Der letzte Augenblick der Idylle (eBook)
240 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7529-0835-0 (ISBN)
Benötigt seit 30 Jahren eine Brille, Trägt seit 45 Jahren rote Hosenträger, Trinkt seit 55 Jahren Whisky, Isst seit 60 Jahren Halven Hahn, Ist seit 70 Jahren Kölner, Lebt seit 35 Jahren in einer kleinen Stadt am Rhein, Lachte und weinte mehrere Jahre allein, Hat im Juni 2020 seinen ersten Roman 'FRANZ' her-ausgegeben, Arbeitet als Regisseur und Autor Am Theater, Der Oper, Dem Kabarett Ist ein Gentleman, Kann aber auch anders.
Wie ein Herz in Brand gerät
und Präriegras zum Flammenmeer wird, breitete sich in Kurt eine Feuersbrunst aus, der er kaum noch Herr zu werden wusste. Alle Bemühungen, nicht mehr in die gegenüberliegenden Fenster zu schauen, scheiterten nicht zuletzt deswegen, weil er sich vorstellte – und diese Vorstellung nicht auszuhalten glaubte –, dass die Augenpaare von drüben gerade dann auf ihm ruhten, wenn er sich seine Blicke verkniff, er sich somit einseitig beobachtet wähnte. Andererseits hatte sich in ihm schon die Angst breit gemacht, dass die da drüben seine Blicke schon bemerkt haben könnten und eventuell Maßnahmen in Betracht zögen, die über das neuerdings frühzeitige Hinunterlassen der Jalousien hinausgingen. Zum Beispiel könnten sie ihm einen Drohbrief in den Postkasten geben oder ihn auf der Straße ansprechen und sich die Impertinenz seiner Blicke kategorisch verbitten oder die Polizei einschalten oder plötzlich bei ihm klingeln und wenn er öffnete, lächelnd das Magazin einer Pump-Gun auf ihn leerschießen. Im Sterben würde er sehen, wie die dunkelhaarige Hupfdohle fröhlich einen Todes-Tango hüpfte. Vielleicht sogar auf einem Bein. Manchmal überkam ihn auch die Vorstellung, dass die beiden Damen – für ihn unsichtbar – in der dunklen Tiefe des Raumes ein Fernglas aufgestellt haben könnten oder eine versteckte Kamera hatten installieren lassen, die 24 Stunden in Betrieb war und die sie – als hätten sie nichts Besseres zu tun, so Kurts Gedanke – nach der Rückkehr von der Arbeit auswerten würden, dabei Kurts Blicke in ihrer Abwesenheit auflistend, ab einem gewissen Kontingent Gegenmaßnahmen erwägend. Wenn Kurt in der letzten Zeit nach Hause kam, erinnerte er sich immer öfter an das ehemalige Fremdsprachenkorrespondentenfräulein, wie es, während Kurts Verbellungsphase, so schnell die dünnen Beinchen es tragen konnten, die letzten Wegmeter zum Haus gehetzt war. Kurt schien es, als habe ihn die Vergangenheit eingeholt. Wie das Fräulein ging auch er jetzt schneller in seine Wohnung, den Blick auf die gegenüberliegende meidend oder ihn schauspielerisch so schlecht versteckend, dass er sich dessen schämte und deshalb noch schneller ging.
Selbst in der Wohnung betrat er die zur Straße gelegenen Zimmer oft rückwärts oder im 45-Grad-Winkel, ebenfalls rückwärts, scheinbar etwas suchend. Kurzfristig erwog er auch den Weg von der Haustür zur Straße, rückwärts zu bewältigen, um mit einer geschickten, unauffälligen 45-Grad-Bewegung die Richtung einzuschlagen, die für diesen Tag angesagt war. Aber das hielt Kurt dann doch für etwas zu verrückt. Was sollten zufällig anwesende Nachbarn denken, wie war ihnen das bei möglicher Nachfrage zu erklären? Und die Blonde mit ihrer Dunkelhaarigen würden ihn wahrscheinlich auch für verrückt erklären, mit einem höhnischen Lächeln, wenn nicht sogar triumphierendem Grinsen, und er würde sich beim Blick in den Spiegel auch für verrückt ansehen, vielleicht sogar bald erklären lassen müssen. Also beließ er es bei dem speziellen Gang in der Wohnung. Damit er kontrollieren konnte, was in seinem Rücken vorging, hatte Kurt einen preiswerten, mittelgroßen Spiegel erworben, den er mit seiner linken Hand so positionierte, dass er die Wohnungsfenster gegenüber, ohne den Kopf zu wenden, im Auge behalten konnte. Vorbeugend, wie er meinte, damit er, wenn Gefahr im Verzug anstünde, rechtzeitig gegensteuern könne. Zum Beispiel, wenn die beiden ein Stativ für ein Präzisionsgewehr der Marke Remington 700 (M24) würden aufstellen wollen.
