Die schönsten bretonischen Sagen (eBook)

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2020 | 1. Auflage
240 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-30135-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die schönsten bretonischen Sagen -  Jean-Luc Bannalec,  Tilman Spreckelsen
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Märchenhaft wie ihre Natur: die schönsten Sagen der Bretagne. Ob er will oder nicht - Kommissar Dupin bekommt es während seiner Ermittlungen immer wieder mit wundersamen bretonischen Geschichten zu tun - mit Sagen, Märchen und Legenden. In der Bretagne sind sie allgegenwärtig, wie ein Schlüssel zum Verständnis dieses verzauberten Reiches, in dem Feen, Gnome, Riesen und ihre Abenteuer fortzuleben scheinen. In der wilden Natur, in verwunschenen Wäldern, uralten Gemäuern und labyrinthischen Tälern, auf bizarren Klippen und unwirklichen Inseln haben die fabelhaften Figuren und Motive die Zeit überdauert: Der Totengott Ankou lehrt das Fürchten, der Untergang der sagenhaften Stadt Ys, die sich in der Bucht von Douarnenez befunden haben soll, lehrt die Ehrfurcht. Selbst Merlin und König Artus mussten im Wald Brocéliande einige ihrer schwersten Prüfungen bestehen. So verschieden all diese Geschichten auch sein mögen, so eint sie doch ihre ausgeprägte Poesie, ein charakteristischer Humor und die typisch bretonische Stimmung. Jean-Luc Bannalec und Tilman Spreckelsen, beide Kenner und Liebhaber der Region, haben die schönsten und eindrucksvollsten Erzählungen in diesem Band zusammengetragen. Es gibt viel zu entdecken - für Dupin- und Bretagne-Fans gleichermaßen!

Jean-Luc Bannalec ist der Künstlername von Jörg Bong. Er ist in Frankfurt am Main und im südlichen Finistère zu Hause. Die Krimireihe mit Kommissar Dupin wurde für das Fernsehen verfilmt und in zahlreiche Sprachen übersetzt. 2016 wurde der Autor von der Region Bretagne mit dem Titel »Mécène de Bretagne« ausgezeichnet. Seit 2018 ist er Ehrenmitglied der Académie littéraire de Bretagne. Zuletzt erhielt er den Preis der Buchmesse HomBuch für die deutsch-französischen Beziehungen.

Jean-Luc Bannalec ist der Künstlername von Jörg Bong. Er ist in Frankfurt am Main und im südlichen Finistère zu Hause. Die Krimireihe mit Kommissar Dupin wurde für das Fernsehen verfilmt und in zahlreiche Sprachen übersetzt. 2016 wurde der Autor von der Region Bretagne mit dem Titel »Mécène de Bretagne« ausgezeichnet. Seit 2018 ist er Ehrenmitglied der Académie littéraire de Bretagne. Zuletzt erhielt er den Preis der Buchmesse HomBuch für die deutsch-französischen Beziehungen. Tilman Spreckelsen ist Literaturredakteur der FAZ. Seine Sagen-Nacherzählungen Der Mordbrand von Örnolfsdalur, Kalevala und Der Held im Pardelfell sind bei Galiani erschienen, sein Artuskompendium Gralswunder und Drachentraum in der Anderen Bibliothek. Sein Kriminalroman Das Nordseegrab wurde 2014 mit dem Theodor­-Storm­-Preis der Stadt Husum ausgezeichnet, es folgten Der Nordseespuk und Der Nordseeschwur. 2017 war er erster Grimm-Bürgerdozent der Frankfurter Goethe-Universität und der Stadt Hanau.

