Im schwarzen Wasser (eBook)
432 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00679-9 (ISBN)
Petra Oelker arbeitete als Journalistin und Autorin von Sachbüchern und Biographien. Mit «Tod am Zollhaus» schrieb sie den ersten ihrer erfolgreichen historischen Kriminalromane um die Komödiantin Rosina, zehn weitere folgten. Zu ihren in der Gegenwart angesiedelten Romanen gehören «Der Klosterwald», «Die kleine Madonna» und «Tod auf dem Jakobsweg». Zuletzt begeisterte sie mit «Das klare Sommerlicht des Nordens», «Emmas Reise» sowie dem in Konstantinopel angesiedelten Roman «Die Brücke zwischen den Welten».
Petra Oelker arbeitete als Journalistin und Autorin von Sachbüchern und Biographien. Mit «Tod am Zollhaus» schrieb sie den ersten ihrer erfolgreichen historischen Kriminalromane um die Komödiantin Rosina, zehn weitere folgten. Zu ihren in der Gegenwart angesiedelten Romanen gehören «Der Klosterwald», «Die kleine Madonna» und «Tod auf dem Jakobsweg». Zuletzt begeisterte sie mit «Das klare Sommerlicht des Nordens», «Emmas Reise» sowie dem in Konstantinopel angesiedelten Roman «Die Brücke zwischen den Welten».
Kapitel 1
Beim Erwachen spürte Jakob das Vibrieren von Glück. Gewiss nicht wegen des langen Tages an den Gruben und am Scherbaum, Grund waren die Traumbilder, die ihn in das Erwachen begleitet hatten. Er spürte noch die Berührung weichen, fast ebenholzschwarzen Haares, sah noch weiße Schultern, zärtlich lächelnde Lippen. Ganz nah.
Es war schon hell, als er aus diesem Hauch von Glückseligkeit erwachte, also hatte er zu lange geschlafen. Die Hitze in seinem Körper schwand schlagartig. Die Mainächte waren immer zu kurz. Hastig schlüpfte er in die Kleider und griff nach der Lederschürze. Noch war er Lehrling, noch musste er als Erster bei den Lohegruben in der Wasserwerkstatt sein.
Er sauste barfuß die Stiege hinunter, die klobigen Holzpantinen warteten unten in der Werkstatt. Aus der Küche klangen gedämpfte Stimmen, der getreidige Duft von köchelndem Brei ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Zwei Stunden noch. Dann gab es auch für den Lehrling, die beiden Gesellen und Knecht Mats die Morgenmahlzeit, auch für den Tagelöhner, der hin und wieder für die besonders schweren Verrichtungen gebraucht wurde. Wenn er, Jakob, einmal Herr über dieses Haus war, so schwor er sich, würde niemand mit leerem Magen an das Tagwerk geschickt.
Manchmal machte ihn der Duft aus der Küche zornig, dann fühlte er sich seltsam fremd in seiner Seele, und er stampfte noch wütender in die mit der Lohe aufgeschichteten Blößen, spürte die geröteten Schrunden an den Knöcheln noch bitterer als an anderen Tagen und schwor sich – nein, daran wollte er nun nicht denken. Er wollte einzig seine Arbeit tun, rasch, gut und zuverlässig, wie der Meister es erwartete.
Der Tag lag noch endlos lang vor ihm, dann folgte der nächste, wieder der nächste und immer so weiter. Eine endlose Reihe von immer gleichen Tagen. Doch irgendwann war es so weit, dann lief er durch eines der großen Stadttore hinaus, das Bündel mit dem Nötigsten auf dem Rücken, mit leichtem Sinn weit hinaus in die Welt. Da war der Himmel viel höher, und jeder Schritt verhieß Neues. Abenteuer, auch Gefahren, so war das Leben, und dort draußen, wo die Gedanken frei wurden wie das Atmen in der klaren frischen Luft, könnte er alles meistern. Daran glaubte er fest. Noch ein Jahr, ein ganzes langes Jahr, dann ging es endlich auch für ihn auf die Walz.
Neuerdings war die Sehnsucht nach der Ferne ein wenig geringer geworden. Womöglich wegen dieser anderen Sehnsucht, die hatte ihr Ziel ganz in der Nähe. Also wollte er jetzt wirklich nur an seine Pflichten denken und an den Abend, der später noch einen kurzen Spaziergang auf den Wällen erlaubte. Oder hinüber nach St. Jakobi, nah bei ihrer Wohnung.
