DAVE - Österreichischer Buchpreis 2021 (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
432 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12081-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

DAVE - Österreichischer Buchpreis 2021 -  Raphaela Edelbauer
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Irrwitzig, eindrücklich, abgründig. Raphaela Edelbauers Roman über Künstliche Intelligenz. »Ein Geistesblitz von einem Roman!« Denis Scheck, Druckfrisch (Das Erste), 24.01.2021 Was braucht es, um eine Maschine mit menschlichem Bewusstsein auszustatten? Den Programmierer Syz interessiert nichts so sehr wie die Beantwortung dieser Frage. Doch als er hinter die Kulissen des Labors blickt, gerät sein bedingungsloser Glaube an die Technik ins Wanken. Welchem Zweck dient DAVE wirklich und wer wird von ihm profitieren? In der Welt von Syz dreht sich alles ums Programmieren. Geschlafen und gegessen wird hauptsächlich, um schnellstmöglich wieder in die Datenströme des Computers abzutauchen. Das Ziel des gesamten Labors ist nichts Geringeres als die Programmierung der ersten generellen Künstlichen Intelligenz, ausgestattet mit einer Höchstleistung an Rechenkraft und menschlichem Bewusstsein: DAVE. Dann allerdings bringen zwei Ereignisse Syz' geregeltes Leben ins Wanken. Erstens, Syz verliebt sich in eine junge Ärztin, und zweitens, DAVE droht ein Totalausfall. Der Strudel, in den Syz in der Folge gerät, katapultiert den Programmierer in unmittelbare Nähe der Machtzentrale. Während das Labor in blinder Technikgläubigkeit weiterhin auf die Verwirklichung der Künstlichen Superintelligenz hinarbeitet, taucht Syz tief in die Geschichte des Labors ein und versucht herauszufinden, wessen Interessen DAVE am Ende eigentlich dient. Nach dem großen Erfolg von »Das flüssige Land« legt Raphaela Edelbauer einen einzigartigen Roman über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Künstlichen Intelligenz vor. Ausgezeichnet mit dem Österreichischen Buchpreis 2021 Aus der Begründung der Jury: Raphaela Edelbauer hat mit DAVE einen raffinierten Science-Fiction-Roman mit eingebauter Liebesgeschichte geschaffen, der nach den Gesetzen des Thrillers funktioniert. Dabei unterhält man sich nicht nur, sondern erfährt dank Edelbauers erstaunlicher Belesenheit viel über philosophische Debatten, Bewusstseins- und Gedächtnisforschung, Informatik und lernende Systeme, deren Heilsversprechen die Autorin spürbar misstraut. Denn der Weg zu einer schmerzlosen und total vernünftigen Gesellschaft nach dem Ebenbild des Computers führt durch Überwachung und Repression. Edelbauer erzählt elegant und pointiert, mit galligem Witz, Lust an der Anspielung und immer wieder verblüffenden Wendungen von der Ohnmacht des einzelnen in einer Diktatur der Weltverbesserer. 

Raphaela Edelbauer, geboren in Wien, studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst. Für ihr Werk »Entdecker. Eine Poetik« wurde sie mit dem Hauptpreis der Rauriser Literaturtage ausgezeichnet. Außerdem wurde ihr der Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb, der Theodor-Körner-Preis und der Förderpreis der Doppelfeld-Stiftung zuerkannt. Ihr Debütroman »Das flüssige Land« stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, für ihren zweiten Roman »DAVE« erhielt sie den Österreichischen Buchpreis. Raphaela Edelbauer lebt in Wien.

Raphaela Edelbauer, geboren in Wien, studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst. Für ihr Werk »Entdecker. Eine Poetik« wurde sie mit dem Hauptpreis der Rauriser Literaturtage ausgezeichnet. Außerdem wurde ihr der Publikumspreis beim Bachmann-Wettbewerb, der Theodor-Körner-Preis und der Förderpreis der Doppelfeld-Stiftung zuerkannt. Ihr Debütroman »Das flüssige Land« stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, für ihren zweiten Roman »DAVE« erhielt sie den Österreichischen Buchpreis. Raphaela Edelbauer lebt in Wien.

2


Jeder Mensch – doch mehr noch jede Bewegung – verzehrt sich nach einer Genealogie, einem Gründungsmythos, aus dessen Kontinuität sich das eigene Sendungsbewusstsein rechtfertigt.

Alles, was der unsere benötigt, ist ein Emblem und eine Subscriptio. Es sind dies: Jene Fotografie, die sich in der Aula der Fröhlichen Menschen und Tiere wie ein imposantes Fresko über die westliche Wand erstreckt, sowie vier Worte: Tech Model Railroad Club. Die Ikone, die diese Szene zeigt, benötigt kein Gold zu ihrer Ausschmückung. Es ist unerheblich, dass sie durch die vielen Hände, die sie ehrfürchtig berührten, verwittert ist. Gleichgültig, dass der Charakter des Arrangements stumpf und schal ist wie die Zeit seiner Entstehung – die Nachkriegszeit, die ein Farbschema aus Taupe und Anthrazit diktierte.

