Gewitterleuchten (eBook)
432 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01014-7 (ISBN)
Anya Omah, geboren in Nordrhein-Westfalen, hat als medizinisch-technische Laborassistentin und Wirtschaftspsychologin gearbeitet, bevor sie sich als Autorin selbstständig machte. Über diese Entscheidung sagt sie Folgendes: «Ich war verrückt genug, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen, und kehrte dem sicheren Bürojob den Rücken. Aber mal ehrlich ... wie verrückt kann es sein, einen Traum zu leben, wenn man die Chance dazu bekommt?» Im März 2014 veröffentlichte sie ihren Debütroman, es folgten zahlreiche weitere New-Adult-Romane. Mit der Sturm-Trilogie stand sie erstmals auf der Spiegel-Bestsellerliste, Band 3, «Gewitterleuchten», stieg bis auf Platz 2.
Anya Omah, geboren in Nordrhein-Westfalen, hat als medizinisch-technische Laborassistentin und Wirtschaftspsychologin gearbeitet, bevor sie sich als Autorin selbstständig machte. Über diese Entscheidung sagt sie Folgendes: «Ich war verrückt genug, meine Leidenschaft zum Beruf zu machen, und kehrte dem sicheren Bürojob den Rücken. Aber mal ehrlich … wie verrückt kann es sein, einen Traum zu leben, wenn man die Chance dazu bekommt?» Im März 2014 veröffentlichte sie ihren Debütroman, es folgten zahlreiche weitere New-Adult-Romane. Mit der Sturm-Trilogie stand sie erstmals auf der Spiegel-Bestsellerliste, Band 3, «Gewitterleuchten», stieg bis auf Platz 2.
1 Leona
Ich tauche meinen Zeigefinger in den cremigen Teig und lecke ihn mit geschlossenen Augen ab. «Mhmmm.» Das hier ist der beste Teil am Kuchenbacken. Das Probieren des Teigs, bevor man ihn in die Form gibt. Der Ofen ist bereits vorgeheizt. Wie jedes Jahr am 15. August backe ich spätabends Teddys Lieblingskuchen. Schokolade mit Kokos – diesmal mit einem Schuss Rum. Ich lasse den Kuchen über Nacht auskühlen, um ihn morgen direkt nach der Uni mit nach Lüneburg zu nehmen. Teddy wird sechsundsechzig. Daher auch der Rum. Ein bisschen von seinem Lieblingsschnaps, wegen der Schnapszahl. Vermutlich bin ich die Einzige, die diesen Einfall genial findet. Aber das ist mir egal.
Ich bin dabei, die Springform mit Margarine einzufetten, als hinter mir mein Handy vibriert. Mit der Form in der Hand drehe ich mich zum Küchentisch, um einen kurzen Blick aufs Display zu werfen. Damit ich weiß, wen ich gleich zurückrufen muss. Aber als ich den Namen «Möchtegern-Hipster-Ken» auf dem Bildschirm lese, wird aus dem kurzen Blick aufs Display ein ungläubiges Starren. Schnösel-Aaron ruft mich normalerweise nie an. Ich ignoriere den Anruf. Was auch immer er will, er kann mir wie ein normaler Mensch eine Nachricht schreiben oder mir auf die Mailbox sprechen. Keine Sekunde nachdem mein Handy verstummt ist, vibriert es jedoch erneut. Wieder ist es Aaron. Ich verdrehe die Augen und stelle die Backform auf die Arbeitsfläche. Drei Atemzüge lang spiele ich mit dem Gedanken, ihn wegzudrücken. Aber was, wenn es wichtig ist? Es könnte um den Geburtstag seines Vaters gehen – eine spontane Ortsänderung oder Überraschung, in die er mich einweihen will.
Als ob Schnösel-Aaron jemals so nett zu mir wäre. Kopfschüttelnd nehme ich mit der sauberen Hand mein Telefon vom Küchentisch und wische den grünen Kreis nach rechts.
«Wirst du jetzt zum Stalker, oder was soll der Telefonterror, Aaron?»
«Hi, Leo.»
Sämtliche Härchen an meinem Körper stellen sich auf. Was zur Hölle ist mit Aarons Stimme passiert? Sie klingt viel zu kratzig, viel zu rau und irgendwie … abgenutzt. Total fertig. Wie die eines kettenrauchenden Heavy-Metal-Sängers nach einem Heulkrampf. Aber definitiv nicht wie die von Möchtegern-Hipster-Ken, Schrägstrich Schnösel-Aaron, der mich, seit ich denken kann, Karottenkopf nennt. Immer. Ist das Teil eines Streichs, um mich in Sicherheit zu wiegen?
«Was ist los?», frage ich vorsichtig.
