hier offensichtlich gefällt, während ich mich schon mit meinen sechs Jahren nach dieser Freiheit sehne. Ich kann mir natürlich vorstellen, wie hart das Leben dort draußen sein muss, aber die Betrachtung dieses einfachen, heiteren, wenn auch gefährlichen Daseins lässt in mir ein erstes inneres Auflehnen gegen das Konzept eines Lebens aufkeimen, in das man mich meinem Gefühl nach pressen will. Dieses Gefühl hatte ich schon früh. Jeder Tag, den ich an diesem Fenster ganz hinten im Klassenzimmer verbringe, entfernt mich ein wenig mehr von den sogenannten gesellschaftlichen Werten, während die Wildnis mich so unweigerlich anzieht wie ein Magnet eine Kompassnadel.

Einige Monate nach Beginn des Schuljahrs lässt ein auf den ersten Blick banales Ereignis diesen Keim der Auflehnung weiterwachsen. Als ich eines Morgens in die Klasse komme, erfahre ich, dass ein Ausflug ins Schwimmbad ansteht. Da ich von Natur aus etwas ängstlich bin, befürchte ich das Schlimmste. Am Beckenrand erstarre ich. Ich stehe zum ersten Mal vor einer solchen Menge Wasser, und da ich noch nie in meinem Leben geschwommen bin, überkommt mich eine instinktive Furcht. Alle anderen Kinder scheinen sich wohlzufühlen, während ich völlig verkrampfe.

Die Schwimmlehrerin, eine rothaarige Frau mit einem langen, streng wirkenden Gesicht sagt mir, ich solle ins Wasser gehen. Ich weigere mich. Sie runzelt die Stirn und fordert mich in schärferem Ton auf, ins Becken zu springen. Ich weigere mich erneut. Plötzlich stürmt sie zackig auf mich zu, packt mich an der Hand und stößt mich mit Gewalt ins Becken. Zwangsläufig schlucke ich Wasser, und da ich nicht schwimmen kann, gehe ich zunächst unter. Während ich verzweifelt mit den Armen rudere, sehe ich, dass meine Peinigerin ins Wasser springt und in meine Richtung kommt. Panik überfällt mich, ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sie mich umbringen will!

Mein Überlebensinstinkt treibt mich zu einer völlig unmöglichen Aktion. Wie ein kleiner Hund strample ich in die Mitte des Beckens und tauche unter dem Sicherheitsnetz durch, das mich vom Schwimmerbereich trennt, weil ich unbedingt auf die andere Seite gelangen will. Nachdem ich den Beckenrand dort erreicht habe, klettere ich die Leiter hoch und flüchte mich in die Umkleide. Ich streife rasch meine Hose und mein T-Shirt über.

Inzwischen ist auch meine Schwimmlehrerin aus dem Wasser gekommen und sucht mich überall. Das Platschen ihrer schweren Schritte auf dem nassen Boden zeigt mir an, dass sie den schmalen Gang zwischen den Kabinen entlangkommt. Ich habe mich in der dritten auf der linken Seite eingeschlossen. Sie öffnet die erste Tür, die anschließend laut zuknallt. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Sie öffnet die zweite Tür, die ebenfalls geräuschvoll zufällt. Es ist schrecklich laut, und ich habe den Eindruck, dass sie jede Tür, vor der sie sich aufbaut, mit den Füßen eintritt.

In meiner Panik quetsche ich mich durch den Spalt unter den Zwischenwänden und dem Boden und robbe von einer Kabine in die nächste. Am Ende der Reihe nutze ich die paar Sekunden Vorsprung, in denen sie eine weitere Kabine inspiziert, um auf die andere Seite zu schlüpfen, und schlendere dann unauffällig zum Ausgang. Als ich endlich draußen bin, renne ich mit von Tränen und Chlor verschleierten Augen die Straße entlang, ohne nach rechts oder links zu schauen, bis ein mir vertraut wirkender Mann mich aufhält, meine Hand nimmt und mich auffordert, mit ihm zu kommen. Es ist der Busfahrer. Er hat beobachtet, wie ich ganz allein aus dem Schwimmbad gerannt kam, und die Geistesgegenwart besessen, mir zu folgen. Schluchzend erkläre ich ihm, was passiert ist und warum ich auf keinen Fall ins Schwimmbad zurückwill. Seine Stimme und seine Worte beruhigen mich ein wenig.

Nachdem mein kleines Abenteuer nun beendet und die Schwimmlehrerin darüber informiert ist, wo ich gelandet bin, sitze ich schließlich ganz allein hinten im Bus, während meine Mitschüler, aber auch die Lehrer mich anstarren wie ein wildes, gefährliches Tier, das man im Auge behalten muss. Nach diesem Zwischenfall wird deshalb beschlossen, dass ich die Schule verlassen und zu Hause mit Unterstützung des Nationalen Instituts für Fernausbildung unterrichtet werden soll.

