Ich stehe hier, weil ich gut bin (eBook)

Allein unter Männern: Eine Herzchirurgin kämpft sich durch
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
240 Seiten
Eden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
978-3-95910-287-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich stehe hier, weil ich gut bin -  Dr. med. Dilek Gürsoy
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Von den inzwischen deutlich mehr weiblichen als männlichen Studierenden der Humanmedizin landen später nur wenige in Führungspositionen. Eine Frau auf dem Weg an die Spitze ist die Chirurgin Dr. med. Dilek Gürsoy. Geboren mitten in Deutschland als Tochter türkischer Gastarbeiter, die Mutter Analphabetin und Fließbandarbeiterin, der Vater Fabrikarbeiter. Früh träumt sie davon, Ärztin zu werden und ergreift sich ihr auftuende Chancen mit beiden Händen. Heute ist Dilek Gürsoy Medizinerin des Jahres 2019. Überraschend offen und ehrlich zeigt die im In- und Ausland erfolgreich operierende und forschende Herz- und Kunstherzchirurgin die Hürden auf, die sie als Frau nehmen muss, um sich im OP zu behaupten - allein in einer Männerdomäne mit nur fünf Prozent Frauen in Führungspositionen. In Episoden aus dem Klinikalltag beschreibt sie, wie es sich anfühlt, an die gläserne Decke zu stoßen - und dass Kompetenz und Selbstbewusstsein nicht so viel zählen wie seit langem stabile Männernetzwerke.

Auf die Bühne, fertig, los!


»Ich stehe hier, weil ich gut bin.«

Stille.

Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. In meinen Ohren rauschte das Blut. Ich wartete auf die Menschen im Saal. Wie würden sie reagieren? Hatten sie mich gehört? Hatte ich die richtigen Worte gefunden?

Ich stand allein auf der Bühne. Zum ersten Mal vor so vielen Menschen, die keine Mediziner waren. Meine bisherige Bühnenerfahrung beschränkte sich auf medizinische Konferenzen und Kongresse. Da war ich unter Weißkitteln, unter Leuten meines Faches. Und wurde nach meinen Vorträgen mitunter regelrecht auseinandergenommen. Meinen sogenannten Impulsvortrag hier auf der Messe herCAREER sollte ich dagegen vor Nichtmedizinern halten. Ganz ohne weißen Arztkittel. Wie würden sie mich und meine Leistung beurteilen?

Das kleine weiße Mikrofon schmiegte sich an meine Wange, festgeklemmt an meinem rechten Ohr. Es war an: Alle konnten meinen Atem hören! Meine Rede hatte ich nicht vorbereitet. Einfach losplaudern, ein bisschen was zu mir und meinem Werdegang erzählen. Das hatte mir die Moderatorin des Abends, Anke Fabian, die mich auch als Erste begrüßt und zu meinem Platz gebracht hatte, gerade eben noch hinter der Bühne mit auf den Weg ins Rampenlicht gegeben, bevor sie mich dem Publikum ankündigte, um mir nach dem kurzen Begrüßungsapplaus eben diese Bühne ganz zu überlassen. Hier stand ich nun. Das Licht der Scheinwerfer blendete mich. In der Menge vor mir konnte ich kein Gesicht ausmachen. Keine Gemütsregung ablesen. Was die wohl von mir erwarteten? Ich kannte hier niemanden, und mich kannte auch keiner. Noch nicht. Ich war angespannt. Fühlte mich irgendwie fehl am Platz.

Kurz vor meinem Bühnenauftritt hatte ich mit der damals amtierenden Bundesministerin für Wirtschaft und Energie im Kabinett III von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Brigitte Zypries (SPD), zusammengesessen. Als wir einander vorgestellt wurden, fragte mich die Frau Ministerin, ob ich die Dame von der Lufthansa sei. Ich klärte sie auf und fragte mich insgeheim, was ich auf dieser Veranstaltung sollte. Und als ich der gestandenen Politikerin erzählte, was ich tue, hörte sie mir ganz gespannt zu. Die Aufmerksamkeit, die Frau Zypries mir schenkte, ihr offenbar echtes Interesse an meiner Arbeit ehrten mich und erfüllten mich auch mit Stolz. Dann war da aber auch noch dieser Herr Staatssekretär, seinen Namen habe ich mir nicht gemerkt, der mich, nachdem wir uns einander vorgestellt hatten, mit den Worten begrüßte: »… ah, das gute Beispiel für Erfolg trotz Migrationshintergrund«. Sein aufgesetztes Lächeln konnte ich nicht erwidern. Ich war doch nicht hier, weil ich türkische Wurzeln hatte! Höflich wandte ich mich von ihm ab. Gern wäre ich in diesem Moment gegangen.

