Im Wir und Jetzt (eBook)

Feministin werden

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1., Deutsche Erstausgabe
176 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76813-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Im Wir und Jetzt - Priya Basil
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Aufgewachsen zwischen zwei Frauen - Mutter und Großmutter -, die gegensätzlicher nicht sein könnten, sucht Priya Basil ihre eigene feministische Stimme. Getrieben von der Vergangenheit, der Vielfalt der Positionen und einer außerordentlichen Erfahrung - der kollaborativen Übernahme eines Modemagazins durch 39 Frauen - beschreibt sie ihren Weg zu mehr Gerechtigkeit und Gleichheit. Brilliant verbindet Priya Basil Selbstverortung mit Philosophie und mitreißender Gesellschaftsanalyse. Und liefert mit Hilfe vieler Verbündeter eine Antwort auf die Frage:

Was tun gegen die tief verwurzelte Abwertung von Frauen in unserer Sprache, Geschichte und Gesellschaft?

Feministin werden, im Wir und Jetzt.



<p>Priya Basil ist eine britisch-indische Schriftstellerin. Sie wuchs in Kenia auf, studierte in Großbritannien und lebt heute in Berlin. Ihre Romane wurden für zahlreiche Preise nominiert. Sie schreibt regelmäßig für Lettre International und verschiedene Tageszeitungen. Basil ist Mitbegründerin von Authors for Peace.</p>

 
 
 
 

Ich brauchte keinen Spiegel, sagtest du, weil all die anderen Frauen mich spiegelten.

Neununddreißigfach du-ihr-ich-wir. Neununddreißig und mehr Versionen von uns, geschminkt, verkleidet wie nie zuvor und vielleicht nie wieder. Vielheit.

Du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du du ihr.

Singular und Plural. Solo und Chor.

Ich war in allen enthalten, sagtest du, und alle in mir.

Neununddreißig Frauen jeden Hintergrunds und Alters – von Teenagern bis über achtzig – kommen an einem Set zusammen. Frauen, die bereits – direkt oder mittelbar – untereinander verbunden sind. Frauen, die das gemeinsame Bemühen verbindet, neue Möglichkeiten in der Welt zu gestalten: neue Formen des Lebens, Sehens, Teilens – neue Formen des gemeinsamen Wagens. Frauen, die in ihrem Denken und Handeln Visionen verkörpern – und keine Repräsentationen darstellen. Frauen, die bereits von einer anderen Zukunft künden. Diese Frauen betreten das Epizentrum der Mode und nutzen dessen Kraftfeld, um Bilder zu schaffen, die ihre Erfahrungen und Allianzen zeigen, Bilder, die aus einem Verständnis von Solidarität als Schönheit entstehen.

Was wirst du anziehen?, sagte meine Mutter, als ich ihr erzählte, dass ich in einer Modezeitschrift zu sehen sein würde, wobei ich betonte, dass ich mit achtunddreißig anderen Frauen versuchen würde, diesen Raum subversiv zu bespielen. Was wirst du anziehen?, hat meine Mutter mich schon oft gefragt, wenn etwas Außergewöhnliches anstand. In Wirklichkeit fragte sie: Was wirst du sagen – über dich, die Veranstaltung, andere Anwesende? Kleidung muss zum Anlass passen, kann ihn sogar zu einem Ereignis machen – das verstand ich schon als Kind, weil meine Mutter immer dafür sorgte, dass wir uns fein machten – für Geburtstage, sonntägliche Mittagessen, einen Besuch bei Verwandten, ein Essen im Restaurant. Während meine Geschwister, mein Vater und ich bei diesen Gelegenheiten schicker als sonst waren, änderte sich das Aussehen meiner Mutter nur um Nuancen – prächtigere Stoffe, funkelnderer Schmuck, edlere Schuhe. Sie sah immer glamourös aus, fiel auf. Sie war die Mutter, die in pinkfarbenen Schuhen mit passender Handtasche am Schultor wartete, die zum Sporttag in High Heels erschien. Ja, Kleidung kann eine Veranstaltung zum Ereignis machen, sie kann aber auch für Verwicklungen sorgen. Wer zu einem Treffen deutlich under- oder overdressed auftaucht – absichtlich oder nicht –, stimmt einen schiefen Ton an, schickt ein schrilles Kräuseln durch die Kleiderrhythmen.

