Farm der Tiere (eBook)
192 Seiten
Manesse Verlag
978-3-641-27458-0 (ISBN)
«Kein Tier soll seinesgleichen je tyrannisieren. Schwach oder stark, schlau oder schlicht, wir sind alle Brüder. Kein Tier soll je ein anderes töten. Alle Tiere sind gleich.» So Old Major, der preisgekrönte Middle-White-Eber. Doch allen guten Absichten zum Trotz kommt alles anders. Auf der Farm, wo die Tiere in Gleichheit und wechselseitigem Respekt zusammenleben wollten, herrscht bald Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung. Denn «manche Tiere sind gleicher als andere.» - Orwells zeitkritische, auf Stalin gemünzte Parabel hat ihre Zeitlosigkeit längst erwiesen. 2021 erscheint der moderne englische Klassiker in der Neuübersetzung Ulrich Blumenbachs mit einem exklusiven Nachwort von Eva Menasse.
In «Farm der Tiere» nahm George Orwell, der Vater Courage der modernen britischen Literatur, eine der größten real existierenden Sauereien des 20. Jahrhunderts auf die Mistschippe - die Pervertierung der Idee von Gleichheit und Brüderlichkeit in brutalem Gesinnungsterror. Sein Buch, 1945 erschienen und bis heute Pflichtlektüre für jeden politisch denkenden Menschen, schildert anschaulich, dass kein noch so hehres Wunschbild davor gefeit ist, von skrupellosen Demagogen in sein Gegenteil verkehrt zu werden. Und die Moral von der Geschicht'? - Die Revolution frisst ihre Küken.
Die Neuausgabe enthält Orwells Essay «The Freedom of the Press», einst als Vorwort zu «Animal Farm» verfasst - ein grandioses Plädoyer für intellektuelle Redlichkeit.
George Orwell wurde 1903 in Motihari/ Bengalen als Sohn eines britischen Kolonialbeamten geboren. Er besuchte Privatschulen in England, diente in der burmesischen Imperial Police, arbeitete als Lehrer und Buchhandelsgehilfe, machte als Vagabund in Südengland und Paris Erfahrungen, kämpfte auf republikanischer Seite im Spanischen Bürgerkrieg und arbeitete als freier Schriftsteller und Journalist. Neben seinen Welterfolgen »Farm der Tiere« und »1984« ist er durch zahllose politische wie literarische Essays bekannt geworden. Er starb 1950 in London.
Kapitel I
Mr. Jones von der Herrenfarm verriegelte die Hühnerställe zur Nacht, war aber so betrunken, dass er vergaß, die Klappen zu schließen. Der Lichtkegel seiner Laterne sprang hin und her, als er über den Hof torkelte, an der Hintertür die Stiefel abstreifte, sich am Fass in der Spülküche ein letztes Bier zapfte und die Treppe hoch ins Bett ging, wo Mrs. Jones schon schnarchte.
Kaum erlosch das Licht im Schlafzimmer, setzte in allen Ställen Gewusel und Geflatter ein. Im Lauf des Tages hatte sich herumgesprochen, Old Major, der preisgekrönte Middle-White-Eber, hätte nachts zuvor einen seltsamen Traum gehabt, den er den anderen Tieren mitteilen wolle. Man war übereingekommen, sich in der großen Scheune zu treffen, sobald Mr. Jones aus dem Weg geschafft war. Old Major (wie er immer genannt wurde, obwohl er bei der Tierschau als Perle von Willingdon gezeigt worden war) stand auf der Farm in so hohem Ansehen, dass alle gern bereit waren, eine Stunde Schlaf zu opfern, um zu hören, was er zu sagen hatte.
