Eine kurze Liste meiner Probleme (Mutter nicht mitgezählt) (eBook)
352 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-26823-7 (ISBN)
Zwei Schwestern, drei Tanten und ein Todesfall - willkommen im Leben von Cressida Catterberg!
Cressidas Probleme lassen sich schnell aufzählen: zu wenig Geld, zu viele Dates, zu viele anstrengende Familienmitglieder. Dazu noch Mika, der One-Night-Stand ihrer Mitbewohnerin, der sich in ihrer WG einquartiert hat. Ganz oben auf der Liste steht allerdings Cressis Mutter Eveline. Genauer gesagt deren Beerdigung und letzter Wunsch: Ihre Asche soll illegalerweise im Englischen Garten verstreut werden, außerdem hat sie Cressi auch noch ein altes Bistro hinterlassen. Kein Wunder, dass Cressi ständig ihren Therapeuten, Herrn Lindholm, anrufen muss. Ihr Leben ist ein einziger Notfall! Aber womöglich könnte Mika ihr dabei helfen, das Leben und ihr Herz in den Griff zu bekommen ...
Mimi Steinfeld ist das Pseudonym für Beate Teresa Hanika, geboren 1976 in Regensburg. Rund um Cressi Catterberg und deren turbulentes Liebes- und Familienleben hat sie zwei bezaubernde Komödien geschaffen. Zuvor hatte sie sich bereits einen Namen als Autorin erfolgreicher Jugendbücher und literarischer Romane gemacht. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Regensburg.
#Inlovewiththetherapist
Mein Therapeut Samuel Lindholm meinte, es wäre hilfreich, wenn ich niederschreiben würde, was mir den ganzen Tag so durch den Kopf geht. Damit ich mir selbst näherkomme und verstehe, wie die Zusammenhänge funktionieren. Herr Lindholm meint, er selbst wüsste das ganz genau, aber in Wahrheit hat er keine Ahnung. Trotzdem beginne ich heute damit, alles aufzuschreiben, einfach, weil ich Herrn Lindholm gerne glücklich mache, und er ist wahnsinnig glücklich, wenn man seine Anweisungen befolgt.
Vielleicht hat das Ganze ja auch etwas Gutes. Und zwar, dass er begreift, wie schwierig es ist, eine ausgeglichene Person zu sein, wenn man ein Leben führt wie ich. Nicht nur, dass ich mich generell in die falschen Männer verliebe und mit den falschen Männern Sex habe, nein, ich habe auch mit zu vielen Männern Sex, weil ich nicht Nein sagen kann und weil ich meine eigenen Grenzen nicht kenne. Wie soll dann jemand anders meine Grenzen kennen. Ganz logisch. Deswegen soll ich den Kontakt zu Männern während meiner Therapie meiden. Außer natürlich zu Samuel Lindholm. Ganz klar.
Ich kam aus seiner Praxis und checkte meine Mails, während ich zur U-Bahn lief.
Samuel Lindholm zwingt mich, mein iPhone während der Sitzungen abzustellen, was zur Folge hat, dass ich mich nachher durch einen Wust von WhatsApps ackern muss. Einige waren von Phil, dem Make-up-Artist, mit dem ich zusammenarbeite (»Wo bleibst du Babyyy???«), aber die meisten Mails waren von meinen Schwestern Anna und Eva. Wir sind uns generell sehr nah und haben viel Kontakt. Oft mehr Kontakt, als ich selbst für gesund halte, aber es ist wirklich schwer, sich gegen meine Schwestern, meine Mutter und Tanten zu wehren. Sie sind wie eine einzige riesige mehrköpfige Schlange, die einen ständig verschlingt und danach gut durchgekaut wieder ausspuckt. Ich lief also zügigen Schrittes zur U-Bahn und scrollte mich durch die WhatsApps:
»Cressi, diesmal ist es ernst, wir sind alle bei Mama.«
»Warum ist dein verdammtes iPhone nicht an.«
»Wenn du gerade deinen Therapeuten vögelst, dreh ich dir den Hals um.«
»Sie hat gesagt, sie stirbt nicht, ehe du da bist, also leg einen Zacken zu.«
»Cressi, Tante Violetta hat gesagt, es ist eine Schande, wenn man nicht mal kommt, wenn die eigene Mutter im Sterben liegt.«
»Mutter sagt, du bist enterbt, und Eva und ich bekommen das Haus. Also dalli, dalli.«
Ich stopfte das Telefon zurück in die Tasche. Manchmal habe ich das Gefühl, ich kriege von solchen Nachrichten einen Orgasmus. Herr Lindholm sagt, das ist meine Reaktion auf wirklich großen Stress, und ich glaube, er hat ausnahmsweise recht. Ich kann einfach nicht mit Adrenalin umgehen, zumindest nicht mit den Mengen, die mein Körper in solchen Momenten produziert. Dazu muss ich sagen, dass Mutter die letzten Jahre immer wieder gestorben ist. Sie hat ein schwaches Herz, und ihr Hausarzt hat uns darauf hingewiesen, dass es jederzeit vorbei sein kann, vor allem, weil Mutter keine Medikamente nimmt, sondern sich mit Kräutertees selbst therapiert. Er hat gesagt, wir sollten uns nicht wundern, wenn wir sie eines Tages tot in der Küche finden. Das sind keine beruhigenden Aussichten. Zudem kündigt Mama auch selbst immer wieder ihr bevorstehendes Ableben an, vorzugsweise wenn eine von uns dreien eine Urlaubsreise bucht oder geschäftlich unterwegs ist. Am liebsten ruft sie an, wenn man gerade im Taxi auf dem Weg zum Flughafen sitzt.
