Das Handtuch können Sie mitnehmen, aber der Fernseher bleibt hier! (eBook)
240 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-45981-2 (ISBN)
Chris Hartmann arbeitete in früheren Jahren als Nachtportier in einem Luxushotel und lernte: Die allerbesten Geschichten schreibt das Leben nachts. Heute ist Hartmann erfolgreicher Manager und betont gerne, wie sehr ihm seine im Hotel erworbene Menschenkenntnis im späteren Berufsleben geholfen hat. Nun versammelt er die skurrilsten Storys in diesem Buch. Seine wahre Identität darf und will er nicht preisgeben, denn manche Geheimnisse hätte er mit ins Grab nehmen sollen.
Chris Hartmann arbeitete in früheren Jahren als Nachtportier in einem Luxushotel und lernte: Die allerbesten Geschichten schreibt das Leben nachts. Heute ist Hartmann erfolgreicher Manager und betont gerne, wie sehr ihm seine im Hotel erworbene Menschenkenntnis im späteren Berufsleben geholfen hat. Nun versammelt er die skurrilsten Storys in diesem Buch. Seine wahre Identität darf und will er nicht preisgeben, denn manche Geheimnisse hätte er mit ins Grab nehmen sollen.
Die Boygroupgirls
Es war ein wunderschöner Tag im März. Viele Leute hatten ihre Winterjacken gegen Westen und Pullis getauscht, und manche ganz besonders Verwegene trugen sogar T-Shirts. Man konnte den Frühling in der Luft riechen, und alle waren guter Laune. Nur ich nicht. Heute war der Tag, an den ich bereits seit einer Woche mit Abscheu dachte. Eine weltberühmte Boyband samt Gefolge würde die Nacht bei uns verbringen. Ich stand mehr auf Musiker, die ihre Songs selbst schrieben und sich dann mit Gitarre, Schlagzeug und Mikrofon auf die Bühne stellten, um ihr eigenes Zeug zum Besten zu geben. Von gecasteten Teenieschwärmen, die ihre Lippen stumm zur Musik vom Band bewegten, die jemand anderer für sie geschrieben hatte, einstudierte Choreografien vorhampelten und Küsschen ins hysterisch kreischende Publikum warfen, hielt ich dagegen nicht besonders viel. Ich würde mich eher mit Schalke-Shirt in den Dortmund-Sektor setzen und, während man mir Prügel verabreicht, »Oh Happy Day« singen, als ein Konzert von solchen Marionetten zu besuchen.
Und jetzt hatte ich gleich fünf von denen eine ganze Nacht lang am Hals. Durften solche Bürschchen überhaupt schon ohne ihre Mamas in einem Hotel einchecken? Und wer wechselte denen eigentlich die Windeln, wenn sie auf Tournee waren? Ich sah es bereits deutlich vor mir: Ich würde im Viertelstundentakt in die Suiten der Jungs laufen und ihren Kuscheltieren Hummer servieren müssen, während mich ihre Manager zwangen, das Hemd auszuziehen, damit ihre Schützlinge auf meiner nackten Brust mit dem Permanent Marker Autogramme üben konnten. Im Hintergrund würde ihre eigene Musik in Endlosschleife laufen, und sie würden verlangen, dass ich für jedes Bandmitglied zwanzig Spiegel besorgte und aufhängte, damit sie bei jedem Schritt und aus jedem Winkel ihre makellos gegelten Frisuren betrachten konnten. Aber was hätte ich tun sollen? Job war nun mal Job, und ich konnte mir leider nicht aussuchen, wer bei uns abstieg. Immerhin trug ich als kleinen privaten Protest unter meinem Hemd ein »Rage Against the Machine«-Shirt. Das konnte zwar keiner sehen, weshalb das ein ziemlich erbärmlicher Protest war, aber ich fühlte mich auf eine kindische Art besser dadurch.
