Señor Herreras blühende Intuition (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
240 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32173-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Señor Herreras blühende Intuition -  Linus Reichlin
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Ein turbulenter Roman über Wahrheit und Phantasie, Schein und Sein, Yoga und Dichtung - so poetisch, witzig und schräg wie ein Film von Pedro Almodóvar Ein Schriftsteller zieht sich in ein abgelegenes Kloster in Spanien zurück. Doch sonderbarerweise scheint alles, was er dort erlebt, aus einem seiner Romane zu stammen. Der Koch des Klosters, ein ehemaliger Matador, bestärkt den Schriftsteller noch darin, dass er alles schon vorhergesehen hat. Im Verlauf der turbulenten Geschichte schaukeln sich die beiden immer weiter in eine alternative Wirklichkeit hinein, bei der am Schluss aus einer spanischen Zisterzienser-Nonne eine deutsche Textildesignerin wird, die ein Problem mit der Mafia hat. Oder ist es vielleicht wirklich so?

Linus Reichlin, geboren 1957, lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Für sein Debüt Die Sehnsucht der Atome erhielt er 2009 den Deutschen Krimipreis. Der Roman Der Assistent der Sterne wurde zum 'Wissenschaftsbuch des Jahres 2010 (Sparte Unterhaltung)' gewählt. Es folgten die Romane Das Leuchten in der Ferne (2012), In einem anderen Leben (2014), Keiths Probleme im Jenseits (2019) und zuletzt Señor Herreras blühende Intuition (2021). 

Linus Reichlin, geboren 1957, lebt als freier Schriftsteller in Berlin. Für sein Debüt Die Sehnsucht der Atome erhielt er 2009 den Deutschen Krimipreis. Der Roman Der Assistent der Sterne wurde zum "Wissenschaftsbuch des Jahres 2010 (Sparte Unterhaltung)" gewählt. Es folgten die Romane Das Leuchten in der Ferne (2012), In einem anderen Leben (2014), Keiths Probleme im Jenseits (2019) und zuletzt Señor Herreras blühende Intuition (2021). 

2


Bei Sonnenuntergang hören sie auf!, rief der Taxifahrer, er wuchtete meinen Koffer aus dem Kofferraum und stellte ihn auf den staubigen Vorplatz des Klosters. So ist das auf dem Land, sagte er, den ganzen Tag die Zikaden, du hörst dein eigenes Wort nicht. Ist manchmal besser!, rief ich. Wenn Tausende von Singzikaden ihre Tymbalorgane in Schwingung versetzen und das Geräusch einer Kreissäge nachahmen, wird wenigstens nicht mehr jedes Wort auf die Goldwaage gelegt.

Dieses Kloster hätten sie in Game of Thrones auch filmen sollen, sagte der Taxifahrer, das ist bestimmt hundert Jahre alt. Tausend, sagte ich, er sagte, ja, das sieht man, es müsste renoviert werden, aber die Kirche hat kein Geld mehr, sie war mal reich, jetzt holt sie Priester aus Marokko, weil die billiger sind. Wir standen vor der Klostermauer, die im Laufe der Zeit unter ihrem eigenen Gewicht in den Boden gesunken und dabei bauchig geworden war. Teilweise waren noch die Zinnen erhalten, die Gebäude mit den romanischen Fensterbögen duckten sich hinter ihnen, damit sie bei Beschuss geschützt waren, die Sorgen des 10. Jahrhunderts waren hier noch zu besichtigen. Ein in die Tiefe gegliederter, niedriger Torbogen für die kleinen Leute und die kleinen Pferde jener Zeit war mit einem Tor aus dickem, spaltigem Holz verschlossen, rostige Eisenbeschläge hielten die Torbretter zusammen. Ich machte schnell ein Foto vom Kloster und schickte es Liliane mit einer Textnachricht: Schau dir das an! Es ist schöner als auf dem Foto im Internet, sie haben untertrieben, in christlicher Bescheidenheit. PS Der Tracker funktioniert!

Ich schaute der Staubwolke nach, in der der Taxifahrer zurück nach Málaga fuhr. Nun wäre ich gerne empfangen worden, hätte mich gerne unter eine Dusche gestellt, im Internet war eine Dusche erwähnt worden, Gästezimmer mit moderner Dusche und eigener Toilette. Am Klostertor fand ich weder Klingel noch Klopflöwe, wie kam man hier rein? Die Zikaden gingen mir nun doch auf die Nerven, der Lärm war eine natürliche Unverschämtheit. Ich rief die Kontaktnummer der Gästeverwaltung an, die ich vor meiner Abreise gespeichert hatte – es ging niemand ran. Ich vergab erste Minuspunkte an den Gästeverwalter. Auch das Kloster beurteilte ich bereits kritischer: Es war romantisch, zweifellos, aber eben wegen seiner Baufälligkeit. Niemand schien sich um die bemalten Bleiglasfenster zu kümmern, die in die halbrunden Fensterbögen eingelassen und teilweise spinnennetzartig gerissen waren, ein mit einem nicht mehr erkennbaren Wappenzeichen verzierter Turm stand wie ein fauler Zahn an der Mauer.

