Die Kaiser des Mittelalters (eBook)
128 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75494-4 (ISBN)
Die Entwicklungen des römischen Kaisertums im Mittelalter sind vom Wirken herausragender Persönlichkeiten geprägt. Dementsprechend werden die entscheidenden Stationen jener Jahre Kaisergeschichte in diesem Buch ebenso beschrieben wie das aufschlussreiche Verhältnis zwischen der Institution des Kaisertums und den Menschen, die sie gestaltet haben. Ein Ausblick auf das Kaisertum in der Zeit des Heiligen Römischen Reichs bis 1806 und sein Nachleben bis in die Gegenwart beschließt den anregend und verständlich geschriebenen Band.
Bernd Schneidmüller ist Seniorprofessor an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.
1 Einblicke
Kaisertum im lateinischen Mittelalter war gesteigerte Königsherrschaft. Ein neuer Titel und ein besonderes Erhebungsritual markierten den Übergang. Zumeist spendeten die Päpste Salbung und Krönung zum Kaiser in Rom, von 800 bis 915 den Königen der fränkischen Reiche, seit 962 nur noch den ostfränkisch-deutschen Königen. Im liturgischen Bund zweier Universalmächte wurde politischer Vorrang sakral ausgestaltet.
Der Glanz der Größe, die Nähe zu Gott und der besondere Auftrag in der Heilsgeschichte verzauberten die Menschen. Dagegen ernüchterte die Spannung zwischen gedachter Weltherrschaft und realer Begrenzung. Den eigenen Völkern das Höchste, wurden die Kaiser den anderen zum Ärgernis. Ihr Reich konnte den Nachgeborenen zum verlorenen Paradies, zur politischen Verheißung und zur Grimasse deutscher Brutalität gerinnen.
Kaiser und Reich – was in der gängigen Einzahl gesagt wird, soll hier in der Vielfalt betrachtet werden, in Dauerhaftigkeiten, Spannungen und Widersprüchen. Darum reduziert dieses Buch. Denn Kaiser gab und gibt es von der Antike bis in die Gegenwart. Auch wenn sie sich einzig auf Erden dachten, mussten sie oft die Mehrzahl aushalten. Im Mittelalter existierten zwischen 800 und 1453 über lange Zeit sogar zwei christliche Kaiser nebeneinander. Nur dem Kaisertum im lateinischen Europa gilt dieses Buch. Es spannt den Bogen von der tastenden Einrichtung 800 durch Karl den Großen bis zum Ende der Romzüge und zum Anbruch einer neuen Zeit an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert.
Auch wenn sich Europa seit dem 19. Jahrhundert von seinen Kaisern erlöste, wirkten manche Weichenstellungen und Erinnerungen sowie der Glanz ihrer Denkmäler weiter: Kaiserdome, Kaiserpfalzen, Kaisersäle, Kaiserschätze, Kaiserbilder, Kaisersagen, Kaisereichen, Kaiserausstellungen. Deutsch gemachte Kaiser des Mittelalters und das dreimal untergegangene Reich begleiteten vor allem die Geschichte der Deutschen vom 19. zum 21. Jahrhundert. Ihr Mittelalter lässt sich aus seiner neuzeitlichen Benutzung nicht mehr wirklich herausschälen. Im Blick über die Jahrhunderte kommt es freilich auf die Unterschiede an. Die unbedachte Rede von den «deutschen Kaisern» verkennt, dass es diese – staatsrechtlich korrekt – nur von 1871 bis 1918 gab. Im Mittelalter herrschten römische Kaiser. Die Titel für Kaiser und Reich entstanden mit der Zeit: Kaiser der Römer im 10. Jahrhundert, das Heilige Reich und bald das Heilige Römische Reich im 12. Jahrhundert, das Heilige Römische Reich deutscher Nation im ausgehenden 15. Jahrhundert. Das Anwachsen der Namen verrät den Wandel von Realitäten. In der changierenden Institution des Kaisertums wollen die Kaiser des Mittelalters in ihrer Vielfalt betrachtet werden, von Karl dem Großen bis zu Maximilian I.
Im Übergang von der Antike zum Mittelalter etablierten sich auf dem Boden des früheren weströmischen Reichs neue Königreiche. Die Monarchie wurde damit zur prägenden Herrschaftsform der alteuropäischen Geschichte. Bald verloren Völker ohne Königtum ihre Selbstständigkeit. Mühsam behaupteten sich später Organisationsformen von Städten und Gemeinden gegen Königtum und Adel. Über den Königreichen markierte das Kaisertum den Anspruch auf den höchsten Grad monarchischer Herrschaft. Stolz schmückten auch Angelsachsen, Ostfranken, Westfranken oder Spanier ihre Könige mit dem kaiserlichen Namen. Wirkmächtig und dauerhaft wurde das Kaisertum aber erst durch den exklusiven Erhebungsakt in Rom. Er bediente sich externer Legitimation, brauchte zeichenhafte Eindeutigkeit und zielte auf Öffentlichkeit.
Den fränkischen Königen war vom 5. bis zum 8. Jahrhundert die dritte Großreichsbildung neben dem oströmisch-byzantinischen Reich und der muslimischen Welt gelungen. Nun sollte der kaiserliche Name den neuen Glanz der Eroberer ausdrücken. Über viele Jahre wurde mit Ideen, Formen und Orten experimentiert. Endlich stiftete die Kaiserkrönung Karls des Großen durch den Papst 800 in der römischen Peterskirche Legitimation wie Tradition zugleich. Der Initialakt griff auf das antike Kaisertum der Römer zurück, setzte sich selbstbewusst mit der christlichen Kaiserherrschaft im griechischen Konstantinopel/ Byzanz auseinander und schuf dem lateinischen Mittelalter eine neue Hierarchie. An ihr arbeitete sich Europa über ein Jahrtausend mehr oder minder heftig ab.
