Sonnenseite (eBook)
400 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-27700-0 (ISBN)
Nur wenige deutschsprachige Künstler blicken auf eine solche Karriere zurück: Seit fast 50 Jahren steht Roland Kaiser auf der Bühne, Hits wie Santa Maria, Joana, Dich zu lieben oder Warum hast du nicht nein gesagt machten ihn bekannt, er verkaufte mehr als 90 Millionen Tonträger, wurde mit Preisen geehrt und trat so häufig in der ZDF-Hitparade auf wie niemand sonst: 67 Mal. Die Konzerte seiner jährlichen Kaisermania in Dresden sind in wenigen Minuten ausverkauft.
Angefangen hat es ganz unglamourös. 1952 in Berlin zur Welt gekommen, gab seine leibliche Mutter ihn fort. Ronald Keiler, wie er damals hieß, wuchs bei einer Pflegemutter auf, einer einfachen und warmherzigen Frau - deren gelebte Werte ihn bis heute leiten: Anstand, Ehrlichkeit, Konstanz. Er erlebte den Mauerbau, hörte 1961 Willy Brandts Rede vor dem Schöneberger Rathaus und 1963 John F. Kennedy, als er sagte Ich bin ein Berliner. Durch einen Zufall wurde er mit 21 Jahren ins legendäre Hansa-Tonstudio eingeladen, sang In the Ghetto - und bekam umgehend einen Plattenvertrag. Aus Ronald Keiler wurde Roland Kaiser. 1976 gelang ihm mit Verde ein erster Erfolg, 1980 mit Santa Maria der große Durchbruch.
In fast fünf Jahrzehnten hat Roland Kaiser miterlebt, wie Deutschland sich veränderte. Und natürlich hat auch er sich verändert. Im Jahr 2000 erkrankte er an der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung COPD - nur eine Transplantation rettete ihm das Leben. Dass dieses zweite Leben auch zu einer zweiten Karriere führte (sein Duett Warum hast du nicht nein gesagt mit Maite Kelly wurde bis heute sagenhafte 150 Millionen Mal auf YouTube geklickt und wurde mittlerweile 5-fach mit Gold ausgezeichnet), macht ihn dankbar und demütig. Er engagiert sich in zahlreichen Stiftungen und sozialen Einrichtungen, um etwas zurückzugeben. Wie sehr Solidarität und Gerechtigkeit im Leben zählen, das hat er schon als Junge im Berliner Wedding gelernt.
In Sonnenseite blickt Roland Kaiser zurück - und erzählt dabei nicht nur aus seinem Leben, sondern immer wieder auch deutsche Zeitgeschichte. Ein Buch für seine Fans und alle, die sich für Schlager und Politik, für Musik und Nachkriegsgeschichte begeistern.
Roland Kaiser, am 10. Mai 1952 als Ronald Keiler geboren, wird seit fast 50 Jahren auf deutschen Bühnen gefeiert. Seine Konzerte in der Waldbühne Berlin gehören zum absoluten Highlight eines jeden Open Air-Sommers, jährlich gekrönt mit den KAISERMANIA-Konzerten in Dresden, die seit fast 20 Jahren nicht nur einen unglaublichen Kultstatus erreicht haben, sondern mittlerweile auch in absoluter Rekordzeit ausverkauft sind. In den größten Hallen Deutschlands elektrisiert er live mit seiner hervorragenden Band bis heute mit seinen Tourneen Hunderttausende mit hervorragender Musik und atemberaubenden Bühnen- und Lichtshows. Seine Fangemeinde umfasst mittlerweile drei Generationen. Er gilt als DER Erfolgskünstler der deutschen Unterhaltungsmusik.
Back to LIVE
Es ist 19.28 Uhr.
Der Himmel draußen ist fast wolkenlos, und das klare Blau des Tages wird langsam grau. Ich höre Schritte, Stimmen, manchmal ein Lachen, ab und zu pfeift jemand.
