»Potz Louis Harms & Candaze«
Texte zu Arno Schmidts »Die Schule der Atheisten«
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Hatte sich der Vorgängerband dieses Buchs »Tellingstedt & der Weg dorthin« noch überwiegend mit dem »setting« der Rahmenhandlung der Schule der Atheisten befasst – dem Leben nach der fiktiven Katastrophe im Jahr 2014 –, so bilden die Beiträge dieses Bandes gewissermaßen das Gegenstück hierzu: schwerpunktmäßig geht es um das aus Erinnerungsbruchstücken zusammengetragene längere Gedankenspiel des Protagonisten William T. Kolderup, also um die Schiffbruchs- und Inselgeschichte in der Binnenerzählung, die vom Zusammentreffen zweier Missionare mit drei ›Atheisten‹ handelt.
In der Schmidt-Forschung wird diese Binnenhandlung zumeist als Rechtfertigungsrede des alten, von der ›wirklichen Welt‹ desillusionierten Senators Kolderup gesehen, der seine ›Erinnerungen‹ – seien sie nun faktisch begründet oder aus Einbildungen bestehend – funktionalisiert, um sich die amerikanischen und chinesischen Garantiemächte gewogen zu machen und den Fortbestand des Tellingstedter ›Reservats‹ wenigstens auf Zeit zu sichern. Die Herausgeber betrachten die Schiffsepisode und die ›Robinsonade‹, die in der »Culisse v SPENSER=Island« spielt, jedoch auch als konsequente Fortsetzung des Schmidt’schen Leviathanismus, seiner Abrechnung mit dem christlichen Heilsversprechen in Gestalt einer umgekehrten Theodizee, die in einer ›Schule‹ des Atheismus mit eigenem poetologischem Wert und Aussagegehalt gipfelt. In Schmidts ›Robinsonade‹ bestimmen ans Wunderbare grenzende Zufälle das Geschehen, die – um es mit Goethes bekannter Definition der Novelle zu halten – in einem Reigen »unerhörte[r] Begebenheit[en]« bestehen.
Wir begleiten Schmidts Protagonisten Kolderup auf eine fingierte Zeitreise in das Jahr 1969, das Jahr der Niederschrift der »Novellen=Comödie in 6 Aufzügen«. Die Binnenhandlung ist – wie der gesamte Roman – Ausdruck, aber auch Dokument der zunehmenden Unsicherheiten in der modernen Welt angesichts der bedrohlichen Weltlage und des ideologischen Wettstreits in Zeiten des sich zuspitzenden Kalten Krieges. Schmidt fühlte sich wie sein Protagonist Kolderup einem »Ahnen=, & Enkel=Dienst« (SdA 177) an der Literatur verpflichtet, in der Nachfolge seiner literarischen Lieblinge, die von der Schmidt-Forschung als »Hausgötter« bezeichnet werden. Die Schule der Atheisten als Roman des Spätwerks ließe sich somit als Erfüllung eines schriftstellerischen Vermächtnisses verstehen, dass die Literatur – und sei es auch nur als »Karikatur unsrer Großn Romane« (SdA 181) – einen poetischen ›Wahrheitsgehalt‹ zu beanspruchen habe, deren einzige »Bürgschaft« (SdA 290) in einem Zitaten-Patchwork aus Robinsonaden, Felsenburgiaden, abenteuerlichen Reisen im Stil Jules Vernes, Bibelversatzstücken und sogar Re-Importen aus der altchinesischen Philosophie besteht; ganz ähnlich, wie es T. S. Eliot am Ende seines Langgedichts The Waste Land aus dem Jahr 1922 eingestanden hat: »These fragments I have shored against my ruins«.
Das mit der Haupthandlung verzahnte »DazwischenSpiel« – so benennt der Autor den Sprung in die Zeitkapsel im »Comödienzettel« (SdA 9) des Romans – markiert eine Zwischenstation in retardierender Absicht: Vor dem als wahrscheinlich anzunehmenden finalen »Krieg der Welten« (H. G. Wells) werden in den zahlreichen Rückblenden vornehmlich die Gespräche zwischen den schiffbrüchigen ›Atheisten‹ und den zwei als »Missis« (SdA 173) bezeichneten mitreisenden Missionaren wiedergegeben. Geht es in der Rahmenhandlung vornehmlich um die »Bezauberung« der Außenministerin der USA »zur Festigung der gefährdeten Reservatsexistenz«, so dreht sich die Binnenhandlung »mehr oder weniger um die Zeugung der hohen Frau auf einer ›Insel der Bewährung‹«. Das Ende dieses Interludiums bleibt jedoch offen: Butt, der eine der mitreisenden Atheisten, fällt der kurzzeitigen Illusion eines Paradieses auf Erden anheim, wird bekehrt und begibt sich anschließend in die fürsorgliche Obhut des »United Christendom« (SdA 299). Gottfehd Schweighäuser, der zweite Atheist in der eingewobenen Inselhandlung, ist nur noch am Schiffbruch beteiligt – einer ›Inszenierung‹ der amerikanischen »missionärrischen« Medienindustrie. Nach dem Inselasyl seiner Begleiter macht er sich zu seinen Verwandten nach Minnesota davon, wie zu vermuten ist, in Begleitung der beiden Missionare. Zurück bleibt nur der junge William T. Kolderup. Nach 45 Jahren blickt der nun alt gewordene Kolderup auf diese Jugendepisode zurück und trotzt als Senator und Friedensrichter in Tellingstedt weiter Gott und der Welt. Er leitet die Geschicke eines ›Reservats‹ der Amerikaner, deren Außenministerin, die Tochter der damaligen Missionarin Marjorie Kennan, nun im Jahr 2014 als »ISIS« der norddeutschen Kolonie einen Besuch abstattet. Die Welt steuert indes auf eine größere Katastrophe zu.
Schmidts »Novellen=Comödie« stellt Leserinnen und Leser vor viele Fragen: Wer sollte damals, im Jahr 1969, eigentlich missioniert werden – nur der leichtgläubige und wetterwendische Butt, gleichsam um ein Exempel zu statuieren, oder doch vielleicht irgendwelche Heiden in den Weiten des Pazifiks? Wohin ist das Missionsschiff »Kandace« (SdA 189) eigentlich unterwegs? Welcher Blick wird auf die weltweite Missionstätigkeit der christlichen Kirchen geworfen, und aus welchen Quellen speisen sich die Kontroversen zwischen den »Missis« und den trotz aller Skepsis ›bibelfesten‹ »Atheisten« eigentlich? Woher nahm Schmidt sein Wissen, um aus der Bibel, dem Buch der vielen Bücher, sein eigenes ›Buch der Bücher‹ montieren zu können? Und schließlich: Könnte nicht doch im christlichen Erlösungsglauben so etwas wie ein Funke Hoffnung aufglimmen?
Schmidt belässt vieles, das dem Leser zur Reflexion aufgegeben ist, im Ungefähren. Unser Vorgängerband wollte einige Ansätze aufzeigen, weitere Antworten versuchen die Beiträge dieses Bandes zu geben. Die Frage jedoch, was Arno Schmidt nach einer langen Anlaufphase zur Niederschrift seiner »Novellen=Comödie« nun genau motiviert haben mag, wird auch dieses Buch nicht in allen Einzelheiten beantworten können.
