La Fenice -  Lea Singer

La Fenice (eBook)

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
304 Seiten
Kampa Verlag
978-3-311-70165-1 (ISBN)
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Eine Geschichte, die anderen nützt, vielleicht noch in ferner Zukunft, mehr soll ihr Bericht gar nicht sein, sagt Angela del Moro am Schluss. Da ist sie dreiund- zwanzig und hat mehr hinter sich als andere im doppelten Alter. Schon mit sechzehn hat sie es zu etwas gebracht, als Kurtisane, der einzige Beruf, in dem sie Geld verdienen, ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Der Absturz beginnt mit einem Nein: Sie wagt es, einen Stammkunden wegzuschicken, und die Rache des Abgewiesenen ist mörderisch. Andere überleben so etwas nicht, aber Angela will kein Opfer sein. Ihr Wiederaufstieg ist eine Sensation. Das kann nicht nur gut gehen. Lea Singer erzählt die historisch verbürgten Erlebnisse einer jungen Frau, La Zaffetta genannt, im Venedig der Renaissance, und offenbart, wie nebenbei, die Abgründe der Serenissima in der Zeit eines Tizian oder Aretino. Sie spricht durch die Person einer jungen Frau, die einen Skandal auslöste, weil sie sich das Recht nahm, ihre Wünsche zu leben. Und die zum Kult wurde auf einem der berühmtesten Bilder der Welt: Tizians Venus von Urbino.

Lea Singer, 1960 in München geboren, studierte Kunstgeschichte, Gesang, Musik- und Literaturwissenschaft. Mit ihren Romanen über historische Persönlichkeiten ist die promovierte Kunsthistorikerin ebenso erfolgreich wie mit ihren Sachbüchern, die sie als Eva Gesine Baur schreibt. Sie lebt in München und wurde mit dem Hannelore-Greve-Literaturpreis, dem Schwabinger Kunstpreis und dem Bodensee-Literaturpreis ausgezeichnet. 

Lea Singer, 1960 in München geboren, studierte Kunstgeschichte, Gesang, Musik- und Literaturwissenschaft. Mit ihren Romanen über historische Persönlichkeiten ist die promovierte Kunsthistorikerin ebenso erfolgreich wie mit ihren Sachbüchern, die sie als Eva Gesine Baur schreibt. Sie lebt in München und wurde mit dem Hannelore-Greve-Literaturpreis, dem Schwabinger Kunstpreis und dem Bodensee-Literaturpreis ausgezeichnet. 

Eigenartig, wie er ging. Ich stand auf dem Balkon und ärgerte mich, dass ich noch immer hinstarrte. Es war diesig, aber hell um sieben Uhr abends. Der kleine Platz, über den er sich entfernte, war menschenleer und nackt, nichts, was blühen oder grünen konnte. Fast alle Plätze hier verschwiegen, ob es Frühling war oder Spätherbst. Auffallend langsam ging er, nicht schleppend, nicht wie jemand, der erschöpft ist, enttäuscht oder traurig. Geduckt, ohne die Knie durchzudrücken, schlich er mit großen Schritten und rollte bei jedem Schritt den Fuß von der Ferse bis zum Ballen ab, als wollte er das geringste Geräusch vermeiden. Sein Nacken, ein kräftiger Nacken für einen Mann Anfang zwanzig, der nicht arbeitete, wirkte angespannt, auch sein Rücken. Er ging wie jemand, der sich anpirscht aus dem Hinterhalt, alle Sinne auf ein einziges Ziel gerichtet und darauf bedacht, dass keiner vorzeitig wittert, was er vorhat. Lächerlich sah das aus auf dem nackten Platz, als hätte sich einer, der nicht bei Verstand war, aus dem Röhricht auf Rebhuhnjagd in die Stadt verirrt.

Er pirschte sich nirgends an. Weggeschickt hatte ich ihn, von hier oben, vom Balkon aus, nachdem er unten mit einem Stiefel gegen die Tür getreten hatte. Die meisten Nachbarn hatten an diesem Abend ihre Fenster noch offen stehen und ließen den lauen Märzwind aus dem Süden herein. Vielleicht hatten sie mich gehört: Nein, ich werde nicht aufmachen, bestimmt nicht, ich habe heute keine Zeit für dich.

Als ich mich umwandte und in den Schatten des Zimmers trat, legte sich das Nein beruhigend auf meinen Unterleib, verschaffte mir Luft, ließ meinen Hals in die Länge wachsen und hob mein Kinn, als wollte es meinen Kopf in eine andere Position bringen.

