Salonfähig (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
256 Seiten
Paul Zsolnay Verlag
978-3-552-07263-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Salonfähig - Elias Hirschl
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Was, wenn man sich ein perfektes Leben wie eine zweite Haut überziehen könnte? Willkommen bei Austrian Psycho
Stundenlang übt er vor dem Spiegel seinen Gang, sein Lächeln, seine Art zu sprechen. Julius Varga, der Parteichef, ist das ganz große Idol des namenlosen Erzählers. 'Ich gebe mich für dich auf, Julius. Ich liebe dich.' In seiner Abwesenheit gießt er seine Zimmerpflanzen, als ob dies ein Staatsakt wäre. Auf einer unteren Ebene dient der Erzähler der Partei und eifert seinem Vorbild nach. Er ist besessen von Marken und Äußerlichkeiten und der Ästhetik von Terroranschlägen. Elias Hirschls neuer Roman ist ein großer Wurf und ein Vergnügen. Das wahnwitzige Porträt der Generation Slim Fit: jung, schön, intelligent, reich, oberflächlich und brandgefährlich.

Elias Hirschl wurde 1994 in Wien geboren. Er ist Autor, Musiker, Slam Poet und schreibt für Theater und Radio. 2020 erhielt er den Reinhard-Priessnitz-Preis. Bücher u.a.: 'Meine Freunde haben Adolf Hitler getötet und alles, was sie mir mitgebracht haben, ist dieses lausige T-Shirt' (Roman, 2016), 'Hundert schwarze Nähmaschinen' (Roman, 2017) und bei Zsolnay die Romane Salonfähig (2021) und Content (2024).

3


Als Nächstes geht Julius Varga in seiner Rolle als Keynotespeaker und Moderator der Bundesleitungsklausur der Jungen Mitte zum dritten und wichtigsten Tagesordnungspunkt über und lässt die anwesenden Bundesobmannstellvertreter, die Bundesländer-, Gemeinde- und Bezirksvertreter sowie deren jeweilige Stellvertreter, die Abgeordneten, die EU-Abgeordneten, die Generalsekretärin, den Vizegeneralsekretär, den Grafik- & Multimediamanager, die Leiterin Projekte & Planung, den Pressesprecher sowie die Neuzugänge und Praktikanten unter dem Holzbalkendach des Gasthofs Zum goldenen Hirschen im niederösterreichischen St. Gottfried mittels Handzeichen über die bevorzugte Eventlocation der in drei Monaten anstehenden Mottoparty abstimmen.

Es ist seine letzte öffentliche Ansprache vor der versammelten Parteijugend, bevor er morgen als jüngster Bundeskanzlerkandidat der österreichischen Geschichte ins Wahlkampffinale ziehen wird. Ich bewundere die professionelle Ruhe seiner Stimme, seine sorgfältige Auswahl der Themen, die millimetergenau gesetzten Pausen und Schwerpunkte, seine perfekt sitzenden, schwarz glänzenden Haare, die sich schneidig von vorne nach hinten über seinen wohlgeformten Schädel ziehen, seine Krawatte, die sich elegant um seinen Kragen schlingt, und sein absolut natürliches Lächeln, das jeden Einzelnen im Publikum persönlich erreicht. Vor ihm präsentiert sich ein hölzernes Rednerpult, auf dem seine bügelglatten Notizblätter liegen, die er in den zwanzig Minuten seiner Rede nicht ein einziges Mal angesehen hat. Neben ihm steht ein futuristisch wirkender Aluminiumstuhl, an dem sein charakteristischer Gehstock mit silbernem Pferdekopf-Knauf lehnt. Der Stuhl ist selbstverständlich nicht zum Sitzen gedacht, sondern um einen optimalen Kontrapunkt zum schweren Holz zu bilden — ein kritischer, fragender Kontrast zwischen Eleganz und Funktionalität, die perfekte visuelle Fusion aus Tradition und Moderne, die auf subtile Weise die Kernpositionen der Partei widerspiegelt. Erwartungsvoll schaut Julius ins Publikum und wartet auf Vorschläge.