Das Motiv aber sticht noch hervor wie neuerdings: Zentralstück ist ein obeliskenhaft aufragender Rechner, der IBM 704, sowie vier um ihn gruppierte Personen uninterpretierbaren Alters, von denen zwei dem Betrachter die Rücken zuwenden und zwei im Dreiviertelprofil in die Kamera sehen. Allen gemein ist eine gewisse Tendenz zur Nachlässigkeit: Ungekämmte Langhaarfrisuren, Brillen so dick, dass die optische Dispersion die Augen ins Komödiantische hineindehnt, und unkapriziöse Draperie aus drei Tage am Stück getragenen T-Shirts.

Der eingeweihte Betrachter aber weiß, dass hier vier Programmierer abgebildet sind, so geschichtsschwer, dass ihre Namen mittlerweile zur Allegorie erstarrt sind: Samson, Dennis, Wagner und Deutsch. Die original hackers.

Wie die Urchristen sitzen sie versammelt um ein Monument, dessen 400 donnernde Vakuumröhren auf eine kleine Steuerungskonsole in ihrer Mitte hin ausgerichtet sind. Die Szene illustriert einen Moment höchster Konzentration: Deutsch, ein gerade einmal vierzehnjähriger Knabe, der kaum an die Relais heranreicht, übergibt Samson, einem der Vokuhilaträger, eine Lochkarte. Aus der Körperhaltung des Rezipienten ist zu erahnen, dass er sie gleich an den links unten im Bild sich befindlichen 711-Cardreader verfüttern wird. Die anderen beiden – Dennis und Wagner (mit von Schlaflosigkeit verklärten Blicken) – stehen dem Magnetbandlaufwerk zugewandt.

Versenkt man sich im Sfumato dieser schleißig belichteten Szene, meint man, es fast hören zu können: Wie das erste Programm, das die vier geschrieben hatten, das kolossale Stahlgehirn im Moment der Auslösung erschütterte. Wie die Flip-Flop-Schalter in seinem Inneren sich der Gewalt der intelligenten Ordnung geschlagen gaben und endlich ein Ergebnis zeitigten, das sich Sekunden später aus dem angeschlossenen IBM-65a-Drucker herauswinden würde. Viertausend Stellen der Kreiszahl Pi waren in einem Sekundenbruchteil errechnet worden. Wer sich nach dem Zweck dieser Kalkulation fragt, verkennt ihre Signifikanz: Die Abbildung hält fest, wie eine Maschine rechnerisch zum ersten Mal mehr leistete, als ein Mensch es jemals können würde.

Zeitpunkt der Aufnahme: 1958, 12.37 Eastern Daylight Time. Ort: Raum 20E-214 im dritten Stock von Gebäude 20 des Universitätscampus am Massachusetts Institute of Technology.

Es ist eine Baracke, in der diese Geschichte begann, eine Interimslösung, die nach dem Zweiten Weltkrieg als solche vergessen worden war. Wir erahnen sie an den geschmacklos changierenden Oberflächen: Linoleum mit kleinen Einschlüssen im Boden, subtil durchäderte Polycarbonatplatten an der Decke – gekörntes PVC und Bakelit an den Peripherien der Maschinerien. Man nannte das EDV–Labor den »Plywood Palace«, ein Ort von erstaunlicher Hässlichkeit. Es kann nicht geleugnet werden: Der Geburtsort der eschatologischen Vollendung des Universums war ein dreckiger, fensterloser Raum.

Die Figurenkomposition ist auf den ersten Blick chaotisch, folgt aber einem strengen Kalkül: Peter Samson steht rechts vorne, die Hand am Relais, ein neunzehnjähriges Erstsemester, das erst drei Monate vor dieser Aufnahme von den elektrischen Schaltkreisen eines Eisenbahnmodells gefangen genommen worden war. Im Keller des Instituts für Ingenieurswesen hatte der Tech Model Railroad Club ein Schaltbrett mit Nachbauten von Zügen aufgestellt, wobei Samsons Interesse sich rasch auf etwas anderes gerichtet hatte. Es waren die komplizierten Schaltungen der zugrundeliegenden Steckplatine, auf denen er virtuos zu spielen lernte.

Bob Wagner seinerseits, dunkelhaarig und etwas größer als die anderen, steht links über die Konsole gebeugt, die Hand expressiv auf Stirnhöhe, wie um sich die Übernächtigkeit vom Antlitz zu bürsten. Er ist fixiert auf die Lichter des Ausgabepanels, das in wenigen Augenblicken die ersten stotternden Lebensäußerungen der Maschine manifestieren würde. Erst wenn das Programm angehalten hatte, war aus dem Drucker ein schmaler Papierstreifen zu entnehmen, der verifizierte, dass keine Sytaxfehler das Programm zum vorzeitigen Halten gebracht hatten. Wagner scheint, obwohl er nur halbseitig zu sehen ist, in solcher Konzentration versunken, dass die Legende einen nicht wundernimmt, nach der seine Freunde ihn alle drei Tage mitsamt seiner starren Kleidung unter die Dusche stellen mussten. Die Hygiene pflegte gegenüber dem Verschmelzen mit der Maschine zurückzutreten. Für Oberflächen war kein Raum.

