Geschichte des Britischen Empire (eBook)
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-76700-5 (ISBN)
Benedikt Stuchtey war von 2004 bis 2013 stellvertretender Direktor des Deutschen Historischen Instituts in London und hat seit 2013 den Lehrstuhl für Neueste Geschichte an der Philipps-Universität Marburg inne.
1. Einleitung
Zahlreiche Miniaturen des Britischen Empire befinden sich im Zentrum Londons, seiner first city. In den 500 Jahren zwischen dem ersten Kontakt mit dem amerikanischen Kontinent auf Neufundland 1497 und der Übergabe Hongkongs an China 1997 haben sich in Reaktion auf die globale Präsenz des Empire viele Denkmäler und Monumente, Plätze und Straßen, auch ganze Stadtteile wie das East End als sozialer Spiegel der Immigration, in die Architektur Londons eingeschrieben. Das 1875 im neogotischen Stil fertiggestellte Albert Memorial im Hyde Park, das die vier Kontinente Europa, Afrika, Asien und Amerika versinnbildlicht, und das Poster von Ernest Dinkel, Visit the Empire by London’s Underground (1933), das zu einer imaginären Reise nach Indien oder Südafrika, Nigeria oder Burma einlud, gehören ebenso dazu wie die mit Flaggen geschmückte Westminster Abbey. Gandhis Statue auf dem Parliament Square (2015) steht unweit derjenigen Churchills, als bekundete das moderne Großbritannien demonstrativ seine Abkehr von alten Traditionen. Nach eigener Aussage hatte Churchill das Empire noch wegen des «Prunks, des Pomps und des stets gekühlten Champagners» geliebt.
Nach dem Ersten Weltkrieg erfuhr es seine größte Ausdehnung und umfasste nahezu ein Viertel der Landfläche der Erde. Schon viktorianische Karten dokumentierten die Dominanz, so die Imperial Federation Map (1886) von Walter Crane. Um die Meere zu regieren, ruht Britannia auf der Weltkugel und nimmt die Huldigungen der Repräsentanten aller von ihr beherrschten Weltregionen entgegen. Freiheit, Brüderlichkeit und Föderation sind Leitbegriffe seit den Anfängen der Tudorkönigin Elisabeth I. bis zur Spätphase der Regierungszeit Königin Elisabeths II.
Jedem der sieben chronologisch geordneten Hauptkapitel wird in diesem Buch ein für die jeweils behandelte Zeitspanne repräsentativer Erinnerungsort beigefügt, eine Region (2), eine Sklavenplantage (3), eine Inselgruppe (4), eine Kolonial- und eine Hafenstadt (5+6), ein Mandatsgebiet (7) und ein Schiff (8). Auch andere Orte und Räume wären denkbar: das Londoner Wembley-Stadion als Austragungsort der Empire Exhibition von 1923; Greenwich als ehemaliges Zentrum der Marine und Standort der Sternwarte zur Markierung des Nullmeridians (seit 1884), mithin zur globalen Kontrolle und Vereinheitlichung der Zeitzonen, in deren Folge der urbane Raum Großbritanniens und des Empire mit Turmuhren dicht bestückt wurde; das 1888 fertiggestellte Bahnhofsgebäude des Chhatrapati Shivaji Maharaj Terminus in Bombay (Mumbai), seinerzeit die repräsentativste Herrschaftsarchitektur Britisch-Indiens; ein Netzwerk von über 40 vegetarischen Restaurants, die es in London um 1900 gab, stellvertretend für die Vegetarian Society, deren Mitglied auch Gandhi war; das British Empire and Commonwealth Museum (2002–2013) in Bristol; die südafrikanische Stadt Ladysmith nahe der Grenze zu Natal, wo während des Burenkriegs britische Truppen fast 120 Tage eingeschlossen waren. Die hier ausgewählten Erinnerungsorte sind zum einen Schlaglichter besonderer Momente der Empiregeschichte, zum anderen können sie auch symbolisch übergeordnet verstanden werden. Sie lassen kleinere Räume denken als die von der Forschung revidierten älteren Konzepte eines «atlantischen ersten Empire» bis 1800, eines «asiatischen zweiten Empire» bis 1920 oder der «Aufteilung Afrikas». Daraus schlussfolgernd ist es wichtig, ein Kolonialreich stets in seiner Reziprozität zu betrachten: «Metropole» und Kolonien sowie die Kolonien untereinander waren wechselseitig aufeinander bezogen.
Folgende Gedanken liegen dem zugrunde: Erstens gab es nicht ein Britisches Empire, sondern eine Vielzahl fragmentierter Formen von Kolonialismen und Imperialismen. Die beeindruckende Rotfärbung der «maps of empire» suggerierte eine räumliche Expansion in einer ununterbrochenen Zeitspanne und den Eindruck von beständiger Macht. Das britische Rot auf den Weltkarten prägte sich wie das Blau für das französische Kolonialreich und das Gelb des deutschen Kaiserreichs in das kollektive Bewusstsein ein. Die imperiale Farbenlehre vermittelte den Eindruck, Imperien wären uniform und homogen wie das Modell des Nationalstaats. Aber schon Adam Smith zufolge war das Empire ein «Projekt», angewiesen auf offene Verbindungen, fortwährend umkämpft und umstritten, an seinen durchlässigen Grenzen und im Inneren in dauernder Selbstverteidigung begriffen, die wiederum einerseits koloniale Gewalt, andererseits mangelhafte Durchdringung der Kolonien bedeutete. Wie jedem anderen Imperialstaat fehlten auch dem britischen zur Durchsetzung der lokalen Kontrolle die Mittel, was Kooperation vor Ort notwendig machte. Handelskompanien der Vormoderne und Mandatsgebiete nach 1919 machten die gleiche Erfahrung.