Um 19.35 Uhr gehst du raus, sagt Sandra, spätestens um 19.40 Uhr.
Wir werden also mit Verspätung beginnen. Dabei bin ich gern pünktlich. Doch die Regeln heute Abend sind streng. Der Einlass muss beendet, alle müssen auf ihren Plätzen sein, kein Herumlaufen, kein Alkohol, und natürlich gilt das Abstands- und Maskengebot, überall haben sich Ordner in Warnwesten positioniert.
Die Stimmen auf der anderen Seite des Vorhangs werden ungeduldiger, hier und da ruft jemand. Die Akustik in der Berliner Waldbühne ist sehr klar, weil sie wie ein antikes Theater in einen Talkessel hineingebaut wurde. Im Halbrund ziehen sich die steinernen Ränge den steilen Hang hinauf. Während der Olympischen Spiele 1936 fanden hier die Wettkämpfe im Geräteturnen statt. Ungefähr dort, wo heute die Ton- und Lichttechniker sitzen, war damals die Führerloge. Außerdem gibt es einen unterirdischen Gang, der in den Backstage-Bereich hinter der Bühne führt. Der Gang ist nicht besonders breit, aber ziemlich lang und verwinkelt. Damit man darin niemanden hinterrücks erschießen kann, heißt es. Der wahre Grund ist banaler und hat vor allem mit der Streckenführung zu tun. Ich bin durch diesen Tunnel in den Backstage-Bereich gelaufen, weil ich gern ungesehen auf die Bühne gehe. Wer schießt schon auf einen Unterhaltungskünstler?
Draußen beginnt das Publikum, rhythmisch zu klatschen. Mehr als 22 000 Menschen passen in die Waldbühne, 4500 Karten durften ausgegeben werden; für das erste Konzert am Vortag waren sie innerhalb von 24 Stunden ausverkauft. Ein halbes Jahr nach Beginn des Lockdowns im März 2020 wird die Waldbühne wieder eröffnet – die ersten großen Open-Air-Konzerte seit Ausbruch der Pandemie –, und die Menschen sehnen sich nach Unterhaltung und Kultur. Beides ist eben kein Luxus, sondern ein Grundbedürfnis, gerade in Krisen. Das haben wir in den vergangenen Monaten eindrücklich erlebt. Die Leute wollen endlich wieder Musik hören, sie wollen lachen, singen, tanzen, sie wollen besondere Momente erleben und sie mit anderen teilen, zumindest im Rahmen des Möglichen. Wochenlang haben sich der Konzertveranstalter und die Verantwortlichen der Waldbühne im Vorfeld mit dem Gesundheitsamt abgestimmt. Das Hygiene- und Infektionsschutzkonzept umfasst 27 Seiten und definiert Schutzmaßnahmen, Regeln und Abstände. Es bestimmt, wer wo und neben wem sitzen darf und wer nicht; es bestimmt, wie An- und Abreise, Ein- und Auslass, Produktion, Technik und Catering zu managen sind. Außerdem wurden die Eintrittskarten personalisiert, am Eingang ist der Personalausweis vorzuzeigen. Der Katalog ist umfangreich und dezidiert, und natürlich appellieren die Verantwortlichen auch an das Verantwortungsbewusstsein jedes Einzelnen. Anders geht es gar nicht.