Das Konzert begann schon gegen 19 Uhr. Klar, wenn die Lieblingssongs deiner Zielgruppe vor gar nicht allzu langer Zeit noch »Hänschen klein« und »Auf der Mauer, auf der Lauer« waren und deine Fans von Papi im Minivan zum Veranstaltungsort gebracht werden, legst du besser früh los. Wir erwarteten den Tross aus Band, Managern, Personal Assistants, Personal Hairstyling Assistants, Personal Skin Care Assistants und Personal Mirror Holders kurz nach 23 Uhr im Hotel. Wen wir nicht erwartet hatten, waren die circa 50 Kids, die irgendwie herausbekommen hatten, wo ihre Idole nächtigten. Und die waren bereits da, als ich um 22:30 Uhr zum Dienst erschien, und belagerten den Gehweg vor dem Hotel. Ich erfuhr später, dass die Ersten bereits mittags gekommen waren. Sie hatten offenbar keine Tickets für die Show bekommen und versuchten nun, auf die Art einen Blick auf die Band zu erhaschen, ein bisschen Dreck von deren Schuhsohlen zu ergattern oder vielleicht sogar von einem der Stars angespuckt zu werden und so ewige Glückseligkeit zu erlangen. Meine Kollegen hatten in der Zwischenzeit eine notdürftige Absperrung errichtet, damit wenigstens ein schmaler Weg für unsere Gäste und später die Band frei blieb. Ich ging extra durch den Haupteingang und kam mir, so von Fans umringt, selbst wie ein Rockstar vor – Rockstar, nicht Teenie-Boygroup-Poser, darauf lege ich Wert.
Die Band dürfte einige Zugaben gegeben und danach im Backstagebereich noch das eine oder andere Girlie begrapscht haben, denn die Fahrzeuge mit Bandmitgliedern und Geleit fuhren erst kurz vor Mitternacht vor. Die Ankunft hätte man auch dann nicht verpassen können, wenn man vor Jahrzehnten beim Erbauen unseres Hotels von der Mafia im Fundament einbetoniert worden wäre, so laut war das Gekreische der immer noch wartenden Teenies. Es gibt ja Stars, die lieber den Hintereingang nehmen, um nach der Show nicht auch noch bei der Ankunft im Hotel mit den Fans in Kontakt zu kommen. Aber diese Burschen gingen, ohne sich zu vermummen oder hinter Bodyguards zu verstecken, durch den Haupteingang. Sie lächelten, schüttelten Hände und nahmen sich viel Zeit für Autogramme auf die mitgebrachten CDs und die entgegengestreckte nackte Haut. Das gefiel mir, und meine Abneigung gegen sie klang ein wenig ab.
Als sie schließlich die Lobby betraten, waren gut 15 Minuten vergangen. Ich merkte, wie ich mich versteifte. Jetzt würde unweigerlich jemand auf mich zukommen, und ich musste freundlich lächeln, begrüßen, Hände schütteln, Anweisungen entgegennehmen und darauf achten, dass mein Protestshirt nirgendwo unter dem Hemd hervorschaute. Da legte sich eine Hand auf meine Schulter, und eine Stimme sagte: »Ich übernehme das schon.«
Es war meine Chefin. Was machte die um diese Zeit denn noch hier?
»Was machst denn du um diese Uhrzeit noch hier?«, fragte ich.
»Ich muss unsere prominenten Gäste persönlich begrüßen. Das ist mein Job«, sagte sie.
Sie trat ein paar Schritte vor in Richtung der Band, die gerade durch die Lobby ging. Hatte sie heute mehr Rouge aufgetragen als sonst, oder war sie tatsächlich etwas rot auf den Wangen? Von wegen »das ist mein Job«. Sie war ein Fan! Ich konnte es ganz deutlich sehen. Die gerötete Haut, das erwartungsvolle Lächeln, der unsichere Schritt, die unruhigen Hände. Gleich würde sie wie ein Schulmädchen zu kichern beginnen, sich die Bluse vom Leib reißen und um ein Autogramm auf den Busen betteln. Sie tat mir daher aufrichtig leid, als ich sah, dass die Band direkt auf die Aufzüge zusteuerte und nur einer der Manager auf sie beziehungsweise uns zukam. Aber sie war ein Vollprofi und steckte ihre sichtbare Enttäuschung augenblicklich weg. Sie begrüßte den Mann im Maßanzug, stellte sich selbst und das Hotel vor, sagte, wie sehr sie sich freue, dass sie so prominente Gäste begrüßen dürfe, bla bla, das übliche Gesülze eben. Egal, Hauptsache, sie ersparte mir das Geheuchle und …
»Und das hier ist unser Night Audit, Chris.«
Mir blieb fast das Herz stehen, als sie auf mich zeigte.
»Er wird sich die ganze Nacht lang um alles kümmern. Wenn Sie etwas wünschen, wenden Sie sich einfach vertrauensvoll an ihn«, ergänzte sie.