Beim Ausprobieren des Spiegels über Tag, die Abwesenheit der beiden Frauen nutzend, fiel ihm auf, dass der Spiegel bei ungünstigen Lichtverhältnissen, besonders bei seiner immerwährend aufgeregt zitternden Hand, einen wandernden Lichtfleck im Dunkel der gegenüberliegenden Wohnung hinterließ; aber am Abend gäbe es diesen Lichteinfall ja nicht, dachte Kurt, versöhnt, diesem subversiven Gedanken Paroli bieten zu können.
Als Kurt einmal zu später Abendstunde
in seine Straße einbog, eher hineinwankte, tauchte hinter ihm mit eingeschaltetem Fernlicht ein Auto auf. Da er auf der Fahrbahnmitte ging, eher schwankte denn ging, warf sein Körper einen langen Schatten auf den nassen Asphalt, einen schwankenden Schatten. Als er sich trunken und auch ein wenig aufmüpfig der Lichtquelle zuwandte, wurden die Scheinwerfer – wie ihm schien – in einer Art und Weise kurz ab- und wieder aufgeblendet, als wollten sie ihm sagen „Was guckst Du? Hast Du Problem?“ Durch seine gekniffenen Augen nahm er vier ineinander verschlungene Ringe auf dem Kühler des Fahrzeuges wahr und bei erneuter Fokussierung seines Blicks wurde ihm klar, dass es sich bei dem Wagen um ein A4-Cabriolet handelte. Für einen Augenblick wunderte sich Kurt, dass sein Auto ohne ihn fuhr und auch ohne ihn einparkte. Aber der Gedanke war kaum angedacht, da schoss ihm in den Kopf, dass es sich bei diesem A4-Cabriolet nicht um das seinige, sondern nur um das von den Gegenüberinnen handeln konnte, ansonsten gab es ja weit und breit kein A4-Cabriolet, noch dazu in tiefer Nacht und in dieser Straße parkend. Kurt wandte sich erschrocken ab, ging, wie er meinte, normal weiter, innerlich bemüht, so zu tun, als habe er sich nicht aufmüpfig umgeschaut, legte einen Schritt zu und versuchte dabei schlicht und ergreifend geradeaus zu gehen, was sich aber einfacher dachte, als es sich ausführte. Es war ihm, als schwanke er im Versuch eines gradlinigen Ganges noch mehr, und als er an dem Rückspiegel eines Volvos kurz aber spürbar hängenblieb, war ihm klar, dass er nicht angetrunken, sondern betrunken war und seine Gegenüberinnen, in diesem Moment hinter ihm, waren Zeuginnen. Kurt beschleunigte seine Schritte, lief, lief und lief. Und er versuchte so zu laufen, dass er zwar schneller vorankam, aber die hinter ihm nicht annehmen mussten, es handele sich um eine Flucht, um das Eingeständnis einer Schuld oder gar den Offenbarungseid eines Voyeurs. Das Einbiegen in den Weg zum Haus, das Aufschließen der Haus- und Wohnungstür schaffte Kurt mit Grandezza, obwohl er bei letzterer drei Anläufe brauchte, um den Schlüssel in die dafür vorgesehene Öffnung zu platzieren. Da war er aber schon in der sicheren Dunkelheit des Hausflures. Trotzdem würde er als Schlosshersteller oder Schlüsselfabrikant dafür sorgen, dass die Öffnungen für die Schlüssel wieder größer ausgelegt würden, wie zum Beispiel bei alten Kastenschlössern.