19.32 Uhr. Sandra bekommt über Funk eine Nachricht. Und nickt. Der Einlass ist beendet, sagt sie, wir können anfangen. Draußen – als hätten die Leute ihre Worte auch gehört – steigert sich der Jubel. Ich höre die Freude der Fans und freue mich mit ihnen, meine Begeisterung wächst mit dem Pegel ihrer Begeisterung: endlich wieder auftreten, endlich wieder live spielen! Ein Livekonzert ist etwas Besonderes – diese Nähe, diese Lebendigkeit, diese Unmittelbarkeit! Die Überraschung, wenn ein bekannter Song plötzlich anders arrangiert ist. Das Glück, in den Klang einzutauchen, der uns alle umgibt, ins Licht, in diese aufgeladene Atmosphäre. Das gemeinsame Erleben eines einzigartigen Augenblicks, dieses Wir-Gefühl, das glücklicher macht als irgendwelche Besitztümer. Als ich gestern Abend mit der Band auf die Bühne kam, hielten die Fans ein Transparent hoch: Wir haben euch so vermisst! Wir waren gerührt. Auch die Band und ich hatten einander monatelang nicht gesehen, hatten monatelang nicht miteinander gespielt. Es wurde ein sehr bewegender Abend. Die Luft flirrte und funkelte vor geteilter Freude. Alle spürten: Es ist höchste Zeit, auf die Bühne zurückzukehren.
Die Künstlerinnen und Künstler waren die Ersten, die es traf. Über Nacht verloren sie ihre Jobs. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich kritisiere den Lockdown nicht. Ich finde, Bund und Länder haben gut reagiert, sie haben rasch und mit Maß gehandelt in einer Zeit, in der man nicht viel über das Virus wusste. Doch auf Dauer können wir auf Kultur und Unterhaltung nicht verzichten, und die Menschen brauchen wieder eine Perspektive. Das Publikum braucht sie – und die Kunstschaffenden, die Veranstalter, die Tour- und Technikteams, die Catering-Crews und Booking-Agenturen brauchen sie. Genau wie Filmemacher, Autorinnen, Schauspieler, Bühnenbauerinnen, Masken- und Kostümbildner, Kameramänner und Tontechnikerinnen, Museumsleute und Clubbetreiber. Für viele geht es ums schiere Überleben. Darum wollen wir mit diesen beiden Back to LIVE-Konzerten ein Signal setzen und den politisch Verantwortlichen sagen: Bitte gebt auch der Kultur- und Veranstaltungsbranche, den großen und kleinen Firmen und den vielen Soloselbstständigen wieder die Chance, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Gebt ihnen die Möglichkeit, in einem epidemiologisch und ökonomisch vertretbaren Rahmen Konzerte zu spielen und Theater zu machen, Filme, Kabarett, Ausstellungen, Performances. Sonst gehen in der Unterhaltungsindustrie sehr viele Unternehmen in Konkurs. Und an jeder Pleite hängen Existenzen, Menschen, Familien.
19.34 Uhr. Meine Frau prüft den Sitz meiner Krawatte. Silvias Blick entgeht nichts. Für heute hat sie zwei Dreiteiler mitgebracht, einen hellen und einen dunkleren, falls es doch regnen sollte. Silvia achtet akribisch auf Details, dokumentiert die Farbe meiner Anzüge, die Krawatten, Einstecktücher, Manschettenknöpfe (für heute hat sie die mit dem Berliner Bären ausgewählt). Sie bewahrt mich sozusagen davor, zweimal hintereinander im selben Kleid zur Party zu gehen. Ich bin froh über ihre Unterstützung. Höflichkeit und Respekt sind mir wichtig – und wenn sich meine Fans auf einen Konzertabend vorbereiten, gebe ich mir mindestens ebenso viel Mühe.
19.35 Uhr. Gitarrist, Bassist, Drummer, Geigerinnen, Bratschistin, Cellistin, Keyboarder, Pianist und die Sängerinnen – alle haben sich inzwischen verkabelt und ihre Monitoring-Kopfhörer in die Ohren gestöpselt. Alle tragen Schwarz. Alle tragen Masken. Und weil auch wir hinter und auf der Bühne Abstand halten müssen, stellen sie sich mit Abstand zum Es-geht-los-Ritual auf, strecken ihre Hände aus und lassen sie mit einem anschwellenden Ohhhhhhhhh! in die Luft steigen, wie Fußballer in der Kabine vor dem entscheidenden Spiel.
