Die Bucht der Lupinen (eBook)

Roman
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2021 | 1. Auflage
480 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-24986-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Bucht der Lupinen -  Johanna Laurin
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Als Annas Großmutter Lou stirbt, reist sie mit ihren beiden Schwestern nach Neufundland, wo Lou seit vielen Jahrzehnten gelebt hat. Während die drei das Haus am Meer ausräumen, wird ihnen bewusst, wie wenig sie über die Vergangenheit und das Leben ihrer Großmutter wissen. Doch dann stoßen die Schwestern auf ein verblichenes Foto, das ihre Großmutter mit einem unbekannten Mann zeigt. Es beginnt eine Reise in das Hamburg der 1930er Jahre, wo Lou als Tochter jüdischer Eltern heranwuchs und wo die Geschichte ihrer ganz großen Liebe begann - einer schicksalhaften Liebe, die Lou in Zeiten der größten Finsternis den Weg wies wie ein leuchtender Stern ...

Johanna Laurin wurde in Hamburg geboren und studierte in Münster, Pamplona und Norwich. Sie arbeitet heute als Juristin in einem Unternehmen und lebt mit ihrem Mann und ihrem Hund in einem kleinen Ort in der Nähe der Ostsee.

Kapitel I

Hamburg, Mai 2016

Anna legte den Kochlöffel zur Seite und wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war schon kurz nach acht. Wo blieb er nur?

Sie stellte den Herd aus, ging ins Wohnzimmer und nahm ihr Handy von der Anrichte. Er hatte eine SMS geschrieben. Typisch. Keine Zeit für Anrufe.

»Bin noch im Büro, muss eine Präsentation fertig machen. Es wird ein bisschen später.«

Anna ließ sich aufs Sofa fallen. Sie wusste schon, was ein bisschen später bedeutete. Bestimmt nicht, dass Philipp in zehn Minuten zu Hause sein würde. In letzter Zeit machte er oft Überstunden, daran hatte sie sich schon gewöhnt. Aber gerade heute wäre es schön gewesen, wenn er zur Abwechslung mal pünktlich nach Hause gekommen wäre.

Der Geruch von saftigem Fleisch und Salbei wehte aus der Küche. Sie war nach der Arbeit noch bei Antonio’s gewesen, dem besten Laden für italienische Feinkost in der ganzen Stadt. Und nun stand sie seit zwei Stunden am Herd, hatte Kalbsschnitzel für das Saltimbocca geklopft, feine Tagliatelle in der Nudelmaschine hergestellt und unzählige Tomaten für ihre herrliche Soße püriert. Schließlich waren sogar die Schokoladenküchlein für den Nachtisch in den Ofen gewandert, und gerade wollte sie sich an die Zabaione machen.

»Hab gekocht«, tippte sie in ihr Handy, in der Hoffnung, dass ihn das dazu bringen würde, sich zu beeilen. Ein vergeblicher Versuch.

»Tut mir leid, Süße, bin im Stress. Nicht böse sein. Stell das Essen doch in den Kühlschrank.« Es folgte ein Smiley.

»Okay«, schrieb sie. Was sollte sie darauf sonst antworten, wenn sie nicht wie eine meckernde Hausfrau klingen wollte?

Seufzend lehnte sie sich in die Kissen zurück und sah aus dem Fenster. Es war ein schöner Abend. Die schon tief stehende Maisonne hatte noch immer eine enorme Kraft und tauchte das Zimmer in ein magisches dunkelrotes Licht. Auf dem Geländer des kleinen Balkons, wo sie am Nachmittag noch mit ihrem Laptop gesessen und gearbeitet hatte, saßen zwei Spatzen und tschilpten aufgeregt, als würden sie sich über die Geschehnisse des Tages austauschen.

Anna strich sich eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht. Beim Kochen wurde ihr immer warm, und sie vergaß dabei alles andere. Das war ihre Art der Entspannung. Und es half ihr, nicht den ganzen Tag zu grübeln.

Sie hatte so sehr gehofft, dass Philipp und sie heute endlich hätten reden können. Erst ein gemütliches Essen zu zweit. Und dann, danach, bei einem Glas Wein auf dem Balkon, hätte sie sagen können, was sie schon so lange bedrückte. Sie hatte sich ausgemalt, wie er ihr aufmerksam zuhörte, wie er ihr erklärte, dass auch er das Gefühl hatte, dass sie mehr Zeit zusammen verbringen und sich wieder einander annähern müssten.