Sie: »Liebes, lass dich nicht aufhalten, ich wollte nur noch einmal mit dir reden.«
Ich (alarmiert): »Was ist los?«
Sie: »Ach, nichts.«
Ich: »Mama!«
Sie: »Es ist wieder das Herz. Dr. Moser wollte mich in das Städtische einliefern. Aber ich habe abgelehnt.«
Ich: »Warum in Gottes Namen?«
Sie: »Ich will zu Hause sterben.«
Schweigen. Ich gebe dem Taxifahrer ein Zeichen, dass er am Straßenrand anhalten soll, was er nur unter Protest tut. Er flucht irgendetwas auf Indisch, und ich bin froh, dass ich ihn nicht verstehen kann.
Sie: »Ich wollte dir nur noch einmal sagen, dass ich dich liebe, Cressida.«
Ich hasse das. Ich hasse das wirklich.
Ich: »Ich bin auf dem Weg zum Flughafen.«
Sie (verschnupft): »Ist schon gut, Cressi, wenn dir dein Job wichtiger ist.«
So läuft es immer. Das Ende vom Lied ist, dass wir bei ihr auf der Matte stehen. Alle. Lindholm sagt, das Verhalten meiner Mutter sei zutiefst manipulativ, und ich solle mich möglichst bald aus dieser ungesunden Verstrickung lösen. Ich glaube, Herr Lindholm hat keine Mutter.
Statt weiter zur U-Bahn zu laufen, winkte ich einem Taxi, nicht ohne vorher einen nervösen Blick zu Lindholms Fenster zu werfen. Ich hatte keine Lust, von ihm dabei ertappt zu werden, wie ich schon wieder schwach wurde und dem Ruf meiner Schwestern folgte. Ich machte schließlich große Fortschritte. Hatte ich nicht noch vorhin betont, dass ich mit der U-Bahn (er hatte zweifelnd die linke Augenbraue nach oben gezogen) zu einem Job für die Cosmo in ein Studio nach Nymphenburg fahren würde? Zugegeben, ich liebe es, ihm zu imponieren. Cosmopolitan hört sich einfach fantastisch an. Wichtig. Glamourös. Sexy. Vor allem unglaublich sexy. Die Wahrheit ist: Ich arbeite als Stylistin, und das ist wirklich die niedrigste Stufe in diesem ganzen Spiel. Ich ziehe die Models an und wieder aus. Zupfe da ein wenig und dort. Aber ich bin nicht unzufrieden. Als Stylistin hat man die reelle Chance, ein It-Girl zu werden. Man denke nur an Chiara Totire. Man muss nur einigermaßen hübsch sein und Stil haben. Stil habe ich auf jeden Fall. Natürlich erzähle ich nichts davon Samuel Lindholm. Er will mich immer noch davon überzeugen, dass ich mehr an die Zukunft denken und nicht nur von der Hand in den Mund leben sollte. Er meint damit, ich solle studieren, damit ich irgendwann einen »vernünftigen« Job bekomme. Meine Schwester Eva würde sagen:
»Fuck you, Scheißtherapeut! Das ist mein Leben!«
Aber so weit bin ich noch nicht.
