Steine schmeißen (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
260 Seiten
Kanon Verlag
978-3-98568-008-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Steine schmeißen -  Sophia Fritz
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Man bekommt immer, was man verdient. Am letzten Tag des Jahres wollen Anna und ihre Freund:innen das alte Jahr loswerden. Niemand hat mehr gute Vorsätze, aber alle haben ein schlechtes Gewissen. Sophia Fritz hat einen Roman über bittere Lust und neue Berührungen geschrieben. Wien, heute: In der Silvesternacht wollen Anna und ihre Freund:innen das alte Jahr rituell verabschieden. Dazu sollen sie ihre Tiefpunkte auf therapeutische Steine schreiben und später in die Donau werfen. Doch weil sich mit Drogen und Feuerwerk doch nicht alles betäuben lässt, brechen nach und nach Lügen, Misstrauen und Gewalt hervor. Dann reißt ein ungebetener Gast alles mit, woran sich Anna und ihre Freund:innen festgehalten haben. - Virtuos, scharf und mit viel Humor verfolgt Sophia Fritz das Ringen einer Generation mit sich selbst, die Rebellion durch Achtsamkeit ersetzt und ihr Weltvertrauen irgendwo zwischen den Quellenverweisen im Internet verloren hat. »Ein Roman wie ein Silvesterfeuerwerk: voller Farben, Gefahren und großen Ahs und Ohs.« Monika Peetz, Die Dienstagsfrauen

Sophia Fritz wurde 1997 in Tübingen geboren. Sie studiert Drehbuch an der Hochschule für Fernsehen und Film München und erarbeitet für verschiedene Produktionsfirmen Serienformate. Für ihre literarischen Kurztexte hat sie zahlreiche Literaturpreise und Stipendien erhalten, sie schreibt für DIE ZEIT. Steine schmeißen ist ihr Romandebüt.

Sophia Fritz wurde 1997 in Tübingen geboren. Sie studiert Drehbuch an der Hochschule für Fernsehen und Film München und erarbeitet für verschiedene Produktionsfirmen Serienformate. Für ihre literarischen Kurztexte hat sie zahlreiche Literaturpreise und Stipendien erhalten, sie schreibt für DIE ZEIT. Steine schmeißen ist ihr Romandebüt.

2. Kapitel


Wenn mich meine Mutter anruft, denke ich daran, wie lange ich ihr schon nicht mehr im Garten geholfen habe.

Ich wollte euch nur einen guten Rutsch wünschen und alles Gute fürs nächste Jahr, sagt sie und hört sich entfernt an, als hätte sie das Telefon neben sich auf dem Tisch abgelegt.

Ebenso, sage ich, wünsche ich dir auch.

Sobald ich bei meinen Besuchen auf die Einfahrt rolle, dreht meine Mutter ihre Baumwollbrüste in Richtung Blumenbeet, was sollen wir da noch anpflanzen, fragt sie dann, Hyazinthen, Verbenen oder Immergrün. Ich denke an meine Mutter, wenn ich an fremden Vorgärten im Vorbeigehen Blätter abknicke.

Je seltener ich sie besuche, desto dichter bepflanzt sie den Weg durch ihren Vorgarten, auf dem Klingelschild stehen noch all unsere Namen.

Mich macht immer nervös, wie viel Zeit sie zum Telefonieren hat. Man hört sie und den Raum, in dem sie am liebsten ist, und all die Nebenzimmer.

Wir sind bei Freunden, sage ich, und feiern gleich rein, aber ganz gemütlich, mit Kachelofen.

Geht´s euch gut, fragt meine Mutter lachend. Nach der Beerdigung hat sie angefangen, viel zu lachen, sie lachte immer, wenn sie sagte, das würde ihm jetzt auch gefallen, und jetzt sieht er uns bestimmt gerade von oben zu. Ich lachte dann mit, ja, den Rosmarin mochte er doch, noch mehr als die Cortaderia.

Na ja, lache ich zurück und schmunzle eine Weile in mein Handy, während ich durch Maries Vorgarten in das Küchenfenster schaue. Hinter dem rauchen Marie und Fede, sie reden und stellen Flaschen kalt, die Papierbecher glänzen rot auf der Kücheninsel, bereit und unbefüllt.