Inhaltsverzeichnis

Ewenn Congar


Es war einmal ein armer Mann, der war Witwer und hatte nur noch seinen Sohn. Er hieß Ewenn Congar. Sein einziger Besitz waren zwei oder drei Felder, die er allein bewirtschaftete, zwei Kühe und ein Pferd. Eines Tages sagte sein Sohn, ein aufgeweckter, kluger Bursche, der ebenfalls Ewenn hieß und nun beinahe zehn Jahre alt war, zu ihm: »Vater, Ihr müsst mich zur Schule schicken.«

»Aber mein Sohn, das kann ich nicht. Ich bin zu arm, das weißt du wohl.«

»Verkauft eine Kuh.«

Am nächsten Markttag verkaufte der Vater eine seiner Kühe, und mit dem Geld, das er dafür bekam, schickte er seinen Sohn zur Schule.

Der Junge war ein gelehriger Schüler und seine Schulmeister waren ihm wohlgesinnt. Doch nach einem Jahr musste der Vater seine zweite Kuh verkaufen und im darauffolgenden Jahr sein Pferd, damit Ewenn weiter zur Schule gehen konnte.

Nach drei Jahren in der Schule hatte der Jüngling manches gelernt. Er war ein wahrer Gelehrter für sein Alter. Er ließ sich einen Mantel schneidern, außen schwarz, innen weiß, und begab sich auf Reisen, um sein Glück zu suchen.

Unterwegs begegnete ihm eines Tages ein feiner Herr, der ihn fragte: »Wohin des Wegs, mein Junge?«

»Ich suche eine Stellung, Herr.«

»Kannst du lesen?«

»Ja, lesen und schreiben.«

»Tja, dann kann ich dich nicht brauchen.« Und der Herr setzte seinen Weg fort. Ewenn aber drehte seinen Mantel um, rannte querfeldein, gelangte so auf die Straße und stand kurz darauf erneut vor dem Fremden.

»Wohin des Wegs, mein Junge?«, fragte der Fremde, der ihn nicht wiedererkannte.

»Ich suche eine Stellung, Herr.«

»Kannst du lesen?«

»Ach je, ich kann weder lesen noch schreiben. Mein Vater war zu arm und konnte mich nicht zur Schule schicken.«

»Wohlan! So steige nur hinter mir aufs Pferd.« Ewenn stieg hinter dem Fremden aufs Pferd, und alsbald kamen sie zu einem prächtigen Schloss, das hinter hohen Mauern lag. Niemand kam ihnen auf dem Hof entgegen, als sie abgestiegen waren, und der Zauberer (denn das war der Fremde) führte sein Pferd selbst in den Stall. Dann sprach er zu dem Jüngling: »Du wirst hier außer mir weder Mann noch Frau noch sonst eine Menschenseele sehen, aber sei nur ruhig, es wird dir an nichts fehlen, und du bekommst fünfhundert Écus im Jahr, wenn du alles ganz genau so machst, wie ich es dir auftrage.«

»Was soll ich denn tun, Meister?«

»In meinem Schloss habe ich fünfzig Käfige, in jedem sitzt ein Vogel, und in meinem Stall habe ich zehn Pferde, und du sollst dich so um meine Vögel und meine Pferde kümmern, dass ich zufrieden bin.«

»Ich will mich bemühen.«

Er zeigte ihm die Käfige und die Pferde und sprach: »Ich werde nun auf Reisen gehen und erst nach Jahr und Tag wiederkehren.« Sprach’s und war fort. Ewenn, der allein zurückblieb, kümmerte sich so gut er konnte um die Vögel und die Pferde. Viermal am Tag war der Tisch im Speisesaal für ihn gedeckt, ohne dass er jemals eine Menschenseele zu Gesicht bekam, und so aß und trank er nach Herzenslust, und danach spazierte er durch das Schloss und die Gärten.