Der Mann, der diese Nacht in meinem Bett verbringen sollte, saß im einzigen Sessel, einen Ellbogen auf die Lehne gestützt, die Schläfe in der Handfläche, und beobachtete mich aus der Schräge; bis auf die Schuhe war er nackt. Vom Adamsapfel abwärts hatte er etwas von einem alt gewordenen Säugling, seine Hände aber waren die einer Hebamme, fast weiß, als hätten sie durchs ständige Waschen ihre Farbe verloren, nicht zu groß und geschickt, die Knochen weich verpackt. Mein Körper und seiner verstanden sich wortlos, redend wären wir nie zu etwas gekommen; er konnte Sätze bilden, die länger waren als meine Haare, ohne sich zu verheddern. Trotzdem, jede andere hätte wohl ihn weggeschickt und den eingelassen, den ich weggeschickt hatte.

Es ist dein Recht, sagte er, sonst nichts, er konnte auch kurze Sätze. Seine Augen schauten melancholisch, so schauten sie immer, und schon das machte ihn für mich begehrenswert. Er wusste nicht, wie gut mir der Abstand tat, den einem die Schwermütigen lassen. Seine Schuhe, teure Schuhe aus weichem Leder, vermutlich Ziege, standen auf einem der blau-roten orientalischen Teppiche, die gerade Mode waren, der Spiegel über seinem Scheitel war eindrucksvoll, trotz des feinen Sprungs, der den Preis auf ein Fünftel gesenkt hatte, der intarsierte Tisch, auf dem er sein Weinglas abgestellt hatte, stand so ähnlich in gutbürgerlichen Wohnzimmern, meiner musste aber neu verleimt werden; ich hatte das meiste Geld für die Matratze ausgegeben, die war wichtiger.

 

Was du für dein Recht hältst, ist das, worauf du dich niemals verlassen solltest. Falls du es tust, rechne mit allem, hatte mein Vater gesagt und sich geräuspert. Er war bei der Geheimpolizei; seit er dort arbeitete, räusperte er sich ständig, die feuchten Räume seien daran schuld.

Ursprünglich war mein Vater Schreiber bei der Stadtverwaltung gewesen, hatte jeden Platz in der Mitte überquert und war jede Treppe in der Mitte hinaufgestiegen. Die Einsicht, was das Recht betraf, hatte ihm leider zu spät gedämmert.

Stell dir vor, sie wollten mir zu Weihnachten einen Kapaun schenken, wenn ich ihnen helfe, das Baugesuch durchzubringen, erzählte er meiner Mutter früher beim Abendessen. Sie freute sich. Natürlich habe ich abgelehnt, sagte er. Warum das natürlich sein sollte, habe ich nicht kapiert. Egal was genehmigt oder untersagt werden sollte, das Lied blieb gleich und sein Refrain auch. Manchmal war es Bargeld, manchmal ein Gemälde, ein Ring oder ein Teppich, manchmal ein Boot oder ein Fass Wein, meine Mutter hatte die Vorfreude längst weggepackt.

Er war der einzige Heilige in meinem Leben, sonst nahm ich keinem diese heldenmütige Unbestechlichkeit ab, im Nachhinein lässt sich viel erzählen. Ich wollte keinen anderen Vater haben, damals nicht. Aber er war im Büro aufgewachsen, seit er mit zwölf Aktenstapel mit gezwirbelten Schnüren, die, wie er sagte, zum Erhängen getaugt hätten, zu binden und gewissenhaft zu verknoten gelernt hatte; er war dort zu Hause, ich auf der Straße und hätte ihm schon als Kind sagen können, dass so etwas hier in Venedig schiefgehen musste. Der brave Onkel der Metzgerstochter aus unserer Pfarre Sant’Andrea della Zirada hatte ein Messerfutteral gefunden, leer lag es auf dem Pflaster, er hatte es eingesteckt, um es abzugeben, und war als Mörder gehenkt worden. Mit dem Messer, das fehlte, hatte ein anderer einen Mord begangen, gesehen worden war nicht er, nur der Futteralfinder beim Aufheben, und weil brave Menschen meistens schlechte Nerven haben, hatte er den Mord schließlich gestanden. Als der echte Täter gefasst wurde, streckte der falsche schon den Spaziergängern auf der Piazzetta seine schwarze Zunge heraus.

Geradeaus kam man hier nirgendwohin. Nur den Fremden, wenn sie sich verlaufen hatten und nach dem Weg fragten, sagte ich: Immer geradeaus. Leider wurden die Fremden trotzdem nicht weniger.