Das Medienecho nach dem ersten Konzert am Vortag war überwältigend: Bild-Zeitung und Süddeutsche haben berichtet, FAZ und Hürriyet, dpa, Tagesspiegel und BZ, Stern und Bunte, ARD, ZDF und etliche Privatsender und natürlich die sozialen Medien. Er sei schon bei sehr, sehr vielen Konzerten gewesen, schrieb ein Kommentator, doch keines habe ihn so berührt. Er habe die 4499 anderen Anwesenden nicht gekannt und doch jeden Einzelnen vermisst: Corona zeige uns, wie sehr Menschen andere Menschen brauchen.
19.37 Uhr. Der Monitortechniker prüft noch einmal meine Verkabelung, das Beltpack an meinem Gürtel. Draußen verschwindet das letzte Licht des Tages. Es ist immer etwas Besonderes, im Dunklen auf die Bühne zu gehen – für die Band, für mich und auch für das Publikum.
19.38 Uhr. Früher wäre ich in so einem Moment noch einmal meine Moderationen durchgegangen. Ich hatte immer Lampenfieber. Heute, in meinem zweiten Leben, denke ich: Was soll mir noch passieren? Ich nehme meinen Job ernst, meine Fans, ich gebe mein Bestes – wenn trotzdem mal was schiefgeht, ist das nicht das Ende der Welt. Im Gegenteil: Manchmal entsteht sogar etwas Neues, etwas, das ich mir nicht hätte ausdenken können.
19.39 Uhr. Die Maskenbildnerin tupft mit einem Tuch über meine Stirn. Silvia fährt mir mit der Fusselrolle übers Revers. Viviane, die seit vielen Jahren meine Buchungen koordiniert und die Konzerte betreut, nickt mir zu. Dieter, mein alter Freund und Wegbegleiter, reckt beide Daumen in die Höhe und ruft: Toi, toi, toi!
Sandra nimmt den schweren, schwarzen Vorhang ein Stück beiseite. Draußen begrüßt eine Stimme über die riesigen Bühnenlautsprecher das Publikum. Sie weist noch einmal ausdrücklich auf sämtliche Corona-Hygienevorschriften hin. Und schließlich, endlich sagt sie: Wir wünschen euch viel Spaß! In den Jubel mischen sich die ersten Takte von Ich glaub, es geht schon wieder los, und im nächsten Moment erfüllt unser Opening die Waldbühne. Die Fans singen mit, sie klatschen im Takt.
19.40 Uhr. Die Musiker drängen sich hinter dem Vorhang. Ich sage: We can go! und hebe den Daumen in Sandras Richtung.
Stopp, ruft der Produktionsleiter.
Alle verharren, wie Autos, die synchron eine Vollbremsung machen.
Sandra fragt über Funk, was los ist. Jörg, mein Gitarrist, hört über seine Kopfhörer, dass es ein Softwareproblem gibt und die Tontechniker die Computer neu hochfahren müssen. Der Drummer lacht. Die Sängerinnen gehen auf und ab. Die Geigerinnen gehen auf und ab. Die Bratschistin, der Bassist, der Pianist, der Keyboarder, alle warten. Und Sandra lässt niemanden aus den...
Erscheint lt. Verlag | 18.10.2021 |
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Zusatzinfo | m. Bildteil |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Alles oder dich • Berlin Biografie • Berlin Wedding • bewegende Biografie • Biografie • Biographien • COPD • eBooks • Gegen die Liebe kommt man nicht an • Geschenk Weihnachten • Hansa Studios • helene fischer show • Inspirierend • Joana • Kaisermania • Kunst • Lungentransplantation • Maite Kelly • Musik • Perspektiven • Peter Wackel • Ronald Keiler • Santa Maria • Schlager • Schlagerstar • Seelenbahnen • Soziales Engagement • SPD • Unterhaltung mit Haltung • Warum hast du nicht nein gesagt • Weihnachtsgeschenk • ZDF Hitparade |
ISBN-10 | 3-641-27700-0 / 3641277000 |
ISBN-13 | 978-3-641-27700-0 / 9783641277000 |
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