Zu den Beiträgen dieses Bandes
Die fünfzehn Beiträge sind in drei Abschnitte aufgeteilt: »Poetologisches«, »Missionärrisches« und »Kollegiales«. Den gemeinsamen Rahmen aller Beiträge bildet – wie in diesem Vorwort dargelegt – das sogenannte »DazwischenSpiel« der Schule der Atheisten, wenngleich unterschiedliche Gewichtungen vorgenommen werden; teilweise kommt es dabei zu inhaltlichen Überschneidungen, die letztlich aber durchaus erwünscht sind.
Im ersten Abschnitt sind Beiträge versammelt, die sich mit der Poetologie der »Novellen=Comödie« befassen, also im weitesten Sinne mit Arno Schmidts Selbstverständnis als Schriftsteller, der Schreibart der Schule der Atheisten und mit dem Verhältnis von Rahmenhandlung und Binnenerzählung, wobei auch die ›doppelte Optik‹ von Autor (Schmidt) und Erzähler (Kolderup) Berücksichtigung findet.
Eingeleitet wird der Abschnitt mit fünfzehn Thesen zum »DazwischenSpiel«, die als Problemaufriss und Lesehinweis fungieren. Sie schließen damit, dass die ›Schule‹ der Atheisten als eine Anleitung zum skeptischen Denken zu verstehen sei. In diesem Sinne möchten die Herausgeber auch die einzelnen Beiträge dieses Bandes betrachtet wissen: nicht als Weisheit letzter Schluss, sondern als durchaus kritisch zu hinterfragende Deutungsversuche.
In seinem grundlegenden Aufsatz »Kolderups Dilemma« geht Ulrich Klappstein der Problematik nach, ob William T. Kolderup überhaupt als zuverlässiger Erzähler verstanden werden kann. Man kann diese Frage vermutlich nicht beantworten, ohne die schwierige Lage zu berücksichtigen, in der sich Kolderup als Leiter des Reservats nach der Ankunft der amerikanischen und chinesischen Regierungsdelegationen in Tellingstedt befindet. Die Situation stellt komplexe Herausforderungen an sein Rollenverständnis als vermittelnder Friedensrichter, lasten doch auch die koloniale Vergangenheit Deutschlands und die Vorgeschichte des Reservats in Zeiten des Kalten Kriegs auf seinen Schultern – quasi als eine Art atheistischer ›Albatross‹ (ähnlich dem ›altem Seefahrer‹ bei Coleridge). Um Kolderups Binnengeschichte zu verstehen, muss man sie in ihrem Eingebettetsein begreifen und die literarischen Parallelführungen zur Rahmenhandlung finden und aufnehmen. Den aufmerksamen Leserinnen und Lesern erschließt sich so ein Werkzusammenhang, der von den Juvenilia bis hin zur Schule der Atheisten reicht. Kolderups Erzählen kann man als Kampf gegen die ›neue Vergesslichkeit‹ verstehen – sowohl gegen die Geschichtslosigkeit der Amerikaner, gegen das Verschweigen der Kulturrevolution auf chinesischer Seite und sein eigenes Vergessen. In der Binnengeschichte der Schule der Atheisten vertreten Schmidt und sein Sprachrohr Kolderup mehrfach Positionen der chinesischen Moralphilosophie. Sie stellen damit den Konfuzianismus als Rollenmodell der Zukunft vor und berufen sich auf ein Tugendsystem, das kluges Verhalten auch jenseits der christlichen Nächstenliebe für möglich hält – China als politische, wirtschaftliche und moralische Großmacht des 21. Jahrhunderts: Schmidt hatte das schon vor 50 Jahren gesehen.
Unter der einprägsamen Überschrift »Wurmlöcher im ›DazwischenSpiel‹ der Schule der Atheisten« erforscht Armin Eidherr – im Anschluss an einen kurzen Forschungsüberblick und eine geraffte Inhaltsangabe – die ›durchlässigen‹ Stellen zwischen der Rahmen- und Binnenhandlung »im mikrostrukturellen Bereich«, also auf der Ebene einzelner Wörter und Buchstaben. Je genauer er dabei auf den Text schaut, desto mehr Verbindungen werden sichtbar. Auf Basis dieser Beobachtungen stellt er dann verschiedene Lesemodelle vor, die der besonderen Bauart des Schmidt’schen Texts gerecht werden. Drei von ihnen werden ausführlich erläutert: ein struktureller Ansatz, ein weltbildlicher und ein biografischer. Am Beispiel des »Blanken Hans« und des »Fenris-Wolf« stellt sich abschießend in zwei verblüffenden Einzelstellenanalysen heraus, dass in den ›Textlöchern‹ nicht nur harmlose Bücherwürmer hausen, sondern dass sich dort auch der Leviathan eingenistet hat und in verschiedenen Verkleidungen hervorlugt – sogar als Hanne Wolff.
Weniger dämonisch, dafür ausgehend von ausgewählten ›Nebelstellen‹ in der Schule der Atheisten, untersucht Heiko Thomsen »die Metaphorisierung der Eiderlandschaft« und regt an, diese Stellen im Rahmen ihrer poetischen und poetologischen Funktion – und damit auch im Hinblick auf ihre hermeneutischen Konsequenzen, nämlich den zweifelhaften Wahrheitsgehalt der Kolderup’schen Binnenerzählung betreffend – zu lesen. Am Beispiel zweier Gedichte der Lyrikerin Sarah Kirsch (1935–2013), die dreißig Jahre lang in Tielenhemme, einem Nachbarort Tellingstedts an der Eider gewohnt hat, überprüft Thomsen im zweiten Teil seines Aufsatzes die These von der Poesie erzeugenden Kraft des Nebels und deutet einen möglichen Einfluss Arno Schmidts auf die Werke Sarah Kirschs an, der in einer weiteren Arbeit ausführlicher untersucht werden müsste.
Ulrich Klappstein wendet sich den »›Nautische[n] Narrative[n]‹ im ›DazwischenSpiel‹« zu und ordnet die Schule der Atheisten in eine Reihe von Werken der Weltliteratur ein, die seit Homers Odyssee von Schifffahrt und Seenöten erzählen. In die Erzählung Kolderups mischen sich reale Erzählelemente mit der Magie des Theaters, ähnlich wie in Shakespeare Romanze The Tempest, der Schmidts »Novellen=Comödie« viel zu verdanken hat. Die Schule der Atheisten ist reich an Anspielungen auf die zahlreichen Seefahrer und Eroberer der Weltmeere. Schmidts (und Kolderups) besonderes Interesse gilt jedoch den Schiffbrüchen in der Literatur (bei Chamisso, Cooper, Gaudy, Hackländer u. a.), mit denen die ›Kulisse‹ der Schule der Atheisten ›gezeugt‹ wird. Weiterhin knüpft Kolderup mit seinem Diktum »Wer sich fürcht’n will, Der höre zu: Meine Geschichte hat keine andere Bürgschaft, als ihre Unwahrscheinlichkeit« (SdA 290) an die Tradition ›klassischer‹ Robinsonaden und Felsenburgiaden und deren genretypischen »Herausgeberfiktionen« an, um die intrafiktionale Glaubwürdigkeit von Kolderups Binnenerzählung zu untermauern.
Die Beiträge des zweiten Abschnitts eint ihre Fokussierung auf »Missionärrisches«, also auf Schmidts Bezüge auf die diversen christlichen Missionierungsversuche von der Antike bis zur Gegenwart und ihre literarischen Spuren in der Schule der Atheisten. Kolderups Binnenerzählung kann folglich auch als – zumindest teilweise – misslungener Versuch einer solchen Missionierung gelesen werden und als Persiflage der christlichen Missionierungsbewegungen.
