Der Glanz der neuen Zeit (eBook)

Speicherstadt-Saga
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
381 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-7325-8159-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Glanz der neuen Zeit -  Fenja Lüders
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen

Hamburg in den 20er Jahren. Kaffeeimportfirma Kopmann und Deharde hat den Weltkrieg und die Inflation überstanden, wenn auch angeschlagen. Dass Mina sich nach Frederiks Rückkehr wieder aus dem Geschäft zurückziehen musste, gefällt ihr gar nicht. Zumal sie feststellt, dass Frederik spielt und Schulden macht. So beginnt Mina in aller Heimlichkeit, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen.




<p>Fenja Lüders, Jahrgang 1961, ist eine waschechte Friesin. Als Jüngste von vier Geschwistern wuchs sie auf einem Bauernhof direkt an der Nordseeküste auf. Für ihr Studium der Geschichte und Politik zog sie nach Oldenburg, wo sie bis heute mit ihrer Familie lebt. Neben dem Schreiben ist klassische Musik ihre große Leidenschaft.</p>

Fenja Lüders, Jahrgang 1961, ist eine waschechte Friesin. Als Jüngste von vier Geschwistern wuchs sie auf einem Bauernhof direkt an der Nordseeküste auf. Für ihr Studium der Geschichte und Politik zog sie nach Oldenburg, wo sie bis heute mit ihrer Familie lebt. Neben dem Schreiben ist klassische Musik ihre große Leidenschaft.

EINS


Hamburg, Sommer 1919


»Ich begreife dich einfach nicht, Kind. Dass du ins Kontor fährst, ist doch völlig überflüssig.«

Großmutter Hiltrud musterte Mina von oben bis unten und schüttelte missbilligend den Kopf, ehe sie sich eine Scheibe von Frau Kruses frisch gebackenem Graubrot aus dem Korb nahm und es auf ihren Frühstücksteller legte. »Ich verstehe ja, dass du während des Krieges gearbeitet hast, auch wenn ich nie begeistert davon war, aber inzwischen ist Frieden, und es ist nur noch eine Sache von Tagen oder wenigen Wochen, bis dein Mann nach Hause kommt. Dann wird er doch die Leitung der Firma übernehmen. Dein Platz ist hier zu Hause, Wilhelmina. Du bist jetzt Mutter, aber du benimmst dich wie ein gewöhnliches Bürofräulein.«

Seufzend griff die alte Frau nach dem Rübensirup in einem edlen Konfitürenglas aus Bleikristall und tauchte mit angewiderter Miene ihr Messer in die zähflüssige dunkelbraune Masse.

Mina antwortete nicht. Sie presste kurz die Lippen zusammen und zählte in Gedanken bis zehn, um ihren aufwallenden Ärger in den Griff zu bekommen.

Jeden Montag war es das gleiche Theater. Sobald Mina in ihrer Bürokleidung – einem knöchellangen dunkelblauen Rock und einer hochgeschlossenen weißen Bluse – am Frühstückstisch erschien, machte Großmutter ihr Vorwürfe, weil sie daran festhielt, wenigstens für ein paar Stunden ins Kontor der Firma Kopmann & Deharde in die Speicherstadt zu fahren, um nach dem Rechten zu sehen, auch wenn außer ihr niemand dort war.

Gleich würde sicher wieder die Frage kommen, warum Mina denn nicht einfach das Kontor schließen könne, sie habe ja sogar schon dem einzigen noch verbliebenen Mitarbeiter, dem alten Herrn Becker, kündigen müssen, weil es keine Arbeit für ihn gab. Wenn sie sich richtig in Rage redete, würde Großmutters Litanei in dem Vorwurf gipfeln, ihre Freundinnen und die Nachbarn aus der Heilwigstraße, die zur ehrwürdigen Hamburger Kaufmannschaft gehörten, hätten Hiltrud Kopmann bereits auf Minas seltsames Verhalten angesprochen. Man munkele, dass Mina die Erziehung ihrer Tochter Ella wohl lieber dem Kindermädchen überlassen würde.

Etwas zu erwidern wäre zwecklos, das wusste Mina aus leidvoller Erfahrung. Großmutter hörte nur das, was sie hören wollte, und war Vernunftgründen gegenüber unempfänglich. Alles, was Mina erreichen würde, wäre, dass Hiltrud ihre schlechte Laune an den Enkeltöchtern und Hausangestellten ausließ.