Mutter lebte immer noch in dem kleinen Reihenhäuschen in Harlaching, das sie seinerzeit mit meinem Vater gekauft hat. Es gab für Kinder wahrscheinlich keinen besseren Ort auf der Welt zum Aufwachsen als Harlaching. Es war derart ruhig und bürgerlich, dass Eva jedes Mal Brechreiz bekam, wenn sie dort aufschlug. Ihrer Meinung nach musste Rosamunde Pilcher hier geboren sein, ansonsten hätte sie keine derart abgründigen Bücher schreiben können. Eva war Lektorin, und sie hasste Rosamunde Pilcher. Wahrscheinlich weil sie nicht ihre Lektorin gewesen war.
Eva wartete am Gartentor auf mich. Ich konnte an ihrem Gesicht sehen, dass sie schon wirklich lange dort gestanden hatte. Ihre Frisur (hochaktueller Bob, inspiriert von Karlie Kloss, denn langes Haar war ja unfassbar öde) kräuselte sich in der feuchten Frühlingsluft.
»Lindholm hat sich verquatscht.« Das stimmte nicht ganz. Im Grunde hatte ich mich verquatscht, und Lindholm hatte immer wieder diskret auf seine Uhr gesehen, die zwischen uns auf dem kleinen Tischchen stand. Aber er war zu höflich gewesen, um mich darauf hinzuweisen, dass ich die Stunde überzog.
»Bloß weil du in deinen Therapeuten verknallt bist, lässt du uns allein mit Mama.«
Das saß.
Ich muss eines klarstellen: Ich bin nicht in Lindholm verknallt. Ich liebe ihn. Nicht wie andere Patientinnen ihre Therapeuten lieben. Nein. Es ist etwas Wahres. Ehrliches. Eine tiefe, innige Verbundenheit.
»Lass den Scheiß, Eva. Was ist mit Mama.«
»Sie stirbt.«
»Na dann.«
Wir liefen nebeneinander den Gartenweg zu Mamas Haus hinauf. Schröder, Mamas alter Setter, trottete auf uns zu und leckte meine Hand. Drinnen saßen Maggie, Bärbel und Violetta, Mamas Schwestern, und tranken Tee. Sie waren alle ledig oder verwitwet und hatten nichts zu tun, als bei Mama abzuhängen. Sie unterhielten sich über Prinzessin Kates erneute Schwangerschaft und würdigten mich keines Blickes. Wer zu spät zum Tod der eigenen Mutter kam, wurde in unserer Familie wirklich geächtet. Schlimmer ging es praktisch nicht mehr. Manchmal fragte ich mich, was ich mit diesen Menschen gemein hatte, und dann erschien es mir, als hätte ein einziger riesiger Zufall uns alle in diesem Haus versammelt. Anna sagte dann, das sei doch Quatsch, man suche sich seine Familie aus. Die Eltern, sein Schicksal, all das. Manchmal brachte mich Anna mit ihrem spirituellen Gelaber wirklich auf die Palme. Was hatte mich, bitte schön, geritten, mir diese Menschen auszusuchen. Hätte ich mir nicht Charles Bronson aussuchen können? Oder jemanden, der nicht reich, aber dafür unglaublich schön war?
Auf Mamas Bettkante saß Anna mit ihrer kleinen Tochter Suki auf dem Arm. Meine Neffen Benno und Chrissi verhauten einander auf dem Teppich, wobei sie aus Pietätsgründen zumindest keine Geräusche von sich gaben.
»Endlich!« Anna sprang auf und umarmte mich hektisch. »Sie will uns unbedingt zu dritt sehen.«
»So wie immer«, zischte ich sie an.
»Klappe!« Eva nahm ihr Suki vom Arm und schickte sie mit den beiden Jungen nach unten.
»Was geht, Mama.« Ich setzte mich zu ihr, und sie öffnete die Augen, um mir einen ihrer zutiefst strafenden Blicke zuzuwerfen.
»Ich habe es nicht schneller geschafft.«
»Sie musste noch ihren Therapeuten anhimmeln.«
Ich warf Eva einen bitterbösen Blick zu.
»Du brauchst doch keinen Therapeuten, Kind. Dafür hast du doch deine Schwestern.«
In meiner Brust machte sich eine unbestimmte Verzweiflung...
Erscheint lt. Verlag | 14.2.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | 2022 • Beste Freundin • eBooks • Frauenromane • kleine geschenke für frauen • Komödie • Liebe • Liebesromane • Liebesroman Neuerscheinungen 2021 • München • Neuerscheinung • Neu Taschenbuch 2021 • Romane für Frauen • Roman Frauen |
ISBN-10 | 3-641-26823-0 / 3641268230 |
ISBN-13 | 978-3-641-26823-7 / 9783641268237 |
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