Barbara stirbt nicht (eBook)

Roman

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2021 | 1. Auflage
256 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30233-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Barbara stirbt nicht -  Alina Bronsky
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»Barbara stirbt nicht« ist das urkomische Porträt einer Ehe, deren jahrzehntelange Routinen mit einem Schlag außer Kraft gesetzt werden, und ein berührender Roman über die Chancen eines unfreiwilligen Neuanfangs. Walter Schmidt ist ein Mann alter Schule: Er hat die Rente erreicht, ohne zu wissen, wie man sich eine Tütensuppe macht und ohne jemals einen Staubsauger bedient zu haben. Schließlich war da immer seine Ehefrau Barbara. Doch die steht eines Morgens nicht mehr auf. Und von da an wird alles anders. Mit bitterbösem Witz und großer Warmherzigkeit zugleich erzählt Alina Bronsky, wie sich der unnahbare Walter Schmidt am Ende seines Lebens plötzlich neu erfinden muss: als Pflegekraft, als Hausmann und fürsorglicher Partner, der er nie gewesen ist in all den gemeinsamen Jahren mit Barbara. Und natürlich geht nicht nur in der Küche alles schief. Doch dann entdeckt Walter den Fernsehkoch Medinski und dessen Facebook-Seite, auf der er schon bald nicht nur Schritt-für-Schritt-Anleitungen findet, sondern auch unverhofften Beistand. Nach und nach beginnt Walters raue Fassade zu bröckeln - und mit ihr die alten Gewissheiten über sein Leben und seine Familie. »Barbara war perfekt, dachte er überrascht. Natürlich gab es auf der Welt noch mehr alte Frauen, schon wegen der Statistik, aber Herr Schmidt hatte sie alle gesehen: kein Vergleich zu Barbara.«

Alina Bronsky, geboren 1978, lebt in Berlin. Ihr Debütroman »Scherbenpark« wurde zum Bestseller und fürs Kino verfilmt. »Baba Dunjas letzte Liebe« wurde für den Deutschen Buchpreis 2015 nominiert und ein großer Publikumserfolg. 2019 und 2021 erschienen ihre Bestseller »Der Zopf meiner Großmutter« und »Barbara stirbt nicht«.

Alina Bronsky, geboren 1978 in Jekaterinburg/Russland, lebt seit den Neunzigerjahren in Deutschland. Ihr Debütroman »Scherbenpark« wurde zum Bestseller und fürs Kino verfilmt. »Baba Dunjas letzte Liebe« wurde für den Deutschen Buchpreis 2015 nominiert und ein großer Publikumserfolg. 2019 erschien ihr Roman »Der Zopf meiner Großmutter«, der ebenfalls wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stand.

Inhaltsverzeichnis

Der nächste Tag war ein Sonntag. Herr Schmidt hatte nicht gemerkt, wohin der Samstag verschwunden war, all die zähen Stunden, in denen er sonst auf Barbara wartete, bis sie vom Sport kam, vom Treffen mit Freundinnen, selbst wenn sie telefonierte. Manchmal versuchte er, sie davon abzubringen, aber seit er in Rente war, schien sein Wort weniger zu zählen. Früher hätte er sie mit dem Hinweis auf die Rechnung dazu bringen können, sich am Telefon kürzer zu fassen, aber inzwischen schien auch das Telefonieren nichts mehr zu kosten, weswegen alle ununterbrochen miteinander quasselten, ihre Hörer zum Einkaufen mitnahmen, zum Sport und sogar in den Wald, wo sie einander selbst beim Spazierengehen irgendeinen Mist erzählten. In diesen Momenten wünschte sich Herr Schmidt einen Stock, mit dem er den Schwätzern ihre Plappergeräte aus den Händen schlagen könnte, damit sie ihn nicht weiter belästigten. Aber noch brauchte er keinen Stock, im Gegenteil, er stand noch sehr gut auf den eigenen Beinen.

Barbaras Im-Bett-Herumliegen bekam ihm nicht gut. Selbst Dinge, an die er sich scheinbar gewöhnt hatte, reizten ihn. Am Sonntag hatte auch noch der Bäcker geschlossen. Doch das sah Herr Schmidt erst, als er vor dem Schaufenster stand. Normalerweise verschafften ihm geschlossene Geschäfte Genugtuung: Früher war es normal gewesen, dass die Läden nicht rund um die Uhr geöffnet hatten, die Leute mussten sich eben anpassen. Aber wenn man noch keinen Kaffee getrunken hatte, war es schon ungünstig, vor verschlossenen Bäckereitüren zu stehen.

Herr Schmidt kehrte nach Hause zurück, fütterte Helmut mit dem am Vortag aufgetauten Kalbsgulasch und stellte sich nachdenklich vor die Kaffeemaschine. Die Großmutter des dicken Mädchens musste wohl wissen, wie man Kaffee kocht. Er sprach die Anweisung laut nach, füllte zwei Löffel Pulver in den Filter, gab einen weiteren für die Kanne dazu, salzte kräftig, füllte Wasser ein und drückte auf den Knopf. Es war ein Kinderspiel.