Eingeleitet wird dieses Kapitel mit einem Aufsatz von Ulrich Klappstein, in dem unter dem Titel »Kosmas, Kaff, Kandace« die Beschäftigung Arno Schmidts mit dem Christentum über annähernd drei Schaffensjahrzehnte nachgezeichnet wird – angefangen von den ersten Spuren in Kosmas (1955), über entsprechende Passagen in Kaff auch Mare Crisium (1960) bis hin zur Schule der Atheisten (1972). Schmidts frühe Gedankenfigur vom »absinkenden Heidentum« im Kampf mit dem Christentum spiegelt sich im Gedankenspiel des alten Kolderup – ein deutlicher Beleg für die großen, lebensbegleitenden Werkzusammenhänge in Schmidts Œuvre. Kosmas wird als Dokument der Schmidt’schen Quellensuche in Altertumswissenschaft und biblischer Apokryphenliteratur gesehen und untermauert die Stellung seines Verfassers im literarischen Feld der frühen Bundesrepublik als Verteidiger des Eigensinns und kulturpessimistischer Mahner auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs. Der Roman Kaff auch Mare Crisium erweist sich fünf Jahre später als wichtige Zwischenstation auf dem Weg zur Schule der Atheisten. Schmidt greift darin mit der Erwähnung von Ludwig Harms und dem Hermannsburger Missionsschiff »Candaze« Anregungen für seine eigene, spätere Ausgestaltung in Form eines literarischen Seestücks auf. Das erzählerisch inszenierte Seeunglück der »Candaze« bildet gleichsam das Paradigma des metaphorischen Schiffbruchs des »United Christendoms« der USA, vermag aber dennoch das erforderliche Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen, um die Friedensgespräche zu einem positiven Abschluss zu bringen.
In dem Aufsatz »Eener mit ’ner Miss John« – dessen Titel sowohl auf Arno Schmidt selbst auch auf Ludwig Harms (1808–1865), den oben bereits erwähnten Gründer der Hermannsburger Mission, bezogen werden kann – zeichnet Heiko Thomsen die Stationen einer Heidefahrt nach, die Arno Schmidt am 14. Juli 1959 zusammen mit seiner Frau Alice und dem Ehepaar Michels unternommen hat. Die als Rundreise durchgeführte Fahrt – die erste nach dem erfolgten Umzug nach Bargfeld – diente der Erkundung der mittelbaren Umgebung des neuen Wohnortes und hinterließ zahlreiche Spuren in Schmidts Werk (vor allem in Kaff und in den ländlichen Erzählungen, aber auch in der Schule der Atheisten). Sie führte u. a. nach Hermannsburg, in die ›Keimzelle‹ des »DazwischenSpiels«, den Wirkungsort des Pastors ›Louis‹ Harms, der im 19. Jahrhundert mit seinem Missionsschiff »Candaze« Missionare aus der Lüneburger Heide bzw. von Harburg aus in ferne Kontinente – zunächst nach Afrika, aber später auch nach Asien und Australien – geschickt hat.
Das Mittelstück des zweiten Abschnitts – der Aufsatz »Was macht eigentlich Anna Ovena Hoyer in Tellingstedt?« – führt zurück in die Eiderregion, den Handlungsraum der Rahmenerzählung der Schule der Atheisten. Heiko Thomsen stellt »Nachforschungen zu einer fast vergessenen Dichterin« an, einer faszinierenden Frauenfigur aus der Barockzeit. In der Schule der Atheisten taucht Anna Ovena Hoyer (1584–1655) ziemlich überraschend als Wirtin des Gasthofs »Neue Vergeßlichkeit« (SdA 12) auf. Anna Ovena, die weltlichen Freuden gegenüber in jungen Jahren durchaus aufgeschlossen war, entwickelte sich nach dem Tod ihres Ehemannes Hermann Hoyer (1564/1571–1622) – dem Sohn des einflussreichen Eiderstedter ›Stallers‹ Caspar Hoyer (1540–1594), der auf dem Herrenhaus Hoyerswort bei Oldenswort und im Tönninger Schloss residierte – zu einer eigensinnigen, ›missionärrischen‹ Persönlichkeit, die auf Konfrontationskurs mit der Amtskirche steuerte und mit ihrer konsequenten Haltung durchaus auch Eindruck auf Arno Schmidt gemacht haben könnte. Schmidt selbst hatte speziell mit der katholischen Kirche schlechte Erfahrungen gesammelt, als ihm im Zusammenhang mit der Veröffentlichung seiner Erzählung Seelandschaft mit Pocahontas (1953) ein Gerichtsverfahren wegen Pornografie angedroht worden war, dem er sich allerdings mit einem überstürzten Umzug und mithilfe eines entlastenden Gutachtens seines Schriftstellerkollegen Hermann Kasack (1896–1966) entziehen konnte.
Im darauf folgenden Beitrag beschäftigt sich Ulrich Klappstein mit Schmidts Versuch einer ›neuen‹ Ethik im Aufstand gegen Gott und die Welt. Klappstein sieht im ›Leviathanismus‹ Schmidts die gemeinsame Klammer für dessen Kulturpessimismus und gedankenspielerische Weltuntergangsphantasien. Mehr oder weniger Schmidts gesamtes Œuvre ist in diesem Sinne ›leviathanisch‹ geprägt und als Nachklang der neuzeitlichen Debatte über die Theodizee (Leibniz, Pope, Voltaire) zu verstehen. Bereits Schmidts Erstling Leviathan war eine Umdeutung des Hobbes’schen Leviathan (1651), dem Gründungsdokument des modernen, naturrechtlich begründeten Staates, ausgestattet mit Zügen des alttestamentlichen Behemoth. In der Schule der Atheisten, im Zeichen der drohenden Apokalypse des Jahres 2014 und im Spiegel der Bilderwelt des Buchs Henoch und der ›gnostischen (See-)Schlange‹, wird Schmidts früher Leviathanismus wiederbelebt.
In seinem Aufsatz »Missionarismus, China und Die Schule der Atheisten«, der den zweiten Abschnitt abschließt, liefert Ulrich Klappstein einen kurzen Abriss der neueren Missionsgeschichte, mit besonderer Berücksichtigung der deutschen China-Mission bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Klappstein betrachtet dabei Schmidts Werk vor dem Hintergrund der Postkolonialismus-Debatte und gelangt zu einer Neubewertung des China-Komplexes in der Schule der Atheisten. Geboten wird zugleich ein allgemeiner Abriss der Globalisierungsgeschichte seit der Aufklärung. Schmidts anhaltendes Interesse an Asien und China spiegelt sich in seiner Lektüre zahlreicher Entdeckerberichte und hat auch Eingang in die Schule der Atheisten gefunden, wo u. a. auf die Werke christlicher Missionare angespielt wird. Der Bezug auf die jahrtausendealte chinesische Kultur steht bei Schmidt stellvertretend für ein kulturelles Erinnerungsbewusstsein, das er im Nachkriegsdeutschland einklagte und in den seiner Ansicht nach geschichts- und kulturlosen USA vermisste.
Im dritten Abschnitt, der etwas salopp mit dem Schlagwort »Kollegiales« überschrieben ist, geht es um Arno Schmidt und einige seiner Schriftstellerkollegen, wobei der Begriff sehr weit zu fassen ist – reicht er doch von ausgesprochenen ›Hausgöttern‹ Schmidts – wie Jules Verne und Theodor Däubler – über in der Schmidt-Forschung bislang eher stiefmütterlich behandelte Autoren wie James Krüss und Hermann Löns bis hin zu einem Schmidt in vielerlei Hinsicht diametral entgegenstehenden »Kollegen«, dem früher recht populären Reiseschriftsteller A. E. Johann.
