Glitterschnitter (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
480 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30260-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Glitterschnitter -  Sven Regener
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Willkommen in der Welt von Glitterschnitter: Ein großer, wilder Roman über Liebe, Freundschaft, Verrat, Kunst und Wahn in einer seltsamen Stadt in einer seltsamen Zeit. Die Lage ist prekär: Charlie, Ferdi und Raimund wollen mit Glitterschnitter den Weg zum Ruhm beschreiten, aber es braucht mehr als eine Bohrmaschine, ein Schlagzeug und einen Synthie, um auf die Wall City Noise zu kommen. Wiemer will, dass H. R. ein Bild malt, aber der will lieber eine Ikea-Musterwohnung in seinem Zimmer aufbauen. Frank und Chrissie wollen die alte Trinkerstube Café Einfall zur kuchenbefeuerten Milchkaffeehölle umgestalten, aber Erwin will lieber einen temporären Schwangerentreff etablieren. Chrissie will, dass Kerstin endlich zurück nach Stuttgart geht, aber die muss erst noch Chrissies neuen Schrank an der Wand befestigen. Die Frage, ob Klaus zwei verschiedene Platzwunden oder zweimal dieselbe Platzwunde zugefügt wurde, ist noch nicht abschließend geklärt, aber bei den Berufsösterreichern der ArschArt-Galerie werden bereits schöne Traditionen aus der Zeit der 1. Ottakringer Shakespeare-Kampfsportgesellschaft wiederbelebt. »Aber wie schon Toulouse-Lautrec sagte: wir haben unser ganzes Leben gebraucht, damit wir das erst seit drei Wochen machen können.« - »Das hat er gesagt?« - »So ähnlich.« Ferdi und Raimund von Glitterschnitter

Sven Regener ist Musiker (Element of Crime) und Schriftsteller. Seine Romane Herr Lehmann (2001), Neue Vahr Süd (2004), Der kleine Bruder (2008), Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt (2013), Wiener Straße (2017) und Glitterschnitter (2021) waren allesamt Bestseller. Sie wurden verfilmt und in viele Sprachen übersetzt.

Sven Regener ist Musiker (Element of Crime) und Schriftsteller. Seine Romane Herr Lehmann (2001), Neue Vahr Süd (2004), Der kleine Bruder (2008), Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt (2013), Wiener Straße (2017) und Glitterschnitter (2021) waren allesamt Bestseller. Sie wurden verfilmt und in viele Sprachen übersetzt.

Inhaltsverzeichnis

II Nichtraucher


Da war ein Schild, ein Zettelchen eher, das jemand auf der Schreibmaschine getippt und dann mit ungeschickten Händen ausgeschnitten und hinter eine kleine Plexiglasscheibe neben der Tür gefummelt hatte, darauf stand: Sigfrid Scheuer, Kuratorium Wall City Contemporary Arts 1980, also alles klar, der gute alte Sigi. Wiemer ging ohne anzuklopfen rein, Sigi war ein alter Kumpel, Wiemer und er hatten einst als Sozialarbeiter die Fixerstube »Drückeberger« gemanagt, bevor sie beide ins Kunstgeschäft gewechselt hatten, schon seltsam, wie synchron ihre Wege verlaufen waren, erst Einwegspritzen und Putzdienste verteilen und Notärzte herbeitelefonieren, dann Kunst, das Leben geht komische Wege, dachte Wiemer.

Sigi telefonierte gerade und winkte ihn freundlich herein. Wiemer schloss die Tür und setzte sich Sigi gegenüber auf einen gepolsterten Stuhl, der deutlich niedriger war als der von Sigi, Wiemer hatte lange Beine und saß auf dem Ding wie ein Affe auf dem Schleifstein, Affe auf dem Schleifstein, das hatte Britta immer gesagt, ach Britta!

»Okay, okay, okay – so this is …«, sagte Sigi und lauschte, »Alright, I can see that … Glad to hear it!«, sicher ist er froh, dachte Wiemer säuerlich, dass endlich mal einer mitkriegt, was für eine große internationale Nummer er geworden ist, »Whatever …«, sagte Sigi, »Whatever … Yes … Sure … Same to you … That’ll be wonderful … I tell him … Yes, take care, see you! Bye!«

Sigi legte auf. »Wiemer!«, rief er und zappelte dynamisch in seinem Bürostuhl herum, einem mit Rollen, höhenverstellbar, in dem kann er sich die Haare schneiden lassen, dachte Wiemer, so hoch wie der eingestellt ist. »Schön dich zu sehen. Tritt ein, bring Glück herein!«

