Die Totenärztin: Goldene Rache (eBook)

Historischer Wien-Krimi

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
400 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00910-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Totenärztin: Goldene Rache -  René Anour
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Ein Mord und eines der berühmtesten Gemälde der Welt: Gustav Klimts «Der Kuss» Wien, 1908. Fanny Goldmann sucht keine Abenteuer. Sich gegen ihre männlichen Kollegen in der Gerichtsmedizin zu behaupten, die in ihr mehr Assistentin als fähige Ärztin sehen, ist nervenaufreibend genug. Doch in dem Versuch, einen Mord aufzuklären, ist sie in Kontakt mit der Wiener Unterwelt gekommen. Und die lässt sie nun nicht mehr los. Graf Waidring, ein ebenso gefährlicher wie mächtiger Mann, erpresst Fanny. Sie soll für ihn einen seiner Männer obduzieren, der tot aufgefunden wurde. Hat der Mord etwas mit dem neuen Gemälde von Gustav Klimt zu tun, dem sogenannten Kuss? Und was macht Fanny, wenn sie den Mörder tatsächlich findet? Liefert sie ihn aus? Oder verbündet sie sich mit ihm gegen Waidring?

René Anour lebt in Wien. Dort studierte er auch Veterinärmedizin, wobei ihn ein Forschungsaufenthalt bis an die Harvard Medical School führte. Er arbeitet inzwischen bei der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit und ist als Experte für neu entwickelte Medikamente für die European Medicines Agency tätig. Sein historischer Roman «Im Schatten des Turms» beleuchtet einen faszinierenden Aspekt der Medizingeschichte: den Narrenturm, die erste psychiatrische Heilanstalt der Welt. Sein zweiter Roman bei Rowohlt ist der Auftakt zu einer Reihe um eine junge Pathologin in Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts: «Die Totenärztin».

René Anour lebt in Wien. Dort studierte er auch Veterinärmedizin, wobei ihn ein Forschungsaufenthalt bis an die Harvard Medical School führte. Er arbeitet inzwischen bei der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit und ist als Experte für neu entwickelte Medikamente für die European Medicines Agency tätig. Sein historischer Roman «Im Schatten des Turms» beleuchtet einen faszinierenden Aspekt der Medizingeschichte: den Narrenturm, die erste psychiatrische Heilanstalt der Welt. Sein zweiter Roman bei Rowohlt ist der Auftakt zu einer Reihe um eine junge Pathologin in Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts: «Die Totenärztin».

2. Kapitel


Die lebende Leber

Sie entkleideten den Toten und führten die äußere Inspektion durch. Der Grad der Totenflecken und der Totenstarre sowie der geringe Verwesungsgrad deckten sich mit Slanecs Angaben. Der Mann war wohl tatsächlich auf der Kunstschau ermordet worden.

Die Todesursache war eindeutig die Stichwunde am Hals. Die rötlichen Verfärbungen rundherum wiesen darauf hin, dass das meiste Blut ins Gewebe geronnen war, anstatt nach außen zu sprudeln.

«Rücksichtsvoll», bemerkte Franz. «Das Putzpersonal wird’s dem Mörder danken.»

Er begann, mit Schere und Skalpell den Verlauf der Stichwunde freizulegen. Eine heikle Arbeit, die Fanny noch nicht verrichten durfte, aber sie notierte sich jeden noch so kleinen Handgriff.

«Der Stichkanal ist makellos», sagte Franz. «Der Angriff muss sehr schnell und gezielt ausgeführt worden sein, sonst hätte das Opfer den Kopf zur Seite geworfen, und die Mordwaffe hätt viel umfassendere Verletzungen verursacht. Das war präzise, Stich und weg.»

«Der Kanal ist so klein», murmelte Fanny. «Was kann das gewesen sein? Eine Stricknadel?»

«Ein bisserl dicker schon.»

Sie folgten dem Weg der Stichwaffe, die durch Haut und Fett elegant zwischen den Halsmuskeln durch die sogenannte Drosselrinne hindurchgeglitten war, um dann die Drosselvene, die Halsschlagader sowie die Luftröhre zu perforieren.

«Der war wahrscheinlich hinüber, bevor er bemerkt hat, wer’s war. Der Gert hat mir erzählt, dass sie genau an der Stelle am Hals die Sauen abstechen», meinte Franz kopfschüttelnd. «Ich werd nie wieder sorgenfrei aufs Häusl gehen.»

Fanny fertigte ein paar Skizzen an und legte sie zu ihren Notizen. Später, wenn sie den Bericht schrieb, würden sie ihr helfen, sich zu erinnern.

«So», meinte Franz. «Der kritische Teil ist erledigt. Der Rest gehört dir, Fräulein Jungassistentin.»