Der Kaffee hatte einen intensiven Beigeschmack, der auch durch die Milch nicht verschwand. Er brachte Barbara ihre Tasse. Sie nippte vorsichtig. »Der ist ja heiß heute. Und versalzen, wenn du mich fragst.«

Er hätte etwas mehr Dankbarkeit erwartet.

»Den anderen Kaffee, die Tage davor, habe ich aus der Bäckerei geholt. 2,80 der Becher.«

»Dieser hier ist aus der Dose in der Küche, oder?«, fragte sie. »Der ist entkoffeiniert und schon ziemlich schal. Ich mahle sonst immer frisch. Die Bohnen sind in der Tüte im Kühlschrank.«

»Du machst was damit?«

»Mahlen. Mit der Kaffeemühle.«

Herr Schmidt fiel das schreckliche morgendliche Geknatter ein, das Helmut immer in die Flucht schlug. Barbara reichte ihm die leere Tasse. Das Brötchen rührte sie nicht an.

Er war unzufrieden, dass sie alles so selbstverständlich nahm. Auf dem Weg in die Küche blieb er am Telefon stehen, nahm den Hörer ab und wählte die Nummer. Er hätte schwören können, dass er Karin anrief, bis Sebastian genervt »Schmidt« sagte.

»Vater hier«, sagte Herr Schmidt überrascht.

Sebastian sagte ziemlich lange nichts. Herr Schmidt hörte, wie am anderen Ende der Leitung etwas laut verschoben wurde, als würde Sebastian beim Telefonieren Möbel verrücken. Herr Schmidt gab als Erster nach.

»Wo bist du?«

»Im Büro.«

»Es ist Sonntag.«

»Ich weiß.«

»Ich kann dich auf dem normalen Telefon anrufen.«

»Das ist mein normales Telefon.«

»Das ist bestimmt teuer.«

»Hör auf damit.«

Herr Schmidt konnte regelrecht sehen, wie Sebastian die Zähne zusammenbiss und die Sätze hindurchpresste.

»Alles klar bei euch?«, fragte Sebastian endlich.

Herr Schmidt holte Luft. »Es ist noch kühl draußen«, setzte er an, aber Sebastian unterbrach ihn.

»Wie bei euch das Wetter ist, kann ich vom Fenster aus sehen. Ist was passiert? Wo ist Mama?«

»Ich habe sie umgebracht«, sagte Herr Schmidt.

»Was?«

»Spaß. Sie ist müde. Liegt im Bett.«

»Mama liegt im Bett?«

Sebastians Aufregung verschaffte Herrn Schmidt die verdiente Genugtuung. Sie bestätigte, dass er in den letzten Tagen Unvorstellbares mitgemacht hatte.

»Atmet sie?«

»Natürlich atmet sie«, sagte Herr Schmidt gereizt. »Sie redet sogar.«

»Gott sei Dank. Hol sie ans Telefon.«

»Geht nicht, sie ist im Schlafzimmer.«

»Ich hab euch doch das schnurlose Telefon mitgebracht.«

»Ich bin jetzt im Flur, am normalen Apparat.«

»Vater, du machst mich noch wahnsinnig.«

Obwohl er lieber ein freundliches Wort von Sebastian gehört hätte, freute sich Herr Schmidt insgeheim auch darüber. Jeder Gefühlsausbruch war besser als die übliche Gleichgültigkeit.

»Du legst jetzt auf, und ich ruf dich noch mal auf Mamas Handy an. Das kannst du ihr dann bringen.«

»Sie schläft.«

»Verdammt noch mal!«, schrie Sebastian, und Herr Schmidt ließ vor Schreck den Hörer fallen. Das war der unbestrittene Vorteil des normalen Telefonapparats: Der Hörer fiel nicht auf den Boden, sondern blieb an der Schnur hängen und pendelte bloß sachte hin und her. Sebastians Stimme war nicht mehr zu hören. Herr Schmidt wartete einige Minuten, dann legte er den Hörer auf.

Es klingelte sofort wieder. Herr Schmidt nahm ab: »Ich bin immer noch am gleichen Apparat.«

»Was?« Es war nicht Sebastian, sondern Karin. »Was ist bei euch los? Was ist mit Mama?«

»Woher weißt du das?«

»Woher wohl?«

»Warum ruft er sofort bei dir an, anstatt einfach vorbeizukommen? Er hat doch ein Auto.«

»Das weißt du doch.«

»Ich weiß es nicht«, sagte Herr Schmidt, der das Ganze allmählich übertrieben fand. »Ich habe eure Mutter nicht umgebracht.«

Karin atmete laut aus. »Das habe ich schon gehört. Das ist eine gute Nachricht.«

»Ja. Tschüss.«

»Papa! Jetzt warte doch mal.«

Karins Stimme war wie Honig – sie hatten guten Imkerhonig im Schrank, er hatte schon wieder Hunger –, und er fühlte sich wie eine Fliege, die darin festklebte. Er gab den Widerstand auf und erzählte ihr alles, was in den vergangenen drei Tagen geschehen war, in diesen drei Tagen ohne Frühstück und richtiges Mittagessen.

