Infinity Plus One (eBook)

***

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
412 Seiten
Lyx (Verlag)
978-3-7363-1489-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Infinity Plus One -  Amy Harmon
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'In dieser Nacht sind wir beide gesprungen, haben beide losgelassen, sind beide gefallen.'

Bonnie Rae Shelbys Leben scheint ein wahr gewordener Traum: Sie ist eine der erfolgreichsten Popsängerinnen der Welt, hat Millionen von Fans, mehr Geld, als sie je ausgeben könnte ... und sie will sterben. Finn Clyde ist ein Niemand. Das Einzige, was für ihn im Leben Sinn ergibt, ist Mathematik. Allerdings hat ihn das bisher noch nicht weit gebracht. Er will ganz neu anfangen, weit weg von den Schatten seiner Vergangenheit. Doch dann sieht er das Mädchen auf der Brücke. Er weiß, dass sie springen wird. Und er muss eine Entscheidung treffen ...

'Unvergesslich, zutiefst berührend und einzigartig geschrieben, wie es nur Amy Harmon kann.' Vilmairis

Neuausgabe von UNENDLICH WIR



Amy Harmon wusste schon als Kind, dass sie einmal Schriftstellerin werden würde. Sie wuchs ohne Fernseher auf und hat ihre Freizeit mit Lesen und Singen verbracht. Später arbeitete sie als Lehrerin und war Mitglied des Saints-Unified-Gospel-Chors, der 2005 einen GRAMMY erhielt. Weitere Informationen unter: www.authoramyharmon.com

Amy Harmon wusste schon als Kind, dass sie einmal Schriftstellerin werden würde. Sie wuchs ohne Fernseher auf und hat ihre Freizeit mit Lesen und Singen verbracht. Später arbeitete sie als Lehrerin und war Mitglied des Saints-Unified-Gospel-Chors, der 2005 einen GRAMMY erhielt. Weitere Informationen unter: www.authoramyharmon.com

1


Neigungswinkel


Elf Tage zuvor

»Ich habe gehört, dass alle beim Fallen schreien – sogar, wenn sie freiwillig gesprungen sind.«

Die Stimme kam wie aus dem Nichts, ließ mich zusammenzucken und jagte mir ein Ziehen durch die Magengrube, als hätte ich schon losgelassen und befände mich im freien Fall. Wer da mit mir sprach, konnte ich nicht sehen. Der Nebel war zu dicht und bot mir damit die perfekte Gelegenheit, unbemerkt in das samtige Weiß einzutauchen. Die dicken Schwaden lullten mich in ein trügerisches Gefühl der Sicherheit, umhüllten mich wie ein Kokon und gaukelten mir vor, sie würden mich auffangen und ich könnte mich eine Weile darin verstecken. Mit feuchtem Atem flüsterte mir der Nebel zu, dass das Loslassen leicht und schmerzlos sein würde, dass ich nicht in den Abgrund stürzen, sondern von einer Wolke getragen werden würde. Ein Teil von mir wollte jedoch in den Abgrund stürzen. Deshalb war ich hier. Und ich bekam diesen Song einfach nicht aus dem Kopf. Die Strophe, in der es darum ging, dass man im Himmel für immer zusammen sein könnte.

Oh my darling Minnie Mae, up in heaven, so they say

And they’ll never take you from me, anymore

I’m coming, coming, coming, as the angels clear the way

So farewell to the old Kentucky shore.

»Komm da runter.« Wieder diese Stimme. Körperlos. Ich konnte nicht mal erkennen, aus welcher Richtung sie kam. Sie klang tief, rau. Die Stimme eines Mannes. Nach dem Klang zu urteilen, war er wohl nicht mehr ganz so jung, vielleicht etwa so alt wie mein Vater. Daddy hätte auch versucht, jemanden, der auf einem Brückengeländer steht, mit guten Worten wieder runterzuholen. Oder mit einem Lied. Der Gedanke brachte mich zum Lächeln. Seine Stimme beherrschte meine frühesten Kindheitserinnerungen. Tief und Folksongs schmetternd, mit dem typischen Südstaatler-Singsang, der zu meinem Markenzeichen geworden war. Anfangs hatte ich immer die Melodiestimme gesungen, Daddy hatte den Tenor beigesteuert und Gran die Begleitstimme. Wir konnten stundenlang singen. Und das taten wir auch. Darin waren wir gut. Dafür lebten wir. Aber ich wollte nicht mehr dafür leben.

»Wenn du nicht runterkommst, komm ich rauf.«

Ich zuckte erneut zusammen. Ich hatte ganz vergessen, dass er da war. Ganz einfach so. Mein Gehirn war wie die Luft um mich herum völlig vernebelt, als hätte ich sie tief eingeatmet.