«Du meinst, ich darf ihn allein …»

«Sicher, sonst machst du’s sowieso nur heimlich.» Er blinzelte ihr zu. «Ich beginn derweil mit dem Bericht.» Er riss Fanny die Skizzen und Notizen aus der Hand und schlurfte aus dem Sektionssaal.

Fanny wartete, bis er fort war, dann klatschte sie begeistert in die Hände. Sie räusperte sich und besann sich einen Moment.

Mittlerweile kannte sie den Ablauf einer Obduktion im Schlaf. Das hieß nicht, dass sie nicht jedes bisschen Praxis aufsaugte, als wäre es ein Lebenselixier.

«Na dann, Herr Anka, lassen Sie uns nachsehen, ob Sie uns noch ein bisschen weiterhelfen können.» Sie zog sich ihre Kautschukhandschuhe an und berührte den Toten ermutigend an der Schulter.

Sie genoss jeden Schritt, vor allem, da sie nichts überhasten musste, weil sie jemand erwischen könnte.

Die Eröffnung der Körperhöhlen funktionierte schon wunderbar. Fanny geriet in eine Art Rausch, in dem sie alles andere vergaß. Es war dieses Gefühl, das sie mehr als alles andere an ihrer Arbeit liebte, die Ruhe, das völlige Fokussiertsein auf das, was ihr eine Leiche zu erzählen hatte. Helmut Anka war im Tod allerdings relativ zurückhaltend mit Informationen, sein Herz wirkte normal und gesund. Die Farbe seiner Lungen verriet ihn als Gelegenheitsraucher. Einen so stark bemuskelten Körper wie den seinen hatte Fanny noch nie unter das Skalpell bekommen. Die Kollegen an der Anatomie hätten ihre Freude mit ihm gehabt und ihre Studenten jeden Muskelstrang, jeden Nerv und jedes Gefäß freipräparieren lassen, um seine Gliedmaßen zu Anschauungszwecken zu konservieren.

Nur ein Organ bereitete Fanny Sorgen. Es passte so gar nicht zu dem vor Gesundheit strotzendem Rest Helmut Ankas: die Leber.

Fanny betastete das Organ mit gerunzelter Stirn. Es wirkte angeschwollen, als hätte sich darin Blut oder Flüssigkeit gestaut. Gleichzeitig war sie von harten, bindegewebigen Strängen durchzogen, wie man es oft bei starken Trinkern beobachtete.

Dabei war der Mann zumindest in den Stunden vor seinem Tod abstinent gewesen. In seinem Magen war nur Wasser gewesen.

Sie entnahm die Leber, wog sie auf der Organwaage, nur um festzustellen, dass sie mit eins Komma sieben Kilo erstaunlich schwer war, und legte sie in eine der vorbereiteten Schalen.

Fanny starrte das Organ ratlos an … blinzelte – und stieß ein erschrockenes Keuchen aus.

Die Leber, sie … sie bewegte sich. Fanny schüttelte ungläubig den Kopf, aber sie hatte sich nicht getäuscht.

Das Organ neigte sich mal in die eine, dann wieder in die andere Richtung, als ob es sich überlegen würde, auf welcher Seite es besser aus der Schale kriechen konnte.

Fanny suchte eine Weile nach Worten und hob schließlich zitternd den Zeigefinger. «H-hör auf damit!», stotterte sie dann.

Ihr Befehl ließ die Leber ziemlich unbeeindruckt. Fanny schnappte sich ein Skalpell und hielt das Organ mit der anderen Hand fest. Unter ihrer Handfläche fühlte es sich an, als würden sich winzige Maulwürfe durch die Leber graben.

Sie presste die Lippen zusammen und teilte es der Länge nach durch. Die Ausgänge der größeren Gallengänge traten im Schnitt zutage. Und im Inneren dieser Gänge bewegte sich etwas.

Fanny griff mit zitternden Fingern nach einer Pinzette, fuhr in einen größeren Gallengang hinein und zog etwas daraus hervor. Was zum Vorschein kam, war vielleicht drei Zentimeter lang, weißlich und wand sich wütend unter dem festen Griff von Fannys Pinzette.

Fanny rückte ihre Brille mit dem Ellenbogen zurecht.

«Was bei allen guten Geistern ist das?», hauchte sie.

Das Ding vor ihr entschied, nicht zu antworten.

«Franz?», rief sie.

Nach einer Weile erklangen seine schlurfenden Schritte im Gang.

«Fast hätt ich ein wohlverdientes Nachmittagsschläfchen gehalten. Ich hoffe, du hast einen guten Grund.»

Fanny wandte sich ihm zu und streckte ihm die Pinzette hin.

Franz’ schläfrige Augen wurden mit einem Mal so groß, wie Fanny sie nur selten zu Gesicht bekam. Er entrang ihr die Pinzette und hielt die sich windende Kreatur unter die Lampe über dem Sektionstisch.