Den Abschnitt eröffnet Heiko Postma mit einem grundlegenden Beitrag über Jules Verne (1828–1905) aus dem Jahr 1991, den er für diesen Band neu überarbeitet hat. Unter dem Titel »Ich habe mich aber auch stets bei ihm bedankt« untersucht Postma die zahlreichen Anleihen, die Schmidt bei Jules Vernes Roman Die Schule der Robinsons genommen hat und der sich dabei als zentraler Bezugstext der Schule der Atheisten erweist. Die Ähnlichkeit der beiden Titel täuscht in diesem Fall nicht: Jules Vernes ›Robinsonade‹ ist in der Tat ein Text, von dem Schmidt zahlreiche Details für die Ausgestaltung des Inselaufenthalt seiner Atheisten ›geborgt‹ hat. Die Parallelen fangen schon in der Rahmenhandlung mit der Namensgleichheit der Protagonisten an, die beide William Kolderup heißen und sich nur durch die Initialen »W.« (bei Verne) bzw. »T.« (bei Schmidt) unterscheiden. Die Schule der Atheisten wäre ohne Jules Vernes Vorarbeit jedenfalls eine andere geworden, und Schmidt verdankt Vernes Eiderpassage im Jahr 1881, die dieser zusammen mit seinem Bruder Paul Verne (1829–1897) unternommen hat, auch den Hinweis auf den Handlungsraum der Rahmenhandlung. Mehr noch: wollte doch Schmidt die Binnenhandlung ursprünglich sogar in eben jenem Jahr 1881 spielen lassen.
»Nordlicht-Lektionen« erteilt anschließend Ulrich Klappstein, indem er nachweist, dass Theodor Däublers (1876–1934) epochales Werk Das Nordlicht eine gewichtige Rolle in der Schule der Atheisten spielt, als Teil der Reisebibliothek des jungen William T. Kolderup – neben den Romanen Jean Pauls, einem anderen ›Hausgott‹ Schmidts (der in unserem Band jedoch keine Berücksichtigung mehr gefunden hat). Däubler-Zitierungen unterstreichen bereits am Anfang der Schule der Atheisten die Endzeit-Atmosphäre der Rahmenhandlung. Die Anspielungen auf Däubler und seine Anschauungen von Religion, Moral und Kosmogonie unterfüttern das Gedankenspiel des alten Kolderup, also des sich im Spätwerk an seine frühe Däubler-Lektüre erinnernden Arno Schmidt.
Unter dem Titel »Pharos auf den Hummerklippen« rückt Heiko Thomsen den gebürtigen Helgoländer James Krüss (1926–1997) in den Fokus und kontrastiert ihn mit Arno Schmidt. Auf den ersten Blick scheinen Krüss und Schmidt sehr unterschiedliche Autoren zu sein, obwohl sie derselben Schriftstellergeneration angehören. Der erste Kontakt ging von James Krüss aus, und zwar im Jahr 1969 – dem Jahr der Binnenhandlung der Schule der Atheisten. Krüss schrieb von seinem Wohnsitz auf Gran Canaria zwei Briefe an Schmidt. Eine weitere – quasi posthume – Annäherung sieht Thomsen in den beiden Motiven des ›Leuchtturms‹ und der ›Insel‹, weiterhin in den von beiden Autoren literarisch verarbeiteten Erfahrungen von ›Gefangenschaft‹ und ›Freiheit‹ sowie ganz generell in Überlegungen zur Rolle des Lesens und Schreibens nach 1945 – der Zeit des kollektiven ›Schiffbruchs‹ und der oft beschworenen »Stunde Null« der deutschen Nachkriegsliteratur. Das Bild der Annäherung ist dabei durchaus wörtlich zu verstehen, als gegenläufige Bewegung der beiden angehenden Schriftsteller auf Helgoland und die Lüneburger Heide hin.
Ebenfalls in die Heide versetzt uns Wolfgang Brandes mit seinem Beitrag »Unschärferelationen oder ›wie Wir=Alle doch zusammenhängen!‹« – einem Aufsatz über Arno Schmidt und Hermann Löns, die Brüder Friedrich und August Freudenthal, Jules Verne und Gustav Frenssen. Brandes entflechtet hier das vielfältige Beziehungsnetz, das zwischen diesen Autoren besteht. Entstanden ist dieses Netz u. a. auch durch intertextuelle Bezüge, die z. T. sogar unbewusst stattfinden: Brandes geht es um das Wirken von sogenannten »Gezeitenkräften« und »Materiebrücken«. Schwerpunktmäßig untersucht er die Beziehung zwischen Löns und Schmidt, zwei »Haidedichtern«, die mehr Gemeinsamkeiten aufweisen, als man annehmen könnte. Die Ehre, der Lüneburger Heide zu literarischer Immortalität verholfen zu haben, wird dabei allerdings hauptsächlich Schmidt zuteil; Löns, der als Hannoveraner Zeitungsreporter ja eigentlich ein Stadtmensch war, hatte den Landstrich zwischen Elbe und Weser zuvor zwar schon für Sommerfrischler und Sonntagsausflügler entdeckt, seine Texte erweisen sich aber als zu eindimensional, um höheren literarischen Ansprüchen zu genügen. Hinzu kommt, dass Schmidts Wissen über Löns – wie Brandes spekuliert – oftmals aus zweiter Hand stammte und daher zwangsläufig »unscharf« – um nicht zu sagen: fehlerhaft – bleiben musste. Schmidt hatte sich weniger mit Löns’ Texten als mit seiner zum Mythos stilisierten Person beschäftigt – womit er allerdings nicht allein dastand.
»Warum in die Ferne schweifen …?« – mit dieser Frage beginnt der letzte Beitrag dieses Bandes, in welchem der Reigen der Schmidt’schen »Kollegen« geschlossen wird. Es geht darin um den Reiseschriftsteller A. E. Johann, einen Autor, der große Unterschiede zu Schmidt aufweist. Ob auch er irgendwie mit Arno Schmidt »zusammenhängt« – um die von Wolfgang Brandes verwendete Formulierung aufzugreifen –, ist von Heiko Thomsen untersucht worden. Schmidt und Johann haben zwei Jahrzehnte lang quasi nebeneinander in der Lüneburger Heide gewohnt, in Bargfeld und Groß Oesingen, ohne in erkennbarer Weise voneinander Notiz zu nehmen – »Spenser Island« lag für Schmidt gewissermaßen näher als Groß Oesingen. Thomsens Blick auf Schmidts Zeitgenossen und Berufskollegen A. E. Johann – mit bürgerlichem Namen hieß er übrigens Alfred Wollschläger – wirft indirekt auch ein erhellendes Bild auf Schmidt selbst, der bekanntlich nur sehr ungern reiste, seine Romanfiguren aber auf Reisen bis zum Mond schickte und sie andere ›erlesene‹ Orte besuchen ließ, die A. E. Johann niemals erreichen konnte, da sie auf keiner bekannten Landkarte verzeichnet sind.
Ergänzt wird der Band durch einen Anhang, enthaltend einen Text zur Kolonialgeschichte Chinas, eine Däubler-Synopse, eine umfangreiche Bibliografie zu Arno Schmidt, den anderen Autoren und den behandelten Themenkomplexen.