Jack Dennis, dessen verkräuselte Locken das einzige Ornament des Motivs darstellen, ist an der Peripherie des Bildes verewigt. Stift und Reißpapier sind die Attribute der manuellen Programmplanung. Seine Pose wirkt instabil, die Mühsal findet ihren unweigerlichen Widerhall in seiner Körpersprache: In den Sechzigern gab es kein grafisches Interface, keinen Bildschirm – das »Programmieren« musste auf tapeziergroßen Bögen unternommen werden. Hier gehörte er hin, hier hatte er seine Bestimmung gefunden, würde er zwanzig Jahre später sagen.

Am Lochstanzer sitzt, vom Chiaroscuro des gigantischen Rechners überschattet, Peter Deutsch: ein Kindgenius; Sohn eines MIT-Professors, der beim Verfassen seiner ersten Codezeile ein transzendentes Erlebnis gehabt hatte. Dieses noch schwerfällige Medium, seine logische Perspektivierung und Relationalitäten würden das Material seines Künstlertums sein.

Was die Abbildung als Ganzes zusammenschweißt, ist der Koloss, der das Zentrum der Komposition ausmacht: Der Lochkartenrechner, ein okkulter Gott, den damals noch keiner außer ihnen für einen hielt. Dass sie sich Priests nannten, passt zur Tatsache, dass sie einander stets nachts trafen, und dennoch war ihre Selbststilisierung nicht mystisch verwaschen. Schlagschatten und überreiztes Neonlicht lassen die Linienführung präzise bleiben: Deutsch, Wagner, Samson und Dennis konnten das Potenzial dieses Computers einschätzen und hatten seine Sprache gelernt.

Der Fluchtpunkt der gesamten Zukunft in einem einzigen Bild. »Originata della natura supere lorigine e fassi originale dell arte«: Entsprungen aus der Natur, überwindet sie ihren Ursprung, und macht sich zum Vorbild der Kunst, sagte Giovanni Pietro Bellori 1664 in einem Vortrag vor der Accademia il Signor Carlo Moratti darüber, was die Definition einer Idee sei. Und warum sollte man der Enthüllung der reinen Information mit ungeschlachteren Worten begegnen? Die Enkel und Urenkel dieses Megalithen würden eines Tages Cluster in den Datensätzen aufspüren, die kein menschliches Auge jemals erblickt hatte.

Doch wäre es vermessen, zu glauben, aus diesem Sujet wäre alles zu erschließen. Denn über diesem einen akkumulieren sich zigtausend andere, die die Geschichte der Computerwissenschaft wie Folien darüberlegte. Da war der Tag, an dem der Gruppe um Samson der PX-0 in Raum 206 / Gebäude 27 a präsentiert wurde – ein leicht verlagerter Stoff, auch wenn er räumlich und inhaltlich mit dem ersten Bild in Beziehung steht.

Ein effektvoller Kontrast zwischen dem kleineren Gerät und den Menschen an den Seiten des Bildes dominiert diese Fotografie, eine Leichtfüßigkeit, etwas Luftiges. Der bisquefarbene PDP hatte im Gegensatz zum IBM ein Eingabeterminal sowie ein Peripheriegerät, das man bereits als modernen Drucker bezeichnen kann. Nun konnten die vier original hackers, diesmal links außen gruppiert, der Maschine bei ihren dampfschweren Rechenumwälzungen zusehen. Mehr noch: Sie konnten direkt zu ihr sprechen, wenngleich natürlich nur in Einsen und Nullen.

Ein anderes berühmtes Foto, das in meiner Kindheit, auf Lesezeichen gedruckt, verkauft wurde, zeigt die Gruppe, später ergänzt durch die jungen Greenblatt und Gosper, spätnachts bei der Belagerung eines neuen Hoking Giant, des PDP-11. Mit zunehmender Tiefenschärfe...

Erscheint lt. Verlag 18.1.2021
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Artificial Intelligence • Bewusstsein • Big Data • Buch • Buchpreis • Chatbot • Computer • Descartes • Deutscher Buchpreis • Emotionen • Gesellschaft • heilsversprechen • Informatik • Intelligentes Lernen • KI • Künstliche Intelligenz • Labor • Leib-Seele-Dualismus • Longlist Buchpreis • Maschinen • Österreich • Österreichischer Buchpreis • Programmieren • Rechenleistung • Religion • Roboter • Selbstbewusstsein • Selbsterkenntnis • Weihnachtsgeschenk • Zukunft • Zukunft: Science Fiction
ISBN-10 3-608-12081-5 / 3608120815
ISBN-13 978-3-608-12081-3 / 9783608120813
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