Der Zerrissene. Posse mit Gesang in drei Akten (eBook)
120 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961913-2 (ISBN)
Johann Nepomuk Nestroy (7.12.1801 Wien - 25.5.1862 Graz) war Sänger, Schauspieler und Theaterdirektor; er schrieb für sich über 80 Stücke, die als Possen, Parodien oder Komödien erfolgreich waren, deren treffender Sprachwitz aber auch auf Gesellschafts- und politische Kritik zielte. Nachwort von Wolfgang Neuber: Wolfgang Neuber war bis zu seiner Emeritierung 2021 Professor für Neuere deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin. Er ist Mitherausgeber der Historisch-kritischen Gesamtausgabe der Werke Daniel Caspers von Lohenstein. Das Wiener Volkstheater ist einer seiner Arbeitsschwerpunkte.
Johann Nepomuk Nestroy (7.12.1801 Wien – 25.5.1862 Graz) war Sänger, Schauspieler und Theaterdirektor; er schrieb für sich über 80 Stücke, die als Possen, Parodien oder Komödien erfolgreich waren, deren treffender Sprachwitz aber auch auf Gesellschafts- und politische Kritik zielte. Nachwort von Wolfgang Neuber: Wolfgang Neuber war bis zu seiner Emeritierung 2021 Professor für Neuere deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin. Er ist Mitherausgeber der Historisch-kritischen Gesamtausgabe der Werke Daniel Caspers von Lohenstein. Das Wiener Volkstheater ist einer seiner Arbeitsschwerpunkte.
Der Zerrissene
Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Literaturhinweise
Nachwort
[7]Erster Akt
Die Bühne stellt einen eleganten Gartenpavillon vor. Im Prospekte rechts und links Türen, zwischen beiden in der Mitte des Prospektes eine große Glastüre, welche nach einem Balkon führt. Seite links Glastüre, Seite rechts ein Fenster. Durch die Glastür, welche auf den Balkon führt, hat man die Aussicht in eine pittoresk-gigantische Felsengegend. Rechts und links Tische und Stühle. Hinter der Mitteltüre rechts ein Ruhebett.
Erste Szene
Anton, Christian, Josef kommen durch die Türe links aus dem Hintergrunde vor.
ANTON (zu Christian und Josef, welche jeder drei Champagnerbouteillen tragen). So, tragt sie nur hinein, ’s werden nicht die Letzten sein! Wenn die einmal ins Trinken kommen –
JOSEF. Is doch ein guter Herr, was der für seine Gäst alles springen lasst.
CHRISTIAN. Wer sagt denn, dass er nur für die Gäst g’hört? Er trinkt schon selber auch sein honettes Quantum.
JOSEF. Und is doch immer so übel aufg’legt dabei; unbegreiflich bei dem Wein!
ANTON. Das versteht ihr nicht! Er hat ein zerrissenes Gemüt, da rinnt der Wein durch und kann nicht in Kopf steigen. Jetzt kümmerts euch nicht um Sachen, die euch nix angehn, und schauts zum Servieren!
[8]CHRISTIAN (indem er mit Josef abgeht). Ein zerrissnes Gemüt mit dem Geld!
JOSEF. ’s is stark!
(Beide in die Türe nach dem Speisesalon, Mitte rechts, ab.)
Zweite Szene
Anton; dann Gluthammer und ein Bursche, der einen Teil eines eisernen Geländers trägt.
ANTON (nach dem Balkon, Mitte des Hintergrundes, sehend). Wenn s’ nacher herauskommen, die ganze G’sellschaft, und der Herr sieht, dass die Altan’ noch kein G’länder hat, da krieg ich wieder d’ Schuld.
GLUTHAMMER (tritt durch die Mitteltüre links herein und trägt mit Anstrengung ein eisernes Balkongeländer; ein Bursche, der einen Teil des Geländers trägt, kommt mit und geht, nachdem er es auf den Balkon gestellt hat, sogleich ab). Meiner Seel, so ein eisernes G’länder wägt über sieben Lot.
ANTON. Na, endlich! Ich hab schon glaubt, der Herr Gluthammer lasst uns sitzen.