Ulrich Klappstein und Heiko Thomsen, Horn – Bad Meinberg und Hamburg, im Februar 2021
[aus dem Vorwort]
In der Schmidt-Forschung wird diese Binnenhandlung zumeist als Rechtfertigungsrede des alten, von der ›wirklichen Welt‹ desillusionierten Senators Kolderup gesehen, der seine ›Erinnerungen‹ – seien sie nun faktisch begründet oder aus Einbildungen bestehend – funktionalisiert, um sich die amerikanischen und chinesischen Garantiemächte gewogen zu machen und den Fortbestand des Tellingstedter ›Reservats‹ wenigstens auf Zeit zu sichern. Die Herausgeber betrachten die Schiffsepisode und die ›Robinsonade‹, die in der »Culisse v SPENSER=Island« spielt, jedoch auch als konsequente Fortsetzung des Schmidt’schen Leviathanismus, seiner Abrechnung mit dem christlichen Heilsversprechen in Gestalt einer umgekehrten Theodizee, die in einer ›Schule‹ des Atheismus mit eigenem poetologischem Wert und Aussagegehalt gipfelt. In Schmidts ›Robinsonade‹ bestimmen ans Wunderbare grenzende Zufälle das Geschehen, die – um es mit Goethes bekannter Definition der Novelle zu halten – in einem Reigen »unerhörte[r] Begebenheit[en]« bestehen.
Wir begleiten Schmidts Protagonisten Kolderup auf eine fingierte Zeitreise in das Jahr 1969, das Jahr der Niederschrift der »Novellen=Comödie in 6 Aufzügen«. Die Binnenhandlung ist – wie der gesamte Roman – Ausdruck, aber auch Dokument der zunehmenden Unsicherheiten in der modernen Welt angesichts der bedrohlichen Weltlage und des ideologischen Wettstreits in Zeiten des sich zuspitzenden Kalten Krieges. Schmidt fühlte sich wie sein Protagonist Kolderup einem »Ahnen=, & Enkel=Dienst« (SdA 177) an der Literatur verpflichtet, in der Nachfolge seiner literarischen Lieblinge, die von der Schmidt-Forschung als »Hausgötter« bezeichnet werden. Die Schule der Atheisten als Roman des Spätwerks ließe sich somit als Erfüllung eines schriftstellerischen Vermächtnisses verstehen, dass die Literatur – und sei es auch nur als »Karikatur unsrer Großn Romane« (SdA 181) – einen poetischen ›Wahrheitsgehalt‹ zu beanspruchen habe, deren einzige »Bürgschaft« (SdA 290) in einem Zitaten-Patchwork aus Robinsonaden, Felsenburgiaden, abenteuerlichen Reisen im Stil Jules Vernes, Bibelversatzstücken und sogar Re-Importen aus der altchinesischen Philosophie besteht; ganz ähnlich, wie es T. S. Eliot am Ende seines Langgedichts The Waste Land aus dem Jahr 1922 eingestanden hat: »These fragments I have shored against my ruins«.
Das mit der Haupthandlung verzahnte »DazwischenSpiel« – so benennt der Autor den Sprung in die Zeitkapsel im »Comödienzettel« (SdA 9) des Romans – markiert eine Zwischenstation in retardierender Absicht: Vor dem als wahrscheinlich anzunehmenden finalen »Krieg der Welten« (H. G. Wells) werden in den zahlreichen Rückblenden vornehmlich die Gespräche zwischen den schiffbrüchigen ›Atheisten‹ und den zwei als »Missis« (SdA 173) bezeichneten mitreisenden Missionaren wiedergegeben. Geht es in der Rahmenhandlung vornehmlich um die »Bezauberung« der Außenministerin der USA »zur Festigung der gefährdeten Reservatsexistenz«, so dreht sich die Binnenhandlung »mehr oder weniger um die Zeugung der hohen Frau auf einer ›Insel der Bewährung‹«. Das Ende dieses Interludiums bleibt jedoch offen: Butt, der eine der mitreisenden Atheisten, fällt der kurzzeitigen Illusion eines Paradieses auf Erden anheim, wird bekehrt und begibt sich anschließend in die fürsorgliche Obhut des »United Christendom« (SdA 299). Gottfehd Schweighäuser, der zweite Atheist in der eingewobenen Inselhandlung, ist nur noch am Schiffbruch beteiligt – einer ›Inszenierung‹ der amerikanischen »missionärrischen« Medienindustrie. Nach dem Inselasyl seiner Begleiter macht er sich zu seinen Verwandten nach Minnesota davon, wie zu vermuten ist, in Begleitung der beiden Missionare. Zurück bleibt nur der junge William T. Kolderup. Nach 45 Jahren blickt der nun alt gewordene Kolderup auf diese Jugendepisode zurück und trotzt als Senator und Friedensrichter in Tellingstedt weiter Gott und der Welt. Er leitet die Geschicke eines ›Reservats‹ der Amerikaner, deren Außenministerin, die Tochter der damaligen Missionarin Marjorie Kennan, nun im Jahr 2014 als »ISIS« der norddeutschen Kolonie einen Besuch abstattet. Die Welt steuert indes auf eine größere Katastrophe zu.
Schmidts »Novellen=Comödie« stellt Leserinnen und Leser vor viele Fragen: Wer sollte damals, im Jahr 1969, eigentlich missioniert werden – nur der leichtgläubige und wetterwendische Butt, gleichsam um ein Exempel zu statuieren, oder doch vielleicht irgendwelche Heiden in den Weiten des Pazifiks? Wohin ist das Missionsschiff »Kandace« (SdA 189) eigentlich unterwegs? Welcher Blick wird auf die weltweite Missionstätigkeit der christlichen Kirchen geworfen, und aus welchen Quellen speisen sich die Kontroversen zwischen den »Missis« und den trotz aller Skepsis ›bibelfesten‹ »Atheisten« eigentlich? Woher nahm Schmidt sein Wissen, um aus der Bibel, dem Buch der vielen Bücher, sein eigenes ›Buch der Bücher‹ montieren zu können? Und schließlich: Könnte nicht doch im christlichen Erlösungsglauben so etwas wie ein Funke Hoffnung aufglimmen?
Schmidt belässt vieles, das dem Leser zur Reflexion aufgegeben ist, im Ungefähren. Unser Vorgängerband wollte einige Ansätze aufzeigen, weitere Antworten versuchen die Beiträge dieses Bandes zu geben. Die Frage jedoch, was Arno Schmidt nach einer langen Anlaufphase zur Niederschrift seiner »Novellen=Comödie« nun genau motiviert haben mag, wird auch dieses Buch nicht in allen Einzelheiten beantworten können.
Zu den Beiträgen dieses Bandes
Die fünfzehn Beiträge sind in drei Abschnitte aufgeteilt: »Poetologisches«, »Missionärrisches« und »Kollegiales«. Den gemeinsamen Rahmen aller Beiträge bildet – wie in diesem Vorwort dargelegt – das sogenannte »DazwischenSpiel« der Schule der Atheisten, wenngleich unterschiedliche Gewichtungen vorgenommen werden; teilweise kommt es dabei zu inhaltlichen Überschneidungen, die letztlich aber durchaus erwünscht sind.
Im ersten Abschnitt sind Beiträge versammelt, die sich mit der Poetologie der »Novellen=Comödie« befassen, also im weitesten Sinne mit Arno Schmidts Selbstverständnis als Schriftsteller, der Schreibart der Schule der Atheisten und mit dem Verhältnis von Rahmenhandlung und Binnenerzählung, wobei auch die ›doppelte Optik‹ von Autor (Schmidt) und Erzähler (Kolderup) Berücksichtigung findet.