Es war so viel schiefgelaufen zwischen ihnen, so viel war ungesagt geblieben. So konnte es nicht weitergehen. Und auch wenn sie sonst eher der Typ war, der sich in sich selbst zurückzog, hatte sie nun das Gefühl, sich alles von der Seele reden zu müssen. Nur so würde ihre Liebe noch eine Chance haben. Und vielleicht würde dann alles wieder wie früher werden, vielleicht würde da wieder dieses Feuer aufflammen, das sie früher verbunden hatte. Diese Leidenschaft, diese Lebensfreude, die Freude daran, immer wieder Neues auszuprobieren.

Philipp war anders als sie. Ganz anders. Er dachte nicht so viel nach, machte sich nicht so viele Sorgen oder grübelte über den Sinn des Lebens nach. Er war eher jemand, der die Dinge anpackte, der mitten im Leben stand, wie man so schön sagte. Und er war aufgeschlossen, hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Man konnte ihn meist lesen wie ein aufgeschlagenes Buch. Vielleicht war es das, was sie so an ihm mochte, was sie faszinierte. Denn sie wusste, wie es war, mit Geheimnissen und Schweigen aufzuwachsen, wie es war, in der eigenen Familie mit zu vielen unbeantworteten Fragen zu leben. Doch dann, irgendwann, hatte auch Philipp sein Geheimnis gehabt, und als sie dahintergekommen war, war der Zauber verflogen.

Anna dachte in der letzten Zeit oft an früher, an die Zeit, als sie sich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte. Sie wünschte, sie könnte dieses kribbelnde, wundervolle Gefühl wieder heraufbeschwören, das Gefühl des Neuanfangs, des Aufbruchs. Sie erinnerte sich daran, wie sie jedem Treffen mit ihm entgegengefiebert hatte und welches Herzklopfen sie verspürt hatte. Sie dachte daran, wie ihre Freundinnen und ihre Schwestern sie aufgezogen hatten, weil sie zu nichts mehr zu gebrauchen war und ständig nur von ihm sprach. Er war der Mittelpunkt ihres Universums. Und nun stand sie da und versuchte, die Scherben wieder zusammenzusetzen, ihre Liebe zu kitten. Doch sie allein würde die Probleme, die sie hatten, nicht lösen können, das wusste sie. Dafür brauchte sie ihn. Die Frage war nur, ob er auch so dachte wie sie. Und ob er bereit war, etwas für ihre Liebe zu tun.

Sie stand auf und ging in die Küche, um Saltimbocca, Tagliatelle und Tomatensoße in den Kühlschrank zu verfrachten. Dann schenkte sie sich ein Glas Rotwein ein, setzte sich an den Küchentisch und klappte ihr Buch auf. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu warten.

Sie war so vertieft, dass sie es kaum bemerkte, als Philipp in der Tür stand.

»Hey!« Er ließ seine Laptop-Tasche fallen, ging auf sie zu und umarmte sie von hinten, so ungestüm, wie er es immer getan hatte. Er roch nach frischer Luft, nach Pfefferminzbonbons und seinem herben Männerparfum, und sie spürte für einen kurzen Moment wieder die Freude und Aufregung in sich aufsteigen, die sie schon vergessen geglaubt hatte.

Philipp schälte sich aus seiner Jacke, griff nach ihrem Weinglas und nahm einen großen Schluck. »Ich bin vollkommen ausgelaugt. Der Tag war so unglaublich anstrengend, das kannst du dir nicht vorstellen. Die Präsentation für unseren wichtigsten Kunden muss Ende der Woche fertig sein, und ich bin mal wieder der Einzige, der weiß, wovon er spricht.« Er verdrehte die Augen und ließ sich neben ihr nieder.

Anna schmunzelte. »Na sicher. Ohne dich würde die Firma pleitegehen, ganz bestimmt.«

»Hey, mach dich nicht lustig!« Er knuffte sie, und für einen kurzen Moment war alles zwischen ihnen so unbeschwert wie einst.

