Mookie – Weihnachten mit Schwein (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020
240 Seiten
Heyne Verlag
978-3-641-26145-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mookie – Weihnachten mit Schwein - Laura Wohnlich
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Hört nur, wie lieblich es grunzt.
Wenige Tage vor Weihnachten steckt Joachim mitten in der Sinnkrise. Seit Wochen geht er kaum noch vor die Tür. Wird sich das jemals wieder ändern? Doch dann bekommt Joachim völlig überraschend ein Schwein geschickt. Einfach so, per Post. Ohne Absender, dafür quicklebendig. Joachim kann sich keinen Reim darauf machen. Und so fasst er einen folgenschweren Entschluss: Gemeinsam mit seinem neuen Haustier, das er auf den Namen Mookie tauft, wagt er sich hinaus in die Winterkälte, um das Rätsel zu lösen. Ein unglaubliches Abenteuer nimmt seinen Lauf ...

Laura Wohnlich, 1992 in Basel geboren, schreibt eigentlich schon immer. Unter anderem wurden ihre Texte im Entwürfe-Magazin und in der WELT veröffentlicht. Sie war Mitglied beim jungen Theater Basel, stand auf der Bühne und verfasste Drehbücher. 2017 erhielt sie vom Literarischen Colloquium Berlin ein Aufenthaltsstipendium. Ihr Debütroman SWEET ROTATION (2017) war »traurig und lustig, geistreich und psychologisch ausgeklügelt« (SRF).

2

JOACHIM HATTE SICH erst mal ins Bad zurückgezogen. In keinem anderen Raum einer Wohnung konnte sich die Nachlässigkeit ihres Bewohners so anklagend offenbaren wie hier: mysteriöse Gerüche aus dem Waschbecken, Pilzkulturen im Zahnbecher und vom Klobürstenbehälter wollte man gar nicht erst anfangen. Trotzdem verkörperten diese sechs Quadratmeter für Joachim einen zuverlässigen Rückzugsort, weil hier drin der Aktionsrahmen so klar abgesteckt war. Auch wenn er gerade nichts von den Dingen tat, für die ein Badezimmer vorgesehen war, sondern eingepfercht zwischen Wand und Wanne saß, mit dem Rücken zum Heizkörper, der nicht mehr funktionierte. Auch die Fliesen unter seinem Hintern waren kalt, und sein Steißbein lag genau überm Schaltknopf. Das tat weh, aber Joachim konnte sich nicht mehr rühren, diese Position hielt ihn vorläufig gefangen, während er mit klammer Hand den Joint anzündete. Plötzlich erschien ihm doch wieder denkbar, dass er Fieber haben könnte. Möglicherweise das Symptom einer Blutvergiftung. So was konnte ja schnell gehen. Seine Mutter hatte sich mal an einem Kalenderblatt des Monats Oktober einen minimalen Riss im Zeigefinger zugezogen und war mit einer Sepsis im Krankenhaus gelandet. Je mehr er darüber nachdachte, desto plausibler erschien ihm, dass sich in diesem Moment Staubpartikel einen Weg durch seine Blutbahn Richtung Herz fraßen, als unaufhaltsame Manifestation einer gerechten Strafe für seine fahrlässige Lebensweise.

Er wollte Joy anrufen, aber es war nicht möglich. Aus Angst vor seiner eigenen Stimme weigerte sich seine Hand, auf den Hörer zu drücken, also schrieb er ihr eine Nachricht. Das funktionierte.

Hallo Joy. Mir geht es nicht gut. Gedanken ans Sterben und bedenklicher Alkoholkonsum. Ich wollte es dir nur mitteilen. Nicht, damit du dir Sorgen machst, sondern einfach, damit du Bescheid weißt.

Joachim hatte keine ausgeprägte Todessehnsucht. Dennoch hatte er sich während der letzten zwei Monate immer mal wieder ausgemalt, wie es wäre, einfach aus der Welt zu verschwinden. Indem er beispielweise sieben Euro für eine Dombesteigung zahlte, zur höchsten Aussichtsplattform hinaufstieg, sich an der Sandsteinbalustrade hochzog und dann auf der anderen Seite hinunter in die Tiefe gleiten ließ wie ein Handtuch, das von der Haltestange rutscht.