GLUTHAMMER. Von unserm Ort bis da herüber is ’s über a halbe Stund, wenn man leer geht; jetzt, wenn man so ein G’wicht tragt und a paarmal einkehren muss, da is a halber Tag weg, man weiß nicht, wo er hin’kommen is.
ANTON. Ja, das Einkehren, das hat mich auch schon oft in der Arbeit geniert.
GLUTHAMMER. Wir werden gleich fertig sein. (Öffnet die Balkontüre, tritt hinaus und stellt das Geländer auf.)
[9]ANTON. Nicht wahr, das is völlig schauerlich, wenn man über die Altan’ ins Wasser hinunterschaut?
GLUTHAMMER. ’s Wasser is halt immer ein schauerlicher Anblick.
ANTON. Und was ’s da draußt für ein’ Zug hat!
GLUTHAMMER. Mir scheint, von dem Zug hat der Fluss so ’s Reißen kriegt, das Ding schießt als wie a Wasserfall!
ANTON. Ich hätt eher das Fenster, was da war, zumauern lassen, unser Herr aber lasst’s zu einer Tür ausbrechen und eine Altan’ baun, wegen der Aussicht! Lauter so verruckte Gusto!
GLUTHAMMER. So, jetzt werden wir gleich – (fängt an tüchtig draufloszuhämmern).
ANTON. Aber, Freund, was fallt Ihm denn ein, so einen Lärm zu machen! Da drin is Tafel!
GLUTHAMMER. Ja, glaubt denn der Mussi Anton, ein eisernes Geländer pickt man mit Heftpflaster an?
ANTON. Da darf jetzt durchaus nicht klopft werd’n!
GLUTHAMMER. Na, so lassen wir’s halt derweil stehen, bis später. (Lässt das unbefestigte Geländer auf dem Balkon stehen und verlässt denselben.)
(Man hört im Speisesalon, Mitte rechts, den Toast ausbringen: »Der Herr vom Hause lebe hoch!«)
GLUTHAMMER. Da geht’s zu! Ihr müssts einen recht fidelen Herrn haben.
ANTON. Seine Gäst sein fidel, aber er – keine Spur! Ich muss jetzt nachschaun, ob s’ kein’ frischen Champagner brauchen. (Geht in den Speisesalon, Mitte rechts, ab.)
[10]Dritte Szene
Gluthammer; dann Kathi.
GLUTHAMMER (allein). Die reichen Leut haben halt doch ein göttliches Leben. Einen Teil vertrinken s’, den andern Teil verschnabulieren s’, a paar Teil verschlafen s’, den größten Teil verunterhalten s’! – Schad, ich hätt zum Reichtum viel Anlag g’habt; wenn sich so ein Millionär meiner ang’nommen hätt, hätt mich ausg’bild’t und hätt mir mit der Zeit ’s G’schäft übergeben – aus mir hätt was werden können.
KATHI (tritt zur Mitte links ein). Da werd ich den gnädigen Herrn finden, haben s’ g’sagt. (Gluthammer bemerkend.) Das is ja – is’s möglich!? – Meister Gluthammer –!?
GLUTHAMMER (Kathi betrachtend und seine Ideen sammelnd). Geduld – ich hab noch nicht den rechten Schlüssel zum Schloss der Erinnerung.
KATHI. Ich bin’s – die Krautkopfische Kathi!
GLUTHAMMER. Richtig – die Kathi! Na, was macht denn mein alter Freund Krautkopf?
KATHI. Was wird er machen? Bös is er auf ’n Meister Gluthammer, dass er sich seit anderthalb Jahren nicht bei ihm sehen lasst, und da hat er recht! Pichelsdorf is doch nur vier Stund’ weit von der Stadt.
GLUTHAMMER. Ich bin ja nicht mehr in der Stadt. Aber wie kommt denn die Jungfer Kathi da her? G’wiss das Pachtgeld vom Freund Krautkopf dem gnädigen Herrn überbringen?
KATHI. Muss denn ich nur Gäng für ’n Herrn Vettern machen, kann denn ich nicht meine eignen Angelegenheiten haben?
