Zwischen Mundstück und Mikrofon (eBook)
208 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30139-7 (ISBN)
Klaus Wallendorf wurde just am Tag der Hausmusik 1948 in Elgersburg im Thüringer Wald geboren und lebt seit seinem 1. Preis im Bundeswettbewerb 'Jugend musiziert' (Sommer 1965) vom Hornspiel. Seit 1980 gehört er den Berliner Philharmonikern und seit 1985 German Brass an. Er ist als Gelegenheitsliterat und Gebrauchslyriker der Berliner Philharmoniker bei Ehrungen aller Art, als Conférencier u.a. bei der Präsentation live übertragener Kinokonzerte gefragt und tritt als MusiKabarettist zusammen mit Andreas Kowalewitz im Dienste der konzertanten Heiterkeit in Erscheinung. 2012 erschien Immer Ärger mit dem Cello, 2020 folgte Zwischen Mundstück und Mikrofon.
Klaus Wallendorf wurde just am Tag der Hausmusik 1948 in Elgersburg im Thüringer Wald geboren und lebt seit seinem 1. Preis im Bundeswettbewerb "Jugend musiziert" (Sommer 1965) vom Hornspiel. Seit 1980 gehört er den Berliner Philharmonikern und seit 1985 German Brass an. Er ist als Gelegenheitsliterat und Gebrauchslyriker der Berliner Philharmoniker bei Ehrungen aller Art, als Conférencier u.a. bei der Präsentation live übertragener Kinokonzerte gefragt und tritt als MusiKabarettist zusammen mit Andreas Kowalewitz im Dienste der konzertanten Heiterkeit in Erscheinung. 2012 erschien Immer Ärger mit dem Cello, 2020 folgte Zwischen Mundstück und Mikrofon.
Die Mühle im Keller
Noch im Herbstsemester nahm ich mein Studium auf und wählte als zweites Hauptfach neben Horn das Schlagzeug aus, denn die Impulse, die Opa Walter mit Überreichung der Sonneberger Spielzeugtrommel ausgelöst hatte, waren unvermindert wirksam geblieben und fanden sich nun als Klopfzeichen meiner Spielfreude in Hochrainers Schlagzeugschule wieder, einem Etüdenwerk von anhaltender Gültigkeit, geschrieben von einem Pauker der Wiener Philharmoniker.
Mein Düsseldorfer Paukenlehrer Ernst G. wiederum, ein Kollege Pauls, wurde kurz vor meiner ersten und letzten Zwischenprüfung auch mein Klavierlehrer am Konservatorium und lotste mich zunächst umsichtig durch die ersten 54 Takte aus Mozarts Klaviersonate Nr. 5 auf die Note Befriedigend, bevor er meine pianistischen Ambitionen verebben ließ und wir uns nur noch dem Rhythmus und seiner Erlernbarkeit hingaben.
Die damals angespannte familiäre Situation des Ernst G. kam meinen gutmütigen Eltern zu Ohren, die ihn eine Zeit lang zu Prost- und Trostabenden in unsere Wohnung einluden. Im Lauf der Gespräche erfuhren sie nun endlich allerlei Wissenswertes aus der Welt der besoldeten Musiker, mehr jedenfalls, als ich – wortkarger Pubertierender – ihnen bisher übermittelt hatte. Ernst holte weit aus und hatte viel zu sagen. Meine Eltern staunten. Natürlich sei das Horn ein schönes Instrument, räumte Ernst ein, aber wie begrenzt in Umfang und Wirkungsradius, wie unhandlich, und dann die ständige Putzerei. »Der Hornist weiß außerdem nie, ob sein nächster Ton in die Landschaft passt«, meinte Ernst. »Und dann das ewige Transponieren! Wenn der Hornist ein Fis sieht, über das der Komponist ›in D‹ geschrieben hat, muss er von der Grundstimmung C erst mal nach F, also eine Quinte tiefer runterrechnen, wo nämlich das Horn als solches quasi schon werkseitig drinsteht, und kommt dann auf die geblasene Note Dis, die wiederum wie Es tönt und als klingendes As bzw. Gis das Instrument verlässt. Wenn alles gut geht! Möchten Sie das Ihrem Sohn wirklich ein Leben lang antun?