Aber bis dato hatten sich solche suizidalen Fantasien jeweils ab dem dritten Zug an einem seiner Zombiejoints wieder aufgelöst, und er dachte stattdessen über den Paragrafen 6 des Strafgesetzbuches oder moosige Felswände nach. Heute aber löste sich überhaupt nichts auf. Stattdessen musste er wieder an seine gesichtslose Urgroßmutter denken und daran, dass es keinen, wirklich nicht einen einzigen Grund gab, länger zu warten.

Er stellte sich vor, dass Joy anrief. Ohne etwas zu sagen. Er stellte sich vor, dass er sie am anderen Ende atmen hören konnte, und seine Vorstellungskraft funktionierte so einwandfrei, dass sein Herz sich in Sekundenschnelle zu einem Stein verklumpte.

Er war allein. Er war wahrscheinlich selbst schuld daran, und er hatte den Moment verpasst, sich etwas anderes einzureden. Also ließ er den Gedanken zu, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als Joy zu sehen.

Joachim konnte im Nachhinein nicht sagen, warum er die Sache mit ihr nicht bei einem One-Night-Stand belassen hatte. Er fühlte sich weder merklich körperlich von ihr angezogen, noch fand er ihre favorisierten Gesprächsthemen ansprechend.

Trotzdem wuchsen sie, was den Geschlechtsverkehr betraf, zu so etwas wie einem eingespielten Team zusammen, obwohl ihm auch das rückblickend wunderlich erschien, denn er hatte sich bei ihr nie besonders viel Mühe im Bett gegeben.

Immerhin wirkten ihre Höhepunkte nicht vorgetäuscht, und sie sagte keine komischen Sachen wie »Du weißt ja sogar, wo sich die Klitoris befindet«, wie es eine andere Affäre vor ihr getan hatte.

Für den Rest der Beziehung schien das mit dem eingespielt allerdings nicht zu gelten: Rund zweieinhalb Monate nach dem ersten Treffen begann sich etwas in der zwischenmenschlichen Dynamik deutlich zu verschieben.

Zu Beginn hatte Joy sich lässig und unberechenbar gegeben und war auf Joachims Date-Vorschläge nie eingegangen, ohne ihm dabei zu vermitteln, dass sie eigentlich etwas Besseres zu tun haben könnte. Doch schon nach wenigen Wochen wurde sie immer anhänglicher und ängstlicher und schien ihre Tage nur noch danach auszurichten, ob und wann sich Joachim mit ihr treffen wollte.

Ihre anfängliche Coolness verebbte. Stattdessen waren da plötzlich stumme, haltlose Vorwürfe in ihren Blicken, wenn sie sich gegenübersaßen, während ihre Körpersprache eine ganzheitliche Verunsicherung signalisierte. Joachim registrierte diesen Wandel nur unterbewusst, aber das reichte aus, um sein Interesse an ihr umgehend abflachen zu lassen.

Joys Nachrichten begannen, ihn unter Druck zu setzen. Obwohl oder gerade weil er aus ihnen nicht schließen konnte, was sie eigentlich genau von ihm wollte. Der Reiz, sich auf sie einzulassen und sie näher kennenzulernen, auch wenn sie nicht sein sogenannter Typ war, kam abhanden. Bis er schließlich eines Tages so weit war, sich gar nicht mehr darum zu kümmern, ob und wann sie sich das nächste Mal sehen würden.

Stattdessen war es nun Joy, die fragte, ob er Lust habe, etwas zu unternehmen: Kletterhalle, Billardbar, Angeltour – Dinge, die sie selbst eigentlich gar nicht mochte und auf die Joachim erst recht keine Lust mehr hatte. Bald traute Joy sich nicht mehr, etwas anderes vorzuschlagen als abends mit einer Flasche Sekt bei ihm vorbeizukommen, und Joachim kam das gelegen.

Bis Joy eines Tages anrief – es war Herbst, draußen schwül und drinnen auch, die ganze Stadt wartete auf ein Gewitter, das nicht kam – und das Gespräch mit einem phänomenalen Schluchzer eröffnete. Besorgt fragte Joachim, was passiert sei, ob mit ihr alles in Ordnung war, und da jammerte sie, nein, gar nichts sei in Ordnung, überhaupt nichts, und daran sei er, Joachim B., schuld. Sofort verschwand das Bild einer blutüberströmt in einem Krankenhausbett liegenden Joy vor Joachims geistigem Auge. Es dauerte eine Weile, bis ihm dämmerte, dass er auf der Anklagebank saß, ohne eine Ahnung zu haben, was ihm vorgeworfen wurde. Also hörte er sich an, was Joy zu erzählen hatte. Es war eine Menge.