«Der Geburtstag meines Vaters fällt aus.» Jetzt bricht seine Stimme. Das kann nicht gespielt sein.
«Warum?»
Keine Antwort. Bloß ein hartes Schlucken, was mein Herz so heftig pochen lässt, dass es in meinen Ohren dröhnt.
«Aaron?»
«Er hatte einen Unfall … in der Werkstatt und ist jetzt im Krankenhaus.»
«Du verarschst mich, oder?» Meine Frage ist eher ein Flehen. Ich würde alles dafür tun, dass er sie mit Ja beantwortet. Doch stattdessen …
«Nein.»
Mit noch fettigen Fingern ertaste ich die Tischkante. Ich fühle mich, als würde ich stürzen. «Wie schlimm ist es?»
«Die Hebebühne ist zusammengebrochen und … er wurde unter ihr eingeklemmt. Mama meinte, dass er reanimiert werden musste.»
Mein Herz krampft sich zusammen und sackt wie ein Stein in meinen Magen. Übelkeit steigt in mir auf.
«Er wird gerade notoperiert und …» Ich höre die Angst in Aarons Stimme. Die Panik. Und die Tränen, die ihn schließlich verstummen lassen. Tief luftholend ringt er um Beherrschung, während ich die Augen schließe.
Bitte nicht. Ich schüttele gefühlt hundertmal den Kopf, in der Hoffnung, dass seine Worte nicht wahr sind. Das erste Mal in meinem Leben wünsche ich mir, dass Aaron gemein zu mir ist. Dass es nur ein grausamer Streich ist, dass er – so makaber es auch wäre – gleich schadenfreudig ins Telefon lacht. Aber der Teil von mir, der gerade zu zerbrechen droht, weiß, dass das nicht passieren wird. Als ich meine Lider wieder öffne, erkenne ich die Umrisse der Küche nur noch verschwommen. «In welchem Krankenhaus liegt er?»
«Im Klinikum Lüneburg.»
Die Klinik, in der Papa gestorben ist. Ich zwinge mich, nicht daran zu denken, und nicke, was bei Aaron natürlich nur als Schweigen ankommt.
«Bist du noch da?»
«Klinikum Lüneburg», antworte ich tonlos. «Ich … ich mache mich auf den Weg.»
«Okay … dann sehen wir uns da, schätze ich. Muss jetzt auflegen, das Flugzeug startet gleich.»
Flugzeug? Es dauert einen kurzen Moment, bis mir wieder einfällt, dass er in München studiert und mit dem Zug oder Auto viel länger unterwegs wäre.
Obwohl er inzwischen aufgelegt hat, halte ich noch immer mein Handy ans Ohr. Alles, was ich höre, ist das Rauschen meines Blutes und mein wild pochendes Herz, das Angst durch meine Adern pumpt. Angst, die sich in meinem ganzen Körper ausbreitet. Erst in der Brust, dann im Bauch, im Kopf und von dort aus in Beine und Arme. Ich spüre sie sogar in den Fingern. Sie fangen an zu kribbeln, versteifen sich. So wie auch der Rest meines Körpers.
Papa ist eingeschlafen, Leona. Er kommt nicht mehr zu uns zurück.
Alles in mir fühlt sich schwer an, als würde flüssiges Blei durch meine Venen fließen. Ich muss zu Teddy, bevor es zu spät ist. Ich muss sofort zum Bahnhof. Aber meine Beine bewegen sich nicht.
«Reiß dich zusammen, Leo», befehle ich mir und schalte meinen Kopf auf Autopilot. Wie immer, wenn ich drohe in Schockstarre zu verfallen, erteile ich mir simple Anweisungen: «Leg das Telefon weg, Leo. Wasch dir die Hände.» Ich lege mein Telefon auf den Tisch und gehe zur Spüle, wo ich mir das Fett von den Fingern schrubbe.
«Jetzt mach den Ofen aus.» Ich mache den Ofen aus.
«Nimm dein Handy. Geh in dein Zimmer und zieh dich um.» Mit beinahe mechanischen Bewegungen führe ich meine Befehle aus. Ich tausche meine Schlabberklamotten gegen irgendeine Jeans, greife mit zittrigen Händen nach dem nächstbesten T-Shirt und schlüpfe hinein. Dann schreibe ich Lissa eine kurze Nachricht, dass ich schon heute nach Lüneburg fahre, damit sie sich später nicht wundert, wo ich bin. Sie und Simon sind gerade im Kino. Teddys Unfall behalte ich vorerst für mich. Weil Lissa mich sonst direkt anrufen und ich vermutlich in Tränen ausbrechen würde. Aber das geht nicht. Ich kann jetzt nicht weinen. Ich darf nicht zusammenbrechen.