Ich setzte mich auf meinen Koffer und rief Liliane an. Sie sagte, na, wie geht’s meinem Eremiten, sieht ja schön aus, dein Kloster, wie ist das Essen? Ist das Baulärm? Bauen die? Ich sagte, nein, das sind die Zikaden, aber in zwei Stunden hören sie auf, sobald die Sonne untergeht! Liliane, hörst du mich? Liliane!, rief ich – plötzlich spürte ich das Gewicht einer Hand auf meiner Schulter. Ein Mann hatte sie mir draufgelegt, er sagte, versuchen Sie nicht, lauter zu sein als die Zikaden, das führt zu nichts. Sie müssen leiser sein als sie, wie ich, hören Sie? Ich spreche leise, und Sie verstehen mich gut.

Er stellte sich mir vor: Juan Carlos Herrera. Koch und Gästeverwalter. Liliane, sagte ich, ich muss Schluss machen, der Koch und Gästeverwalter ist hier, ich liebe dich, ich legte auf. Das Gesicht des Gästeverwalters kam mir bekannt vor, er sagte, ja, ich weiß, ich sehe Fernandel ähnlich, dem französischen Schauspieler, das sagen viele ältere Leute. Auch weniger ältere Leute wie ich sagen das, sagte ich, ich habe die Filme mit Don Camillo und Peppone als kleines Kind gesehen, Fernandel spielte den Don Camillo. Ich muss mir die Filme mal ansehen, sagte Señor Herrera, als ich klein war, wurden sie schon nicht mehr gezeigt. Er sah Fernandel wirklich sehr ähnlich, die drahtigen schwarzen Haare, das bäurische Gesicht, vierschrötig zwar, aber wenn man nachts eine Autopanne hat und Hilfe braucht, will man genau dieses Gesicht sehen.

Señor Herrera trug meinen Koffer an der Klostermauer entlang, von der eine weitere, niedrigere Mauer abging. Durch deren schmales Tor betraten wir einen Garten mit Zitronenbäumen und einem alten Ziehbrunnen mit Kurbel. Vom Garten aus gelangte man zu einem Säulengang, die teilweise mit Stahlstangen gestützten Säulen mit ionischem Kapitell waren original, wie Señor Herrera es nannte. Ich strich mit der Hand über eine der Säulen, die über die Jahrhunderte speckig geworden war von den vielen Händen, die wie meine den Stein unweigerlich hatten berühren wollen. Der Säulengang führte zu einem weltlichen Anbau aus unverputztem Beton, lieblos hingebaut in neuerer Zeit, aus dem flachen Dach ragten noch die Armierungseisen heraus: der Gästetrakt.

Señor Herrera drückte mit dem Fuß die Spanholztür auf und stellte meinen Koffer vors Bett. Es war ein Zimmer, das man sich gar nicht zu genau ansehen wollte. Das einzige Fenster war nahezu zugemauert, da sich unmittelbar davor die Klostermauer befand. Das Fenster geht nach innen auf, sagte Herrera und zeigte mir, wie es nach innen aufging. Jedes Fenster geht nach innen auf, sagte ich, aber dieses könnte gar nicht nach außen aufgehen, wegen der Nähe der Mauer. Da haben Sie allerdings recht, sagte Herrera, gefällt Ihnen das Zimmer? Ich sagte, wie viele Nonnen leben eigentlich im Kloster? Ich schätze mal, vier, sagte er, ich koche immer für vier, wenn keine Gäste da sind, also werden’s vier sein, es sei denn, die Äbtissin kriegt zwei Portionen, keine Ahnung. Müssten Sie es nicht wissen, fragte ich, Sie leben doch hier mit den Schwestern? Er lachte. Das ist ein Trappistinnenkloster, sagte er, ich lebe nicht mit den Schwestern. Ich arbeite in der Küche, und die Schwestern leben im Kloster, da gibt’s keinen Kontakt, ich bin ja nicht Jesus. Mit ihm sprechen sie, aber selbst der Papst würde kein Wort aus ihnen rauskriegen, sie sprechen auch nicht miteinander, sie haben ein Schweigegelübde abgelegt. Nein, ich habe keinen Kontakt zu ihnen, das Berufliche, die Lohnzahlungen, die ganze Organisation, das bespreche ich alles mit der Ordensleitung in Madrid. Ich verstehe, sagte ich, die Ordensleitung spricht mit Ihnen. Ja, Madrid spricht mit mir, sagte Herrera, die Brüder in Madrid sind ja keine Trappistinnen, sie sind lockere Zisterzienser. Locker?, fragte ich. Es gibt bei den Zisterziensern solche, die nach lockeren Regeln leben, sagte Herrera, und solche strengerer Observanz, wie sich das nennt. Die Trappistinnen hier in Santa María de Bonval sind strengerer Observanz, ich würde mal sagen, sogar sehr strenger Observanz, es sind eigentlich Eremitinnen.