«Unglaublich!», wisperte er. «So einen wollt ich immer schon mal sehen.»

«Wie bitte?»

«Ist das der Einzige?»

«Ich fürchte, nein!»

Ein kurzes Lachen entfuhr Franz.

«Die sind sogar noch besser als die Filzläuse damals», meinte er. «Fasciola hepatica. Der große Leberegel. Den kriegen sonst nur Veterinäre zu Gesicht.»

«Leberegel?»

«Die befallen hauptsächlich Wiederkäuer … und alle heiligen Zeiten erwischt’s auch mal einen Menschen.»

Er legte den Leberegel beiseite und wandte sich dem aufgeschnittenen Organ zu. Geschickt holte er weitere Parasiten aus den krankhaft verdickten Gallengängen.

«Für die war das das Paradies», meinte Franz. «Ein wohltemperiertes Haus, dessen Wände man essen kann, mit reichlich weiblicher Gesellschaft.»

«Wie hat er sich die bloß eingefangen?», wunderte sich Fanny. «Scheint nicht der Kerl zu sein, der viel mit Kühen und Schafen zu tun hatte.»

«Interessante Frage», meinte Franz. «Er müsste aus Kuhtränken oder Ähnlichem getrunken haben, um die Larven zu sich zu nehmen.»

«Hmh.» Fanny runzelte die Stirn, dann half sie Franz, die Leberegel in Alkohol einzulegen. Ein paar fixierte er in Formalin, damit sie später daraus mikroskopische Schnitte anfertigen konnten.

Eine seltsame Leiche … und ein seltsamer Mord. Auf jeden Fall hatten sie ihre Schuldigkeit getan, sie würde den Bericht später fertigschreiben.

***

Der Mord an dem Riesen Helmut Anka beschäftigte Fanny noch auf dem Heimweg. Ein Mord dieser Art wollte geplant sein, der Mörder musste also gewusst haben, dass Anka auf der Kunstschau sein würde. Und wie hatte er das wissen können, wenn Anka überhaupt keinen Bezug zur Welt der Kunst zu haben schien, zu Klimt, Otto Bauer oder Kokoschka?

Über den Mord nachzudenken, bewahrte sie kurzfristig davor, das klaffende Loch in ihrer Brust zu spüren. Es war ein warmer Juniabend von der Art, wie Tilde ihn geliebt hatte. Sie hätte sie gedrängt auszugehen. Vielleicht gäbe es irgendwo eine Freiluftaufführung, die sie nicht verpassen durften. Oder ein Konzert im Schlosspark des Belvedere?

Du hast überhaupt keinen Grund, schüchtern zu sein, Fanny, weißt du, jeder Fremde ist ein potenzieller Freund!

Es war einer dieser Sätze, durch die man Tilde für einfältig halten mochte – aber nur, wenn man sie nicht kannte. Für Fanny war er Ausdruck ihrer Herzlichkeit. Tilde besaß eine Art leutseligen Scharfsinn, mit dem sie Menschen leicht aus dem Gleichgewicht bringen konnte, die sie für ein naives Fräulein aus gutem Hause hielten. Wie damals, als sie blitzschnell kombiniert hatte, dass es unter dem Burgtheater einen Zugang zur sogenannten Unterstadt geben musste, wo sie hinuntergestiegen waren, um Max zu retten.

Sie schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen.

Nicht schon wieder weinen, Fanny!

Sie erreichte ihr Wohnhaus in der Josefstädterstraße, wo sie gemeinsam mit ihrem Vater eine Wohnung im Mezzanin bewohnte. Sie hatte ihm erzählt, dass Tilde vermisst wurde, als sie mit Prinzi, Tildes Perserkater, im Arm nach Hause gekommen war. Es war auch für ihn ein schwerer Schlag gewesen, da Tilde sie so oft besucht hatte, dass sie ihm fast so vertraut war wie seine Tochter. Immerhin musste er sich nicht damit herumschlagen, dass Tildes Verschwinden seine Schuld sein könnte. Wenn Fanny damals nicht beschlossen hätte, sich mit der Freundin in Waidrings Salon...

Erscheint lt. Verlag 19.10.2021
Reihe/Serie Die Totenärztin-Reihe
Zusatzinfo Mit 1 1-farb. Karte
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte Anne Stern • Beate Maxian • Charite • Die Ärztin • Fräulein Gold • Gustav Klimt • Helene Sommerfeld • historischer Krimi • Historische Romane • historische Saga • Kriminalroman • Krimi Neuerscheinungen 2021 • Kunst • Künstlerroman • Medizingeschichte • Medizinhistorie • Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe • Neuerscheinungen 2021 • Neuheiten 2021 • Ulrike Renk • Wien Krimi • Wien Roman
ISBN-10 3-644-00910-4 / 3644009104
ISBN-13 978-3-644-00910-3 / 9783644009103
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