Ich brauchte einen Moment, um mich zu fangen, und sagte dann ebenfalls, wie sehr ich mich freute, solche Superstars betreuen zu dürfen, und versicherte, dass ich die ganze Nacht lang für sie da wäre und sehr gerne alle ihre Wünsche erfüllen würde. Ich konnte förmlich sehen und hören, wie sich Kurt Cobain im Grab umdrehte, zu mir heraufsah und summte: »I hate myself and want to die!«
Der Manager legte mir eine Hand auf die Schulter und blickte mich ernst an. Ich nahm seine Hand von meiner Schulter und blickte ihn ernst an. Der Mann stutzte kurz, setzte ein schiefes Lächeln auf und sagte dann: »Vielen Dank für Ihr freundliches Angebot, aber ich brauche eigentlich nur zwei Dinge von Ihnen. Erstens: Die Boys und ein paar von der Crew wollen Pizza. Wäre nett, wenn Sie uns einen guten Laden in der Nähe empfehlen könnten.« Er zögerte kurz und fragte dann ernsthaft: »Es gibt in diesem Land doch Pizza?«
Nein, wir essen zum Frühstück, zu Mittag und zu Abend nur Sauerkraut, du …, grollte ich innerlich.
»Kein Problem«, sagte ich. »Welche und wie viele Pizzen sollen es denn sein? Ich bestelle bei der besten Pizzeria der Stadt und werde sie persönlich in Ihre Suiten hinaufbringen.«
»Machen Sie sich keine Umstände. Ich schicke zwei meiner Jungs die Pizzen holen. Die Boys schätzen keinen Besuch vom Hotelpersonal.«
Na, was für ein Zufall, das beruhte ja dann auf Gegenseitigkeit. Das Personal schätzte einen solchen Besuch nämlich ebenso wenig. Also kramte ich kurz in meinen Sachen und gab dem Mann eine Visitenkarte der Pizzeria. Er bedankte sich und kam zu Punkt zwei.
»Es könnte, nein, es wird der Fall sein, dass man bei Ihnen anruft und verlangt, zu einem der Boys aufs Zimmer durchgestellt zu werden. Die Anruferinnen werden Ihnen alle möglichen Geschichten auftischen, warum sie nicht direkt auf dem Handy anrufen können. Von SIM-Karten, die im Ausland nicht funktionieren, über versehentlich gelöschte Kontaktspeicher bis hin zu Handys, die durch einen Schwall Fruchtwasser während der gerade laufenden Geburt einen Kurzschluss erlitten haben. Das Kind ist natürlich immer angeblich von einem der Boys.«
»Kein Scheiß?«, fragte ich.
»Kein Scheiß«, bestätigte der Manager. »Jedenfalls versteht es sich hoffentlich von selbst, dass keiner dieser Anrufe verbunden wird.«
»Selbstverständlich nicht.«
»Außer, die Anruferin kennt das Codewort.«
»Codewort?«
»Jeder der Boys nutzt auf Tour einen Codenamen. Der ist für den unwahrscheinlichen Fall, dass einer von ihnen wirklich einmal nicht am Handy erreichbar sein sollte. Diese Namen kennen nur die Familie und die gerade aktuellen Freundinnen.«
»Die werden sie dann wohl ziemlich häufig wechseln müssen, nehme ich an.«
»Sie glauben gar nicht, wie oft. Ich kann sie mir schon lange nicht mehr merken. Darum habe ich sie aufgeschrieben. Hier ist eine Kopie für Sie.«
Er drückte mir einen zweimal gefalteten A4-Zettel in die Hand.
»Nur, und wirklich absolut nur dann, wenn einer der Boys über einen dieser Codenamen angefragt wird, dürfen Sie verbinden. Klar?«
»Klar!«
»Und selbstverständlich sind sie topsecret. Kein Wort...
Erscheint lt. Verlag | 28.9.2020 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga ► Humor / Satire |
Schlagworte | Absurd • Alltag • Anthony Bourdain • Erfahrungen und wahre Geschichten • Geständnisse eines Küchenchefs • Hinter den Kulissen • Hotel • Hotel-Geschichten • Humor • Humor Bücher • humorvolle Bücher • Kai Twilfer • Lustige Bücher • lustige bücher für erwachsene • lustige Erzählungen • lustige Geschichten • Luxushotel • Nachtportier • skurrile Geschichten • Tommy Jaud • wahre Begebenheiten • Wahre Geschichten • wahre geschichten bücher |
ISBN-10 | 3-426-45981-7 / 3426459817 |
ISBN-13 | 978-3-426-45981-2 / 9783426459812 |
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