Zweitens war das lange 19. Jahrhundert zwischen Amerikanischer Revolution (1776) und Statut von Westminster (1931) die wichtigste Epoche des Empire. Betrug im Jahr des ersten Zensus (1801) die Bevölkerungszahl Englands neun Millionen, so waren es 40 Millionen im Jahr 1900. Auch die Zahl der Einwohner Londons wuchs kontinuierlich: Um 1800 waren es knapp unter einer Million, um 1900 bereits über sieben Millionen.
Ein Bundesstaat im Südosten Australiens, die Hauptstadt der Provinz British Columbia in Kanada, der größte Binnensee Afrikas: Sie alle sind nach Königin Viktoria, seit 1876 auch Kaiserin Indiens, benannt. In den 64 Jahren ihrer Regierung (1837–1901) führte das Empire 72 Kriege, ein Zeitalter der Pax Britannica. Viermal besuchte die Queen Irland (1849, 1851, 1861, 1900), kein einziges Mal den Rest des Empire. Ihr Enkel, der spätere König Georg V., glich dies mit seiner pompösen Royal Tour 1901 aus, die ihn um die ganze Welt führte. Viktorias Söhne Albert Edward und Alfred hatten schon 1860 durch ihre Reisen nach Kanada und Südafrika die royale Sichtbarkeit gesteigert und die imaginäre Gemeinschaft über die weite Distanz gestärkt. Im Alltag war Viktoria durch Münzen, Briefmarken und Denkmäler allgegenwärtig. Das Empire sollte als eine große Familie verstanden werden, mit einem «Mutterland» England und den Kolonien als Kindern, die eines Tages in die Unabhängigkeit entlassen werden würden. Die königliche Familie stiftete Gemeinschaft und Identität, aber sie musste sich ständig neu inszenieren.
Eindrucksvoll gelang die Symbiose bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, dann rief Gandhi seine Anhänger dazu auf, alle Orden und Ehrenzeichen (Star of India) zurückzugeben, die das Empire verliehen hatte, um die kolonialen Herrschaftssymbole für nichtig zu erklären. Auch Ausnahmen wie die Frankokanadier, die sich mit diesen Formen der Vergemeinschaftung nicht identifizierten, bestätigten die Regel. Andererseits konnte Elisabeth II. anlässlich ihrer Krönung 1953 Königin Salote Tupou III. begrüßen, seit 1918 und bis zu ihrem Tod 1965 Herrscherin über Tonga im südlichen Pazifik. Freiwillig hatte sich das Archipel im Jahr 1900 unter britisches Protektorat gestellt.
Drittens entfaltete Großbritannien im Zeichen der globalen Matrix seines Empire das breite Panorama aller Formen von Kolonisation inklusive der frühen Erfahrung der Dekolonisation in Amerika: die Gründung von Kronkolonien, Siedlungskolonien, Dominions, Protektoraten, Mandatsgebieten, Kondominien, Stützpunktkolonien sowie der Ausbau eines dichten Netzes von Kolonialstädten zwischen Boston und Bridgetown, Dublin und Delhi, Kingston und Kapstadt. Kronkolonien unterstanden der direkten Verwaltung und Rechtsprechung der Monarchie. Demgegenüber hatten Dominions als ehemalige Kolonien allmählich politische Autonomie gewonnen. Protektorate sollten den Verzicht auf umfassende Kontrolle durch London zum Ausdruck bringen und vorhandene regionale Herrschaftsstrukturen respektieren. Zwischen 1898 und 1956 bildete der Sudan ein von Kairo mitregiertes Kondominium. Mandatsgebiete wie der Irak wurden unter den Siegermächten des Ersten Weltkrieges verteilt; unter der Aufsicht des Völkerbunds wurden u.a. auch Südafrika und Australien (für Südwestafrika bzw. Neuguinea) beteiligt.
Einzigartig war schließlich die Gründung des Commonwealth, verfassungsrechtlich im Westminster-Statut anerkannt, die auf Arthur Balfours Definition der Dominions und auf Lionel Curtis’ Initiative zurückging. Sie verpflichtet zur Gleichberechtigung der Mitglieder sowie zur Treue zur Krone. Trotz der Entkolonialisierung blieb damit eine Staatengemeinschaft bestehen. 1949 fiel das Präfix «British» fort, unwiederbringlich war der Empiregedanke nun vom Commonwealth absorbiert. Dabei bestand kein...
Erscheint lt. Verlag | 18.3.2021 |
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Reihe/Serie | Beck'sche Reihe | Beck'sche Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Allgemeines / Lexika | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Schlagworte | Ausbeutung • Britisches Weltreich • Commonwealth • dominions • Empire • England • Englische Sprache • Expansion • Freihandel • Geschichte • Großbritannien • Hungerkrisen • Imperialismus • Kolonialismus • Kolonialkriege • Kolonialreich • Kronkolonien • Mandatsgebiete • Marine • Navy • Postkolonialismus • Protektorate • Seemacht • Sklaverei • Strafkolonien • Überseebesitzungen • ureinwohnern • Vereinigte Königreich • zivilisierungsmission |
ISBN-10 | 3-406-76700-1 / 3406767001 |
ISBN-13 | 978-3-406-76700-5 / 9783406767005 |
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