Na ja, sage ich noch mal, Alex hat mit mir Schluss gemacht.

Was, fragt meine Mutter, wie?

Einfach so, sage ich, mit einem Gespräch.

Wie, fragt sie, wann?

Vor ein paar Tagen, sage ich, eigentlich Wochen.

Ich drehe mich im Vorgarten um und schaue zurück zu Fede und Marie, die jetzt über ein Schneidebrett gebeugt still stehen. Meine Mutter ist zu Hause zwischen Wollfilz und Stichen, Tauwetter und Jack Wolfskin und vielen, vielen Wegrainen.

Gut, dass Fede gerade bei dir ist, sagt sie, warum hast du es mir nicht früher erzählt?

Fede weiß es nicht, sage ich, eigentlich weiß es niemand.

Anna, beginnt sie, aber lässt sich dann zu lange Zeit.

Ich muss jetzt auflegen, sage ich, es gibt gleich Abendessen.

Raclette, fragt meine Mutter. Fede winkt mir durch das Küchenfenster mit einem Schneidebrett und zwei abgeschnittenen Strohhalmen.

Fast, sage ich, Buffet.

Erzählst du es Fede bitte, ruft sie, ich meine, du weißt schon.

Klar, sage ich, und rutsch gut rüber, mach’s gut, Mama, bald komme ich wieder und helfe dir im Garten.

Meine Mutter lacht, warum willst du mir im Garten helfen, Maus, wir haben doch Winter.

Nachdem ich aufgelegt habe, möchte ich ihr noch etwas schreiben, ein Herz vielleicht. Als ich vor zwei Jahren noch zu Hause lebte, weinte ich abends in Alex Hände und schluchzte, ich halte das nicht mehr aus, sie muss sofort raus.

Wo raus, fragte er, und ich sagte, aus diesem Garten.

Einfach mal raus waren wir beide noch nie. Zu ihrem Geburtstag schenkte ich ihr einen Flug nach Chicago.

Meine Mutter fand Chicago befremdlich, den Flug, die Aussichtsplattformen, die überfüllten Straßen und sogar den Unity Temple.

Der gilt als erstes modernes Gebäude weltweit, sagte ich, das ist doch historisch, jetzt fühl dich doch mal frei.

Mach ich, sagte sie und schaute auf die dünnblättrigen Ahornbäume am Gehsteig.

Hier können wir alles tun, was wir wollen, sagte ich.

Sie verschränkte die Arme, und ihr Mund entknitterte sich nicht, als sie sagte, es ist doch schön, wir sind doch da.

Wir sprachen nicht viel in der Woche, meine Mutter spürte, dass ich böse auf meinen Vater war, weil er mich immer ein bisschen mehr gemocht hatte, wenn er mir Taschengeld in die Hand drücken durfte und weil es sein Geld gewesen war, von dem ich uns den Flug gebucht hatte.

Das war nett von dir, Maus, hatte meine Mutter auf dem Heimflug gesagt, das war was Besonderes.

Stimmt, sagte ich, und danach packte ich meine Sachen und zog mit Alex zusammen nach Wien.

Der Himmel hat Lampenfieber und winkt die Wolken weiter, Marie sieht sie nicht in der Küche im dritten Stock. Sie ist damit beschäftigt, den Bauch nicht mehr einzuziehen und Krümel mit den Fingerkuppen von der Tischplatte aufzupicken, bis sie sich ächzend eine Chisptüte aufreißt, Fede ausführlich von einem Ex-Freund erzählt und sich dabei die nächste Zigarette anzündet.

Ich sehe sie durch das Fenster wie in einem Stummfilm miteinander reden, es gibt den polnischen Abgang, wenn man verschwindet, ohne sich zu verabschieden, aber ich möchte immer irgendwo sein, ohne davor dort ankommen zu müssen.

Leise trete ich in das Treppenhaus und durch die offene Flügeltür zurück in den Flur. Matsch klebt an den Schuhen auf dem Fliesenboden, die Jacken wurden zu einem Haufen in den Eingang gelegt. Einige von ihnen erkenne ich wieder, zwei davon haben mal mir gehört. Marie, Jara und ich tauschen Klamotten aus, die wir online gebraucht kaufen. Die Adds auf Instagram füttern mich immer mit Kurzzeitzielen, mit denen ich dann die nächsten vier bis fünf Werktage überbrücke.