Ihn fröstelte, als er die Wasserwerkstatt betrat, der Morgen war sehr kühl, und er hatte zu wenig Schlaf gefunden. Gestern hatte der für den riesigen Kupferkessel eingeheizte Ofen noch ein wenig Wärme gespendet, davon war nun nichts mehr zu spüren.
Der große Raum lag im Dämmerlicht, aber er fände sich selbst im Dunkeln zurecht. Die Werkstatt war sein eigentliches Zuhause. Was nicht hieß, dass er sie liebte, jedenfalls nicht alle Tage.
Wie an jedem Morgen nahm er den Korb und machte sich eilig auf die Suche. Er war daran gewöhnt, es bereitete ihm keine Übelkeit, wie dem jüngsten Sohn des Schusters beim Jakobikirchhof. Der hatte in diesem Frühjahr für einige Zeit in der Gerberei gearbeitet, ein Knirps mit wässrig blickenden Augen und einer Neigung zum beständigen Hüsteln. In der Wasserwerkstatt war so einer fehl am Platz. Helmrich hatte den Gestank nicht ausgehalten, die wahrhaftig üblen Gerüche, die zu einer Gerberei gehörten wie Mehlstaub zu einer Backstube. Meistens hatte er es gerade noch auf den Klopperbaum geschafft, um sich wenigstens in den Fluss anstatt in die Gruben zu erbrechen. Er war bald aus der Gerberei geflüchtet. Der Schuster, ein aufbrausender Mann, hatte sich für seinen weibischen Sohn geschämt, und der Junge war aus der Stadt verschwunden.
Es hieß, er sei nun in der Lehre bei einem Riemenmacher im Holsteinischen, ob das stimmte, wusste niemand genau. Jakob hatte nie ganz entschieden, ob er den blassen Jungen bewunderte, weil er seine Schwäche zeigte, oder ihn aus demselben Grund wie die anderen verachtete.
Er klaubte den nächsten Rattenkadaver auf und warf ihn in den Korb zu anderen und einer toten einäugigen Katze, die alle von den ausgelegten Giftködern gefressen hatten. Die Fleisch- und Fettreste von den großen Häuten, der Gestank nach Aas und Fäulnis, manchmal auch nach frischem Blut, wenn Häute aus dem Schlachthaus gegenüber an der Kleinen Alster oder vom Hafen gebracht wurden, lockte alle Tage Horden von Ratten und anderem Ungeziefer an, hungrige Katzen, ab und zu gelang es sogar einem der vielen streunenden Hunde, in die Werkstadt zu dringen. Allen bekam es schlecht. Jakob hatte Respekt vor dem Gift, man konnte nie wissen, welcher Art Dämpfe von vergifteten Tierleichen aufstiegen und den Menschen schadeten. Er hatte vor, recht alt zu werden, also griff er die Kadaver nur mit einer Äscherzange. Seit dem Beginn seiner Lehrzeit gehörte immerhin das Einsammeln von Hundekot für die Beize der Blößen nicht mehr zu seinen Pflichten. Das erledigten nun zwei Alte aus den Gängen für ein paar Münzen und ein gutes Frühstück. Sie waren dankbar für leichte Arbeit.
Als er das Tor zu den Klopperbäumen über der Alster fast erreicht hatte, trat er auf etwas Hartes. Eine scharfe Kante drückte sich in seinen nackten Fuß, er sprang mit einem Aufschrei zur Seite, gerade rechtzeitig, bevor das Metall die Haut durchschnitt. Er taumelte und wäre fast in die sechste Grube gestolpert, die große, in der das neue schnelle Gerbverfahren mit der Brühe probiert werden sollte, ein Experiment, das nicht schiefgehen durfte. Erschreckt wandte er sich dem Tor zu und schob mit zornigem Schwung den linken Flügel auf. Die Morgensonne glitzerte dunstig auf dem Wasser, ließ ihr schräg einfallendes Licht in den Fensterscheiben der gegenüberliegenden Häuser und des alten Klosters spiegeln und erhellte endlich die Werkstatt.