[11]GLUTHAMMER. Freilich! Ich kenn der Jungfer Kathi ihre Angelegenheiten nicht.
KATHI. Um eine Zahlung handelt sich’s aber doch, das hat der Meister erraten. Der gute gnädige Herr von Lips – er hat mich aus der Tauf gehoben –
GLUTHAMMER. Das kann so schwer nicht g’wesen sein –
KATHI. Meine Mutter hat einmal gedient im Haus, wie noch der alte Lips, der Fabrikant, g’lebt hat. Wie dann der junge Herr die vielen Häuser und Landgüter gekauft hat – das Pachtgut vom Vetter Krautkopf war auch dabei – da haben ich und meine Mutter uns gar nicht mehr in seine Nähe getraut als noblen Herrn, aber – (traurig) vor drei Jahren – wie’s uns gar so schlecht gangen is, die Weißnähterei wird zu schlecht bezahlt –
GLUTHAMMER. Wie überhaupt die weiblichen Arbeiten; wenn man selbst Marchandmode war, kann man das am besten beurteil’n.
KATHI. Das wohl, aber ein Schlossermeister wird da nicht viel davon verstehn.
GLUTHAMMER (seufzend). Oh, ich war auch Marchandmode!
KATHI. Hörn S’ auf mit die G’spaß!
GLUTHAMMER. Nein, ’s is furchtbarer Ernst, ich war Marchandmode, im Verlauf der Begebenheiten wird dir das alles klar werden.
KATHI. Da bin ich neugierig drauf.
GLUTHAMMER. Erzähl nur erst deine G’schicht aus.
KATHI. Die is schon so viel als aus. Wie’s uns so schlecht gangen is und d’ Mutter war krank, da bin ich zu meinem gnädigen Herrn Göden und hab hundert Gulden z’ leihen g’nommen; er hat mir’s an der Stell geben und hat [12]g’lacht, wie ich vom Z’ruckzahlen g’red’t hab! Meiner Frau Mutter hab ich aber noch auf ’n Tot’nbett versprechen müssen, recht fleißig und sparsam zu sein und auf die Schuld ja nicht zu vergessen; und das hab ich auch g’halten. Ich bin nach der Frau Mutter ihr’n Tod zum Vetter Krautkopf kommen, da hab ich gearbeitet und gearbeitet und gespart und gespart, und nach dritthalb Jahren waren die hundert Gulden erübrigt! Jetzt bin ich da, beim Herrn Göden Schulden zahl’n.
GLUTHAMMER. Schulden zahl’n –?! An so was denk ich gar nicht mehr.
KATHI. Wie kann der Meister so reden als ordentlicher Handwerksmann und Meister?
GLUTHAMMER. Meister? Ich bin seit fünf Monaten wieder G’sell und nur mit Krebsaugen blick ich auf meine Meisterschaft zuruck.
KATHI (erstaunt und mitleidsvoll). Is’s möglich!
GLUTHAMMER. Wenn man Marchandmode war, is alles möglich.
KATHI. Das is aber...
Erscheint lt. Verlag | 27.8.2021 |
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Reihe/Serie | Reclams Universal-Bibliothek | Reclams Universal-Bibliothek |
Nachwort | Wolfgang Neuber |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Lyrik / Dramatik ► Dramatik / Theater |
Schlagworte | Alt-Wiener Volkstheater • Deutsch • Deutsch-Unterricht • gelb • gelbe bücher • Johannes Nestroy Der Zerrissene Alt-Wiener Volkstheater • Johannes Nestroy Der Zerrissene Drama • Johannes Nestroy Der Zerrissene Komödie • Johannes Nestroy Der Zerrissene Wiener Volkstheater • Klassenlektüre • Lektüre • Literatur Klassiker • Nestroy Drama • Nestroy Komödie • Nestroy Posse • Reclam Hefte • Reclams Universal Bibliothek • Schullektüre • Weltliteratur • Wiener Volkstheater |
ISBN-10 | 3-15-961913-3 / 3159619133 |
ISBN-13 | 978-3-15-961913-2 / 9783159619132 |
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