In der Wohnung angelangt, vermied es Kurt Licht zu machen, suchte mit zittriger Hand die Whiskyflasche, die neben seiner Kaminuhr stand und nahm einen tiefen Schluck, ohne sich die Mühe zu machen, ein Glas aus dem Schrank zu nehmen. Dann schlingerte er ins ehemalige Schlafzimmer, entnahm dem Schrank die schwarze Strickjacke und zog sie über das weiße Hemd, wollte er doch vermeiden, dass die Reflektion dieses Hemdes ihn im Dunkel des Raumes für das Gegenüber lokalisierbar machte. In diesem Moment ging drüben das Licht an. Kurt stahl sich zurück ins Wohnzimmer, nahm noch einen Schluck Whisky und setzte sich auf seine Couch, den Blick auf die gegenüberliegende Wohnung gerichtet, in der er die beiden Frauen beobachtete, die wie Fische in einem Aquarium hin- und her zackten. Entweder hatten die beiden auch etwas getrunken oder es kam Kurt in seiner Trunkenheit nur so vor.
Kurt schien es, dass er eingeschlafen sein musste, als sein Ohr ein Geräusch wahrnahm, das sich wie ein Bellen ausnahm – entferntem Hofhundegebell gleich.
Kurt suchte das vermeintliche Gebell zu orten. Er schaute nach draußen. Im hell erleuchteten, sperrangelweit geöffneten Fenster von gegenüber sah er die kleine Gestalt des ehemaligen Fremdsprachenkorrespondentenfräuleins. Es trug eine Dalmatiner-Hundemaske auf dem Kopf und bellte in Kurts Richtung, wobei ihre nackten, alten Brüste wie zwei nasse Teebeutel auf- und absprangen. Kurz darauf tauchten rechts und links neben ihr die ebenfalls barbusige Blonde und die Dunkelhaarige auf, ebenfalls mit einer Dalmatiner-Hundemaske auf dem Kopf, die Hände in gepolsterten Hundepfoten-Handschuhen, mit denen sie in Richtung von Kurts Fenster stummen Applaus spendeten, um dann in das mittlerweile wütend-kläffende Gebell der alten Dalmatinerin einzustimmen. Ein Trio Infernale. Kurt wollte die Jalousie herablassen, wusste aber, dass sie schon seit Jahren nicht mehr funktionierte und auch die weinroten Vorhänge waren schon seit Wochen in der Reinigung, von Kurt mehr oder weniger vergessen. Kurt sprang vom Sofa hoch, riss das Fenster auf und ruderte panisch mit den Armen, wie man mit den Armen rudert, wenn man mitten auf der Straße stehend ein Auto anhalten will, weil die Begleiterin mit gebrochenem Bein einen Steinwurf weiter im Waldstück liegt – beim Spaziergang verunfallt, wie man in Österreich sagt. Kurt schrie in Richtung des Trios, dass man ihn verschonen möge, bat, bettelte, beschwor, flehte, winselte, drohte mit der Polizei, bemerkte aber, dass kein Laut seinem weit aufgerissenen Maul entwich. Seine Stimme gehorchte ihm nicht. Kurz bevor er wahnsinnig zu werden drohte – wie er dachte –, schloss sich im Gegenüber das Rouleau ähnlich langsam, wie der Schieber in der Kabine eines Pornokinos, wenn die Zeit abgelaufen ist.
Als Kurt erwachte, stand die Sonne schon hoch. Er schlich in die Küche. „Klack“ machte es, als das Aspirin C ins Glas fiel. Aus dem Besteckkasten entnahm er die metallene Stricknadel, mit der er nach einer Stunde Backzeit die Garstufe des Marmorkuchens überprüfte. Dann ging er an seinen Schreibtisch. Dort blätterte er in den Gelben Seiten. Ärzte Querstrich Innen. Mit geschlossenen Augen stach er in die Abteilung „Psychotherapeutische Medizin“. Die Stricknadelspitze wies auf Dieckmann M., Dr. med. – Kurt griff zum Telefonhörer. Die...
Erscheint lt. Verlag | 15.7.2020 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga ► Humor / Satire |
Schlagworte | Absurditäten • Alltag • Reisebeschreibungen • Situationskomik |
ISBN-10 | 3-7529-0835-1 / 3752908351 |
ISBN-13 | 978-3-7529-0835-0 / 9783752908350 |
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