Jakob Neulander hatte keinen Blick für das friedliche Bild am Fluss. Er wusste, worauf er getreten war, auf eines der Werkzeuge, und das ärgerte ihn. Am Ende eines jeden Arbeitstages musste er kontrollieren, ob alle Gerätschaften an ihrem Platz lagen, standen oder auch hingen, besonders die teuren Scher- und Schabeisen und die Zangen. Das war dem Meister so wichtig wie die Arbeit an den Gerberbäumen; Jakob fand das ein bisschen lächerlich, der reinste Ordnungswahn, aber das Wort eines Meisters war in seinem Haus Gesetz. Da wurde nicht gefragt, sondern gehorcht. Wenn sich die Werkzeuge zu Arbeitsbeginn nicht ordentlich an ihren angestammten Plätzen befanden, setzte es Kopfnüsse. Jakob spürte die schmerzende Fußsohle und fand, vielleicht sei die Sache mit der Ordnung doch nicht so schlecht.
Hastig entleerte er den Korb mit den Kadavern in den Fluss, dann blickte er sich suchend im rasch heller werdenden Morgenlicht um. Er konnte nur auf eines der Schereisen getreten sein, obwohl am vergangenen Abend alle vollzählig und jedes an seinem Platz an der Seitenwand nahe dem Ofen gehangen hatten – dort, wo die Luft etwas trockener war und die Metalle weniger rosteten. Keines hatte gefehlt, wirklich keines. Aber wenn er wieder einmal an etwas anderes gedacht und zu flüchtig hingesehen hatte, vielleicht …
Er stutzte. Noch etwas war anders als sonst. Das Tor zur Wasserseite hatte sich zu einfach öffnen lassen. Das durfte nicht sein. Für die Nacht wurde es von innen mit einem Balken verschlossen, der klemmte an diesem Morgen nur in der Halterung für einen, den rechten, Flügel und war somit nutzlos. Nur wenn der Balken vor beiden Flügeln lag, war das ganze Tor vor Zudringlichkeiten von außen sicher versperrt.
Ein vernehmliches Knurren seines Magen erinnerte Jakob an die wirklich wichtigen Dinge des Lebens. Er zuckte die Achseln. Niemand musste von dem Lapsus erfahren, es war ja nichts geschehen.
«Nur ein bisschen Unordnung», murmelte er und fand, das klinge gut. Da hatte mal ein anderer einen Fehler gemacht, einer der Gesellen. Am Ende des Arbeitstages musste das Tor geschlossen und der Balken vorgelegt werden, das gehörte nicht zu seinen, sondern zu Freders Pflichten. Gestern hatte der Meister die Werkstatt früher als gewöhnlich verlassen, im Amtshaus musste irgendeine wichtige Entscheidung getroffen werden, Jakob hatte sich nicht für den Grund interessiert, ohne den wachsamen Blick des Meisters im Nacken war Freder offenbar unachtsam gewesen. Das passierte leicht, wer wüsste das besser als Jakob.
Der Meister musste nicht davon wissen. Man wusste nie, was für eine Strafe er sich ausdachte. Und für wen. Nicht selten war es der Bote, so hieß es doch, der geköpft wurde.
Stimmen kamen näher. Die beiden Gesellen und der Meister? Er sah sich um. Als er zur Seite gesprungen war, musste sein Fuß dem Eisen unwillkürlich einen Schubs gegeben haben. Und da lag es tatsächlich direkt am Rand der Grube mit der frischen Lohebrühe. Er hatte Glück gehabt, verdammtes Glück. Wie hätte er es erklären sollen, wenn das Eisen in der Brühe verschwunden wäre, ausgerechnet das große mit den Eichenholzgriff? Und wie es wieder herausfischen? Diese Grube maß mindestens sechs Fuß in der Tiefe und in der Kantenlänge und war schon mit der frischen Brühe gefüllt. Selbst die längste Äscherzange wäre nicht lang genug, um den Grund zu erreichen.
Er bückte sich nach dem Eisen, und vor Schreck wäre er beinahe doch selbst in die ätzende Brühe gefallen....
Erscheint lt. Verlag | 13.10.2020 |
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Reihe/Serie | Rosina-Zyklus | Rosina-Zyklus |
Zusatzinfo | Mit 4 s/w Abb. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Historische Kriminalromane | |
Schlagworte | Alster • Gerberei • Hamburg • Historischer Roman • Kriminalroman • Rosina |
ISBN-10 | 3-644-00679-2 / 3644006792 |
ISBN-13 | 978-3-644-00679-9 / 9783644006799 |
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Größe: 2,4 MB
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