Ich war nicht vorbereitet auf diese Messe. Eine Karrieremesse, die vor allem Frauen zusammenbrachte, um sich auszutauschen, zu vernetzen und zu unterstützen. Ich kannte weder das eine noch das andere aus meinem Job. Dort war ich oft die einzige Ärztin in einer Männerrunde am Tisch – im OP-Saal wie in der Kantine. Und wenn ich auf Kolleginnen stieß, dann war ich trotzdem allein. Ich habe noch nie erlebt, dass eine Ärztin eine Kollegin unterstützt hat.

Die Frauen, die ich hier auf der Messe traf, waren Frauen, die gerade noch studiert hatten und jetzt versuchten, in ihren Berufen Fuß zu fassen. Frauen, die gegründet hatten und sich gerade ihre selbstständige Existenz aufbauten. Und Frauen, die es bereits geschafft hatten und hochrangige Fach- und Führungspositionen besetzten. Aber waren sie Frauen wie ich? War ich wie sie? Passte ich dazu? War ich auf dieser Messe richtig?

Als ich am Veranstaltungsort eintraf, hatte ich keinen blassen Schimmer, was mich dort erwartete. Ich war weder auf die Gespräche noch auf das Netzwerken und schon gar nicht auf den Stil dieser Veranstaltung vorbereitet. Die meisten waren an diesem Abend elegant gekleidet und hatten sich offensichtlich extra zurechtgemacht. Mir ging beim ersten Anblick der gestylten Frauen tatsächlich das Wort »Tussen« durch den Kopf. Doch was wusste ich damals schon?

Ich war vollkommen unbedarft und, zumindest was den Charakter einer solchen Veranstaltung betraf, naiv. An diesem Abend im Oktober 2017 in München fühlte ich mich nicht zugehörig. Was redeten die? Und was hatten die an? Ich war im Hotelzimmer nur schnell in einen meiner beiden Anzüge gestiegen, die mir seit 15 Jahren passten und gute Dienste leisteten und immer dann zum Einsatz kamen, wenn ein geschäftlicher Termin anstand. Nichts Modernes, Standard halt. Etwas, in dem ich mich wohlfühlte. Für heute erschien mir der hellbraune Zweiteiler passend. Schwarzes T-Shirt drunter. Fertig. Meine Haare hatte ich wie immer nur kurz mit den Fingern zurechtgewuselt. Die Locken fielen sowieso, wie sie fielen. Schon immer. Jegliche Mühe, sie anders als natürlich zu stylen, war vergebens. Da in der knappen Zeit, die mir bis zum Beginn der Abendveranstaltung noch blieb, nicht viel zu machen war, ließ ich es mit einer Frisur gleich ganz. Make-up trug ich sowieso nie. Warum sollte ich das heute anders machen? Ich schlüpfte noch schnell in meine schwarzen Pumps mit einem kleinen Absatz – Hauptsache: bequem! Mir gefiel mein Spiegelbild. Ich hatte mich nie für besonders schön, dafür aber immer schon für unverwechselbar gehalten. Die auffallenden dunklen Augenbrauen über meinen grünbraunen Augen haben etwas Charismatisches. Ich mag mein Lächeln und sehe mich gern lachen, so richtig aus vollem Herzen mit weit aufgerissenem Mund. Nun gut, nach Lachen war mir gerade nicht zumute. Ich griff nervös an meine Kette. Ein bisschen Bling-Bling ist das Einzige, worauf ich immer Wert lege. Ich hatte mich heute für eine kurze Kette mit einem Aquamarin entschieden. Blau ist meine Lieblingsfarbe, und der strahlende kleine Anhänger mein Talisman. Und mit dem stand ich jetzt auf der Bühne. Allein.

Ich blinzelte im Scheinwerferlicht. Ich, die im OP-Saal die Ruhe in Person ist, wenn die Scheinwerfer angehen, die mit Selbstsicherheit einen Brustkorb öffnet und sich geduldig bis zum schlagenden Herz vorarbeitet, es mit den eigenen Händen herausnimmt, Schnitt für Schnitt heraustrennt und mit einem Kunstherz ersetzt, stand hier aufgeregt auf der Bühne und wartete ungeduldig auf die Reaktion der Besucher. Auf ein Zeichen von irgendjemandem. Irgendeins. Wie lange wartete ich schon? Es können nur Bruchteile von Sekunden gewesen sein, die sich für mich jedoch hinzogen wie Minuten.