Vorsichtig warf Mina ihrer Großmutter einen Seitenblick zu, doch die war damit beschäftigt, den zähen Rübensirup auf ihr Brot zu streichen und dabei leise Verwünschungen zu murmeln. »Wenn man wenigstens wieder einmal vernünftige Konfitüre oder Honig bekommen könnte! Dieses Rübenzeug ist einfach fürchterlich.«

»Also ich esse es eigentlich ganz gern«, ließ sich Minas jüngere Schwester Agnes vernehmen, die Mina gegenübersaß und gerade herzhaft in ihre Brotscheibe biss. »Ist nicht so klebrig süß wie Honig oder Marmelade«, fügte sie mit vollem Mund hinzu und zwinkerte Mina lächelnd zu.

»Gott, Agnes!« Mit einem entrüsteten Schnalzen runzelte Hiltrud die Stirn. »Du bist doch kein Kind mehr und solltest wissen, wie man sich als junge Dame bei Tisch benimmt. Sitz bitte gerade.«

Agnes, die vor ein paar Wochen neunzehn Jahre alt geworden war, richtete sich kerzengerade auf, ohne sich am Stuhl anzulehnen. Sie schob sich den letzten Bissen ihres Brotes in den Mund, griff nach der Serviette und tupfte sich damit übertrieben geziert die Mundwinkel ab, ehe sie sich wieder ihrer Großmutter zuwandte und ihr ein strahlendes Lächeln zuwarf. »So besser, Euer Majestät?«, fragte sie unschuldig und legte dabei den Kopf ein wenig schief.

Großmutter schien gegen ihren Willen lachen zu müssen und winkte ab. Sie konnte Agnes einfach nicht böse sein, egal was sie anstellte. Jeder mochte das bildhübsche brünette Mädchen mit den grünen Augen, aus denen ihr Humor und ihre Intelligenz hervorblitzten, aber ihr Verhältnis zu Großmutter Hiltrud war besonders eng. Mina mutmaßte, es lag daran, dass Agnes ihrer Mutter Elise so ähnlich war und Hiltrud sehr an die früh verstorbene Tochter erinnerte. Mina hingegen kam sehr nach ihrem Vater Karl. Sie hatte seine blauen Augen und sein lockiges blondes Haar geerbt, das so störrisch war, dass es sich weigerte, sich zu einer der üblichen voluminösen Frisuren hochstecken zu lassen. Zudem hatte Mina Karls hochgewachsene, kräftige Statur und überragte ihre Schwester beinahe um Haupteslänge.

Es hatte Zeiten gegeben, da war Mina auf Agnes neidisch, ja sogar eifersüchtig gewesen, aber inzwischen betrachtete sie sie als Freundin und Verbündete, und die beiden kamen gut miteinander aus.

»Ich habe übrigens mit Mina besprochen, dass ich sie künftig öfter in die Speicherstadt begleite und ihr bei der Arbeit im Kontor ein bisschen zur Hand gehe«, verkündete Agnes. »Ich habe doch im Moment nichts weiter zu tun, und ich weiß ja, wie sehr du den Gedanken hasst, dass Mina ganz allein im Auto in die Hafengegend fährt.« Sie griff nach der Kaffeekanne, die neben ihr auf dem Tisch stand. »Darf ich dir nachschenken, Großmutter?«

Mina warf ihrer Schwester einen verblüfften Blick zu. Kein Wort davon war wahr. Agnes hatte noch nie auch nur den Hauch von Interesse für die Arbeit im Kontor gezeigt, geschweige denn Mina gefragt, ob sie sie begleiten könne. Aber an Hiltruds erleichtertem Gesichtsausdruck sah sie, dass Minas Fahrten in die Speicherstadt wohl schon des Öfteren Gesprächsthema gewesen waren.

Sie wartete ab, bis Agnes Hiltruds Kaffeetasse gefüllt hatte. »Ich hoffe, du bist einverstanden, dass Agnes mit mir fährt«, sagte Mina dann. »Sie wäre mir wirklich eine große Hilfe, und ich würde mich sehr freuen, Gesellschaft zu haben.«

Hiltruds zweifelnder Blick ging zwischen den beiden Enkeltöchtern hin und her. »Also ich weiß nicht recht …«

»Ich verspreche, ich passe gut auf sie auf«, fügte Mina hastig hinzu.