Sie heulte. Sagte, dass sie so nicht mehr weitermachen könne. Ihre Nerven lägen blank, seinetwegen. Seinetwegen könne sie sich nicht mehr auf ihre Arbeit konzentrieren, auf gar nichts mehr, sie sei nicht mehr sie selbst.

»Ich habe keine Lust mehr, von dir warmgehalten zu werden.« Er solle endlich aufhören, mit ihren Gefühlen zu spielen und ihr stattdessen sagen, was wirklich los sei.

Joachim, völlig unvorbereitet auf all das, fragte vorsichtig, was sie meine. Er habe doch gar nichts gemacht, was denn für ein Warmhalten? Und anstelle eines weiteren Schluchzers erklang am andern Ende ein bitteres Lachen: Genau, das sei ja das Problem, er mache nichts. Joachim blieb nichts anderes übrig, als perplex zu wiederholen: »Wie meinst du das?« Daraufhin sagte Joy bloß, sie sei sich zu schade für dieses kindische Scheißspiel, und legte auf.

Joachim hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, was er für Joy empfand, im Gegenteil. Er hatte es genossen, das, was zwischen ihnen war, nicht benennen zu müssen. Sie war einfach zu einem sehr passenden Zeitpunkt in seinem Leben aufgetaucht. Kurz nachdem er zum ersten Mal die Arbeit geschwänzt hatte nämlich, lange vor dem Laugenstangenvorfall, als er von diesem Gefühl, das ihn an dem Tag überfallen hatte, bloß hie und da einen Vorgeschmack verspürte in Form des einen oder anderen unpassenden Gedankens. Er hatte zum Beispiel ab und zu im Büro auf dem Klo gesessen, den Jackenhaken an der Tür angestarrt und gedacht: was soll das denn, welche verlorene Seele hat bitte schön diesen Haken da rangehämmert? Oder sich, wenn er nach Feierabend in der U-Bahn saß, vorgestellt wie es wäre, einfach nicht mehr auszusteigen und immer weiterzufahren, bis zur Endstation, und dann zu Fuß weiterzugehen, bis er in irgendeiner fremden Stadt ankäme, wo er unter falscher Identität ein neues Leben starten würde.

Joy hatte ihn von diesen Gedanken ablenken können. Zumindest anfangs, als sie noch kaum merklich bei ihm anklopften wie vereinzelte Tropfen, die sanft auf dem heißen Stein der Vernunft zerzischten. Als die Tropfen sich stetig vermehrten, wurde es schwieriger, sie zu ignorieren. Von Tag zu Tag sammelten sich mehr an, trichterten ihm ein, dass etwas verkehrt lief, bis sie sich schließlich, als Joy sich schon aus seinem Leben verabschiedet hatte, zu einer frevelhaften, unübersehbaren Lache in seinem Innern ausgebreitet hatten wie ein Ölteppich im Ozean und als Tsunami an besagtem Tag in der U-Bahn-Station über ihn hereinbrachen.

Er zwang sich aufzustehen.

Gerade als es ihm auf dem Weg ins Wohnzimmer gelungen war, nicht mehr an Joy zu denken, fiel sein Blick auf eine am Boden liegende Zeitung aus dem letzten Jahr. Bürgerkrieg und Einwanderungskrise und irgendein ausgebrochenes Virus. Wie weit weg das alles war. Aber ihm fiel plötzlich Muhammed ein, Joys neuer Partner. Der syrische Geflüchtete. Namen und Zahlen hatte er sich schon immer gut merken können im Gegensatz zu Gesichtern, und leider waren ihm in diesem Fall noch mehr Einzelheiten bekannt. Joy hatte Muhammed in irgendwelchen Arkaden kennengelernt. Wo er arbeitete, kaufte sie ein. Eine respektable Erstbegegnung in der echten Welt...

Erscheint lt. Verlag 14.9.2020
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Advents- und Weihnachtszeit • Basel • Christbaum • Christmas Pig • eBooks • Geschenk Weihnachten • Hausschwein • Joachim B. • Kleine Geschenke • kleine geschenke für frauen • Laura Wohnlich, Sweet Rotation • Odysee • Roman • Romane • Schweiz • Schweizer Autorin • Weihnachten Buch • Weihnachtsbuch • Weihnachtsbuch Erwachsene • Weihnachtsmarkt • Weihnachtsroman • Weihnachtsschwein
ISBN-10 3-641-26145-7 / 3641261457
ISBN-13 978-3-641-26145-0 / 9783641261450
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