Er sagte runter statt herunter und verschluckte das R am Ende, sodass es ein wenig wie ein A klang – »runta«. Ich konnte den Akzent nicht einordnen. Einen Moment lang war ich verwirrt. Boston. Genau. Ich war in Boston. Gestern war ich in New York City und davor in Philadelphia gewesen. Und vergangenen Montag in Detroit, oder? Ich versuchte mich an all die Aufenthalte in all den Städten zu erinnern, doch in meinem Kopf verschwamm alles zu einem undeutlichen Bild. Ich bekam nie viel von den Städten zu sehen, in denen ich auftrat. Ein Ort glich dem anderen.

Plötzlich balancierte der Mann neben mir auf dem Geländer, die Arme, wie ich, gegen das Metall gestemmt. Er war groß. Ziemlich groß, wie ich nach einem raschen Seitenblick feststellte. Unvermittelt hatte ich ein Gefühl, als ob mir das Herz in die Magengrube rutschte, dort dumpf aufschlug und wie ein Ball herumhüpfte, und mir wurde schlecht. Mein Magen war leer, nichts Neues. Ich fragte mich, ob der Mann ein Vergewaltiger oder Serienkiller war. Aber eigentlich spielte das keine Rolle, entschied ich müde. Falls er mich vergewaltigen oder ermorden wollte, konnte ich einfach loslassen. Problem gelöst.

»Wissen deine Eltern, wo du bist? Gib mir ihre Telefonnummer und ich ruf sie an.« Da war es wieder, am Ende von »Telefonnummer«, das verschluckte R, das wie ein A klang – »Numma«. Seine Stimme ähnelte doch nicht der meines Vaters. Daddy war in den Bergen von Tennessee geboren und aufgewachsen. In Tennessee sprechen wir die Rs aus. Wir rollen unsere Zungen um das R wie um ein Zitronenbonbon, bevor wir es loslassen.

»Soll ich jemanden für dich anrufen?«, fragte er, als ich keine Antwort gab. Ohne ihn anzusehen, schüttelte ich den Kopf. Ich hielt den Blick nach vorn in den Nebel gerichtet. Das weiße Nichts gefiel mir. Es beruhigte mich. Ich wollte diesem Nichts näher sein. Deshalb war ich auf das Geländer geklettert.

»Schau mal, Kindchen. Ich kann dich hier nicht allein lassen.«

Auch das R von hier war kaum wahrnehmbar. Sein Akzent faszinierte mich, dennoch wünschte ich mir, er würde endlich aufgeben und verschwinden.

»Ich bin kein Kind. Du kannst mich also sehr wohl hier allein lassen.« Mir fiel auf, wie trotzig meine gerollten Rs klangen, ebenso trotzig wie meine Worte.

Ich spürte seinen Blick auf meinem Gesicht ruhen und sah ihn an. Nahm ihn zum ersten Mal bewusst wahr. Er trug eine Strickmütze, die er sich tief in die Stirn und über die Ohren gezogen hatte, so wie ich. Es war kalt. Meine Mütze hatte ich von meinem Sicherheitschef geklaut, zusammen mit einem riesigen Kapuzenshirt, das jemand in meiner Garderobe vergessen hatte. Seine Mütze sah aus, als sei sie ein Teil von ihm. Er hatte sie ganz sicher nicht gestohlen. Zottelige, lange blonde Haare lugten darunter hervor, seine breiten Augenbrauen waren jedoch beinahe so dunkel wie die Wolle seiner Mütze – schwarze Balken über Augen von undefinierbarer Farbe. In der nebligen Dunkelheit konnte man nur unterschiedliche Grautöne erkennen. Mit starrem Blick, den Mund leicht zusammengekniffen, fixierte er mich überrascht. Offensichtlich hatten wir uns beide geirrt. Ich war kein Kind und er kein älterer Mann. Er war höchstens ein paar Jahre älter als ich, wenn überhaupt.

»Nein, wie ein Kind siehst du wirklich nicht aus«, sagte er. Sein verblüffter Blick wanderte zu meiner Brust, wie um sich zu vergewissern, dass ich tatsächlich weiblich war. Ich hob eine Augenbraue und reckte das Kinn, um ihn auf diese Weise wortlos aufzufordern, mir ins Gesicht zu schauen. Es funktionierte; er hob den Blick und redete in besänftigendem Ton auf mich ein.