Eingeleitet wird der Abschnitt mit fünfzehn Thesen zum »DazwischenSpiel«, die als Problemaufriss und Lesehinweis fungieren. Sie schließen damit, dass die ›Schule‹ der Atheisten als eine Anleitung zum skeptischen Denken zu verstehen sei. In diesem Sinne möchten die Herausgeber auch die einzelnen Beiträge dieses Bandes betrachtet wissen: nicht als Weisheit letzter Schluss, sondern als durchaus kritisch zu hinterfragende Deutungsversuche.
In seinem grundlegenden Aufsatz »Kolderups Dilemma« geht Ulrich Klappstein der Problematik nach, ob William T. Kolderup überhaupt als zuverlässiger Erzähler verstanden werden kann. Man kann diese Frage vermutlich nicht beantworten, ohne die schwierige Lage zu berücksichtigen, in der sich Kolderup als Leiter des Reservats nach der Ankunft der amerikanischen und chinesischen Regierungsdelegationen in Tellingstedt befindet. Die Situation stellt komplexe Herausforderungen an sein Rollenverständnis als vermittelnder Friedensrichter, lasten doch auch die koloniale Vergangenheit Deutschlands und die Vorgeschichte des Reservats in Zeiten des Kalten Kriegs auf seinen Schultern – quasi als eine Art atheistischer ›Albatross‹ (ähnlich dem ›altem Seefahrer‹ bei Coleridge). Um Kolderups Binnengeschichte zu verstehen, muss man sie in ihrem Eingebettetsein begreifen und die literarischen Parallelführungen zur Rahmenhandlung finden und aufnehmen. Den aufmerksamen Leserinnen und Lesern erschließt sich so ein Werkzusammenhang, der von den Juvenilia bis hin zur Schule der Atheisten reicht. Kolderups Erzählen kann man als Kampf gegen die ›neue Vergesslichkeit‹ verstehen – sowohl gegen die Geschichtslosigkeit der Amerikaner, gegen das Verschweigen der Kulturrevolution auf chinesischer Seite und sein eigenes Vergessen. In der Binnengeschichte der Schule der Atheisten vertreten Schmidt und sein Sprachrohr Kolderup mehrfach Positionen der chinesischen Moralphilosophie. Sie stellen damit den Konfuzianismus als Rollenmodell der Zukunft vor und berufen sich auf ein Tugendsystem, das kluges Verhalten auch jenseits der christlichen Nächstenliebe für möglich hält – China als politische, wirtschaftliche und moralische Großmacht des 21. Jahrhunderts: Schmidt hatte das schon vor 50 Jahren gesehen.
Unter der einprägsamen Überschrift »Wurmlöcher im ›DazwischenSpiel‹ der Schule der Atheisten« erforscht Armin Eidherr – im Anschluss an einen kurzen Forschungsüberblick und eine geraffte Inhaltsangabe – die ›durchlässigen‹ Stellen zwischen der Rahmen- und Binnenhandlung »im mikrostrukturellen Bereich«, also auf der Ebene einzelner Wörter und Buchstaben. Je genauer er dabei auf den Text schaut, desto mehr Verbindungen werden sichtbar. Auf Basis dieser Beobachtungen stellt er dann verschiedene Lesemodelle vor, die der besonderen Bauart des Schmidt’schen Texts gerecht werden. Drei von ihnen werden ausführlich erläutert: ein struktureller Ansatz, ein weltbildlicher und ein biografischer. Am Beispiel des »Blanken Hans« und des »Fenris-Wolf« stellt sich abschießend in zwei verblüffenden Einzelstellenanalysen heraus, dass in den ›Textlöchern‹ nicht nur harmlose Bücherwürmer hausen, sondern dass sich dort auch der Leviathan eingenistet hat und in verschiedenen Verkleidungen hervorlugt – sogar als Hanne Wolff.
Weniger dämonisch, dafür ausgehend von ausgewählten ›Nebelstellen‹ in der Schule der Atheisten, untersucht Heiko Thomsen »die Metaphorisierung der Eiderlandschaft« und regt an, diese Stellen im Rahmen ihrer poetischen und poetologischen Funktion – und damit auch im Hinblick auf ihre hermeneutischen Konsequenzen, nämlich den zweifelhaften Wahrheitsgehalt der Kolderup’schen Binnenerzählung betreffend – zu lesen. Am Beispiel zweier Gedichte der Lyrikerin Sarah Kirsch (1935–2013), die dreißig Jahre lang in Tielenhemme, einem Nachbarort Tellingstedts an der Eider gewohnt hat, überprüft Thomsen im zweiten Teil seines Aufsatzes die These von der Poesie erzeugenden Kraft des Nebels und deutet einen möglichen Einfluss Arno Schmidts auf die Werke Sarah Kirschs an, der in einer weiteren Arbeit ausführlicher untersucht werden müsste.
Ulrich Klappstein wendet sich den »›Nautische[n] Narrative[n]‹ im ›DazwischenSpiel‹« zu und ordnet die Schule der Atheisten in eine Reihe von Werken der Weltliteratur ein, die seit Homers Odyssee von Schifffahrt und Seenöten erzählen. In die Erzählung Kolderups mischen sich reale Erzählelemente mit der Magie des Theaters, ähnlich wie in Shakespeare Romanze The Tempest, der Schmidts »Novellen=Comödie« viel zu verdanken hat. Die Schule der Atheisten ist reich an Anspielungen auf die zahlreichen Seefahrer und Eroberer der Weltmeere. Schmidts (und Kolderups) besonderes Interesse gilt jedoch den Schiffbrüchen in der Literatur (bei Chamisso, Cooper, Gaudy, Hackländer u. a.), mit denen die ›Kulisse‹ der Schule der Atheisten ›gezeugt‹ wird. Weiterhin knüpft Kolderup mit seinem Diktum »Wer sich fürcht’n will, Der höre zu: Meine Geschichte hat keine andere Bürgschaft, als ihre Unwahrscheinlichkeit« (SdA 290) an die Tradition ›klassischer‹ Robinsonaden und Felsenburgiaden und deren genretypischen »Herausgeberfiktionen« an, um die intrafiktionale Glaubwürdigkeit von Kolderups Binnenerzählung zu untermauern.
Die Beiträge des zweiten Abschnitts eint ihre Fokussierung auf »Missionärrisches«, also auf Schmidts Bezüge auf die diversen christlichen Missionierungsversuche von der Antike bis zur Gegenwart und ihre literarischen Spuren in der Schule der Atheisten. Kolderups Binnenerzählung kann folglich auch als – zumindest teilweise – misslungener Versuch einer solchen Missionierung gelesen werden und als Persiflage der christlichen Missionierungsbewegungen.
Eingeleitet wird dieses Kapitel mit einem Aufsatz von Ulrich Klappstein, in dem unter dem Titel »Kosmas, Kaff, Kandace« die Beschäftigung Arno Schmidts mit dem Christentum über annähernd drei Schaffensjahrzehnte nachgezeichnet wird – angefangen von den ersten Spuren in Kosmas (1955), über entsprechende Passagen in Kaff auch Mare Crisium (1960) bis hin zur Schule der Atheisten (1972). Schmidts frühe Gedankenfigur vom »absinkenden Heidentum« im Kampf mit dem Christentum spiegelt sich im Gedankenspiel des alten Kolderup – ein deutlicher Beleg für die großen, lebensbegleitenden Werkzusammenhänge in Schmidts Œuvre. Kosmas wird als Dokument der Schmidt’schen Quellensuche in Altertumswissenschaft und biblischer Apokryphenliteratur gesehen und untermauert die Stellung seines Verfassers im literarischen Feld der frühen Bundesrepublik als Verteidiger des Eigensinns und kulturpessimistischer Mahner auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs. Der Roman Kaff auch Mare Crisium erweist sich fünf Jahre später als wichtige Zwischenstation auf dem Weg zur Schule der Atheisten. Schmidt greift darin mit der Erwähnung von Ludwig Harms und dem Hermannsburger Missionsschiff »Candaze« Anregungen für seine eigene, spätere Ausgestaltung in Form eines literarischen Seestücks auf. Das erzählerisch inszenierte Seeunglück der »Candaze« bildet gleichsam das Paradigma des metaphorischen Schiffbruchs des »United Christendoms« der USA, vermag aber dennoch das erforderliche Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen, um die Friedensgespräche zu einem positiven Abschluss zu bringen.