Eines Tages, wie er so von Zimmer zu Zimmer wanderte und überall die kostbarsten Schätze und Herrlichkeiten bewunderte, stand er mit einem Male vor einer Prinzessin von außergewöhnlicher Schönheit, und sie sprach zu ihm:

»Ich bin eines der Pferde aus dem Stall des Zauberers, um die Ihr Euch kümmert. Das dritte Pferd von links, wenn Ihr den Stall betretet, die Blauschimmelstute. Ich bin die Tochter des spanischen Königs, ich wurde verzaubert und in ein Pferd verwandelt und muss in dieser Gestalt bleiben, bis ich jemanden finde, der mich befreit. So mancher hat das Wagnis schon versucht, doch sie alle wurden in Pferde oder Vögel verwandelt, ebenjene, für die Ihr sorgen müsst. Wenn der Zauberer nach seiner Rückkehr mit Eurem Dienst zufrieden ist, wird er Euch zur Belohnung ein Pferd aus seinem Stall geben, Ihr dürft es Euch aussuchen und mit heimnehmen zu Eurem Vater. Wählt mich, und Ihr sollt es nicht bereuen. Doch vergesst nicht, ich bin die Schimmelstute, das dritte Pferd von links, wenn Ihr den Stall betretet. Viele Prinzen und hohe Herren haben das Wagnis versucht, und alle haben dabei ihr Leben gelassen, ihre Haut hängt an Haken in einem Saal des Schlosses. Gebt acht, dass Euch das nicht auch geschieht.«

Die Prinzessin gab ihm die Bücher des Zauberers zu lesen, und so lernte Ewenn die Geheimnisse der Zauberei.

Nach Jahr und Tag kehrte der Zauberer zurück, wie er es versprochen hatte. Er war zufrieden mit Ewenns Diensten und bat ihn, ein weiteres Jahr zu bleiben, dafür sollte er den doppelten Lohn bekommen.

»Nein«, sagte Ewenn, »ich will heim zu meinem Vater.«

»So bedenke doch, dass du zwölftausend Meilen von deinem Zuhause entfernt bist.«

»Das ist mir gleich, ich will heim zu meinem Vater.«

»Nun gut. Hier hast du deinen Lohn, fünfhundert Écus, und such dir ein Pferd aus dem Stall aus, damit du heimkehren kannst.«

Und sie gingen zum Stall. Ewenn tat, als müsste er erst ein wenig überlegen, ehe er auf die Schimmelstute deutete und sagte: »Ich nehme die tüchtige Stute hier.«

»Wie, die alte Mähre? Wahrlich, von Pferden verstehst du nichts! Schau dir doch nur die anderen prächtigen Rösser an.«

»Nein, mir gefällt diese Stute, ich will kein anderes Pferd.«

»Verflucht seist du! Na, nimm sie nur, ich werde dich schon kriegen.«

Ewenn nahm die kleine Blauschimmelstute und ging mit ihr fort. Sobald sie aus dem Schloss herauskamen, nahm die Stute ihre ursprüngliche Gestalt an und wurde zu der schönen Prinzessin.

»Kehrt heim zu Eurem Vater«, sagte sie zu ihrem Retter. »Ich kehre heim zu meinem, an den spanischen Hof, und lade Euch ein: Nach Jahr und Tag sollt auch Ihr Euch dort einfinden.« Sprach’s und verschwand.

Ewenn marschierte wackeren Schrittes gen Heimat. Als er es nicht mehr weit hatte, traf er auf einen Bettler, den er kannte; der aber erkannte ihn nicht, und Ewenn fragte: »Kennt Ihr wohl Ewenn Congar, guter Mann?«

»Den kenne ich gut, er ist mein Nachbar«, entgegnete der Bettler.

»Ist er noch am Leben? Und wie steht es um den Hof?«

»Er ist noch am Leben, aber um den Hof steht es schlecht, und es geht ihm kaum besser als mir. Das Wenige, das er besaß, gab er aus, um seinem Sohne eine Ausbildung zu verschaffen, doch sein Sohn hat ihn verlassen und niemand weiß, was aus ihm geworden ist.«

Ewenn gab dem alten Bettler ein Geldstück von zwanzig Sous und setzte seinen Weg fort. So kam er zur Hütte seines Vaters und warf sich dem Greis in die Arme, der auf einem runden Steine vor der Schwelle seines Heimes saß.