An einem Ende der großen Scheune hatte sich Major schon unter einer Laterne niedergelassen, die an einem Balken hing und sein Strohlager auf einer Art Podest beleuchtete. Er war zwölf Jahre alt und in letzter Zeit ziemlich feist geworden, war aber immer noch ein stattlich aussehendes Schwein mit weisem und gütigem Auftreten, obwohl seine Hauer nie entfernt worden waren. Schon bald trafen die anderen Tiere ein und machten es sich, jedes auf seine Weise, gemütlich. Als Erstes kamen die drei Hunde, Glöckchen, Jessie und Kneifer, und dann die Schweine, die sich ins Stroh unmittelbar vor dem Podest lagerten. Die Hennen setzten sich auf die Fensterbretter, die Tauben flatterten in die Dachsparren hoch, die Schafe und Kühe legten sich hinter die Schweine und machten sich ans Wiederkäuen. Die beiden Arbeitspferde, Boxer und Klee, kamen gemeinsam herein, gingen ganz gemächlich und setzten ihre großen haarigen Hufe sehr sorgfältig auf den Boden für den Fall, dass das Stroh kleine Tiere verbarg. Klee war eine kräftig gebaute mütterliche Stute mittleren Alters, die ihre Figur nach dem vierten Fohlen nicht mehr so ganz zurückerlangt hatte. Boxer war ein gewaltiges Tier, fast achtzehn Handbreit hoch, und hatte so viel Kraft wie zwei normale Pferde zusammen. Über seine Schnauze zog sich eine Blesse, die ihn leicht beschränkt aussehen ließ, und er war auch tatsächlich keine Intelligenzbestie, aber alle respektierten ihn wegen seiner Charakterstärke und seiner ungeheuren Arbeitskraft. Nach den Pferden kamen die weiße Ziege Muriel und der Esel Benjamin. Benjamin war das älteste Tier auf der Farm und das übellaunigste. Er sprach selten, und wenn, waren es meist zynische Bemerkungen – er sagte dann beispielsweise, Gott hätte ihm einen Schwanz gegeben, damit er sich die Fliegen vom Leib halten könne, aber lieber wären ihm kein Schwanz und keine Fliegen. Er war das einzige Tier auf der Farm, das nie lachte. Wurde er nach dem Grund gefragt, sagte er, seiner Ansicht nach gäbe es nichts zu lachen. Aber auch wenn er es nie offen zugab, war er Boxer sehr zugetan; in aller Regel verbrachten die beiden ihre Sonntage zusammen auf der kleinen Koppel hinter dem Obstgarten, weideten Seite an Seite und sprachen kein Wort.
Die beiden Pferde hatten sich gerade hingelegt, als eine Brut Entenküken, die ihre Mutter verloren hatten, der Reihe nach hereinkam. Sie piepsten kläglich und liefen auf der Suche nach einer Stelle, wo niemand auf sie drauftreten würde, hin und her. Klee bildete mit ihrem großen Vorderlauf eine Art Mauer, hinter der sich die Küken zusammenkuschelten und sofort einschliefen. Im letzten Moment tänzelte Mollie, die törichte hübsche weiße Stute, die Mr. Jones’ Zweisitzer zog, mit anmutigen Trippelschritten herein und kaute ein Stück Zucker. Sie suchte sich einen Platz ziemlich weit vorn und warf die schneeweiße Mähne zurück, um die Aufmerksamkeit aller auf die eingeflochtenen roten Schleifen zu lenken. Als Letztes kam die Katze, die wie immer nach der wärmsten Stelle Ausschau hielt und sich dann zwischen Boxer und Klee quetschte; dort schnurrte sie selbstzufrieden Majors ganze Rede über, ohne ein einziges seiner Worte mitzubekommen.
Alle Tiere waren jetzt anwesend, bis auf Moses, den zahmen Raben, der auf einer Stange an der Hintertür schlief. Als Major sah, dass alle es sich bequem gemacht hatten und aufmerksam warteten, räusperte er sich und setzte an:
«Genossen, ihr habt schon von meinem seltsamen Traum der letzten Nacht gehört. Aber dazu komme ich später. Vorher möchte ich etwas anderes sagen. Ich glaube, ich werde nicht mehr viele Monate bei euch sein, Genossen, und ich halte es für meine Pflicht, euch vor meinem Tod die Weisheit weiterzugeben, die ich erworben habe. Mir war ein langes Leben vergönnt, ich habe, wenn ich allein in meinem Koben lag, viel Zeit zum Denken gehabt, und ich glaube, sagen zu dürfen, dass ich den Sinn des Lebens auf Erden so gut verstehe, wie nur je ein Tier ihn verstanden hat. Hierüber möchte ich zu euch sprechen.
Denn was ist der Sinn unseres Lebens, Genossen? Machen wir uns doch nichts vor, unser Leben ist elend, mühselig und kurz. Wir werden geboren und bekommen gerade genug Futter, um unsere Leiber am Leben zu erhalten; wer von uns dazu imstande ist, wird gezwungen, bis zum Umfallen zu arbeiten; und wenn wir ausgedient haben, werden wir unverzüglich mit scheußlicher Grausamkeit geschlachtet. Kein Tier in England, das älter ist als ein Jahr, kennt die Bedeutung von Muße oder Glück. Kein Tier in England ist frei. Das Leben eines Tiers besteht aus Elend und Sklaverei: Das ist die nackte Wahrheit.
Aber liegt das schlicht und einfach an der Ordnung der Dinge? Liegt es daran, dass unser Land so arm wäre, dass es seinen Bewohnern kein anständiges Leben bieten kann? Nein, Genossen, tausendmal nein! Englands Boden ist fruchtbar, sein Klima ist mild, und es gäbe Futter in Hülle und Fülle für sehr viel mehr Tiere, als es heute bewohnen. Allein diese unsere Farm könnte ein Dutzend Pferde ernähren, zwanzig Kühe, Hunderte von Schafen – und sie alle könnten ein Leben in Annehmlichkeit und Würde führen, das uns heute fast unvorstellbar ist. Warum ändert sich dann aber nichts an unserer kümmerlichen Existenz? Weil fast alle Früchte unserer Arbeit uns von den Menschen gestohlen werden. Dort liegt die Antwort auf all unsere Probleme, Genossen. Sie lässt sich in zwei Wörtern zusammenfassen – der Mensch. Der Mensch ist unser einziger wirklicher Feind. Verschwindet der Mensch von der Bildfläche, so ist die Grundursache des Hungers und der Überarbeitung für alle Zeit beseitigt.