Ich sitze auf einem Massivholzstuhl mit weinroter Lederpolsterung und halte ein volles Glas Dom Pérignon in der Hand. Meine schwarzgefärbten Haare gegelt und nach hinten gekämmt, meine Krawatte ordentlich gebunden, meine Mundwinkel zu einem Lächeln gehoben, von dem ich hoffe, dass es natürlich wirkt, und während ich an Julius’ Lippen hänge, sind meine Gedanken bei den Kindern, die bei dem Anschlag in Kabul heute Morgen ums Leben gekommen sind.

Die Bundeslandvertreterin Kärnten trinkt einen Schluck Fanta, kratzt an ihrer Akne herum, zeigt auf und schlägt auf die Worterteilung des Moderators hin das Casineum Velden vor. Fünfzehn Hände gehen hoch, senken sich wieder. Danach erteilt Julius dem Bundeslandvertreter Steiermark das Wort, der den Landhauskeller Graz vorschlägt: 24 Hände. Alle zerfetzt. Eine Autobombe, hat der Nahostkorrespondent gesagt. Ein graues Auto ohne Nummernschild. Ohne Vorwarnung. Mitten auf dem Schulgelände. Ein Akt, so grausam, dass man sogar ein minimales Zittern in Walter Horns Stimme vernommen hat, als er es heute Morgen in den Nachrichten verkündet hat.

Ich schaue an die hölzerne Decke des Gasthofs, den Julius bei der letzten Bundesleitungsklausur ausgesucht hat. Als er noch Staatssekretär war. Als ich noch ein Niemand war.

Oberösterreich schlägt den Skygarden in Linz vor: sechzehn Hände. Über den ganzen Schulhof verteilt, über das baufällige Gebäude, über die angrenzende Einkaufsstraße. Ich schüttele anteilnehmend den Kopf, schaffe eine geistige Brücke zwischen mir und den Opfern.

Niederösterreich schlägt den Tanzpalast in Baden vor, und der Grafik- & Multimediamanager Karl Voigt, den ich durchaus als meinen besten Freund bezeichnen würde, fragt, ob der nicht vor drei Jahren abgebrannt ist, und ein Regionalabgeordneter aus Wiener Neustadt sagt, nein, der ist schon vor fünf Jahren abgebrannt, und es folgt unzufriedenes Geraune, und der Bundeslandvertreter Niederösterreich sagt, dann halt das La Boom in St. Pölten, das auf seiner Website ausdrücklich und glaubhaft versichert, nicht ausländerfeindlich zu sein, und es heben sich lediglich fünf Hände, eine davon von Niederösterreichs neuer Freundin, zwei von seinen Cousins, eine von ihm selbst und eine von irgendwem aus dem Burgenland.

Ich schaue zu Julius und sehe, dass er über die naiven und törichten Vorschläge väterlich lächelt. Ich lächle väterlich. Dann hört er auf zu lächeln und erteilt der nächsten Fraktion das Wort. Ich höre auf zu lächeln.