»Aber ich bin doch schon drin!«

In der Fixerstube war Wiemer der Dienstältere gewesen, okay, er hatte nur ein Vierteljahr früher dort angefangen, aber Wiemer hatte alles draufgehabt und Sigi alles von ihm lernen müssen, die Regeln für dies und jenes und wo die Spritzen waren, die Pflaster, das Telefon, das waren die alten Zeiten, rief Wiemer sich zur Ordnung, schlimmer noch, dachte er, es waren die alten Zeiten gewesen, Plusquamperfekt, dachte Wiemer, er hatte, bevor er auf die Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik gewechselt war, zwei Semester Germanistik an der FU studiert, von wo er auch Erwin Kächele noch kannte und wo er sich vor allem bei den Grammatikübungen nicht schlecht geschlagen hatte, auch das ist vorbei, dachte er, man darf nicht zurückblicken, nicht bei der Germanistik, nicht bei Britta und auch nicht bei Sigi! »Mensch Sigi«, sagte er, »nicht einfach, dich hier zu finden.«

»Ja, in der Fixerstube war’s einfacher«, sagte Sigi. Was sollte das nun wieder? Was fing der jetzt mit der Fixerstube an? Das war doch alles Vergangenheit! Vergangenheit!

»Ist die Wall City eigentlich immer noch beim Sozialsenator geführt oder jetzt doch endlich beim Kultursenator?«, ging Wiemer zum Gegenangriff über.

»Also ich bin beim Kultursenator geführt«, sagte Sigi stolz, »mit Werkvertrag! Die Wall City weder noch. Die ist jetzt beim Wirtschaftssenator, Abteilung Fremdenverkehr und Tourismus. Die Kulturleute hatten kein Geld mehr, den Sozialleuten war das zu elitär, den Festspielen zu wenige große Namen dabei und jetzt habe ich das Geld aus dem Fremdenverkehr bekommen, aber ich bin ja nicht blöd, ich kann mich ja nicht beim Wirtschaftssenator reinsetzen, da kann ich mir ja auch gleich Nutte auf die Stirn tätowieren lassen, ohne mich, Freunde.«

»Verstehe.«

»Eigentlich wollte ich ein Büro in der Nationalgalerie, hinten raus, zum Garten, mit so einer großen Glasscheibe, na ja«, sagte Sigi und seufzte theatralisch. »Stattdessen das hier!« Sigi umfasste mit großer Geste »das«, eine prototypische Amtsstube mit alten Amtsmöbeln, Linoleumfußboden und einem Bild vom vorletzten Regierenden Bürgermeister. »Wenigstens habe ich hier einen Garderobenständer mit Schirmhalter! Das ist wichtig bei so einem Sauwetter.«

»Echt?«, sagte Wiemer.

Sigi verdrehte sichtbar die Augen. »Nein. Nicht echt. Ich meine, ich bin Kurator der Wall City und was geben sie mir? Einen Garderobenständer mit Schirmhalter!«

»Da sehe ich eigentlich nicht so das Problem«, konnte Wiemer sich nicht verkneifen zu widersprechen, ich darf keinen Streit anfangen, dachte er, aber rumschleimen und alles abnicken kann auch nicht die Lösung sein.

»Kennst du irgendeinen Künstler, Kunsthändler, Manager, Galeristen, der mit einem Regenschirm rumläuft?«, sagte Sigi.

»H.R. Ledigt«, schlug Wiemer vor, froh über die Vorlage zum Themenwechsel. »Der hat einen Schirm, mit dem läuft er manchmal bei Regen herum. Der steht auf sowas!«

»So, so!«

»Und wegen dem bin ich auch hier«, kam Wiemer zur Sache. Kein Smalltalk mit Sigi mehr! »Weil nämlich … – Ich meine, du hast ihn in die Wall City mit reingenommen, vielen Dank dafür, aber ehrlich mal, Sigi: H.R.Ledigt und dann ein Ölbild? Was soll das denn bringen? Ich meine, die Kunst-Riots waren wegen Mein Freund der Baum, das war eine Installation, damit ist er über Nacht berühmt geworden, warum denn jetzt so ein scheiß Ölbild?«

Auweia, dachte Wiemer, als er sah, wie Sigi den Rücken straffte, seinen Stuhl zurechtrückte und sich dann vorbeugte, mit angriffslustigen Augen und ausgestrecktem Zeigefinger.

»Lass mich mal eins klarstellen, Wiemer!«, sagte Sigi.