Der Mensch ist das einzige Geschöpf, das verzehrt, ohne zu erzeugen. Er gibt keine Milch, er legt keine Eier, er ist zu schwach, um den Pflug zu ziehen, er kann nicht schnell genug laufen, um Kaninchen zu fangen. Und doch herrscht er über alle Tiere. Er treibt sie zur Arbeit an, gibt ihnen nur so viel zu fressen, dass sie nicht verhungern, und den Rest behält er für sich. Unsere Arbeit bestellt das Land, unser Mist düngt es, und doch besitzt keiner von uns mehr als die nackte Haut. Ihr Kühe, die ihr hier vor mir liegt, wie viel Tausende Gallonen Milch habt ihr im letzten Jahr gegeben? Und was ist mit der Milch geschehen, mit der stramme Kälber hätten gesäugt werden sollen? Jeder einzelne Tropfen ist durch die Kehlen unserer Feinde geflossen. Und ihr Hennen, wie viele Eier habt ihr im letzten Jahr gelegt, und wie viele davon habt ihr zu Küken ausgebrütet? Alle anderen sind auf den Markt gewandert und haben Jones und seine Männer reich gemacht. Und du, Klee, wo sind die vier Fohlen, die du zur Welt gebracht hast und die der Beistand und die Freude deines Alters hätten sein sollen? Jedes von ihnen ist mit einem Jahr verkauft worden – keines von ihnen wirst du je wiedersehen. Und was hast du für deine vier Niederkünfte und für all deine Arbeit auf den Feldern anderes als Gegenleistung bekommen als knappe Futterrationen und eine Box?
Wir führen ein karges Leben, und es ist uns nicht einmal vergönnt, dessen volle Zeitspannen auszukosten. Ich selbst darf nicht klagen, denn ich habe Glück gehabt. Ich bin zwölf Jahre alt und habe über vierhundert Kinder gehabt. Das macht das Leben eines Schweins aus. Aber kein Tier entgeht am Ende dem grausamen Messer. Ihr jungen Mastschweine, die ihr vor mir liegt, werdet allesamt binnen Jahresfrist auf der Schlachtbank verröcheln. Dieses Grauen steht uns allen bevor – Kühen, Schweinen, Hennen, Schafen, allen. Nicht einmal die Pferde und die Hunde gehen einem besseren Schicksal entgegen. Dich, Boxer, wird Jones an den Abdecker verkaufen, sobald deine ungeheuren Muskeln ihre Kraft einbüßen, und der Schinder schneidet dir die Kehle durch und verarbeitet dich zu Futter für die Hatzmeute. Und den Hunden bindet Jones, wenn sie alt und zahnlos geworden sind, Ziegelsteine um die Hälse und ersäuft sie im nächstbesten Teich.
Ist es nicht sonnenklar, Genossen, dass alles Üble in unserem Leben der Tyrannei der Menschen entspringt? Sind wir den Menschen los, gehören die Früchte unserer Arbeit uns. Beinahe über Nacht können wir reich und frei sein. Was müssen wir also tun? Na was wohl: Tag und Nacht mit Leib und Seele am Sturz des Menschengeschlechts arbeiten! Das ist meine Botschaft an euch, Genossen: Revolution! Ich weiß nicht, wann es zu dieser Revolution kommen wird, ob in einer Woche oder in hundert Jahren, aber ich weiß so sicher, wie ich Stroh unter meinen Hufen sehe, dass uns früher oder später Gerechtigkeit widerfahren wird. Behaltet das im Auge, Genossen, so kurz ihr auch zu leben habt! Und gebt meine Botschaft vor allem an jene weiter, die nach euch kommen, damit künftige Generationen den Kampf fortführen können, bis der Sieg...
Erscheint lt. Verlag | 18.1.2021 |
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Nachwort | Eva Menasse |
Übersetzer | Ulrich Blumenbach |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Animal Farm |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Booktok • eBooks • Gleichheit • Kommunismus • Märchenbuch • Parabel • Revolution • Roman • Romane • Sozialismus • Stalinismus • Terror • TikTok • Unterdrückung • Utopie • Widerstand |
ISBN-10 | 3-641-27458-3 / 3641274583 |
ISBN-13 | 978-3-641-27458-0 / 9783641274580 |
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