In dem Aufsatz »Eener mit ’ner Miss John« – dessen Titel sowohl auf Arno Schmidt selbst auch auf Ludwig Harms (1808–1865), den oben bereits erwähnten Gründer der Hermannsburger Mission, bezogen werden kann – zeichnet Heiko Thomsen die Stationen einer Heidefahrt nach, die Arno Schmidt am 14. Juli 1959 zusammen mit seiner Frau Alice und dem Ehepaar Michels unternommen hat. Die als Rundreise durchgeführte Fahrt – die erste nach dem erfolgten Umzug nach Bargfeld – diente der Erkundung der mittelbaren Umgebung des neuen Wohnortes und hinterließ zahlreiche Spuren in Schmidts Werk (vor allem in Kaff und in den ländlichen Erzählungen, aber auch in der Schule der Atheisten). Sie führte u. a. nach Hermannsburg, in die ›Keimzelle‹ des »DazwischenSpiels«, den Wirkungsort des Pastors ›Louis‹ Harms, der im 19. Jahrhundert mit seinem Missionsschiff »Candaze« Missionare aus der Lüneburger Heide bzw. von Harburg aus in ferne Kontinente – zunächst nach Afrika, aber später auch nach Asien und Australien – geschickt hat.
Das Mittelstück des zweiten Abschnitts – der Aufsatz »Was macht eigentlich Anna Ovena Hoyer in Tellingstedt?« – führt zurück in die Eiderregion, den Handlungsraum der Rahmenerzählung der Schule der Atheisten. Heiko Thomsen stellt »Nachforschungen zu einer fast vergessenen Dichterin« an, einer faszinierenden Frauenfigur aus der Barockzeit. In der Schule der Atheisten taucht Anna Ovena Hoyer (1584–1655) ziemlich überraschend als Wirtin des Gasthofs »Neue Vergeßlichkeit« (SdA 12) auf. Anna Ovena, die weltlichen Freuden gegenüber in jungen Jahren durchaus aufgeschlossen war, entwickelte sich nach dem Tod ihres Ehemannes Hermann Hoyer (1564/1571–1622) – dem Sohn des einflussreichen Eiderstedter ›Stallers‹ Caspar Hoyer (1540–1594), der auf dem Herrenhaus Hoyerswort bei Oldenswort und im Tönninger Schloss residierte – zu einer eigensinnigen, ›missionärrischen‹ Persönlichkeit, die auf Konfrontationskurs mit der Amtskirche steuerte und mit ihrer konsequenten Haltung durchaus auch Eindruck auf Arno Schmidt gemacht haben könnte. Schmidt selbst hatte speziell mit der katholischen Kirche schlechte Erfahrungen gesammelt, als ihm im Zusammenhang mit der Veröffentlichung seiner Erzählung Seelandschaft mit Pocahontas (1953) ein Gerichtsverfahren wegen Pornografie angedroht worden war, dem er sich allerdings mit einem überstürzten Umzug und mithilfe eines entlastenden Gutachtens seines Schriftstellerkollegen Hermann Kasack (1896–1966) entziehen konnte.
Im darauf folgenden Beitrag beschäftigt sich Ulrich Klappstein mit Schmidts Versuch einer ›neuen‹ Ethik im Aufstand gegen Gott und die Welt. Klappstein sieht im ›Leviathanismus‹ Schmidts die gemeinsame Klammer für dessen Kulturpessimismus und gedankenspielerische Weltuntergangsphantasien. Mehr oder weniger Schmidts gesamtes Œuvre ist in diesem Sinne ›leviathanisch‹ geprägt und als Nachklang der neuzeitlichen Debatte über die Theodizee (Leibniz, Pope, Voltaire) zu verstehen. Bereits Schmidts Erstling Leviathan war eine Umdeutung des Hobbes’schen Leviathan (1651), dem Gründungsdokument des modernen, naturrechtlich begründeten Staates, ausgestattet mit Zügen des alttestamentlichen Behemoth. In der Schule der Atheisten, im Zeichen der drohenden Apokalypse des Jahres 2014 und im Spiegel der Bilderwelt des Buchs Henoch und der ›gnostischen (See-)Schlange‹, wird Schmidts früher Leviathanismus wiederbelebt.
In seinem Aufsatz »Missionarismus, China und Die Schule der Atheisten«, der den zweiten Abschnitt abschließt, liefert Ulrich Klappstein einen kurzen Abriss der neueren Missionsgeschichte, mit besonderer Berücksichtigung der deutschen China-Mission bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Klappstein betrachtet dabei Schmidts Werk vor dem Hintergrund der Postkolonialismus-Debatte und gelangt zu einer Neubewertung des China-Komplexes in der Schule der Atheisten. Geboten wird zugleich ein allgemeiner Abriss der Globalisierungsgeschichte seit der Aufklärung. Schmidts anhaltendes Interesse an Asien und China spiegelt sich in seiner Lektüre zahlreicher Entdeckerberichte und hat auch Eingang in die Schule der Atheisten gefunden, wo u. a. auf die Werke christlicher Missionare angespielt wird. Der Bezug auf die jahrtausendealte chinesische Kultur steht bei Schmidt stellvertretend für ein kulturelles Erinnerungsbewusstsein, das er im Nachkriegsdeutschland einklagte und in den seiner Ansicht nach geschichts- und kulturlosen USA vermisste.
Im dritten Abschnitt, der etwas salopp mit dem Schlagwort »Kollegiales« überschrieben ist, geht es um Arno Schmidt und einige seiner Schriftstellerkollegen, wobei der Begriff sehr weit zu fassen ist – reicht er doch von ausgesprochenen ›Hausgöttern‹ Schmidts – wie Jules Verne und Theodor Däubler – über in der Schmidt-Forschung bislang eher stiefmütterlich behandelte Autoren wie James Krüss und Hermann Löns bis hin zu einem Schmidt in vielerlei Hinsicht diametral entgegenstehenden »Kollegen«, dem früher recht populären Reiseschriftsteller A. E. Johann.