*

So weit ist es nun, dachte P. Immel, als er an die Tür der Wohnung über dem Einfall klopfte, so weit ist es nun gekommen, dass die Kackis dieser Welt mich in eine Schlacht bei Solferino zwingen, bloß weil sie zu blöd sind, sich ihr Geld auf ehrliche Weise oder jedenfalls mal ohne meine Mithilfe zu verdienen, die gschissenen Instandsetzungskassafledderer. Er klopfte wieder, diesmal lauter, und dann noch einmal, und beim dritten Mal legte er seinen ganzen Zorn ins Klopfen, es waren die Schädel von Kacki und Jürgen 3, an die er klopfte, und er wünschte, seine Fingerknöchel wären hart und schmerzfrei wie Stahl, er war verbittert, weil er keine Wahl hatte, denn auch er brauchte Geld und wenn die Trottel keine Miete zahlten, woher sollte es dann kommen, selbst ungeplündert wäre die Instandsetzungskassa keine dauerhafte Lösung, die war nur ein Notgroschen, es brauchte irgendein stetiges Einkommmen für die ganze Bagage, und nun, dachte P. Immel immer weiterklopfend, nun borgt man sich Geld für die Deppen, damit die arbeiten können, damit sie einem die Miete zahlen können, das ist Ökonomie verkehrt, da ist der Kapitalismus verrückt geworden, dachte er und haute so heftig gegen die Tür, dass er fast den Kopf der verrückten Chrissie, der Nichte von Erwin Kächele, getroffen hätte, als die endlich die Tür aufmachte.

»He!«, schrie das kleine Ding und zuckte zurück. Dann warf sie die Tür wieder zu. »Hilfe!«, rief sie hinter der Tür. »Hilfe, der Pimmel-Irre ist wieder da!«

»Nein, nicht«, rief P. Immel beschwichtigend durch die Tür, möglichst gedämpft und beruhigend, andererseits aber doch auch laut genug, um überhaupt noch durchzudringen zu der blöden Gurken, eine prekäre Gratwanderung. »Ich will zu H.R.!«

»Kann ja jeder sagen«, sagte das Mädchen auf der anderen Seite.

»Ehrlich. H.R. und ich sind befreundet …«

»Ich lass dich nicht rein, du wolltest mich schon einmal hauen!«

»Ja, aber da hattest du mir Wasser auf die Beine gekippt! Außerdem ist das schon ein paar Tage her!«

»Das mit dem Wasser war Notwehr!«

»Nein, war es nicht! Bitte«, ließ sich P. Immel herab, es wurde immer noch schlimmer mit den Demütigungen, »lass mich rein, ich muss mit H.R. sprechen!«

»Und wenn der gar nicht da ist?«

»Dann natürlich nicht. Dann geh ich wieder. Ist er denn nicht da?«

Die Tür ging auf. »Doch«, sagte Chrissie, »das war nur ein Test! Was willst du denn von dem?«

»Wüsste nicht, was dich das angeht!«

»Dann kannick dir ooch nich helfen«, sagte das Mädchen nachdenklich. »Wennde dit nonnéma saren kannst.«

»Ist heute Folkloretag?«, sagte P. Immel.

»Nee, wieso’n ditte?«

»Weil wenn die Schwaben berlinern, dann läuft was falsch am Folkloretag, Schwaben sollen schwäbeln, Chrissie!« So, jetzt hatte er ihren Namen laut ausgesprochen, irgendwie falsche Vertraulichkeit, fand er, war ihm selber peinlich, und zudem war das auch noch irgendwie ein Kose- oder Spitzname, wahrscheinlich hieß sie eigentlich Christine, hätte er Christine sagen sollen, um die Distanz zu wahren?

»Jetzt schleim hier mal nicht rum.« Sie trat einen Schritt beiseite, um ihn durchzulassen. »Dahinten rechts ist sein Zimmer!«

»Gott sei Dank, endlich redet sie wieder normal«, sagte P. Immel und trat ein. »Ich hatte schon Angst, das wäre ansteckend.«

»Mit wem redest du denn da über mich?«

»Nur so beiseite, wie bei Shakespeare, so quasi zum Publikum, eigentlich auch vom Kasperletheater her bekannt, müsste dir von da vertraut sein.«

»Ich kann dich auch gleich wieder rausschmeißen, Kerle!«

»Kerle«, sagte P. Immel. »Kerle sagt sie! Jetzt ist die Welt wieder in Ordnung! Welches Zimmer nochmal?«

*

Eigentlich wollte Raimund gar nicht mitgehen zu dieser Leo, die kannte er natürlich, aber es gab Musiker, die kamen besser mit ihr aus, so viel war mal...

Erscheint lt. Verlag 9.9.2021
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Ärger mit der Unsterblichkeit • Berlin • Buch • Der kleine Bruder • Element of Crime • Glitterschnitter • Herr Lehmann • Humor • Kreuzberg • Magical Mystery • Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt • Sven Regener • Wiener Straße
ISBN-10 3-462-30260-4 / 3462302604
ISBN-13 978-3-462-30260-8 / 9783462302608
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