Nachdem die Nachricht abgeschickt ist, öffne ich die Wetter-App. Kein Gewitter. Ein flüchtiger Moment der Erleichterung, bevor ich mir die nächste Zugverbindung nach Lüneburg raussuche und ein Taxi rufe. Meine Beine setzen sich wieder in Bewegung. Schwerfällig, als würde ich mich unter Wasser befinden und gegen den Druck ankämpfen.
Eine halbe Stunde später sitze ich im Zug und schicke Stoßgebete ins Universum: Bitte tu mir das nicht an. Bitte lass mich nicht schon wieder jemanden verlieren, den ich liebe.
Die Uhr über der Tür zur Notaufnahme tickt und tickt und tickt. Und nichts passiert. Seit vier Stunden sitzen wir hier und warten auf eine Nachricht, wie Teddys Operation gelaufen ist. Je mehr Zeit vergeht, desto mehr frisst die Angst nicht nur meinen Magen auf, sondern verschlingt auch mehr und mehr die Hoffnung, dass alles gut werden wird. Ich kann einfach nicht länger auf diese Uhr starren, also schließe ich die Augen. Aber plötzlich blitzen Bilder auf. Worst-Case-Szenarien, die alle damit enden, dass Teddy es nicht schafft. Ein undefinierbarer, halb erstickt klingender Laut presst sich aus meiner Kehle, und ich reiße die Augen wieder auf.
«Leo? Bist du okay?»
Mein Kopf dreht sich zu Aaron, der vor knapp zwei Stunden eingetroffen ist und die Hand seiner Mutter Lydia hält. Seine Stimme hört sich immer noch etwas rau und fremd an. Genauso fremd wie die Tatsache, dass wir in einem Raum sein können – sogar nebeneinandersitzen –, ohne zu diskutieren oder genervt voneinander zu sein. Er fragt mich sogar, ob ich okay bin. Ich. Wo doch sein Vater gerade unterm Messer liegt. Ein schlechtes Gewissen gesellt sich zu meiner Sorge um Teddy. Wegen all der Streitereien mit Aaron, die mir plötzlich so sinnlos und unwichtig vorkommen. Wann habe ich Aaron zuletzt etwas Nettes gesagt?
«Ich … ich hoffe einfach nur, dass alles gut wird», krächze ich. Mein Hals fühlt sich vor Trockenheit ganz wund an, als ich mühsam schlucke. «Die Warterei macht mich fertig.»
Aaron nickt und streicht sich sein blondes kinnlanges Haar hinters Ohr. Für den Bruchteil einer Sekunde macht es den Anschein, als wollte er noch was sagen, doch sein Mund klappt zu, ohne sich wieder zu öffnen. Mir fällt mal wieder auf, wie ähnlich Aaron seinem Vater sieht. Genau genommen haben sie sich noch nie so ähnlich gesehen wie jetzt. Und das nicht nur wegen des kantigen Kinns, der kräftigen Kieferpartie oder den vollen Lippen. Es ist die Sorge, die Aaron ins Gesicht geschrieben steht. Die Angst. Sie hat ihn altern lassen. Er bemüht sich, diese Gefühle nicht zu zeigen. Das erkenne ich an dem ständigen Auf und Ab seines Kehlkopfs. Aber Angst lässt sich nicht schlucken. Sie kontrolliert deinen Herzschlag, deine Atmung, deine Muskeln – bis sie dich komplett lähmt und sich irgendwann entlädt. Diesen Moment scheint er, genauso wie ich, hinauszuzögern.
Lydia schreckt als Erste auf, als eine Ärztin durch die Glastür der Notaufnahme auf uns zukommt. Sie und Aaron springen auf, während ich sitzen bleibe. Die Furcht vor dem, was die Ärztin uns jetzt mitteilen könnte, lässt mich...
Erscheint lt. Verlag | 31.1.2023 |
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Reihe/Serie | Sturm-Trilogie | Sturm-Trilogie |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Anabelle Stehl • bestsellerliste spiegel aktuell • Break Away • Diversität • Diversity • Endlich Kyss • Kyss • Kyss Verlag • Laura Kneidl • Liebesromane • Lüneburg • Lüneburger Heide • Lyx • Lyx Verlag • modern romance • New Adult • newadulthomepage • Norddeutschland • ownvoices • Someone Else • Someone New • SPIEGEL-Bestseller • Spiegel Bestseller-Autorin • TikTok • tiktokhomepage • Trilogie • Werkstatt |
ISBN-10 | 3-644-01014-5 / 3644010145 |
ISBN-13 | 978-3-644-01014-7 / 9783644010147 |
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