Susan Sontag sagte: »Weiblich sein, so eine allgemein verbreitete Definition, heißt attraktiv sein oder sein Bestes tun, um attraktiv zu sein; um anzuziehen. Während es durchaus möglich ist, diesem Imperativ zu trotzen, so ist es einer Frau doch nicht möglich, sich seiner unbewusst zu sein.«

Das war mir schon früh bewusst. Dennoch widersetzte ich mich diesem Imperativ mitunter – nicht aus einer gründlich durchdachten Haltung heraus, sondern aus Verwirrung darüber, wer ich war, wer ich sein sollte oder sein könnte. Daraufhin änderte meine Mutter ihre Taktik: Du selbst bist der Anlass, sagte sie. Du machst es für dich, sagte sie. Für sie war Kleidung eine Sprache, die Sprache, die sie fließend wie keine andere beherrschen sollte. Wäre ihr Stil ein Satz, er wäre lang, abschweifend; mit Farbkommas und Ohrringpunkten versehen. Einer dieser Sätze, die man langsam aufnimmt, noch einmal liest, nachzuahmen versucht.

Ich habe das Modegespür meiner Mutter immer bewundert, ich selbst aber wollte mich am liebsten nicht darum kümmern – oder besser gesagt, nicht damit belästigt werden. Wie befreiend es sein würde, irgendwann in einer Zeit zu leben, in der Jeans und Turnschuhe zu beinahe jeder Gelegenheit akzeptabel waren. Doch obwohl sich die Zeiten und Sitten wandelten und auch ich mich von außen betrachtet zu verändern schien, war ich tief in meinem Innern gar nicht so anders. Ein Bedürfnis, eine Gier nach Kleidung steckte in mir, ein Strang in der Doppelhelix, die in meinen Gedanken über Mode ein Muster bildete: Begehren und Misstrauen umwanden, umschlangen einander und wurden in regelmäßigen Abständen mit Neugier, Leidenschaft, Liebe, Hunger, Ehrgeiz, Verzweiflung verbunden.

Neununddreißig Frauen, ein gemeinsames Werk. Stellt euch vor, wie sich das anfühlen, wie es aussehen und klingen könnte.

So lautete die Einladung.

Eine Künstlerin sagte zu, 2020 die Januar-Ausgabe einer führenden Modezeitschrift zu kuratieren, unter der Bedingung, es gemeinsam mit anderen Frauen machen zu können. Sie sagte, es habe ein kollektives Unterfangen sein müssen, da es ihre grundlegende Idee für das Heft war, Frauen in bedeutsamen Beziehungen zueinander zu zeigen.

Bei Attraktivität geht es natürlich nicht allein darum, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, Lust zu schüren oder ein rein ästhetisches Gefallen aneinander zu beschwören. Attraktivität kann komplexer sein: sich kleiden, um sich selbst Eigenschaften zu verleihen – Autorität, Macht –, die Respekt, Gehorsam, Achtung anziehen. Sich kleiden, um Neid hervorzurufen, zu überraschen, zu verunsichern, vorzutäuschen, auf Armeslänge zu halten, abzuwehren. Viel hängt davon ab, was man an sich ziehen möchte.

Ihre langen Sätze sorgten dafür, dass meine Mutter gut verhüllt war, beinahe verborgen, obwohl sie dazu gedacht waren, Blicke einzufangen und festzuhalten. Sie waren so sorgfältig, so kunstvoll um sie herumgeschlungen, dass man ihrer Erzählung von Selbstvertrauen und Ganzheit und Verwandlung Glauben schenken konnte.