Sie sah ihn an. Seine Wangen waren gerötet, als wäre er ein bisschen aufgeregt, und in seinen Augen blitzte es schelmisch. Früher hätte sie gedacht, dass er etwas im Schilde führte. Aber es war so lange her, dass er sie überrascht hatte. Sie rechnete kaum noch damit.

»Anna? Träumst du?« Philipp sah sie auffordernd an.

»Entschuldige, was hast du gesagt?«

»Dass wir etwas zu feiern haben.«

»Was denn? Bist du befördert worden?«

Er rollte mit den Augen. »Es geht doch nicht immer nur um die Arbeit, mein Schatz.«

Sie verkniff sich eine spitze Bemerkung. Leider ging es viel zu oft um ihn und seine Arbeit. Aber sie wollte nicht schon wieder streiten. Das taten sie ohnehin viel zu oft.

Philipp stand auf und holte eine Flasche Champagner aus seiner Tasche.

»Champagner? Dann muss es ja etwas Besonderes sein.«

»Aber sicher! Ist immerhin unser Jahrestag. Fünf Jahre mit der besten Frau der Welt! Ich liebe dich.«

»Fünf Jahre? So lange hab ich’s schon mit dir ausgehalten?« Irgendwie war ihr gerade nicht nach großen Liebesbekundungen.

»Kannst du dich noch an unser erstes Date erinnern? Ich war wahnsinnig aufgeregt. Du warst immer so unnahbar, wenn ich dich auf dem Campus oder auf Uni-Partys gesehen hab. Ich dachte, es wird ziemlich schwer, dich zu erobern.«

»Aha, ich war also eine Eroberung?«

»Ach komm, du weißt, wie ich das meine! Jedenfalls hab ich mich irgendwann getraut, dich anzusprechen, und du hast mich angeschaut, als wäre ich ein Marsmensch.«

»Ja, so was Ähnliches hab ich wirklich gedacht.« Philipp musste nicht wissen, dass ihr Herz so wild geklopft hatte, dass es fast aus ihrer Brust gesprungen wäre. Dass sie nie damit gerechnet hätte, dass er sie ansprechen würde. Dass sie ihn so toll fand, dass sie kein Wort herausgebracht hatte.

»Viel passiert seitdem«, sagte sie nachdenklich.

Er vermied es, sie anzusehen. »Ja, das stimmt. Anna …«

Sie hob abwehrend die Hände. »Du musst nichts sagen. Wirklich. Es ist lange her. Ich bin drüber hinweg.«

»Sicher?«

»Ja.«

»Okay.«

Und da war er, dieser Augenaufschlag, den sie so gut kannte. Manchmal erinnerte Philipp sie dann an ihren fünfjährigen Cousin Finn, wenn er von seiner Mutter gescholten wurde, weil er Süßigkeiten aus der Dose im Schrank stibitzt hatte. Ein Dackelblick, würde ihre Schwester Greta sagen. Und eine entsprechende Handlungsempfehlung würde sie gleich mitliefern: Bei Kindern ist der Blick niedlich, wenn er allerdings bei erwachsenen Männern auftritt, sollte man lieber die Beine in die Hand nehmen und sehen, dass man Land gewinnt.

Anna seufzte. Vielleicht war jetzt doch ein guter Zeitpunkt, um über ihre Gefühle zu sprechen. Darüber, wie verunsichert sie sich fühlte und dass sie der Meinung war, dass sie sich wieder mehr miteinander beschäftigen sollten. Wie lange hatten sie sich nicht mehr richtig unterhalten? Es ging ständig nur um Alltägliches, um Philipps Arbeit, den Haushalt, Einkäufe, Familienfeiern. Vielleicht musste sie einfach den ersten Schritt machen und ihm endlich sagen, was sie dachte.

Doch Philipp hatte schon den Champagner geköpft und sah nicht danach aus, als hätte er Lust auf...

Erscheint lt. Verlag 10.5.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte eBooks • Familiensaga • Frauenromane • Kanada • Liebe in Zeiten des Krieges • Liebesromane • Lupinen • Neufundland • Romane für Frauen • Seaborough
ISBN-10 3-641-24986-4 / 3641249864
ISBN-13 978-3-641-24986-1 / 9783641249861
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