Heißt das, ich kann nicht am Klosterleben teilnehmen?, fragte ich, an den gemeinsamen Essen, den Stundengebeten? Herrera sagte, haben Sie das Kleingedruckte nicht gelesen? Das steht doch auf der Internetseite, da steht: Übernachtung und Verpflegung und nicht: mit Zisterzienserinnen strengerer Observanz essen und plaudern und mit ihnen in der Kirche rumsitzen. Nein, sagte ich, das stand da nicht, da stand: Erleben Sie die authentische Klosteratmosphäre, nehmen Sie teil am Klosterleben. Das ist doch Klosteratmosphäre!, sagte Herrera und zeigte auf das schmale Bett, den kleinen Tisch, den noch kleineren Stuhl und das dafür sehr große Kruzifix über dem Bett, Sie sind in einem Kloster oder jedenfalls bei einem Kloster, und wenn Sie am Klosterleben teilnehmen wollen, dann schweigen Sie von jetzt an drei Wochen lang, tun Sie mir den Gefallen! Anstatt dass Sie sich beschweren, kaum dass Sie angekommen sind! In einer Stunde gibt’s Essen, es wird im Garten serviert, Sie kriegen dasselbe wie die Schwestern, nur mit Fisch, ist das in Ordnung?

Er ging, und ich dachte, er hat recht, es ist meine Schuld, ich hätte mich genauer informieren sollen, nie informiere ich mich genau, in was für Scheißhotels bin ich schon gelandet, weil ich zu faul war, mir die Zimmerfotos anzusehen, jetzt stecke ich in einem Kloster mit Eremitinnen fest! Wie sollte ich das Klosterleben recherchieren, wenn ich das Kloster gar nicht betreten durfte? Das war eins der zwei Ziele meiner Reise gewesen: Erstens das Klosterleben recherchieren, zweitens herausfinden, weshalb mein ruhiges Leben mich im selben Maße stresste, wie es ein Leben unter permanentem Zeitdruck getan hätte. Was die Recherche betraf, so ging es um Lena Seidel, die Figur, an der ich im Zusammenhang mit dem Konzept für meinen neuen Roman seit Monaten herumdachte. Sie war gezwungen, sich in einem Kloster zu verstecken, getarnt als Nonne. Um zu erfahren, wie sie im Kloster lebte, war ich hierhergekommen, und nun blieb mir das Kloster verschlossen, weil mir die strengere Observanz entgangen war. Andererseits: Schweigegelübde. War das nicht eine gute Idee? Lena Seidel muss sich, weit von Deutschland entfernt, in Spanien verstecken. Doch sie spricht kein Spanisch. In jedem anderen spanischen Kloster außer einem der Trappistinnen würde sie sofort als Ausländerin entlarvt werden. Aber hier, unter Nonnen, aus denen selbst der Papst kein Wort rauskriegen würde, ist sie sicher. Sehr gut. Wunderbare Fügung. Das Problem, das Klosterleben nicht von innen recherchieren zu können, bestand zwar weiterhin, aber die Idee, das Schweigegelübde zu nutzen, um als Ausländerin unbemerkt zu bleiben, war es wert. Ich war also doch am richtigen Ort, dank meines Versäumnisses, das Kleingedruckte auf der Website des Klosters zu lesen. Wenn es darum ging, produktive Fehler zu machen, konnte ich mich auf mich...

Erscheint lt. Verlag 11.2.2021
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Analusien • Frauenroman • Freundschaft • Humor • Katalonien • Kloster • Kriminalfall • Liebesroman • Madrid • Matador • Pedro Almodovar • Spanien • Spanischer Bürgerkrieg • Stierkampf • Urlaubslektüre • witziger Roman • Yoga
ISBN-10 3-462-32173-0 / 3462321730
ISBN-13 978-3-462-32173-9 / 9783462321739
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