Aus dem Wohnzimmer dröhnt Musik. Ein paar Leute sitzen auf dem Teppich und lehnen sich an die speckigen Ledersessel. Die Möbel sehen aus, als wäre auf jedem schon mal jemand von hinten erwürgt worden, wie Requisiten aus einem Theaterstück von Agatha Christie, das ich mal in London gesehen habe, aber der Titel fällt mir nicht mehr ein.

Heute ist die Nacht, sagt Marie und umarmt mich von hinten. Jedes Mal, wenn mein Gesicht in ihre Schulter und ihre Locken eintaucht, denke ich, dass sie so ähnlich riecht, wie Leonhard Cohen singt. Ein bisschen rauchig und modrig und einen Tick zu dunkel, aber immer so, dass man Marianne verstehen kann, Marianne und Joni und Janis und all die anderen schönen Frauen, die sich in seiner Nähe aufhielten.

Okay, sage ich, und für einen Moment glaube ich es wirklich. Ich glaube es ihr, weil sie mich so grundlegend umarmt und ich ihre Handflächen und ihre Fingerspitzen, ihre Unterarme durch meine Jacke hindurch spüre, die mich bejahen und mich in ihre Küche zurückholen, die beleuchtet ist.

Marie hat eine Tasse, auf der steht Girlboss. Heute hat sie nicht viel dabei, klassisch, sagt sie und strahlt mich an, drei Gramm Koks und eine kleine Kante MDMA, zur Feier des Tages, weil heute die Nacht ist.

Nachdem Marie sich von mir gelöst hat, um ihre Locken in eine andere Richtung zu drehen, sieht Fede mich über den Tisch hinweg an, als wüsste er etwas über die Nacht, von der Marie gesprochen hat, oder über das Herz, das nicht versendet wurde.

Alles gut, möchte ich ihm zunicken, aber er kommt mir mit einem angedeuteten Lächeln zuvor, das ohne Erwartung an mir vorbei weiter durch den Raum schwebt.

Ich atme lange aus, während ich sein Lächeln weiter beobachte. Das macht er immer, möchte ich Marie neben mir stolz sagen, Fede ist jemand, neben dem man es lange aushalten kann, weil man seinen Augen nie eine Antwort schuldet, obwohl sie alles sehen.

Fede ist extra aus Frankfurt hergekommen für heute Abend, wir kennen uns schon seit der Grundschule, sage ich zu Marie. Eigentlich Ferdinand, sagt Fede, hab ich ihr schon erzählt.

Ja, lächelt Marie in Fedes Richtung, alles schon geklärt, fühl dich wie zu Hause, wir haben alles da, außer Raketen.

Mega, nicke ich, dass ihr da auf die Umwelt achtet.

Marie zuckt mit den Schultern, gleich böllern sie wieder, die Schweine, die sollten sich lieber selbst anzünden, dann ginge es der Erde wieder gut.

Eh, sage ich, ich dachte, du bist Pazifistin, wegen Fridays for Future.

Ne, sagt Marie, das ist mir egal, ich bin ja nicht für die Welt, ich bin nur gegen den Klimawandel.

Fede lacht, und ich möchte irgendetwas erwidern und stoße dann doch nur mit ihnen an. Mir fällt auf, dass Fede seinen Nasenring nicht mehr trägt, man sieht nicht mal mehr eine Narbe, seine Nase ist schmal und phasenlos.

Und, fragt Marie in meine Richtung, was gibt es bei dir so. Nichts Neues, sage ich und halte nach Altem Ausschau, über das wir reden können, über die Vor- und Nachteile der Kupferkette, über ihre Schilddrüse und über jede Hausarbeit, an der wir gerade arbeiten.

Weil ich weder ein altes noch ein neues Thema vor mir sehe, schauen wir alle drei vom Küchentisch aus auf den...

Erscheint lt. Verlag 7.9.2021
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bleigießen • Donau • Drogen • Feuerwerk • Fremdgehen • Gute Vorsätze • Lust • Millennials • Neujahr • Sexualität • Silvester • Silvesternacht • Tübingen • Wien
ISBN-10 3-98568-008-6 / 3985680086
ISBN-13 978-3-98568-008-5 / 9783985680085
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