Gam (eBook)

Roman

(Autor)

Thomas F. Schneider (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
352 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32155-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gam -  E.M. Remarque
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Zum Abschluss der großen Remarque-Edition: seine frühen Romane. Die Geburt eines großen Erzählers! Gam ist jung und schön, aber rastlos. Auf der Suche nach sich selbst durchstreift sie vier Kontinente und reiht Affäre an Affäre, doch erst als ihr Liebhaber Lavalette stirbt, erkennt sie, dass sie sich nur allein finden kann. »Gam« ist der einzige Roman Remarques mit einer weiblichen Hauptfigur. Erst 1998 aus dem Nachlass publiziert, liegt er zum ersten Mal als Einzelausgabe vor.

Erich Maria Remarque, 1898 in Osnabrück geboren, besuchte das katholische Lehrerseminar. 1916 als Soldat eingezogen, wurde er nach dem Krieg zunächst Aushilfslehrer, später Gelegenheitsarbeiter, schließlich Redakteur in Hannover und Berlin. 1932 verließ Remarque Deutschland und lebte zunächst im Tessin/Schweiz. Seine Bücher »Im Westen nichts Neues« und »Der Weg zurück« wurden 1933 von den Nazis verbrannt, er selber wurde 1938 ausgebürgert. Ab 1939 lebte Remarque in den USA und erlangte 1947 die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1970 starb er in seiner Wahlheimat Tessin.

Erich Maria Remarque, 1898 in Osnabrück geboren, besuchte das katholische Lehrerseminar. 1916 als Soldat eingezogen, wurde er nach dem Krieg zunächst Aushilfslehrer, später Gelegenheitsarbeiter, schließlich Redakteur in Hannover und Berlin. 1932 verließ Remarque Deutschland und lebte zunächst im Tessin/Schweiz. Seine Bücher »Im Westen nichts Neues« und »Der Weg zurück« wurden 1933 von den Nazis verbrannt, er selber wurde 1938 ausgebürgert. Ab 1939 lebte Remarque in den USA und erlangte 1947 die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1970 starb er in seiner Wahlheimat Tessin. Thomas F. Schneider, Leiter des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums an der Universität Osnabrück, veröffentlichte zahlreiche Bücher zur Kriegs- und Antikriegsliteratur im 20. Jahrhundert und zur Exilliteratur. Er hat die Romane Erich Maria Remarques einer kritischen Durchsicht unterzogen und jeweils mit Anhang, Nachwort und weiterführender Literatur versehen.

I


Beduinen in kaffeefarbenen Mänteln kamen eilig vorüber. Sie rochen nach Kamelmist und Wüste. Hinter den Mamelukengräbern zogen sie sich zu einer langen Linie auseinander und ritten gegen den maßlos hellen Himmel an, als wollten sie ihn stürmen.

Gam sah ihnen nach, bis ihre Silhouetten verschwanden. Nur zögernd löste sie den Blick vom Horizont und wandte sich wieder der Stadt zu. Unruhig ging sie durch die Straßen. Bei einem Händler fand sie eine alte Ausgabe des Divans von Abu Nowás. Der Einband war aus falbem Leder. Jedem der siebzehn Lieder war ein Bild beigegeben. Ein klares Türkisblau kehrte darin immer wieder.

Gam glaubte, dieses Buch gesucht zu haben. Sie nahm es hastig und verließ den Bazar in einer seltsamen Verwirrung, die sie um so stärker empfand, weil sie keine Erklärung dafür wußte.

*

Norman erwartete sie, um ihr den Sohn eines Freundes, Clerfayt, vorzustellen, der sie im Flugzeug nach Luxor bringen sollte. In einer Stunde könne sie starten. Er selbst wolle erst am nächsten Tage mit dem Expreß nachkommen.

Sie fuhren zum Flugplatz. Clerfayt band Gam im Sitz fest und ließ die Maschine anwerfen. Als sie hinabsah, lagen die engen Straßenröhren Kairos schon tief unter ihr. Der Horizont floh zurück; das Massiv des Mokattamgebirges zerblätterte zu Schluchten und Flächen. Dann floß die Wüste dahinter hervor, und das Flugzeug schoß auf den breiter werdenden Nil zu.

In der Nähe von Heluan überholten sie zwei Vergnügungsbarken. Die Insassen standen an Deck und winkten. Gam warf ihre Mütze hinab. Der Wind sauste durch ihr Haar; wie wild und schnell war das Leben!

Sie lehnte sich zurück. Vor ihr saß Clerfayt; über ihm wuchs das Gestänge heraus. Er gehörte dazu und hinein; er war kein Mensch – er war etwas zum Fliegen. –

Hinter dem Propellersturm wurde die Welt golden; der Abend kam. Dorfköter rasten hinter dem großen Vogel her, Esel bockten, einer Fellachin schwamm die Wäsche fort, Dampfer stießen glänzenden Rauch aus: Die Welt sah aus wie das Gemälde eines alten Niederländers.