« Meine Eltern staunten und gossen nach. »Und dann die Nervenbelastung! Was glauben Sie, Frau Wallenberg!, wie viele Hornisten ich schon unter der Last ihrer Anforderungen habe einknicken sehen! Bruckners Vierte in Rheydt neulich: jeder Ton ein Gurgler, der G. kam einfach nicht mehr in die Spur. Für den war die Woche gelaufen. Ich dagegen hinter meinen Pauken: peng und bumm, ein paar lange Wirbel, fertig ist die Laube. Eingestimmt sind sie schon, da kann man unterwegs ja auch mal nachjustieren, dafür hat man ja die Pedale heute, und bei den amerikanischen Plastikfellen hält ja sogar ein hohes F wochenlang die Stimmung, come rain – come shine, aber die Dinger kommen mir nicht unter die Finger, ich mein ja nur. Ich bleibe beim Dresdner Apparatebau mit den tollen Kalbfellen, davon später vielleicht mal mehr, wenn Sie’s interessiert. Also, noch können Sie sich das überlegen. Der Klaus ist ein hochbegabter Pauker, und Rhythmus hat er auch, das liegt im Blut, damit kenn ich mich aus. Natürlich schade für die Hornwelt, höhö!« Meine Eltern waren verwirrt und gossen nach. Tatsächlich war auch ich nach einigen Erfolgen bei öffentlichem Paukenspiel unsicher hinsichtlich meiner Instrumentenwahl geworden, hatte auch schon von den sagenhaften Verdienstmöglichkeiten der Kölner Schlagzeuger gehört und selbst mit angesehen, wie mein Freund Kurt als Aushilfsperkussionist während der dreißig Minuten, die ein uraufgeführtes Werk von Milko Kelemen dauerte, sage und staune zweimal an einem balinesischen Bambusgestrüpp zog, sodass es hölzern raschelte, und das war schon sein Beitrag zum Gelingen eines Musica-Viva-Konzertes gewesen. »Von der Gage flog er nach Malle. Und die Hornisten tröten sich die Lippen blau und müssen sich auch noch stundenlang einblasen«, legte Ernst nach. Meine Eltern staunten weiter, und so hatten wir manches zu besprechen, nachdem er gegangen war. Wenig später begleiteten sie mich nach Solingen, wo ich auf Ernsts wohlbedachte Vermittlung hin im Chorkonzert eines bergischen Laienorchesters die prominent verwendeten Pauken in Beethovens Neunter Sinfonie schlagen durfte. Die Neunte pauken! Da fühlt man sich drei Sätze lang als Dreh- und Angelpunkt des musikalischen Abendlandes. Nur im Adagio ist nicht viel zu tun, dafür gibt es dort ein hinreißendes Hornsolo, allerdings ausgerechnet für viertes Horn, was sich der Meister dabei wohl gedacht hat? Das hätte ich vielleicht doch ein bisschen inniger hingekriegt …
Meine Eltern empfanden ähnlich, trotz ihres noch ungeschulten Hörvermögens. Und so ging die Diskussion über meine Instrumentenwahl auch auf der Heimfahrt weiter, auf dem freien Rücksitz klapperte die tiefere der beiden geliehenen Pauken und rollte in den Kurven zu Vater hinüber, die hohe kullerte durch den Kofferraum. Manchmal muss man seine Pauken selbst mitbringen, in der Regel werden sie aber gestellt. Sagte Ernst.
Eines Morgens saß ich wieder einmal im Übekeller der Schlagzeugklasse und übte auf der Kleinen Trommel die Mühle, eine unerlässliche Grundübung zum Erlernen des Trommelwirbels. Dabei liegen die ersten Schläge noch sekundenweit auseinander, mit zunehmender Geschwindigkeit werden aber die Abstände zwischen den einzelnen Impulsen immer kleiner, und am Ende steht der dichte, runde, wie Regen (oder wie Erbsen auf Pappkarton) prasselnde Wirbel, weshalb es ja auch Trommelregen heißt oder Trommelfeuer. Das könnte grafisch (r bezeichnet die rechte, l die linke Hand) etwa so aussehen:
… fertig ist der Wirbel. Die entsprechende Übung der Blechbläser beim Erlernen der Doppelzunge ist ähnlich aufgebaut, wobei ich den Zungenstoß als ta und ke aufgeschrieben habe.