»Ich habe grad Kaffee gekocht«, beendete Herr Schmidt seinen Bericht.

»Was?«

»Mit der Kaffeemaschine.«

»Okay«, sagte Karin nach einer Pause. »Und wie war das?«

»Wie soll es gewesen sein. Salzig.«

»Okay«, sagte Karin. »Ist Mama ansprechbar?«

»Ja. Sie fand es auch salzig.«

»Okay. Steht sie gar nicht auf?«

»Sie war in der Nacht auf Toilette. Ist aber diesmal nicht umgefallen.«

»Umgefallen?! Hat sie sich verletzt?«

»Sie hatte Blut am Kopf, ist aber wieder sauber. Hat sie wohl abgewaschen. Reg dich nicht auf.«

Karin schwieg.

»Karin? Bist du noch da?«

»Ja. Ich googele die Zugverbindungen. Ach Scheiße, muss das alles ausgerechnet jetzt passieren? Ich ruf noch mal Sebastian an.«

»Ruf ihn nicht an«, sagte Herr Schmidt, der sich jetzt ein wenig dafür schämte, dass er Sebastian bereits angerufen und dieser ihn angeschrien hatte.

»Das geht doch alles gar nicht. Ich verstehe nicht, was da bei euch los ist. Du rufst sofort einen Arzt.«

»Es ist Sonntag.«

»Ruf den Notarzt.«

»Es ist kein Notfall. Sie hat meinen Kaffee getrunken.«

Karin stöhnte. Herr Schmidt erinnerte sich plötzlich daran, dass sie als kleines Mädchen manchmal Bonbons aus der Küche gestohlen hatte.

»Ruhe«, sagte er zu ihr, als wäre sie Helmut. »Du musst nicht kommen.«

»Aber das geht doch alles gar nicht.«

»Wir haben Essen in der Tiefkühltruhe.«

»Das glaube ich sofort.«

»Wir könnten bestimmt ein Jahr davon leben. Bleib du in deinem Berlin.«

Er hörte sie gleichzeitig lachen und schniefen.

»Papa. Du musst mir versprechen, dass du morgen einen Arzt rufst.«

»Ich ruf den Maschke. Ich geh rüber und hole ihn.«

»Es reicht, wenn du ihn anrufst. Dann kommt er schon. Versprich es mir.«

»Ja, ja«, murmelte er.

Herr Schmidt hörte die Erleichterung in Karins Stimme. »Und bist du immer noch mit Mai befreundet?«, fragte er vor dem Auflegen. Er hatte sich mehrere Jahre gegen diesen Namen gewehrt, aber es hatte nichts geholfen. Keine Ahnung, was die Eltern sich gedacht hatten.

Karin stutzte. »Ja«, sagte sie. »Pass auf, dass Mama genug trinkt, okay?«

Als sie endlich auflegte, war Herr Schmidt schweißgebadet und musste sich seinerseits hinlegen. Er ging ins Schlafzimmer und streckte sich der Länge nach neben Barbara aus – sie hatte es bequem, schon den dritten Tag im Bett. Sie lag auf dem Rücken, Herr Schmidt drehte sich zu ihr, sah ihr spitzes Profil, die zur Decke zeigende Nase. Ihm wurde eiskalt. »Barbara!« Er rüttelte an ihrer Schulter. »Bist du da?«

Sie drehte den Kopf in seine Richtung. »Was?«

Er setzte sich wieder auf, beugte sich über sie. Ihr Gesicht hatte sich verändert, die Haut war hell, fast durchsichtig, unter den Augen tiefe Schatten, als hätte sie sich nicht genug ausgeruht.

»Du musst was essen!«

»Später vielleicht.«

»Nein! Nicht später.« Er rüttelte wieder an ihrer Schulter, vielleicht etwas zu grob: Der Kopf taumelte hin und her. Er nahm die Hand wieder weg. »Du verhungerst mir noch. Die Tiefkühltruhe ist voll, was willst du haben? Es ist alles da.«

»Ich weiß. Es reicht für lange.«

»Gulasch? Maultaschen?«

»Warte kurz.«

Er wartete. Ihr Gesicht war konzentriert, als lauschte sie in sich hinein....

Erscheint lt. Verlag 9.9.2021
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Alina Bronsky • Alter • Beziehung • Dorfgemeinschaft • Facebook • Familien-Geheimnis • Geheimnis • Humor • Identität • Kochen • Menschen mit Behinderung • Scherbenpark • SPIEGEL-Bestseller
ISBN-10 3-462-30233-7 / 3462302337
ISBN-13 978-3-462-30233-2 / 9783462302332
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