Burgenland schlägt irgendetwas vor, von dem niemand je gehört hat und niemand je wieder etwas hören wird, und es heben sich keine Hände, und wir tun alle so, als wäre es einfach nicht passiert, und dann ist Vorarlberg dran, und es passiert nochmal genau das Gleiche, und die Körperteile liegen überall verstreut, das Fleisch verkohlt, das Blut geronnen, Kinder, die einfach nur lesen lernen wollten. Kinder, die einfach nur schreiben und rechnen wollten. Und niemand im Raum redet davon. Nur Julius und ich denken an das Leid in der Welt. Ich weiß, dass er an das Leid in der Welt denkt. Er denkt immer an das Leid in der Welt. Ein Praktikant zeigt auf, die Leiterin Projekte & Planung Katharina Kathi Baumgartner schlägt ihm hart auf die Finger, murmelt: unfassbar, und er trinkt eingeschüchtert an seiner Sprite weiter und ist still, während Julius gnädigerweise so tut, als hätte er nichts gesehen. Tirol wird aufgerufen, dessen Vertreter erwartungsgemäß ein Lokal in den Innsbrucker Viaduktbögen vorschlägt, was Tumult bei der Wiener Fraktion auslöst, denn wenn die Bögen eine adäquate Möglichkeit darstellen, könne man ja auch gleich in so ein linksversifftes Lokal am Gürtel gehen, und der Tiroler Obmann ruft, das sei nicht linksversifft, deine Mutter ist linksversifft, und der Bezirksvertreter Margareten Hannes Pointner brüllt von meinem Nebentisch aus, es sei ihm im Grunde egal, er wolle nur vorab wissen, ob sie dort Jägermeister haben und welches Bier sie dort ausschenken, denn es könne ja wohl nicht sein, dass man wieder uninformiert irgendwohin gehe, und dann gebe es dort nur Zipfer und keinen Jägermeister, um das runterzuspülen, das ertrage er nicht noch einmal, dafür sei er nicht Mitglied geworden, und die Leiterin Projekte & Planung Katharina Kathi Baumgartner fragt, ob man denn Konfetti und Papiergirlanden bräuchte, sie könne jede Menge Konfetti und Papiergirlanden und Papierschlangen zum Freundschaftspreis von ihrem Onkel beziehen, der besitze eine Papierfabrik, und es zeigt sich immer noch niemand betroffen. Niemand hat Mitgefühl mit den Kindern. Und niemand weiß, wie sehr ich ihren Schmerz fühle. Wie sehr ich mich in diese Kinder hineinversetzen kann. Niemand weiß, was für ein mitfühlender, gutherziger Mensch ich bin. Kabul. Autobombe. Schule. Ein einminütiger Beitrag in den Nachrichten. Der Tod dieser Kinder hätte so viel mehr Sendezeit verdient. Man hätte so viel mehr aus diesem sinnlosen Sterben machen können. So viel ungenutztes Potenzial steckt in diesen zerfetzten Körpern. So viel vergeudetes, buntes, schillernd herabregnendes Material, und der Tiroler Obmann schreit, keine Sau braucht Konfetti! Und der Streit hat erst ein Ende, als ich eine autoritäre Hand erhebe, warte, bis es still geworden ist, und in meiner Rolle als Wiener Vizebezirksvertreter den Club Passage vorschlage, was sechzig hochfahrende Hände bringt und die Debatte beendet.

»Also dann die Passage«, sagt Julius, und ich sehe genau, dass er mir, bevor er zum vierten Tagesordnungspunkt (das Motto der Mottoparty) übergeht, ein kleines Gute-Wahl!-Zwinkern zuwirft, das mir warm durchs ganze Knochenmark fährt und endlich ein Stück der Anerkennung bringt, auf die ich seit Monaten gewartet habe. Ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen und nicke nur leicht mit dem Kopf, straffe meine Mundwinkel minimal zurück, sodass man den Ansatz meiner perlweißen Zähne erahnen kann. Sodass man meinen könnte, ich würde mich über das Zwinkern freuen, jedoch nicht zu sehr, um die Gedanken an die gesprengten Kinder nicht zu untergraben, aber auch nicht zu wenig, um nicht undankbar zu wirken, was die Gedanken an die gesprengten Kinder erst recht untergraben würde, und trinke anstandshalber einen Schluck Champagner. Das hohle Geräusch der schmalen, hochfrequent zerspringenden Gasperlen sagt mir, dass er ausgezeichnet schmecken muss, was mein Gesicht dazu veranlasst, eine minimale Reaktion ob der hohen Qualität zeigen zu lassen. Nicht zu viel, um nicht wie ein Laie zu wirken, nicht zu wenig, um nicht wie ein Snob zu wirken, stets darauf bedacht, die Arme weit genug...

Erscheint lt. Verlag 23.8.2021
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 21. Jahrhundert • American Psycho • Bestechung • Beste Unterhaltung • Blümel • Bret Easton Ellis • Bundeskanzler • Chats • Chuck Palahniuk • Emmanuel Macron • Fight Club • Gernot Blümel • Gordon Gekko • Hausdurchsuchung • Humor • Inserate • Jordon Belfort • Justin Trudeau • Karlheinz Grasser • Koalition • Korruption • kurz • Longlist Deutscher Hörbuchpreis • Mitterlehner • #ohnefolie • ohnefolie • Österreich • Parodie • Patrick Bateman • Philipp Amthor • Poetry Slam • Politik • Prätorianer • Regierungskrise • Rücktritt • Satire • Schallenberg • Schmid • Sebastian Kurz • Shreddern • Slim Fit • Terror • Transparenz • Türkis • Umfragen • Unschuldsvermutung • Wallstreet • Wien • WKStA
ISBN-10 3-552-07263-2 / 3552072632
ISBN-13 978-3-552-07263-3 / 9783552072633
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