»Wenn du springst, wirst du aller Wahrscheinlichkeit nach sterben. Vielleicht wirst du den Fall sogar genießen, aber den Aufprall ganz sicher nicht; der wird sich so richtig scheiße anfühlen. Und falls du doch nicht stirbst, wirst du dir wünschen, du hättest es nicht überlebt oder wärst erst gar nicht gesprungen. Und dann wirst du um Hilfe rufen. Aber dann ist es zu spät, denn ich spring dir bestimmt nicht hinterher, Texas.«

»Ich kann mich nicht erinnern, dich darum gebeten zu haben, Boston«, gab ich zurück, ohne ihn über meinen tatsächlichen Heimatstaat aufzuklären. Offenbar schien jeder, der das R rollend aussprach, aus Texas stammen zu müssen.

Sein Blick ruhte kurz auf meinen Stiefeln und glitt dann abschätzend nach oben zu meinem Gesicht. »Du und ich, wir beide wissen doch, dass du es sowieso nicht tun wirst. Also beende das Drama, kletter runter, und ich bring dich, wohin du willst.«

Er hatte genau das Falsche gesagt. Ich spürte, wie die Wut meinen leeren Magen füllte und in meine Kehle hinaufschoss wie Flammen in einem Aufzugschacht. Tränen liefen mir über die Wangen, der natürliche Schutz meines Körpers gegen das Inferno, das in mir wütete. Ich fühlte mich erschöpft. Völlig ausgelaugt. Emotional und körperlich am Ende. Ich war es leid, dass jeder glaubte, er könne mich bevormunden und mir sagen, was ich wann wie und mit wem zu tun hatte. Ich war es leid, nie eigene Entscheidungen treffen zu können, und beschloss, dies an Ort und Stelle zu ändern. Seine Bemerkung bestärkte meinen Entschluss nur noch. Ich sah sofort, wann er diese Tatsache begriff. Sein Mund formte einen stummen Fluch, und er riss erschrocken die Augen auf.

Ich beugte mich nach vorn in den Nebel und ließ los.

Als meine Zwillingsschwester starb, wurde der Tod für mich sehr real. Ich dachte fast unaufhörlich daran, und weil ich sie mehr liebte als alles andere auf der Welt, wollte ein Teil von mir bei ihr sein, wo immer sie auch war. Ich begann, über meinen eigenen Tod nachzudenken und mir die Umstände auszumalen, wie es passieren könnte. Diese Todessehnsucht kam jedoch nicht von jetzt auf gleich; sie schlich sich ganz allmählich ein. Es fing mit einem Gedanken an, der in den dunkelsten Ecken des Verstandes aufflackert, wie eine Geburtstagskerze, kurz bevor man sie ausbläst. Nur dass die Todessehnsucht wie eine dieser magischen Kerzen ist, die man ausbläst und die gleich darauf wieder aufflammen. Wieder und wieder. Und jedes Mal, wenn sie erneut aufflackert, brennt sie ein wenig länger und strahlt ein wenig heller. Das Licht erscheint beinahe warm. Freundlich. Ganz und gar nicht so, als ob es einen verbrennen würde.

Irgendwann wird der flackernde Gedanke zur Möglichkeit und die Möglichkeit zum präzisen Vorhaben, mit einem Plan A und einem Plan B. Und manchmal auch Plan C und D. Und bevor man sich’s versieht, nimmt man auf vielerlei beiläufige Arten Abschied. Man denkt, vielleicht ist das meine letzte Tasse Kaffee. Das letzte Mal, dass ich mir die Schuhe binde oder die Katze streichele. Das letzte Mal, dass ich diesen Song singe. Und mit jedem »letzen Mal« nimmt die Erleichterung zu, so wie beim Abhaken anstrengender Aufgaben auf einer langen Liste. Irgendwann reihen sich die kleinen Kerzen im Kopf wie brennende Brücken aneinander. Leute, die sterben wollen, brechen sämtliche Brücken hinter, vor und neben sich ab. Und dann springen sie hinunter.

An diesem Abend hatte ich alle lächelnd und mit sanften Worten aus meiner Garderobe...

Erscheint lt. Verlag 26.2.2021
Übersetzer Corinna Wieja, Jeannette Bauroth
Sprache deutsch
Original-Titel Infinity + One
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. - 21. Jahrhundert • Bonnie Rae Shelby • Bonnie und Clyde • Brittainy C. Cherry • Brücke • dramatisch • Emma Scott • Emotional • Finn Clyde • Große Gefühle • Las Vegas • Leidenschaft • Liebe • Liebe / Beziehung • Liebesgeschichte • Liebesroman • Mathematik • Nähe • New Adult • New York • Popsängerin • Roadtrip • Romance • Romantik • Schicksal • USA • Vor uns das Leben
ISBN-10 3-7363-1489-2 / 3736314892
ISBN-13 978-3-7363-1489-4 / 9783736314894
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