Den Abschnitt eröffnet Heiko Postma mit einem grundlegenden Beitrag über Jules Verne (1828–1905) aus dem Jahr 1991, den er für diesen Band neu überarbeitet hat. Unter dem Titel »Ich habe mich aber auch stets bei ihm bedankt« untersucht Postma die zahlreichen Anleihen, die Schmidt bei Jules Vernes Roman Die Schule der Robinsons genommen hat und der sich dabei als zentraler Bezugstext der Schule der Atheisten erweist. Die Ähnlichkeit der beiden Titel täuscht in diesem Fall nicht: Jules Vernes ›Robinsonade‹ ist in der Tat ein Text, von dem Schmidt zahlreiche Details für die Ausgestaltung des Inselaufenthalt seiner Atheisten ›geborgt‹ hat. Die Parallelen fangen schon in der Rahmenhandlung mit der Namensgleichheit der Protagonisten an, die beide William Kolderup heißen und sich nur durch die Initialen »W.« (bei Verne) bzw. »T.« (bei Schmidt) unterscheiden. Die Schule der Atheisten wäre ohne Jules Vernes Vorarbeit jedenfalls eine andere geworden, und Schmidt verdankt Vernes Eiderpassage im Jahr 1881, die dieser zusammen mit seinem Bruder Paul Verne (1829–1897) unternommen hat, auch den Hinweis auf den Handlungsraum der Rahmenhandlung. Mehr noch: wollte doch Schmidt die Binnenhandlung ursprünglich sogar in eben jenem Jahr 1881 spielen lassen.
»Nordlicht-Lektionen« erteilt anschließend Ulrich Klappstein, indem er nachweist, dass Theodor Däublers (1876–1934) epochales Werk Das Nordlicht eine gewichtige Rolle in der Schule der Atheisten spielt, als Teil der Reisebibliothek des jungen William T. Kolderup – neben den Romanen Jean Pauls, einem anderen ›Hausgott‹ Schmidts (der in unserem Band jedoch keine Berücksichtigung mehr gefunden hat). Däubler-Zitierungen unterstreichen bereits am Anfang der Schule der Atheisten die Endzeit-Atmosphäre der Rahmenhandlung. Die Anspielungen auf Däubler und seine Anschauungen von Religion, Moral und Kosmogonie unterfüttern das Gedankenspiel des alten Kolderup, also des sich im Spätwerk an seine frühe Däubler-Lektüre erinnernden Arno Schmidt.
Unter dem Titel »Pharos auf den Hummerklippen« rückt Heiko Thomsen den gebürtigen Helgoländer James Krüss (1926–1997) in den Fokus und kontrastiert ihn mit Arno Schmidt. Auf den ersten Blick scheinen Krüss und Schmidt sehr unterschiedliche Autoren zu sein, obwohl sie derselben Schriftstellergeneration angehören. Der erste Kontakt ging von James Krüss aus, und zwar im Jahr 1969 – dem Jahr der Binnenhandlung der Schule der Atheisten. Krüss schrieb von seinem Wohnsitz auf Gran Canaria zwei Briefe an Schmidt. Eine weitere – quasi posthume – Annäherung sieht Thomsen in den beiden Motiven des ›Leuchtturms‹ und der ›Insel‹, weiterhin in den von beiden Autoren literarisch verarbeiteten Erfahrungen von ›Gefangenschaft‹ und ›Freiheit‹ sowie ganz generell in Überlegungen zur Rolle des Lesens und Schreibens nach 1945 – der Zeit des kollektiven ›Schiffbruchs‹ und der oft beschworenen »Stunde Null« der deutschen Nachkriegsliteratur. Das Bild der Annäherung ist dabei durchaus wörtlich zu verstehen, als gegenläufige Bewegung der beiden angehenden Schriftsteller auf Helgoland und die Lüneburger Heide hin.
Ebenfalls in die Heide versetzt uns Wolfgang Brandes mit seinem Beitrag »Unschärferelationen oder ›wie Wir=Alle doch zusammenhängen!‹« – einem Aufsatz über Arno Schmidt und Hermann Löns, die Brüder Friedrich und August Freudenthal, Jules Verne und Gustav Frenssen. Brandes entflechtet hier das vielfältige Beziehungsnetz, das zwischen diesen Autoren besteht. Entstanden ist dieses Netz u. a. auch durch intertextuelle Bezüge, die z. T. sogar unbewusst stattfinden: Brandes geht es um das Wirken von sogenannten »Gezeitenkräften« und »Materiebrücken«. Schwerpunktmäßig untersucht er die Beziehung zwischen Löns und Schmidt, zwei »Haidedichtern«, die mehr Gemeinsamkeiten aufweisen, als man annehmen könnte. Die Ehre, der Lüneburger Heide zu literarischer Immortalität verholfen zu haben, wird dabei allerdings hauptsächlich Schmidt zuteil; Löns, der als Hannoveraner Zeitungsreporter ja eigentlich ein Stadtmensch war, hatte den Landstrich zwischen Elbe und Weser zuvor zwar schon für Sommerfrischler und Sonntagsausflügler entdeckt, seine Texte erweisen sich aber als zu eindimensional, um höheren literarischen Ansprüchen zu genügen. Hinzu kommt, dass Schmidts Wissen über Löns – wie Brandes spekuliert – oftmals aus zweiter Hand stammte und daher zwangsläufig »unscharf« – um nicht zu sagen: fehlerhaft – bleiben musste. Schmidt hatte sich weniger mit Löns’ Texten als mit seiner zum Mythos stilisierten Person beschäftigt – womit er allerdings nicht allein dastand.
»Warum in die Ferne schweifen …?« – mit dieser Frage beginnt der letzte Beitrag dieses Bandes, in welchem der Reigen der Schmidt’schen »Kollegen« geschlossen wird. Es geht darin um den Reiseschriftsteller A. E. Johann, einen Autor, der große Unterschiede zu Schmidt aufweist. Ob auch er irgendwie mit Arno Schmidt »zusammenhängt« – um die von Wolfgang Brandes verwendete Formulierung aufzugreifen –, ist von Heiko Thomsen untersucht worden. Schmidt und Johann haben zwei Jahrzehnte lang quasi nebeneinander in der Lüneburger Heide gewohnt, in Bargfeld und Groß Oesingen, ohne in erkennbarer Weise voneinander Notiz zu nehmen – »Spenser Island« lag für Schmidt gewissermaßen näher als Groß Oesingen. Thomsens Blick auf Schmidts Zeitgenossen und Berufskollegen A. E. Johann – mit bürgerlichem Namen hieß er übrigens Alfred Wollschläger – wirft indirekt auch ein erhellendes Bild auf Schmidt selbst, der bekanntlich nur sehr ungern reiste, seine Romanfiguren aber auf Reisen bis zum Mond schickte und sie andere ›erlesene‹ Orte besuchen ließ, die A. E. Johann niemals erreichen konnte, da sie auf keiner bekannten Landkarte verzeichnet sind.
Ergänzt wird der Band durch einen Anhang, enthaltend einen Text zur Kolonialgeschichte Chinas, eine Däubler-Synopse, eine umfangreiche Bibliografie zu Arno Schmidt, den anderen Autoren und den behandelten Themenkomplexen.
Ulrich Klappstein und Heiko Thomsen, Horn – Bad Meinberg und Hamburg, im Februar 2021
[aus dem Vorwort]
Co-Autor | Wolfgang Brandes, Armin Eidherr, Ulrich Klappstein, Heiko Postma, Heiko Thomsen |
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Illustrationen | Jens Rusch |
Verlagsort | Dresden |
Sprache | deutsch |
Maße | 170 x 240 mm |
Gewicht | 1100 g |
Themenwelt | Literatur ► Essays / Feuilleton |
Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft ► Germanistik | |
Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft ► Literaturwissenschaft | |
Schlagworte | China • Däubler, Theodor • Freudenthal • Johann, A. E. • Kirsch, Sarah • Krüss, James • Löns, Hermann • Schmidt, Arno • Tellingstedt • Verne, Jules |
ISBN-10 | 3-86276-318-8 / 3862763188 |
ISBN-13 | 978-3-86276-318-4 / 9783862763184 |
Zustand | Neuware |
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