Bei Assiut drückte Clerfayt die Maschine herunter. Die Granatenhaine des Hafens und die Feigengärten von el Hamra wirbelten hoch, bald rechts, bald links hüpfte die Dampferstation über die Verschalung, leicht setzte das Flugzeug auf, rollte aus und stand.

*

Gam taumelte, als sie ausstieg. Araber schwärmten heran; ein Auto folgte ihnen und hielt knapp vor ihr. Sie sah eine Hand mit einem großen Opal. Aber die Monde der Fingernägel waren dunkel. Der Kreole öffnete den Schlag, sprang heraus und bot seine Hilfe an. Clerfayt gab keine Antwort. Er hetzte einen Araber fort nach Polizei für den Aeroplan und nahm dann erst den Wagen an, mit betontem Dank, der dem Mischling die Geringschätzung verriet.

Der Kreole fuhr sie zum Hotel und neigte sich vor Gam. Clerfayts Hand beachtete er nicht. Der zog die Mundwinkel, daß dem andern das Blut hochschoß. Als er anspringen wollte, wandte Clerfayt ihm den Rücken; er deckte sich aus Verachtung nicht.

Am Abend zeigte er Gam die Grabkammern des Nomarchen Hap Tefa. Auf dem Rückwege fiel ein Schuß. Clerfayt sagte: »Der Kreole«, und hielt den Wagen an. Er stellte sich ins Mondlicht und wartete. Niemand kam, und er stieg wieder ein.

Der Duft der Nacht wurde stärker. Wie aus schwarzem Glas geschnitten standen die Palmen. Verschlafen huschten die Hütten vorüber mit einigen Lichtern und verhaltenem Hundelaut.

Clerfayt warf die Fenster auf, als sie im Hotel ankamen. Ungeheuer stürzte der Nachthimmel in den Raum, überströmte ihn, flutete blau und silbern, Wind flog herein, raunte, sang, atmete schnell, der Himmel war eine schmale, harte Hand, der Wind ein braunes, heißes Flüstern, Gam bog sich hoch – rauschte da nicht der Nil, brauste da nicht der Propellersturm, blitzte nicht Gestänge in Mondkaskaden, schrie nicht ein Falke – mit einem Sprunge war Clerfayt bei ihr.

*

Als Gam erwachte, war der Lärm des Morgens schon vor den Fenstern. Vom Flusse tuteten Steamer, die abfuhren. Sie sprang geschwellt auf, zitternd in der frischen Luft. Clerfayt trat ein. Geschmeidig kam er über den Teppich, bemerkte mit keinem Zuge seines Gesichtes das Betörende ihrer langen Schenkel, war von einer raubtierhaften Frische wie der Morgen selbst. Er brachte ihr eine Bronzekatze aus der Zeit des vierten Amenophis, die sehr edel war in der Linie vom Vorderbein zur Wange. Im Nacken hatte sie eine kleine Grube.

»In zwei Stunden fliegen wir weiter«, sagte er. Nicht eine Bewegung verriet ein Wissen um die Nacht. Gam sprühte plötzlich vor Laune und lief ins Bad.

*

Der Apparat stand in der Nähe des Stauwerkes. Ein Trupp Kopten arbeitete an einem der Bogen. Die Wüste war im Morgenduft ein Traum, unbeschreiblich in den blauen und violenroten Lasuren. Beim Start scheuten die Pferde der Araber und galoppierten, daß die weißen Burnusse wie aufgescheuchte Tauben in der Sonne flatterten.

Vor Abydos setzte der Motor aus. Das Flugzeug wurde von einer Böe gepackt, rutschte schief nach vorn und sank. Wie ein Krater sauste die Erde heran und dröhnte – da knatterten kurze Explosionen, der Motor prasselte eine Garbe, heulte auf, arbeitete, der Apparat fing sich und glitt dann im Gleichgewicht.

Gam fühlte, daß nur das Blut in ihren Ohren so gerauscht hatte, als wolle die Welt bersten. Clerfayt sah sich um. Ihre Augen waren groß vor Erregung; hochrot stand der Mund im bleichen Gesicht. Er rief ihr etwas zu; aber sie verstand es nicht, so hingegeben war sie dem Erlebnis des Fliegens. Unendlich dehnte sich unter ihr die Ebene mit der Vergangenheit einer zerfallenen Kultur in Ruinen und Tempelgräbern. Der Schatten des Flugzeugs huschte darüber hin wie ein eiliger Zeiger der Zeit. Der Grabtempel Ramses des Zweiten verschwand; das Memnonium Setis des Ersten war nur noch Name und Erinnerung; und auch die Altäre der Osiris versanken im Flugsande der Wüste. Aber der flimmernde Himmel überspannte alle Zeitalter, er stieß in die Pulse und ließ das Blut stärker klopfen, er schuf Gegenwart und Leben. Die Vergangenheit verblaßte unter seinem Lichte, jäh sprang ein starkes Gefühl des Da-Seins auf, das in Augenblicken aus Träumen und Wünschen Ergebnisse formte.