Nichts. Kein Ton. Als würde die Zeit stillstehen.

Dann hörte ich sie. Zwei Worte: »Ja, genau!« Tosender Beifall brandete auf und schwappte wie eine große Welle auf die Bühne bis vor meine Füße. Der Applaus, den ich erntete, war so viel stärker als der eben zu meiner Begrüßung. Ich war darüber verwundert, hatte ich mit dem einen Satz doch nur gesagt, was ich denke, und mich gezeigt, wie ich bin. Ich atmete tief durch. Als das Klatschen abebbte, tat ich genau das, was mir Anke zuvor geraten hatte. Ich redete einfach drauflos: »Einen wunderschönen guten Abend! Danke für die Einladung, Natascha Hoffner«, sagte ich und wandte mich damit direkt an die Frau, die die Messe ins Leben gerufen hatte. »Mein Name ist Dilek Gürsoy. Ich bin Herzchirurgin und die erste Frau, die in Europa ein komplettes Kunstherz implantiert hat.« Ich sah, wie die Menschen vor der Bühne aufmerksam wurden. Sich aufrechter hinsetzten, neugierig zu mir aufschauten, mich wirklich ins Auge fassten. Das gab mir ein gutes Gefühl. Verlieh mir noch mehr Sicherheit. »Ich wurde 1976 in Neuss geboren. Meine Eltern waren türkische Gastarbeiter«, erzählte ich den Menschen vor mir weiter. Mit jedem Satz, den ich in den Raum sprach, fühlte ich mich sicherer. Ich ließ meinen Blick über die vielen Köpfe schweifen und erkannte unter ihnen einzelne Gesichter. Unbekannte, aber durchaus wohlwollende und gespannte Augenpaare schauten mich an. Der Großteil des Publikums war weiblich. Auch darin unterschied sich dieser Bühnenauftritt von meinen vorherigen. In meinem Metier, der Herz- und Kunstherzchirurgie, gibt es fast nur Männer. Ich stand zum ersten Mal vor einem fast ausschließlich weiblichen Publikum! Manche der Frauen lächelten mir aufmunternd zu. Die wollten offenbar hören, was ich zu sagen hatte.

Ich sprach ganz kurz über meine Kindheit und Schulzeit. Und dann redete ich über meine Arbeit. Ich erzählte von meinem Weg in die Herz- und Kunstherzchirurgie, einer bis heute von Männern dominierten Disziplin, die mitunter auch als Königsdisziplin der Medizin bezeichnet wird. Ich berichtete davon, wie es ist, die erste Frau Europas zu sein, die ein komplettes Kunstherz implantiert hatte. Dafür erntete ich spontanen Beifall aus allen Ecken des Saales. Als ich darüber sprach, dass ich für meine außerordentliche Leistung als Kunstherzchirurgin nicht nur kollegiale Anerkennung, sondern auch Neid und Missgunst erfuhr, nickte so manche meiner Zuhörerinnen wissend. Ich spickte meine Erzählung mit beiläufigen Anekdoten aus dem Klinikalltag. So, wie sie mir gerade einfielen. Als ich erwähnte, dass es nach der allmorgendlichen Besprechung immer die Herren waren, die jedes Mal wie mit der Peitsche getrieben den Konferenzraum verließen und eilig an mir vorbeidrängelten, mich dabei teilweise sogar zur Seite schubsten, als ginge es darum, der Erste im Ziel zu sein – welches Ziel? –, lachten viele Frauen im Saal laut auf.

Mit dieser Zustimmung hatte ich an dieser Stelle nicht gerechnet. Doch klar, ein solches Verhalten männlicher Kollegen hatten viele der Zuhörerinnen sicher selbst schon erlebt. Ganz gleich, ob in einem DAX-Unternehmen, einer Kanzlei, einer Redaktion oder, wie bei mir, in einer...

Erscheint lt. Verlag 4.9.2020
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Schlagworte Ärztin • Autobiografie • Autobiographie • berufliche Perspektiven • Chefarzt • Chirurgie • Chirurgin • doktorin • Durchsetzungskraft • Durchsetzungsvermögen • Eden Books • Erlebnisbericht • Feminismus • Frau • Frauenberufe • Frauen und Männer • Gesundheit • Gläserne Decke • Gleichberechtigung • Herzchirurgie • Klinik • Klinikalltag • Krankenhaus • Kunstherz • Männerberufe • Männerdomäne • Medizin • Memoir • Migrationshintergrund • Sexismus • Tatsachenbericht
ISBN-10 3-95910-287-9 / 3959102879
ISBN-13 978-3-95910-287-2 / 9783959102872
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