»Guten Tag, Vater, da bin ich wieder!«, rief er und umarmte ihn.

»Treibt keine Späße mit mir«, sagte der alte Mann, denn er erkannte seinen Sohn nicht wieder.

»Ich bin nun reich, Vater, wir wollen uns freuen – seht doch!«

Und er warf die fünfhundert Écus auf den Tisch, glänzende Goldstücke. Dann ließ er ins nahe Städtchen nach Speisen schicken: Weißbrot, Rindfleisch, Speck, Würste, Cidre und sogar Wein. Es wurde ein rechter Festschmaus abgehalten, auch ein paar Nachbarn waren eingeladen. Und so ging es nun alle Tage, so lange, bis die fünfhundert Écus aufgebraucht waren. Doch als ihnen nur mehr sechs Franc blieben, sprach der Alte zu seinem Sohn:

»Nun haben wir kein Geld mehr, mein Sohn, wir werden in Armut und Elend leben wie zuvor.«

»Seid unbesorgt, Vater. Ihr habt verzichtet, damit ich zur Schule gehen konnte, und ich war nicht faul, Ihr werdet schon sehen, und es soll Euch nie wieder an etwas fehlen, weder an Geld noch sonst etwas, dafür sorge ich.«

Denn er hatte die Bücher des Zauberers studiert und so manches Geheimnis daraus erfahren.

»Morgen früh, Vater, geht Ihr auf den Markt nach Lannion und verkauft einen stolzen Ochsen.«

»Und woher nehme ich den Ochsen? Ich habe schon lange kein Vieh mehr, weder Ochs noch Kuh noch Kalb.«

»Ganz gleich woher er kommt, morgen früh, wenn Ihr erwacht, wird ein prachtvoller Ochse vor Eurer Türe stehen. Ihr führt ihn auf den Markt in Lannion und verlangt zweihundert Écus dafür, und die werdet Ihr bekommen, ohne zu feilschen. Doch behaltet den Strick.«

»Der Strick wird stets mitverkauft, so ist es Brauch«, sagte der Alte.

»Gebt den Strick nicht her, wie ich es Euch gesagt habe, oder Ihr bringt mich in große Gefahr. Hört Ihr, Vater, bringt den Strick wieder mit nach Hause.«

»Nun gut, ich bringe ihn wieder mit, auch wenn es nicht Brauch ist.«

Am nächsten Morgen fand der Alte tatsächlich einen herrlichen Ochsen vor seiner Tür, er trug einen feinen neuen Strick um den Hals. Und der alte Ewenn Congar machte sich mit ihm auf den Weg nach Lannion, ohne sich zu kümmern, was wohl sein Sohn an jenem Morgen trieb. Dabei war der Ochse niemand anderes als sein Sohn, der aus den Zauberbüchern gelernt hatte, die Gestalt zu wechseln, und sich nach seinem Willen in jegliches Tier verwandeln konnte.

Sobald der Alte mit dem Ochsen auf dem Markt eintraf, liefen alle Händler und Metzger zusammen und wollten darum feilschen.

»Wie viel für den Ochsen, Alter?«

»Zweihundert Écus, und den Strick behalte ich.«

»Seid gescheit! Hundertfünfzig Écus und wir schlagen ein und trinken darauf.«

»Nicht einen Sou weniger.«

»Wohlan! So behaltet eben Euren Ochsen, den kriegt Ihr nicht los.«

Alle Händler und alle Metzger hatten den Ochsen bestaunt und betastet und Angebote gemacht, doch weil der Alte stets zweihundert Écus verlangte...

Erscheint lt. Verlag 5.11.2020
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bretonische Spezialitäten • Douarnenez • Erzählungen • Frankreich-Bretagne • Kommissar Dupin • König Artus • Märchen • Merlin • schönste Orte Bretagne • Versunkene Stadt
ISBN-10 3-462-30135-7 / 3462301357
ISBN-13 978-3-462-30135-9 / 9783462301359
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