Ein Wiegendes, Gleitendes, Fliegendes hatte sich blumenhaft erschlossen, ein erster, klarer Aufblick, eine zarte Begegnung, die unbewußt lange erwartet und dennoch überraschend gekommen und wieder vergangen war, voll Ahnungen um Künftiges.

*

Clerfayt sammelte Bronzen, Norman schlug ihm vor, die Sammlung eines seiner Bekannten zu besichtigen. Er holte ihn abends ab.

In den phantastischen Gassen des Bulakviertels hielt der Wagen vor einem niedrigen Hause. Eine Berberin öffnete und führte über einige Stufen und einen winkligen Gang. Durch ein Tor brachen plötzlich Sterne; dann kam ein viereckiger, rings hoch ummauerter Hof, in dem ein Brunnen planschte. Grell stand im Mondlicht das maurische Tor des gegenüberliegenden Gebäudes. Licht flammte auf, ein Mann trat heraus und begrüßte Norman und Clerfayt: Ravic.

Es waren noch einige Menschen da. Sie hockten und lagen im Halbdämmer zwischen Fellen und Teppichen. Die Berberin brachte Sorbet und grünes Eiswasser. Clerfayt bemerkte erst nach einer Weile hinter sich eine Negerin. Ihre Pupillen leuchteten; das Achselhaar duftete scharf, aber nicht unangenehm. »Go – go –« gurrte sie und reckte die blau tätowierten Beine.

*

Gedämpfte Musik begann. Clerfayt streckte sich auf die Kissen; die Schwarze summte die Melodie mit. Ihm war, als sei er in einem Negerkral, tief im afrikanischen Busch. Der Stamm war von einem Beutezug gegen die Station heimgekehrt, – und man lag jetzt müde und faul in der Hütte, den Magen voll Ochsenfleisch und Pombebier. In der Ecke kauerten die gefangenen weißen Weiber, deren blasse Haut so lockte und die erregender waren als alle Frauen des Stamms. Draußen wurde es Nacht; nur ein paar Schakale bellten. Am nächsten Morgen und alle anderen Tage würde es wieder auf Beute und Kampf gehen. –

Aus der Ecke scholl Gelächter. Eine Frau erhob sich halb und wollte aufstehen. Das Haar saß wie ein Helm über ihrer Stirn. Man sah das glänzende Knie, den offenen, nassen Mund. Ein Arm griff nach ihr; sie fiel zurück. Die Berberin brachte Clerfayt lautlos Ambra.

Er dachte an Gam und betrachtete nachdenklich Norman, dem die Schwarze den Nacken massierte. Die irgendwie immer leiser schwelende Gegnerschaft des Männlichen, dieses unerklärbare Fluidum verborgener Urinstinkte ergriff von ihm Besitz; Haß, Verachtung, Feindseligkeit und ein gewalttätiger Wunsch krochen durch seine Gedanken, er spreizte die Hände und schloß sie fest. Dann wandte er sich ab.

Doch er konnte den Einflüsterungen nicht wehren. Sie schwollen wie lauerndes Gewürm und verstrickten ihn, während er zur Decke starrte.

Ein Zwerg verrenkte die Glieder zum Tanz; schwere Lust glitt von dem buckligen Geschöpf in den Raum. Die Schwarze hörte auf zu summen, sie zischelte über Norman. Die Berberin streifte Clerfayt im Vorübergehen. Aus der Ecke rief man nach Getränken.

In einen Gongschlag klang eine dumpfe Trommel. Hinter einer hohen Negertrommel stand ein Knabe, der nach dem Gesichtsschnitt ein Nubier sein konnte. Die Schlegel wirbelten in seltsam aufreizendem, gleichförmigem Rhythmus. Aber gerade diese Monotonie des dumpfen Geräusches hatte eine eindringliche Kraft, sie wurde vergessen über dem Gefühl, das sie erregte, unter...

Erscheint lt. Verlag 20.8.2020
Zusatzinfo mit Frontispiz s/w
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuerroman • Affäre • Emanzipation • Entwicklungsroman • Extase • Im Westen nichts Neues • Liebesroman • Selbstfindung • Sinnlichkeit • Weltreise
ISBN-10 3-462-32155-2 / 3462321552
ISBN-13 978-3-462-32155-5 / 9783462321555
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