»Wir passen gegenseitig gut auf uns auf«, ergänzte Agnes. »Ach, komm schon, Großmutter, gib dir einen Ruck und sag Ja. Außerdem ist es ja nicht für lange. Nur bis Frederik wieder da ist. Und du hast selbst gesagt, dass das nur noch ein paar Wochen dauern kann.«

›Bis Frederik wieder da ist …‹ Der Satz klang unheilvoll in Minas Ohren nach. Ihre Miene verdüsterte sich für einen Moment. Frederik Lohmeyer. Ihr Ehemann …

Sie hatte Frederik kurz vor dem Krieg geheiratet, als ihr Vater Karl im Sterben gelegen hatte. Die Ehe war sein Wunsch gewesen, und Mina hatte nach langem Zögern eingewilligt. Vater hatte gehofft, auf diese Weise die Firma in der Familie halten zu können, auch wenn Mina und er beide gewusst hatten, dass Frederik jeglicher Sinn für den Kaffeehandel fehlte. Aber dafür war ja Mina da. Sie hatte im Hintergrund die Fäden in der Hand gehalten, und Frederik hatte die Firma Kopmann & Deharde nach außen vertreten, besonders aber an der Kaffeebörse, wo die Anwesenheit von Frauen nicht erlaubt war. Für ein paar Monate war auch alles gut gegangen. Sie hatten gute Umsätze und noch mehr Gewinn gemacht, und beide Seiten hatten begonnen, sich in die Bedingungen ihres Ehevertrages einzufinden. Frederik spielte den perfekten Ehemann, wenn er Publikum hatte, und blieb auf Distanz zu ihr, sobald sie allein waren. Immer häufiger ging er abends allein aus und traf sich mit Freunden, wie er sagte. Dann kam er so spät zurück, dass Mina längst schlafen gegangen war. Nach ein paar Monaten schlug er vor, eines der Gästezimmer als sein Schlafzimmer einzurichten, damit er sie nicht aufweckte, wenn er nach Hause kam. Mina war es ganz recht, in Ruhe gelassen zu werden, auch wenn sie wusste, dass sie über kurz oder lang für einen Erben sorgen mussten, aber sie sagte sich, dafür sei später noch Zeit. Zuerst müssten sich die Mitglieder des Vereins der Kaffeehändler daran gewöhnen, eine Frau in ihren Reihen zu haben, ehe sie daran denken konnte, für eine Weile ihren Schreibtisch zu verlassen.

Dann jedoch, im August 1914, war der Krieg ausgebrochen. Noch am selben Tag, als Frederik am Frühstückstisch die Rede des Kaisers aus der Zeitung vorgelesen hatte, in der der Monarch sein Volk zu den Waffen rief, hatte er ein Telegramm an seine alte Einheit geschickt und sich freiwillig zum Dienst zurückgemeldet. Am nächsten Tag hatte Mina ihn zum Kaiserbahnhof gefahren, wo er sich am Bahnsteig von ihr verabschiedet hatte. Es sei ja nur für ein paar Wochen, dann sei der Krieg vorüber, hatte er gesagt. Spätestens zu Weihnachten hätten sie die Franzosen und die Russen besiegt, das sei so sicher wie das Amen in der Kirche.

Mina hatte genickt, hatte ihn gebeten, heil zurückzukommen, und ihm alles Gute gewünscht. Und weil auf einmal die Zeit zusammengeschmolzen war und sie sich wieder an jenen grauen Novembertag zurückversetzt gefühlt hatte, als sie von Edo Abschied genommen hatte, waren ihr die Tränen gekommen, obwohl sie doch gar nicht hatte weinen wollen. Da hatte Frederik sie in den Arm genommen und sie auf die Stirn geküsst. »Nicht traurig sein, Mina«, hatte er leise gesagt. »Bald bin ich wieder da, und alles wird gut werden.«

Von wegen, dachte Mina bitter. Gar nichts ist gut geworden.

Die helle Stimme ihrer Schwester holte sie in die Gegenwart zurück. »Wie bitte?«, fragte sie.

»Ich habe dich gefragt, ob du auch noch etwas möchtest.« Agnes hielt die Kanne in die Höhe und schwenkte sie ein wenig. »Eine Tasse sollte noch darin sein.«

Mina zwang sich ein Lächeln ab. »Gern!« Sie hielt Agnes ihre...

Erscheint lt. Verlag 30.10.2020
Reihe/Serie Die Kaffeehändler
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 1. Weltkrieg • 20. - 21. Jahrhundert • 20er Jahre • Anne Jacobs • Brigitte Riebe • Corinna Bomann • Deutschland • Emanzipation • Erster Weltkrieg • Hamburg • Inflation • Kaffeehandel • Kaffeekontor • Saga • Speicherstadt • Vernunftehe • Weimarer Republik • Zwanziger Jahre
ISBN-10 3-7325-8159-4 / 3732581594
ISBN-13 978-3-7325-8159-7 / 9783732581597
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99