Mich hat es also nicht gewundert, dass die Kollegen es schafften, meinen Vater wegen Bestechlichkeit feuern zu lassen. Er war gebrochen und wuchs dann krumm wieder zusammen, das eröffnete neue berufliche Perspektiven. Zu seinen vielen Aufgaben bei der Geheimpolizei gehörte es von da an, Denunziationen aus den dafür in der ganzen Stadt eingerichteten Briefkästen zu sortieren und weiterzuleiten an die Justizbehörde. Die Briefe mussten zwar mit Namen unterzeichnet sein, der aber werde geheim gehalten, hieß es; eins der wenigen Versprechen, an die sie sich hielten, weil sie jede Anschuldigung brauchen konnten, um jemanden loszuwerden, der sie störte. Mein Vater kehrte immer später von der Arbeit nach Hause zurück, es störten offenbar viele. Als Erstes fragte er dann: Was war heute dran? Er fragte das so, als erhoffte er sich von der Antwort eine Art Erlösung.

Schulunterricht bekamen Mädchen bei uns nur, wenn sie sich lebenslang ins Kloster einsperren ließen. Es gab da ein paar Ausnahmefamilien, wo die Väter Privatlehrer für ihre Töchter anstellten, vielleicht wollten sie sich über die Schande hinwegtrösten, keine Söhne zustande gebracht zu haben. Dass mein Vater sich so etwas leistete, konnte nur einen Grund haben: Wenigstens zu Hause wollte er noch eine aufrechte Figur machen. Das tröstete mich, bis meine Mutter mir diesen Satz zusteckte, heimlich, wie die Großmutter etwas Geld mit der Bemerkung Zum Verschwenden. Das mit dem Lehrer hab ich durchgesetzt, sagte sie, die selbst kein Wort lesen konnte. Ich weiß, wo du eigentlich hingehörst.

Den letzten Satz drehte und wendete ich in meinem Kopf herum, als wäre es ein Brocken Melone im Mund, vielleicht süß, aber zu groß zum Zerbeißen und zum Hinunterschlucken zu sperrig.

Mein Lehrer war ein Geistlicher.

Sie haben ihn mir als einen gründlichen Mann empfohlen, sagte mein Vater. Gründlich war er. Beim Gesangsunterricht überprüfte er meine Atemtechnik, indem er meine frisch gesprossenen Brüste abtastete, und ich erfuhr durch das tiefe Atmen vieles: dass er seinen Unterleib nicht wusch, daheim einen Ofen hatte, der nicht zog, und Knoblauch liebte. Es grauste mir, ich schrie aber nicht. Während er rezitierte, was große Astronomen und Naturforscher über den Ursprung der Welt geschrieben hatten, suchte er zwischen meinen Schenkeln danach. Es grauste mir noch mehr. Ich schrie noch immer nicht. Weißt du eigentlich, was dein Vater sich abspart und versagt, damit du etwas lernst?, hatte meine Mutter mich gefragt. Es war keine Frage. Das, sagte sie, ist ein großes Geschenk in Gottes Namen. Vielleicht war mein Vater deshalb blasser als alle anderen Männer, die ich kannte, nur seine Fingerkuppen waren immer gerötet, als würden sie von dem, was er täglich anfasste, wund. Schon als er Mitte dreißig war, verliefen seine Falten im Gesicht von oben nach unten, sogar in den Augenwinkeln.

Außerdem, man schreit nicht um Hilfe, wenn man etwas geschenkt bekommt. Sicher, ich wehrte mich gegen meinen Lehrer, schlug ihm ins Gesicht, trat ihm gegen das Schienbein und in den Unterleib, aber nur nachts, wenn ich allein im Bett lag und er sogar noch meine Träume befingerte.

Meine Mutter war eine fromme Frau, auch äußerlich ein ideales Modell für Muttergottesbilder, da waren sich alle einig, die sie kannten, und zu glauben, dass ein Geistlicher sich an ihrer Tochter vergriff, wäre ihr todsündig erschienen, eine Misstrauenserklärung an Gott. Sie war Dienstmädchen gewesen und konnte nicht anders als dienen. Widerspruch war in ihrem Kopf nicht vorgesehen.

Frech hatte meine Mutter meinen Blick genannt, auch anderen gegenüber. Er machte ihr Sorgen; als ich den Lehrer dreist nannte und durchblicken ließ, warum, gab sie diesem Blick die Schuld. Damit hätte ich rechnen können, das musste sie tun, um den Mann Gottes zu entlasten. Sonst wäre ihr mit Weihen und Wundern vollgerammeltes Glaubensgebäude in sich zusammengebrochen und hätte das mühsam erbetete und erkniete Seelenheil unter sich begraben.

Ich musste mich nach jemand anderem umsehen, wenn ich...

Erscheint lt. Verlag 27.8.2020
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Kurtisane • La Zaffetta • Renaissance • Tizian • Venedig • Venus von Urbino
ISBN-10 3-311-70165-8 / 3311701658
ISBN-13 978-3-311-70165-1 / 9783311701651
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