Nun sitze ich also allein in meinem Zimmer, isoliert von der Außenwelt, ohne Mitschüler oder Lehrer. Zum Glück finde ich im Haus eine große Bibliothek mit literarischen Schätzen vor (Nicolas Vanier, Jacques Cousteau, Dian Fossey, Jane Goodall etc.), in denen über die Natur und über das Leben in der Wildnis berichtet wird. Ich verschlinge ebenso alle Nachschlagewerke, in denen diese Themen kindgerecht aufbereitet sind. Eine wahre Goldgrube an wertvollen Informationen, die ich danach gleich in meinem Umfeld, in unserem Garten, anzuwenden versuche. Ein Apfelbaum, ein Kirschbaum, Berberitzenhecken, Zwergmispeln, Feuerdorn, einige Rosenstöcke, es gibt so viel rund ums Haus meiner Familie, um sich die Langeweile zu vertreiben. Mich um all diese Pflanzen zu kümmern wird bald die beste Möglichkeit, dem tristen Alltag zu entfliehen.

Eines Morgens entdecke ich, dass in der Hecke gegenüber von meinem Zimmer ein Paar Amseln sein Nest gebaut hat. In meinem Kinderhirn sehe ich mich sofort in der Pflicht: Ich muss sie beschützen! Wie ein Parkwächter drehe ich meine Runden an der Hecke, um die Katzen zu verjagen, die von der Witterung leichter Beute angelockt werden. Zu allen Tages- und Nachtzeiten, sobald die Aufmerksamkeit der Erwachsenen nachlässt, öffne ich mein Fenster und schlüpfe katzengleich leise nach draußen, um nachzuschauen, wie es meiner gefiederten Kleinfamilie geht. Je öfter sie mich sehen, desto mehr scheinen sie sich an mich zu gewöhnen. Ich gebe ihnen Futter, Brotkrumen, Regenwürmer oder Insekten, die ich auf einen Teller lege. Die Eltern picken das Futter auf und bringen es den Jungvögeln.

Mit jedem Tag gewinne ich mehr und mehr ihr Vertrauen. Inzwischen darf ich sogar meinen Kopf in die Hecke stecken und die piepsenden Babys aus zwanzig Zentimeter Entfernung betrachten. Als endlich der große Moment da ist, an dem sie das Nest zum ersten Mal verlassen sollen, kommt der Vater als Erster heraus. Die Kleinen hüpfen hinter ihm her und plumpsen ungeschickt auf den Boden. Die Mutter bildet die Nachhut. So drehen sie ihre Runden um die Hecke. Manchmal kommen sie auch zu mir. Ich habe das Gefühl, dass sie sich dem kleinen, neunjährigen Jungen, der ich mittlerweile bin, vorstellen wollen. Das Herz klopft mir bis zum Hals. Es ist mein erster Kontakt mit der freien Natur, und um ihn festzuhalten, mache ich ein Foto von den Vögelchen und schicke es meiner Fernlehrerin, Madame Krieger.

Bei jedem Spaziergang weite ich meine Erkundungen etwas aus. Hinter der Hecke ist ein Zaun, unter dem ein Loch gegraben wurde, wahrscheinlich waren es Füchse. Ich kann daher problemlos darunter hindurchschlüpfen und das angrenzende Feld auf der Suche nach weiteren Abenteuern durchstreifen. Die ersten Male, als ich in der vom Mond nur spärlich erleuchteten Nacht losziehe, wird mein Freiheitsdrang stets von Furcht dominiert und der Wissensdurst des kleinen Abenteurers von der Vorsicht des braven kleinen Jungen ausgebremst. Aber der unwiderstehliche Lockruf der Natur lässt bald das Pendel zur Seite des wilden Lebens ausschlagen. Und auf dieser neuen Spielwiese erwachen all meine Sinne.

Während ich mich auf meinen Weg konzentriere, erfasse ich die Topografie und die Beschaffenheit des Bodens. In jeder Nacht ersetzt der Tastsinn das Sehen, und mein Körper lernt das Gelände so gut kennen, dass ich mich selbst mit geschlossenen Augen zurechtfinde. Hier haben sich ähnliche Gedächtnisprozesse in Gang gesetzt wie im Haus, wo man mitten in der stockfinsteren Nacht aufstehen kann und genau weiß, wo der Lichtschalter ist, nur dass ich dies nun in der freien Natur erlebe. Auch die Gerüche...

Erscheint lt. Verlag 28.4.2022
Übersetzer Barbara Neeb, Katharina Schmidt
Zusatzinfo Mit dreißig farbigen Abbildungen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel L’homme-chevreuil. Sept ans de vie sauvage
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Abenteuerbericht • aussteigen • Aussteiger • Ausstieg • Bäume • Bestseller • Bilder • Biografie • Coming of Age • Eichhörnchen • Eltern • Entschleunigung • Flucht • Freiheit • Fuchs • Futter • Garten • Geruch • Gesellschaft • Geweih • In die Wildnis • Inspiration • kitz • Konsumverzicht • Krakauer • Lebensgeschichte • mccandless • Mensch und Natur • Mogli • Naturbuch • Naturschutz • Ökosystem • Outdoor • Pflanzen • Reh-Mann • Schule • Selbstfindung • Sinnsuche • Tier • Tierliebe • Tierwelt • Überleben • Verhaltensforschung • Wahre GEschichte • Wald • Wiese
ISBN-10 3-492-60130-8 / 3492601308
ISBN-13 978-3-492-60130-6 / 9783492601306
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