Raum schaffen. So ließe sich das Œuvre dieser Künstlerin vielleicht zusammenzufassen. Umschaffen, neu schaffen, abschaffen. Welche Welt es auch sein mag – ein Raum, eine Leinwand, eine Meinung, ein Konzept –, sie verändert sie. Bäume verlassen ihre Stämme und ziehen acrylpsychedelisch nach drinnen um. türkis-grau-rot Räume verlieren ihre Ecken an ein kultiviertes Farbchaos. orange-magenta-braun-grün Malerei wird zu Skulpturen, Vorhängen, Paravents, Teppichen. neon-weiß-violett Disparate Objekte vereinen sich unter Pigmentdecken. blau-gelb-pink-silber Unerwartete Gemeinschaften von Ideen und Dingen, die allein durch das Auftragen von Farbe entstehen.

In ihrem Buch Dressed sagte Shahida Bari: Das Leben spielt sich in Kleidung ab. Für meine Mutter ist das Leben gewissermaßen Kleidung: Sie ist der Stoff, der Dinge geschehen lassen kann. So zumindest die Hoffnung, der Glaube. Ab und zu ist es vielleicht die Wirklichkeit. Ihr gesamtes Erwachsenenleben hindurch hat meine Mutter Kleidung entworfen und genäht, für sich selbst, für meine Schwester und mich. Eine Zeit lang hat sie Kleidung professionell angefertigt und verkauft. Bei niemandem war ich so aufgeregt, von dem Zeitschriftenprojekt zu erzählen, wie bei ihr, und niemand war so begeistert wie sie. Als sie sagte: Was wirst du anziehen?, wurde mir schlagartig klar, wie wenig ich bei dem ganzen Unterfangen an Bekleidung dachte. Es musste doch sicherlich alles vollkommen anders gedacht werden, damit die Kleidung aus dem Magazin nebensächlich wäre? Es würde sich doch sicherlich in einer über Kleidungsstücke hinausgehenden Grammatik ausdrücken lassen? Keine Ahnung, sagte ich zu meiner Mutter, aber ich werde auf jeden Fall eines deiner Tücher tragen.

Für die Künstlerin stellen jeder Entwurf und dessen Installation Etappen eines ergebnisoffenen Nachsinnens über die Idee von Grenze, Rand, Begrenzung dar. Oft hat man etwas vor sich und meint, das sei alles, doch irgendwo in der Nähe findet sich vermutlich ein dazugehöriges (Kunst)Stück: dahinter, jenseits einer Wand, drei Räume tiefer, außerhalb des Gebäudes, auf dem Dach oder irgendwo anders, weiter weg, außer Sichtweite.

Donna Haraway sagte: »Das Setzen (Sichten) von Grenzen ist eine riskante Praxis.«

Diese Vision scheut sich nicht, Raum einzunehmen: Sie breitet und weitet sich aus – spielerisch, nachdenklich, rebellisch – und lädt zum Mitmachen ein.

Das englische Wort fashion ist nicht nur ein Substantiv, das einen populären Modestil bezeichnet, sondern auch ein Verb – to fashion –, das »etwas gestalten« bedeutet, sei es mit den Händen oder in der Fantasie.

In den Monaten vor...

Erscheint lt. Verlag 7.3.2021
Übersetzer Beatrice Faßbender
Sprache deutsch
Original-Titel Fight
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Auseinandersetzung mit Feminismus • Bestseller • Bestseller bücher • Bestsellerliste • buch bestseller • Equal Payment • Feminismus • Feminismus heute • Feministin • Frau • Frauenpower • Frauenrechte • Frau im 21. Jahrhundert • Gender • Geschlechtergleichheit • Gesellschaft • Gleichberechtigung • junge Frauen • Kampf um Rechte • Moderner Feminismus • Modernes Leben • Sachbuch-Bestenliste • Sachbuch-Bestseller-Liste • ST 5128 • ST5128 • Streitschrift • suhrkamp taschenbuch 5128 • Was heißt Feminismus heute?
ISBN-10 3-518-76813-1 / 3518768131
ISBN-13 978-3-518-76813-6 / 9783518768136
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