Rom war zugleich Zentrum des antiken römischen Weltreichs, akzeptierte Grablege der Apostelfürsten Petrus und Paulus, Sitz der Päpste, Stadt des römischen Volkes. Das alles bot dem neuen Kaisertum des Westens die ferne legitimierende Grundlage. Sämtliche Aktualisierungen griffen im Mittelalter immer wieder auf diese Fundamente zurück. Von Caesar und Augustus war das Kaisertum einst geschaffen worden. Die militärische Kommandogewalt (imperium) hatte den Kaiser (imperator) hervorgebracht. Antike Namen gaben den europäischen Sprachen die Wörter vor. Die romanische Welt und das Englische griffen auf den Imperator zurück, die germanischen oder slawischen Sprachen auf Caesar. Er wurde im Deutschen zum Kaiser, im Russischen zum Zaren. Im mittelalterlichen Latein hieß der Kaiser Caesar, Augustus, Imperator.
Alte, gleiche Namen schienen Einheitlichkeit im Kaisertum zu verbürgen. Tatsächlich gab es einen Kernbestand bleibender Vorstellungen und Rituale. Die Wirkkraft dieses überschaubaren Repertoires ist erstaunlich genug. In der Entwicklung vom 8. bis zum 16. Jahrhundert existierte das Kaisertum aber vor allem aus beständigen Spannungen, Widersprüchen, Wandlungen. Seinen Nutzern diente es zur Legitimation. Dagegen veränderten sich die gelebten und gedachten Ausgestaltungen in changierenden Handlungs-, Bedeutungs- und Zeichensystemen.
Das beständige Vibrieren im Gefüge von Institution und Persönlichkeit kann weder in einer Geschichte der Institution noch in der Abfolge von Kaiserbiografien beschrieben werden. Menschen und Institutionen müssen vielmehr zusammenkommen, das Handeln und das Denken, die Ausgestaltungen und die Spielräume. Die mittelalterlichen Kaiser treten uns aus dieser Perspektivenkombination entgegen. Schon ihre Erhebungsakte sind besonders wichtig, offenbarten sie doch eine beständige Dynamik der Rituale, der Vorstellungen, der Ordnungen. Symbolische Handlungen bildeten Forderungen, Hoffnungen und Fakten ab. Das Kaisertum bot neben dem Imaginations- noch einen Gestaltungsraum. Vielfältig wurde die gesteigerte Würde genutzt: zur Bändigung der Untertanen, zur Aggression nach außen oder zum bloßen Glänzen. Dabei wechselten Größe und Gewöhnlichkeit ab.
In den Bedeutungskernen wie in den Gestaltveränderungen des Kaisertums treten über die Jahrhunderte drei prägende Kraftfelder hervor: universaler Anspruch, Rombezug und heilsgeschichtlicher Auftrag – Spannungen von römischem Kaisertum und deutscher Geschichte.
Universaler Anspruch. Seit der Antike wurde das Kaisertum grundsätzlich als die höchste Herrschaft in der Welt gedacht. Darum gab es eigentlich nur einen Kaiser über den Königen. Seit dem 4. Jahrhundert garantierte er auch die Einheit der christlichen Kirche. Das römische Kaisertum hatte der Geburt Christi den Raum bereitet, war also schon vor der Kirche vorhanden. Gleichwohl benötigte der Kaiser die Bischöfe und vor allem den römischen Papst auf dem Weg zum Heil. Kaisertum und Kirche präsentierten sich über alle Grenzen als universale Gewalten. Aus diesem Anspruch ergaben sich viele Konflikte über Gleichrangigkeit und Vorrang im Mit- und Gegeneinander.
Die Weltherrschaft des Kaisers wurde zwar immer wieder genannt. Im Umgang mit den Nachbarn und der Welt entwickelte sich freilich eine erstaunliche Pragmatik. Schon die karolingischen Nachfolgereiche gingen gleichberechtigt miteinander um, als sich das Kaisertum 962 mit dem ostfränkisch-deutschen Reich verband. Die Vielfalt Europas ließ die Dominanz eines Kaisers gar nicht mehr zu. Das Reich in der Mitte des Kontinents mit seinem Kaiser fiel im wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und militärischen Wettbewerb ohnehin immer weiter hinter die Nachbarn im Westen und Süden zurück. Pragmatisch behalf man sich seit dem 13. Jahrhundert mit mehrdeutigen Ausgleichen: Die Weltherrschaft des Kaisers galt zwar als Gesetzgebungsgewalt und höchste Autorität. Doch ein König konnte Kaiser in seinem Königreich sein, wenn er in weltlichen Belangen keinen Höheren über sich anerkannte. Universalität war damit für ihre Träger nicht entwertet und für die Nachbarn erträglich. Die Kaiserkrönung verlieh keine reale Macht, sondern nur eine höhere Autorität. Der europäischen Nationalisierung entsprach im Spätmittelalter die Bestrebung, das Kaisertum vom...
Erscheint lt. Verlag | 11.11.2020 |
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Reihe/Serie | Beck'sche Reihe | Beck'sche Reihe |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Vor- und Frühgeschichte / Antike | |
Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Vor- und Frühgeschichte | |
Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Mittelalter | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Schlagworte | Biografie • Biographie • Deutschland • Geschichte • Heiliges Römisches Reich • Herrschaft • Herrscher • Kaiser • Kaisergeschichte • Kaisertum • Mittelalter • Nachschlagewerk • Politik |
ISBN-10 | 3-406-75494-5 / 3406754945 |
ISBN-13 | 978-3-406-75494-4 / 9783406754944 |
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