Ta ta ta ta ta ta tatatatata … wenn’s nicht mehr schneller geht, wird zur Doppelzunge (siehe auch Teil 3) gewechselt: beschleunigendes ta---ke---ta--ke--ta-ke-taketaketaketake, damit kommt man sogar durch den Hummelflug, und schon jenseits dieser Anforderungen steht die rasend durch den Mundraum fräsende Flatterzunge, die wie ein Trommelwirbel im Rachenraum klingt: rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr – aber nicht hinten am Gaumen wie beim preußischen, sondern weiter vorn wie beim bayerischen RRRRRR. Verständlich?
Ich übte also die Mühle, als mitten im Furioso der frenetisch kreiselnden Trommelstöcke mein Hornlehrer Paul eintrat und mich mit dem Angebot überraschte, für sechs Wochen im Städtischen Sinfonieorchester Aachen vertretungsweise als Hornist einzuspringen. So brachte ich sechzehnjährig mein erstes durch Hornspiel verdientes Monatsgehalt nach Hause, erreichte mein Ausbildungsziel gleichzeitig mit Beginn des Studiums … und konnte sogar schon auf einige elementare Grundzüge der Kantinenpraxis zurückblicken, einen Ort, der mir lieb wurde, denn die Kantine ist für die Beschäftigten ein Ernährungsstützpunkt, für die Unbeschäftigten ein Basar der Mitteilsamkeit und für die Verlorenen eine Heimat. Hier werden großräumige künstlerische Konzepte entworfen, Beziehungen geknüpft, gepflegt oder beendet, hier verflüssigen sich die auf der Bühne erlebten Triumphe oder Niederlagen, hier kann der einsame Musikant inmitten von Matrosenchören, Souffleusen und Komparsen fast rund um die Uhr grundlos verweilen und sich dabei noch vom tröstlichen Gefühl tragen lassen, er werde bald gebraucht; kurz: In der Kantine fühlte ich mich zu Hause.
Ich verschob also den schon angezahlten Foxtrott-Lehrgang für mittelreife Schulabgänger, fuhr stattdessen mit Schülerermäßigung mehrmals wöchentlich von Düsseldorf nach Aachen und gewöhnte so meine Eltern an die chronische Mobilität des fahrenden Musikanten.
Im Aachener Stadttheater konnte ich meine oberflächlichen Erfahrungen aus dem Düsseldorfer Orchestergraben vertiefen und lernte Werke kennen, denen ich seitdem nie wieder begegnet bin, etwa Die Goldene Meisterin von Edmund Eysler oder Nico Dostals Ungarische Hochzeit. Meinem damaligen Eindruck nach benötigt man das Reaktionsvermögen eines Kolibris, um Operetten vom Blatt zu lesen. Daher empfand ich es als ermutigendes Zeichen, wenn ich den jeweiligen Aktschluss gleichzeitig mit anderen Musikern erreichte. Trotzdem wurde ich nie wieder zur Aushilfe bestellt, vielleicht, weil ich während der Vorstellungen immer die Bierschinkenstullen verzehrte, die mir Mutter in ihrer gütigen Sorge um meine leibliche Entwicklung mit auf den Weg gegeben hatte.
Einmalig in meinem Berufsleben blieb die aachenspezifische Verpflichtung der wie immer hinten sitzenden Hornisten zum sinfonischen Küchendienst. So stand in unseren Noten jeweils etwa zehn Minuten vor Pausenbeginn zwischen all den musikalischen Einzeichnungen auch die Anordnung: »Würstchen heiß machen!« Also entzogen wir uns ungeachtet der musikalischen Auftragslage für einige Minuten der Beteiligung am laufenden Geschehen, um im Aufenthaltsraum hinter dem Orchestergraben den Tauchsieder zu Wasser zu lassen und neben dem Publikum nun auch die Pausenwürstel zum Sieden zu bringen. Dieses atmosphärische Gemisch aus hoher Kunst und niederer Gastronomie wirkte sich so belebend auf meine Einstellung zum Beruf des Orchestermusikers aus, dass ich auch deswegen gerne an Aachen zurückdenke – und an sein Publikum, auf das bereits...
Erscheint lt. Verlag | 5.11.2020 |
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Zusatzinfo | zahlreiche Ill. |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Schlagworte | Anekdoten • Berliner Philharmoniker • German Brass • Instrument • Kabarett • Klassik • Klassische Musik • Klaus Wallendorf • Orchester • Philharmonie |
ISBN-10 | 3-462-30139-X / 346230139X |
ISBN-13 | 978-3-462-30139-7 / 9783462301397 |
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